Beilage.

Wr. 39. Mtensteig, ScrmsLcrg den 1. April_ 1893.

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Der zweite Mann.

Erzählung von Ewald August König.

(Fortsetzung.)

Woraus vermuten Sie das?"

Ich kann nichts Sicheres behaupten; man sieht und hört mit­unter manches, was man nicht recht versteht und worüber man nicht sprechen darf."

Erzählen Sie mir nur, welche Beobachtungen Sie damals ge­macht haben. Herr Griesheim war schon vor der Nacht, in der er gestorben ist, krank?"

Davon habe ich wenig bemerkt," berichtete das Dienstmädchen bereitwilligst dem Advokaten.Der Herr Medizinalrat ist freilich ge­rufen worden, aber verschrieben hat er nichts und unserm Herrn hat man's auch nicht angemerkt, daß er krank sein sollte. Noch am Abend vor seinem Tode hat er Champagner getrunken und fein gespeist. Ich hörte aber, daß Madame mit ihrem Bruder darüber sprach, man müßte den Hausarzt einige Male rufen lassen und in diesem Monat pflege der Medizinalrat jedes Jahr eine Woche zu verreisen. Herr Grüner war ganz damit einverstanden und ich erinnerte mich wieder an das Gespräch als ich hörte, wie der Medizinalrat Abschied nahm."

Also am Abend vor seinem Tode war Griesheim noch ganz munter und wohlauf?"

Jawohl."

Er hatte auch vorher keinen Streit mit seiner Frau oder seinem Schwager gehabt?"

Ich Hab' nichts davon gehört; aber geärgert muß er sich doch haben, so leichenblaß Hab' ich noch keinen Menschen gesehen, wie er an diesem Abend war."

Und wann sahen Sie ihn zum letzten Mal?"

Kurz vordem er zu Bett ging; da eben war's, daß ich so furcht­bar über sein blasses Gesicht erschrack."

Und weiter bemerkten Sie nichts?"

Nein."

Waren die beiden anderen nicht aufgeregt?"

Ja, Madame war an dem Abend unausstehlich, man konnte ihr nichts recht machen; bald war sie hier, bald da, in alle Ecken sah sie hinein sie hatte wieder einmal ihren bösen Tag."

Und was geschah dann?"

Ich ging zu Bett und schlief gleich ein und wie ich wach wurde, stand Madame vor meinem Bett. Madame befahl mir, aufzustehen und Doktor Kleinschmidt zu rufen. Der Herr war plötzlich krank geworden, mehr erfuhr ich nicht; ich sollte für heißes Wasser sorgen und die Küche nicht verlassen, damit ich in jedem Augenblick gerufen werden könnte."

Blieb der Doktor lange bei dem Kranken?"

Nein, er war schon verdrießlich, daß er aus dem Bett geholt wurde; unterwegs sagte er mir, er sei selbst nicht wohl und ein Mann, wie er, müsse seine Nachtruhe haben. Gleich nachdem der Doktor fort war, wurde ich in die Apotheke geschickt und mir befohlen, auf die Me­dizin zu warten. Es dauerte eine volle Stunde, ehe ich wieder nach Hause kam, und da fiel's mir gleich auf, daß alles so stille war. Madame kam aus dem Wohnzimmer und brachte mir ein Glas heißen Punsch. Das werde mir gut thun, meinte sie, und dann sagte sie mir, ihr Mann sei soeben gestorben, er habe einen zweiten Blutsturz bekommen."

Wollte sie nicht noch einmal zum Arzt schicken?"

Nein; ich fragte, ob ich hingehen solle; sie erwiderte, es sei überflüssig, da ihrem Manne ja doch nicht mehr geholfen werden könne."

War sie noch immer so aufgeregt?"

Im Gegenteil, sie war auffallend ruhig; ich konnte das nicht be­greifen, da sie ihren Mann doch so geliebt hatte."

Und wo war Grüner?"

Im Schlafzimmer; ich hörte seine Stimme, als ich an der Thür dieses Zimmers vorbeiging."

Bei dem Toten?"

Jawohl," nickte das Mädchen;aber was er sagte, konnte ich nicht verstehen. Es wurde mir unheimlich; ich ging wieder ins Bett, nachdem ich den Punsch getrunken hatte. Ich fürchtete mich schon, daß ich nicht würde schlafen können, aber ich schlief wie ein Dachs, und es war schon sehr spät, als ich erwachte, ich hatte furchtbare Kopfschmerzen und Madame schalt mich aus, weil ich die Zeit verschlafen hatte."

Und wie war Frau Griesheim an diesem Tage?" fragte der Advokat das Mädchen.

