197. Amts- »nd ÄNMgeblatt fiir dm Nberamtsdyirk Calw. 8S. -chr,«»,
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Erscheinungstage: M-ntag, Dienstag. Mittwach, AannerStag, Freitag und Samrtag. JnsertianSprei« KI Psg. pr» -eile für Stadt u. Bezirlsorte; außer Bezirk IS Pfg.
Donnerstag, den 24. August 1911.
Bezugspr.i.b. Stadt i/ijährl.m. Trägerl. Mk. 1.25. Postbezugspr. f.d. Orts-u.NachbarorlSverk. ^/-jährl. Mk. 1.20, im Fernverkehr Mk. 1.30. Bestellg. in Württ. 30 Pfg., in Bayern u. Reich 4L Pf-.
Tagesuenigkeiteu.
— Se. Maj. der König haben am 21- Aug. allergnädigst geruht den tit. Oberbahnmeister B.engel in Calw zum Oberbahnmeistrr. den Eisenbahnpraktikanten I. Klasse Luttenberger zum Oberbahnassistenten in Calw zu ernennen.
Leonberg 23. Aug. (Ein glücklicher Gewinner.) Der erste Gewinn in der Reichenbacher Kirchenlotterie ist dem Schuhfabrik- arbriter Hecker in Leonberg zugefallen.
Stuttgart 23. Aug. (Schwäbischer Ueberlandflug.) Heute sind die Meldungen unserer Landrleute Hirth und Vollmöller eingetroffen. Im ganzen Schwabenland wird einstimmig Freude darüber herrschen, daß zwei so hervorragende schwäbische Flieger an dem Ueberlandflug teilnehmen werden. Auch die Aviatikgesellschaft in Mülhausen (Elscß) schickt eine« bewährten Kämpen: Büchner in« Feld. Von der Luftverkehrsgesellschaft G. m. b. H. Berlin wurde heute gleichfalls ei« Flieger telegraphisch avgemeldet, der Name wurde jedoch noch nicht genannt. Innerhalb von 2 Tage« find schon 5 Nennungen gemacht worden. Es ist darauf aufmerksam gemacht, daß die Offiziere, die in den Manövern befindlich, an dem Ueberlandflug nicht teilnehmen können.
Stuttgart 23. Aug. (Vom neue» Bahnhof.) Von Woche zu Woche verändert sich da» für den neue» Bahnhof bestimmte Gelände. Die umfassende» und großzügige» Dammbauten mit de» von bastionartige» Vorbauten gekrönte» Stützmauern gegenüber dem Karl-Olga- Denkmal stehen vollendet da. Die «eue Trace der LudwigSburgerstraße ist bis zum Eingang in die untere» Anlagen verkehrstechnisch fertiggestellt. Ein langer provisorischer Viadukt wird jetzt über die Wolframstraße errichtet, um die Verbindung
zwischen den »euaufgefüllten Eiseubahndämmen gegen die Anlagen herzustellen. Ein zweiter hölzerner Viadukt überquert beim sogenannte« Galgenhügel die «ach Cannstatt führende Bahnlinie. Den ganzen Tag ist der große Dampf- krahn in Bewegung, um das Erd- «nd Steinmaterial de« Galgenhügels abzutragen, das zur Errichtung eine» breiten Eisenbahndamme» gegen die unteren Anlagen dient. Ein Schienenstrang neben dem anderen entsteht teils zur Entlastung der bestehende» Gleise, teils zur Benützung für die zahlreichen Materialzüge. ES ist nicht zuviel gesagt, wenn man bezüglich der PlanieruvgS- und Hochbauten, die in verhältnismäßig kurzer Zeit zwischen der Prag «nd dem Rosensteinpark ausgeführt wurden, von einem Triumph unserer modernen heimischen Technik spricht. Mag auch die neue Zeit mit ihren rücksichtslose« Forderrungen manch anmutige» Landschaftsbild zerstöre», im Hinblick auf die enormen verkehrstechnischen Schwierigkeiten, die sich der Erbauung eine» großzügigen, modernen ZrntralbahnhofS inmitten de» Stuttgarter Talkessel» entgegenstellev, hat die Bevölkerung alle» Anlaß, den Werdegang dieser ausgedehnten eisevbahntechnischen Riesenanlage mit wachsendem Interesse zu verfolgen.
Stuttgart 23. Aug. Dem „Neuen Tagblatt" wird au» Füssen geschrieben: Am letzten Sonntag verbreitete sich hier die Kunde, daß sich drei Kinder im Alter von 8, 10 und 14 Jahre» vom Alpsee au» verirrt hätte» «nd vielleicht verunglückt seien. Sie hätte» längsten» bis 7 Uhr abend» bei ihren Familien, die hier zur Sommerfrische weile», eintreffen sollen, wa» aber nicht der Fall war. Ei» großes Aufgebot von Leuten suchte während der Nacht da» ganze Gebiet vom Alpsee weg ab, ohne daß man von den Kindern auch nur eine Spur entdeckte. Am
Montag früh bei neuerlichem Nachforschen liefen die Kinder dem Vater der eine» Familie direkt in die Hände. Sie waren stundenweit vom Weg abgekommen, hatten sich in der sog. SperberSa« verirrt und mußten dort im Freien nächtigen. Die Kinder find zwei Knaben de« Herr« Wiegandt von Ulm und ein Knabe des Rechtsanwalt» List von Reutlingen.
