AMMalt für

M.21.

Erscheint wöchentl. 3mal: Dienstag. Donnerstag u. Samstag u. kostet bei der Exped., sowie im OA.- Bezirk Nagold 90 außerhalb 1 das Quartal.

Samstag den 18. Ieör.

Einrückungspreis der tspalt. Zeile für Altensteig und nahe Umgebung bei Imal. Einrückung 8 ^ bei mehrmaliger je 6 auswärts je 8

1893.

Amtliches.

Uebertragen wurde die erledigte Kollaborators, stelle an der Lateinschule in Schorndorf dem Kollaborator Rau in Altensteig.

Gestorben: Markus Hähnle, gew. Klingenmüller,

Gingen a-Br.; Organist Brazel, Weikersheim; pens. Vahn- hofverwalter Heintel, Laupheim.

Deutscher Reichstag.

* Bertin, 14. Febr. Zweite Etatsberatung des Reichsamts des Innern. Frhr. v. Man­ie u f f e l führt aus, daß eine Neuregelung des Unterstützungswohnsttzes im Interesse der Land­wirtschaft dringend nötig sei. Ebenso müsse die deutsche Landwirtschaft eine Einschränkung der Freizügigkeit und die Aufhebung des Iden­titätsnachweises verlangen. Für den russischen Handelsvertrag seien er und seine Freunde nicht zu haben, und mit Recht werde im Abgeord­netenhaus dagegen protestiert. Staatssekretär v. Marsch all erklärt: Die Insinuation des heutigen Artikels derKreuzzeitung," daß der russische Botschafter deutschfriedliche Artikel in russische Blätter lanciert habe, sei höchst be­dauerlich. Er bitte die eigene Regierung, aber nicht die Vertreter einer fremden Macht anzu- greifen. Die Regierung kann auf die schweben­den Verhandlungen jetzt im Parlamente nicht eingehen. Das sollte für die Parteien ein Fingerzeig sein. Unseren Verhandlungen mit Rußland liegt die Gewährung unseres Kon- ventional-Tarifes zu Grunde. Wir erwarten dagegen eine Reduktion des russischen Zolltarifs und Verkehrserleichterungen. Eilfertigkeit zu üben, mag man uns auffordern, uns aber aufzufordern, unsere Handelspolitik zu verlassen, auch wenn uns von anderer Seite Konzessionen gemacht werden, das geht nicht an. Ob der Vertrag zu Stande kommt, weiß ich nicht. Kommt er zu Stande, so wird er dem Bundes- rate und dem Reichstage vorgelegt, dann wer­den wir Rede stehen. Staatssekretär Böt­ticher: Auf die schwierige Frage des Untcr- stvtzungswohnsitzcs wolle er nichl weiter eingehen. Eine prinzipielle Aenderung des Unterstützungs­wohnsitzgesetzes sei nicht beabsichtigt gewesen und