Sehr nervös, sie erschrack bei dem geringsten Geräusch, und so oft jemand die Treppe heraufkam, flüchtete sie sich ins Schlafzimmer."

Der Tote lag noch immer da?"

Er hat das Zimmer erst verlassen, als sie ihn zur Beerdigung hinaustrugen."

Kam niemand, um die Leiche zu besichtigen?"

Wer sollte kommen?"

Der Doktor Kleinschmidt."

Nein, es kam niemand."

Haben Sie die Leiche gesehen?"

Später durchs Schieberchen, als sie schon im Sarge lag. Das Schlafzimmer war verschlossen und es wurde niemand Hineingelaffen. Der Sarg wurde schon vormittags gebracht, er mußte im Korridor nieder­gesetzt werden."

Also haben nichtdieSchreinerdie Leiche hineingelegt, wie das üblichist?"

Nein. Madame Griesheim erklärte, sie wolle das selbst mit ihrem Bruder besorgen, keine fremde Hand solle ihren verstorbenen Gatten berühren. Das ist dann auch gleich nach Tisch geschehen; die beiden sind den ganzen Nachmittag im Schlafzimmer geblieben und am Abend wurde wieder fein gespeist und getrunken. Wenn fremde Personen kamen, dann wurde jede Minute mit dem Taschentuch über die Augen gewischt, aber waren die beiden wieder allein, so merkte man von Trauer gar nichts."

Hm, was vermuten Sie daraus?"

Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, Herr Doktor, es giebt ja Naturen die kein Unglück beugen kann."

Und wann sahen Sie die Leiche?"

Am andern Tage, oben im Sargdeckel war ein kleiner Schieber und ich habe nur einen flüchtigen Blick hineingeworfen; ich gäbe heut noch was darum, wenn ich es nicht gethan hätte; es war ein grausiger Anblick."

Der Tote ist sehr früh beerdigt worden."

Das war notwendig, die Leute im Hause beschwerten sich; der Dr. Kleinschmidt war selbst da, um sich zu überzeugen."

Hat er die Leiche gesehen?"

Nein; es war ihm auch nicht zu verdenken, daß er das Haus so rasch wie möglich wieder verließ. Er hat im Wohnzimmer den Schein geschrieben und ist dann wieder gegangen."

Wohnten der Beerdigung viele Personen bei?"

Nur die nächsten Nachbarn."

Und was geschah nach dem Begräbnis?"

Die Zimmer wurden gereinigt und gelüftet, dann kam alles wieder ins alte Geleise. Herr Grüner reiste einige Tage später ab und Madame sprach davon, daß sie ebenfalls verreisen wolle."

Hatte sie diesen Entschluß schon vor meinem Besuch gefaßt!"

Wenigstens hatte sie.schon vorher davon gesprochen. Das ganze Mobiliar wurde unter der Hand verkauft: ich wußte es, aber mich ging's weiter nichts an, ich hielt's auch für das beste, mich gar nicht darum zu kümmern."

Grüner kehrte von seiner Reise wohl nicht zurück?"

Nein. Madame sagte freilich, er werde jedenfalls wiederkommen, aber ich habe von Anfang an nicht daran geglaubt. Sie selbst wollte zu einer Tante reisen, aber sie sagte mir nie, wo diese Tante wohnte, ich weiß es auch heute noch nicht."

Der Advokat heftete den Blick erwartungsvoll auf sie.

Sie scheinen ein kluges Mädchen zu sein," sagte er;das geht aus dem Resultate Ihrer Beobachtungen hervor. Erinnern Sie sich nicht, daß Frau Griesheim- und Trinkgeschirr selbst gereinigt oder ganz beseitigt hat? Denken Sie einmal nach, vielleicht taucht eine solche Erinnerung auf."

Das Mädchen schüttelte ablehnend das Haupt.Ich weiß schon, woran Sie denken," erwiderte sie;ich Hab' ja auch einmal diesen Ver­dacht gehabt, aber ich mag Nachdenken, wie ich will, ich kann nichts finden, was diesen Verdacht bestätigt. Haben sie ihm etwas eingegeben, dann haben sie sich auch vor der Entdeckung zu sichern gewußt und es wird nie herauskommen."

Wer weiß!" sagte Gustav Varnay achselzuckend.Sie hegen auch Verdacht, aus Ihren Worten geht das deutlich hervor uud ein solcher Verdacht wird nicht aus der Luft gegriffen. Ist es Ihnen be­kannt, ob Griesheim Geld oder Wertpapiere hinterlassen hat?"

(Fortsetzung folgt.)

(Lesefrucht.) Laßt uns lindernd Oel und Wein in des nächsten Wunden gießen; Helfer, Tröster ihm zu sein, soll uns nie verdrießen.)

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