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Dienstag dm 20. Juni
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1893.
L Der Wahlausfall,
dessen vollständiges Bild sich auch heute noch nicht geben läßt, ist dmch drei Thatsachen charakteristisch: Durch die große Zahl der Stichwahlen, durch das Anwachsen der sozialdemokratischen Stimmen und durch den Rückgang des Devtschsreisinns oder wie er sich jetzt nennt, der freisinnigen Volkspartei.
Die große Zahl der Stichwahlen erklärt sich durch die vielfachen Bestrebungen in neuerer Zeit, den Rahmen der Parteien zu durchbrechen. Der Antisemitismus ist eine verhältnißmäßig neue Erscheinung, die die Organisaiisr. der Konservativen ebenso bedroht, wie der Bund der Landwirte, der in gewisser Hinsicht ein Seitevstück in dem Auftreten des Herrn v. Schor- lemer-Alst gegenüber dem Zentrum gefunden hat. Bodenbesttzreformer, Jmpfgegner und sonstige größere oder kleinere Interessengruppen hatten sich zu eigenen Kandidaten ausgeschwungcn und so kam denn die unvermeidliche Zersplitterung, die zu den Stichwahlen führt.
Die Ungewißheit über den Wahlausfall ist durch den 15. Juni nicht gehoben worden. Das Gesamt- refultat, soweit es bisher bekannt ist, bietet nur im einzelnen Neberraschungen. Die Siegeszuversicht in einzelnen Lagern schien allen nicht minder ein Wagnis, wie der Kassandraruf der Ftrzzt/, die Regierung werde am 15. Juni die Partie verlieren. Man war auf Knalleffekte gefaßt, ohne daß man genau Rechenschaft zu geben vermochte, von welcher Seite sie kommen und welcher Art sie sein würden; auf die neuen Faktoren in der Rechnung, auf die agrarische und antisemitische Bewegung einerseits, auf die Spaltungen im Zentrum und im Freisinn andererseits wies man hin, um die Unsicherheit aller Schätzungen zu begründen. Mit Sicherheit ließ sich bei der „Fülle der Gesichte" in dm Kandidatenlisten nur eins voraussehen: eine abermalige Steigerung der Zahl der Stichwahlen. Schon im Jahre 1890 waren nicht weniger als 151 auszu- fechlen, diesmal werden es mehr als 200 sein, und gerade diese Stichwahlen fallen auf die Bezirke, in denen der Kampf am lebhafteten entbrannt war. Die Entscheidung im ganzen hängt denn auch von dem zweiten Gang ab, der dort bevorstcht.
Die Sozialdemokratie hat zweifellos in der Breite
zugenommen, aber nicht in dem Maße, wie sie selbst gehofft, wie von den bürgerlichen Parteien gefürchtet wurde. Im ersten Wahlgange hat sie nur etwa 24 Mandate errungen; sie steht mehr als 70mal zur Stichwahl und dürfte in Berlin mindestens noch in zwei Wahlkreisen siegreich sein. Dagegen ist sie aus Bremen verdrängt worden und auch Hie Behauptung von Lübeck und Halle in der Stichwahl dürfte ihr schwer werden.
Die Parole der Freisinnigen Volkspartci (Eugen Richter) scheint durchgängig den Sozialdemokraten zu gute gekommen zu sein, denn selbst in Hagen muß Richter um die Wiedererlangung seines Mandats mit den Sozialisten in der Stichwahl ringen, bei der die Zentrumswähler den Ausschlag geben. Im ersten Wahlgange hat die Partei nicht ein einziges Mandat erobert, dagegen hat sie sogleich mehrere Sitze endgültig verloren, so Breslau-West, Limburg, Homburg- Höchst, Sorau, Westhaveland, Waldenburg, Mühlhausen i. Th., Emden, Tondern, Wiesbaden, Rostock, Holzminden, Gotha und Lippe-Detmold. Es hat die Erfahrung gezeigt, daß die Partei bei den Stichwahlen durch die Hilfe von Links und dem Zentrum meist Gewinnummcrn zieht, aber sie wird sich darin diesmal mit den Mitgliedern der freien Vereinigung die nicht ohne Glück gekämpft zu haben scheinen, teilen müssen. Die noch zu machenden Gewinne werden aber schwerlich die Verluste aufwiegen.