auch jetzt nicht beabsichtigt. Man müsse erst die Wirkung der Sozialgesetzgebung auf die Armenpflege abwarten. Eine Novelle, die ge­wisse Aenderungen enthalte, sei ausgearbeitet, Donnerstag werden darüber die Ausschußbe- rarungen beginnen; die Vorlage könne mög­licherweise noch in dieser Session erscheinen. Rtckert: Die Konservativen suchen aus Angst vor den ländlichen Wählern Herr Ruprecht zu übertrumpfen, daher ihre unerhörte aber zweck­lose Agitation gegen den deutsch-russischen Vertrag, daher ihr Ansturm gegen die Frei­zügigkeit. Ihre Polenpolitik ist schuld am Arbeitermangel, ihre Schutzpolitik ist Mitschuld an der Notlage der Landwirtschaft. Graf K a- nitz: Als gewählte Vertreter des Volkes sind wir berechtigt, Beschwerden hier vorzubringen. Die Gesetzgebung muß dem chronischen Arbeiter­mangel im Osten abhelfen. Eine Aenderung des Unterstützungswohnsttzes allein thuts frei­lich nicht, eine Aenderung der Eisenbahntarif­politik muß hinzutreten. Man muß auch mit Caprivi's Grundsatz brechen, als ob die In­dustrie der Träger des nationalen Wohlstandes und deshalb zu bevorzugen sei. Die Vertrags­politik des neuen Kurses wird für Deutschland verhängnisvoll werden. Staatssekretär Mar­schall: Graf Kanitz will gar keine Handels­verträge und gerade seine Freunde haben 1879 e nen Getreidezoll von 1 M. als gutes Kompen­sationsprojekt gegen Oesterreich bezeichnet. Jedes Schutzzollsystem findet seine natürliche Grenze in der Ausfuhr. Getretdezölle erschweren die Ausfuhr und doch will man den Iden­titätsnachweis aufheben? Die Lösung der Währungsfrage würde für die Landwirtschaft einen Wechsel auf lange Sicht bedeuten, während die Handelsverträge am 1. Februar 1892 ab­liefen. Wirtschaftliche und politische Gründe haben unsere Vertragspolitik geleitet. Barth (frei,'.) polemisiert gegen die Abgeordneten von Manteuffel, Graf Kanitz und von Pfetten. Er spricht über die Not der Landwirtschaft und hofft, daß die jetzigen Zollsätze auch festgehalten werden. Graf Behr hält die Befürchtungen

wegen des russischen Handels-Vertrags über­trieben; wir hätten alle Veranlassung, mit Ruß­land aus gutem Fuße zu leben, v. KoMic­ro w s k i versteht nicht, warum man gegen den russischen Vertrag so agitiert; er spricht für die Goldwährung. Hammerstetn: Die nächsten Wahlen, an die die Freisinnigen mit Angst denken, werden zeigen, wie die kleinen Grund­besitzer denken. Wenn die Arbeiter nicht ver­leitet würden, würde der Osten nicht so ent­völkert sein. Auf Angriffe Marschalls gegen dieKreuzztg." werde er im Hause nicht ant­worten; das werde dieKreuzztg." besorgen. Darauf wird die Verhandl. auf morg. vertagt.

LaudeSvachrichten.

* Alten steig, 17. Febr. Bekanntlich ist eine Anzahl Viehbesttzer unseres OA.-Bezirks durch Verluste infolge der Maul- und Klauen­seuche, welche im letzten Spätjahr schlimm auf­trat, schwer geschädigt worben. Ein Recht auf Ersatz durch den Staat stand den Geschädigten nicht zu, weshalb das K. gemeinschaftl. Oberamt eine Kollekte veranstaltete. An freiwilligen Gaben gingen nun in den Bezirksgemeinden ein 1232 Mk. 90 Pf., der landw. Bezirksverein Nagold spendete 200 Mk., der Bezirkswohl- thättgkeitsverein 49 Mk. 10 Pf., so daß also zusammen 1482 Mk. an 32 bedürftigere Vieh­besitzer in 11 Gemeinden verteilt werden konn­ten. Zuvor schon hat die Zentralleitung des Wohlthätigkeitsvereins 360 Mk. und der Verein zur Hilfe in außerordentlichen Notstandsfällen auf dem Lande 210 Mk. an bedürftige Vieh­besttzer zur Verteilung gebracht. Die Verluste, welche bte Seuche stiftete, konnten durch die opferwilligen Gaden bezw. durch die fürsorgliche Veranstaltung einer Kollekte ziemlich gemildert werden. Das gemeinschaftl. Amt spricht namens der bedachten Landwirte den Gebern sowohl, als den Ortsbehörden, welche das Bestreben unterstützten, herzlichen Dank aus. In Wildberg, Pfrondorf, Schönbronn sind Raiffeisen'sche Darlehenskassen gegründet worden.

Ueber die Württ. Verfassungsrevision.

(Fortsetzung.)