Stuttgart 23. Aug. Auf der Südseite de» Eisenbahndammes der Strecke Cannstatt— Fellbach kurz hinter dem Bahnhof Cannstatt ist eine größere Obstbaumlage. Mit einer Reihe anfangend besteht die Hauptpflanzung au» drei Reihen Bäumen, die auf 6—7 m Entfernung stehe». Al« Baumform ist der Halbstamm gewählt. El stehen hier Birnen in zwei Sorte«: Stuttgarter Geißhirtle «nd Holzfarbige Butterbirne. Wie vortrefflich die Sortenwahl war, zeigen, wie der „Obstbaumsreund", Vierteljahr»- schrift zu gemeinverständlicher Belehrung über de» Obstbau de» Landmanns, schreibt, heute die von Gesundheit strotzende», fast Jahr für Jahr mit lachenden Früchten übersäte» Bäume. Wenn gesagt wird, daß die ganze au» rund 480 Bäume« bestehende Pflanzung dieser Strecke alljährlich im Durchschnitt 1000 ^ einbringt, so kommt dieser Ertrag fast nur auf das Konto dieser beide«, etwa ein Dritteil der Pflanzung ausmachenden Sorte». Der „Obstbaumfreund" will deshalb für die Bkflanzung der Eisenbahndämme mit Obstbäumen durch den Hinweis auf diese lohnende Dammbirnenanlage Propaganda machen, «nd deutet auch auf Bayer» hin, wo der Gedanke starke Unterstützung findet.
Stuttgart 23. Aug. Bei der heutige» Ziehung der Reichenbacher Kirchenlotterie fiel der Hauptgewinn von 15000 auf Nr. 31789, 5000 ^ auf Nr. 10 566,2000 ^
Frau Lores Lebenswerk.
20) Roman von Erich Ebenstein.
(Fortsetzung.)
„Nicht traurig sein, Liebling! Denk' an die Lebende», die auch ei» Recht an Dich haben — Mama hat Dich so lange entbehrt, mach ihr die erste Stunde nicht noch schwer."
Seine Stimme klang weich und innig, voll verhaltener Zärtlichkeit, sodaß Fra« Lore im Stille» ihren letzte« Groll gegen ihn schwinden fühlte. Und Assunta murmelte, sich an ihn schmiegend, unter Tränen lächelnd: „Du bist so gut — — was finge ich jetzt ohne Dich «nd Mama an?"
Sofie kam mit der Frage, ob aufgetragen werde« dürfe und Mama Fabriziu» fand es an der Zeit, sich zurückzuziehe«. Aber da umschlangen sie Assunta« Arme angstvoll: „Du wirst doch heute bei un« bleibe»? Du mußt mir doch erst erzählen, wie — wie da» Unglück mit dem arme» Papa geschah?"
Und Lanzendorf sprach ein Machtwort.
„Natürlich kaffe» wir Dich nicht fort, Mama. D« gehörst doch nun zu uv», hier soll Deine zweite Heimat sein!"
Ei» heißer Strom dankbaren Gefühle» brach au» Frau Lore» Augen für diese» Wort. Ihr war, als habe sich die Welt mit einem Male verwandelt. Wa» dunkel schien, wurde plötzlich voll strahlender Helle. War ihr denn wirklich noch Sonnenschein beschieden?
„Meine Kinder! Meine liebe«, lieben Kinder!" murmelte sie mit erstickter Stimme. Dan« nahm Lanzendorf sie an einen Arm, Assunta an den anderen und führte beide i« Triumpf z» Tisch.
Da» junge Paar war überrascht »nd entzückt über da» festliche Arrangement. Lauzeadorf lehnte sich behaglich in seinen Stuhl zurück
«nd überflog alle» mit Kennerblick. Da» blitzende Silber auf dem glänzend weißen Damast, die Fülle von Blume» ringsum und die guten Dinge, die bereit standen — wahrhaftig sogar echter Rheinwein, «nd am Rauchtisch »eben seinem Platz, ei» Kistchen Upman» flor, e» hob seine Stimmung großartig.
Er empfand plötzlich eine gewisse Hochachtung vor seiner Schwiegermutter.
Nu» erst da» Esse». Wie da» schmeckte nach der langen Hotelkost -ordentlich aufleben fühlte er sich.
„Das hast Du wirklich einfach großartig arrangiert, Mama! Alle Hochachtung!" sagte er anerkennend und Frau Lore errötete vor Freuden wie ein PenfionSmädchen, da» I im Fleiß und guten Sitten erhalten hat.
In ihr war auch nicht mehr die leiseste Spur einer Bitterkeit. Nichts al» Dankbarkeit dafür, daß man mit ihr zufrieden war, sie duldete und sich ihre Liebe gefallen ließ.
Lanzendorf, der dem Wein fleißig zusprach «nd in immer behaglichere Stimmung geriet, wußte e» geschickt zu vermeide», daß man traurige Dinge berührte.
„Morgen, Kind, morgen, wenn ich in unsere Fabrik gehe, dann besuchst Du Mama und ihr sprecht Euch über alle» au»," beschwichtigte er Affuuta» immer wiederkehrende Fragen nach den letzte» Stunden ihre» Vater». Heute sollen die ersten Stunden in unserem Heim nicht durch traurige Erinnerungen getrübt werden. Mama wird ja auch neugierig sei« unsere Neuigkeiten zu hören."
Und bei den ersten Züge» der Upmann flor, die er sich angezündet hatte, begann er von seiner Stellung zu spreche».
Eigentlich wäre e« ihm nie im Traum eingefallen, seiner Schwiegermutter „Rechenschaft" über sein Tu» zu gebe«, denn im Grunde ging sie da» gar nicht» an nach seiner Meinung.