Die große Frage, ob der neue Reichstag eine der Militär Vorlage günstig gestimmte Mehrheit auf- weisen wird — und die Beantwortung dieser Frage ist doch von größerem Interesse, als die durch die Wahlen hervorgerufene Verschiebung der Befitzver- hältnisse der Parteien! — läßt sich heute noch so wenig bejahen, wie verneinen. Darüber wird erst der Ausfall der Stichwahlen Auskunft geben. Wie verschiedenartig aber sich die Sache vom gegenüberstehenden Parteistandpunkte aus darstellt, mögen zwei Preßäußerungen zeigen, mit denen wir diesen Artikel schließen wollen.
Die „Nordd. Mg. Ztg." schreibt: Die bisher bekannten Wahlergebnisse gestatten, schon wegen der großen Zahl der Stichwahlen, kein sicheres Urteil über die Zusammensetzung des Reichstages; sicher erscheint jedoch, daß die Freunde der Militärvorlage an
Boden nicht verloren, sondern gewonnen haben. Recht günstig lauten die Nachrichten für die nationalliberale Partei, die ihren Bestand erweitern dürfte, während die Konservativen den ihrigen zu behaupten in der Lage sein werden. Dem Zuwachs der Sozialdemokraten stehen größere Verluste der freisinnigen Volkspartei gegenüber; bisher ist kein einziger Kandidat des Richter'schen Freisinns als gewählt gemeldet, während derselbe eine ganze Reihe von Mandaten definitiv verloren hat, indem er an den betreffenden Stichwahlen nicht beteiligt ist.
Dagegen schreibt die „Freisinnige Zeitung": „Das Wahlergebnis läßt sich noch nicht vollständig übersehen. Soviel aber dürste keinem Zweifel unterliegen, daß die Stimmen der freisinnigen Volkspartei, der Sozialdemokratie, des Zentrums und der süddeutschenVolkspartcizusammengerechnetals Plebiszit eine große Mehrheit gegen die Militärvorlage bezw. den Antrag Huene ergeben."
Definitives Wahl-Ergebnis in Württemberg.
1. Wahlkreis (Stuttgart)
-Siegle 11111, Fr.Haußmann 5842, Kloß 13 340, Gröber 767, Wbling 457, Zersplittert 14. Stichwahl zwischen "Siegle und Kloß.
2. Wahlkreis (Cannstatt rc.)
Kallenberg 7 225, -Schnaidt 8131, Glaser 4863, Eckert 120, Zersplittert 19. Stichwahl zwischen "Schnaidt und Kallenberg.
3. Wahlkreis (Besigheim-Heilbronn rc.)
Mayer 8461, Haag 5892, Kittler 4968, Gröber 2277, Zerspl. 12. Stichwahl zwischen Mayer und Haag.
4. Wahlkreis (Böblingen rc.)
Schrempf 6209, "Kercher 8076, v. Wächter 1817.
Zerspl. 67. Stichwahl zwischen "Kercher und Schrempf.
5. Wahlkreis (Eßlingen rc.)
»Weiß 7 247, Ehni 9 460, Dietz 3 706. Zerspl. 113. Stichwahl zwischen "Weiß und Ehni.
6. Wahlkreis (Reutlingen rc.)
Rupp 5 775, Payer 9 817, Blos 401, Gröber 1009. "Payer gewählt.
Der zweite Mann.
Erzählung von Ewald August König.
(Fortsetzung.)
„Sie wissen auch nicht, was ihn zu dieser plötzlichen Abreise bewog?" fragte der Richter mit schärferer Betonung.
Elisabeth schlug verlegen den Blick nieder.
„Man beschuldigte ihn eines Betruges," sagte sie, aber ich kann nicht beurteilen, ob diese Beschuldigung begründet war. Mein Gatte protestierte energisch gegen die Anklage und ich bin geneigt, seiner Behauptung Glauben zu schenken. Wenn er trotzdem der Anklage aus dem Wege gehen wollte, so läßt sich das begreifen."