Ich will Sie nicht weiter daran erinnern, daß Württembergs Ver­fassung 300 Jahre lang (15141806) auf Grund des Einkammersystems allen andern deutschen Staaten voranieuchtete, als die einzige ständische Verfassung, welche unter d^n schwierigsten Verhältnissen gegenüber der auiftrebendcn, dem Absolutismus zugewandten Fürstenmacht, als ein lebens­kräftiges Institut seine Stellung zu wahren wußte. Auch König Fried- ris, trotz seiner Gewaltthätigkett einer der erleuchtetsten Fürsten Württem­bergs, hat noch in seinem Verfassungsentwurf von 1815 an dem Ein­kammersystem festgehalten. Erst unter dem Druck des Wiener Kongresses wurde dem Lande das Zweikammersystem aufgedrängt und dabei dem ehemaligen hohen Reichsadcl eine Stellung eingeräumt, daß man wohl behaupten kann, in keinem andern Staat findet sich ein ähnlich zusammen­gesetztes Herrenhaus.

Soll ich Sie daran erinnern, wie hier eine dem Lande zum größten Teil gänzlich fernstehende, mit seinen Interessen unbekannte, aus aller Herren Ländern durch den Reichs-Deputations-Hauptschluß von 1803 zusammengewürfelte Gesellschaft zur maßgebenden, entscheidenden Teil­nahme an der Gesetzgebung und damit an dem Geschicke dieses Landes berufen wurde, wobei der med.rrheinisch-belgische Adclmit dem mährischen Slavenfürsten zusammenwirkt?

Soll ich Sie daran erinnern, wie diese Herren, ohne auch nur sich nach Stuttgart in den Landlag zu bemühen, ihr Stimmrecht in Ab­wesenheit durch Stimmübertragung ausüben, ohne Kenntnis der Vorlagen und der Debatten? wie hier mitunter der kaum der Schule entwachsene Junge als geborener Gesetzgeber in Vertretung seines Vaters, der ihn zur weiteren Ausbildung in den Landlag schickt, selbst den verdientesten

Staatsmann unseres Landes abzukanzeln wagen darf? Ist das nicht ein unerhörter Zustand?

Und wie verhält es sich andererseits mit den lebenslänglichen Mit­gliedern der Kammer der Standesherrn? Diese Männer sind bei aller Hochachtung vor ihrer Person und ihren Leistungen wirklich zu beklagen. Im ursprünglichen Sinn unserer Verfaffungsurkunde waren sie als gleich­berechtigte, wenn auch nur für die Dauer ihres Lebens ernannte Pairs des Königreichs gedacht; ihre Funktion sollte ein besonders hochstehendes staatliches Recht, ein sog. öffentliches Individualrecht sein. Jetzt sind sie allmählich, namentlich im Laufe der beiden letzten Dezennien, aus Berechtigten zu Pflichtigen geworden. Sie sind die Arbeitsbienen, welche für die hochadeligen Drohnen die Arbeiten verrichten müssen; erlangen sie ein höheres Alter, daß sie keine Kommtssionsarbeiten mehr zu fertigen fähig oder gesonnen sind, so haben sie keine ehrenvolle Muße, wie die geborenen Standesherrn, sondern man macht ihnen von Regierungswegen bemerklich, daß sie eigentlich nur zum Zweck des Arbeitens für Andere zu Standesherrn gemacht worden, daß daher, da nur sechs Lebenslängliche vorhanden, und für jedes Departement ein solcher zur Besorgung der standesherrl. Geschäfte erforderlich sei. das Staatswohl es erfordere, daß sie ihre lebenslängliche Würde niederlegen und einer andern rüstigeren Arbeitsbiene Platz machen. Früher hatte man einen solchen Verzicht auf die lebenslängliche Funktion um einem Andern Platz zu machen als mit dem Begriff der lebenslänglichen Pairsstellung unvereinbar gehalten und unser berühmter Staatsrechtslehrer Robert v. Mohl halte schon vor 50 Jahren mit staatsmänmschem Bllck die Folgen voraus­gesagt, welche aus der Zulassung eines solchen Verzichts für die ganze verfassungsmäßige Stellung der lebenslänglichen Standesherren erwachsen müssen, und so ist es denn durch diese neue Praxis dahin gekommen, daß gerade diejenigen Männer, welche in der K. d. St.-H. die intellektuelle Be-