„Wenn er sich schuldlos wußte, so hatte er das nicht nötig!"
„Mein Gatte steht jetzt vor einem höheren Richter," erwiderte Elisabeth in vorwurfsvollem Tone, „wir wollen nicht über ihn urteilen."
„Wann verließ er das Haus?"
„Auf eine Entdeckung seiner Betrügereien mußte Griesheim jederzeit vorbereitet sein und ich zweifle auch nicht daran, daß er es war," sagte der Richter kopfschüttelnd, „ein notorischer Verbrecher faßt den Entschluß der Selbstentleibung nicht so rasch. Griesheim trat die Reffe wohl mit dem Vorsatz an, nicht mehr hierher zurückzukehren."
„Darüber hatte er uns im Unklaren gelassen; er wollte äbwarten, welchen Erfolg meine Mission
hatte und dann von Bern aus schreiben", entgegnete Grüner.
„War er darüber selbst noch im Zweifel, so muß er auch eine namhafte Geldsumme mitgenommen haben," erwiderte der Richter, den forschenden Blick auf ihn heftend, „in seiner Börse wurde nur ein kleiner Betrag gefunden und da er im Unfrieden von Ihnen und seiner Frau schied, so durfte er auch nicht erwarten, daß man ihm Geld von hier nachsenden würde."
„Das ließe sich allerdings behaupten, wenn mein Schwager in der That ein reicher Mann gewesen wäre," sagte Grüner. „Ich weiß freilich nicht, wie viel er hinterlassen hat, aber an seinen Reichtum habe ich nie geglaubt. Was sollte er da mitnehmen? Ganz ohne Mittel konnte er seine Frau auch nicht zurücklaffen —"
„Er hatte kurz vorher über dreitausend Frank gewonnen, es läßt sich wohl annehmen, daß er sie mitgenommen hat. Ein Portefeuille ist auch nicht bei dem Toten gefunden worden —"
„Ich glaube nicht, daß er eins besaß,"
„Und außer der Reisetasche hatte er kein Gepäck?"
„Ich habe keins gesehen. Wenn die Tasche aufgefischt wird, so findet man vielleicht in ihr das Geld, ich vermag Ihnen darüber gar keine Auskunft zu geben."
„Wo waren Sie gestern?" fragte der Richter, dem dieser Trotz die Galle ins Blut trieb.
Grüner warf das Haupt zurück, ein höhnisches Lächeln umspielte seine Lippen.
„Ich halte mich zwar nicht verpflichtet, diese Frage zu beantworten," sagte er, „aber ich will es
dennoch thun. Ich war in Brunnen um den betrogenen Freund zu versöhnen."
„Wann kehrten Sie von dort zurück?"
„Gestern abend."
„Bedurften Sie so langer Zeit, um Ihren Zweck zu erreichen?"
„Keineswegs, aber ich habe den Nachmittag zu einer kleinen Tour benutzt."
„Wohin?"
„Ich war auf dem Axenstein."
„Und von dort kehrten Sie direkt nach Luzern zurück?"
„Diese Fragen —"
„Haben Sie zu beantworten," sagte der Richter scharf.
„Es ist meine Pflicht, die Sache gründlich zu untersuchen," fuhr der Richter fort, „und ich stelle keine Frage unnütz. Also geben Sie mir Antwort!"
„Fordern Sie die Antwort als Untersuchungsrichter, so muß ich sie geben, aber Sie werden mir gestatten, Sie nach dem Verhör zu fragen, welche Veranlassung Sie zu diesen Fragen gehabt haben. Jawohl, ich bin vom Axenstein nach Brunnen und von dort direkt nach Luzern zurückgekehrt."
„Und heute morgen?"
„Bin ich von Pontius zu Pilatus gelaufen, um die Vorbereitungen zur Beerdigung zu treffen."
„Sie waren mit Ihrem Schwager nicht sehr befreundet ?" fragte der Richter nach einer Pause weiter.
„Ich habe mit ihm auch nicht in Feindschaft gelebt. Seine Ansichten waren nicht die meinigen; ich