Unter den Linden, in der Umgebung des Schlaffes, und in den Hauptverkehrsadern der Stadt war gestern abend großartig, wie bei schönem Wetter wogte der Menschenverkehr.
* Berlin, 28. Jan. In einer Audienz, welche der König von Württemberg dem Grafen Caprivi gewährte, sollen dem Vernehmen nach die schwebenden politischen Fragen zur eingehenden Erörterung gelangt sein; die Unterredung habe die vollkommenste Uebereinstimmung der Meinungen ergeben. Der König gedachte heute vormittag die Rückreise nach Stuttgart anzu- treten.
* Der Reichstag, in welchem am 25. Jan. die Beschlußunfähigkeit wieder einmal durch Zählung festgestellt wurde, ist auch am 26. den Berichten zufolge nicht genügend besetzt gewesen und war, wie vielfach bezeugt wird, überhaupt in diesem ganzen Jahr noch nicht ein einziges mal beschlußfähig, vor Weihnachten nur in ganz vereinzelten Fällen. Man wird auf die Dauer doch nicht umhin können, ernstlich aus Maßregeln gegen dieses Uebel zu sinnen, welches das An- tchen unserer parlamentarischen Einrichtungen schwer gefährdet. Guter Besuch gehörte auch sonst nicht zu den Eigenschaften des Reichstags; so schlimm aber wie in diesem Reichstag der neuen Aera mit der ultramontan-demokratischen Mehrheit ist es noch nie gewesen.
* Halle. 24. Januar. Einer unglaublichen Rohheit hatten sich beim Leichenbegängnis ihrer Mutter in Gräfen- hainchen die Arbeiter August Gräfe aus Berlin und Hermann Gräfe aus Dessau schuldig gemacht. Während des Trauerzuges stimmte ersterer den Gassenhauer „Im Grunewald ist Holzauktion" an und forderte die Träger zum Mitsingen auf. Prahlend rief er: „In mir sollt Ihr einen echten Berliner, einen roten Sozialdemokraten kennen lernen!" Am Grab warf er Erdklumpen mit solcher Wucht auf den Sarg, daß Stücke davon wieder herausflogen.
Beide Brüder störten ferner .durch lautes Sprechen und freche Bemerkungen die Grabrede, so daß diese schließlich abgebrochen werden mußte. Alle Versuche des Totengräbers, die vertierte» Bursche zu entfernen, waren vergeblich, ebenso die Ermahnungen des Pfarrers. Nach der Rückkehr vom Begräbnis zu ihrem Schwager begingen die Brüder noch gemeinschaftlichen Hausfriedensbruch. Wegen dieser Delikte (insbesondere vorsätzlicher Störung gottesdienstlicher Handlungen) verurteilte die Hallische Strafkammer den am meisten belasteten August Gräfe zu 1 Jahr 3 Monaten Gefängnis und Hermann Gräfe zu 6 Monaten Gefängnis: der Staatsanwalt hatte drei und ein Jahr beantragt.
* In Burgdorf im Kreise Celle ist eine Engelmacherin verhaftet worden, die seit 1885 den Tod von 21, nach andern Nachrichten 81 Pflegekindern veranlaßt haben soll.
* Aus dem Saar-Revier schreibt man der „K. Z.Als der jüngste Bergarbetter-Aus- stand seinem Ende zunetgte, wurde auf einer der Versammlungen zu Bildstock von mehreren Rednern den Ausständischen der wahnwitzige Rat erteilt, „wenn die Abkehrscheine noch weiter so verteilt werden, sollten die Betreffenden auswandern und der Gemeinde ihre Familien zur Unterhaltung überlassen." Dieser Rat scheint von Abgelegten befolgt zu werden. Die Dud- weiler Zeitung meldet, daß in den letzten Tagen etwa 30 Bergleute von Herrensohr, einer zur
Sternburg ist ein kleines Städtchen; aber seine Bewohner sind ziemlich wohlhabend. Inmitten des Häuser-Komplexes erhob sich das „Gasthaus zum Stern." Es hatte den größten Saal aufzuweisen, und aus diesem Grunde wurde cs auch von den durchziehenden Künstlertrupps frequentiert. Manchmal waren es Schauspieler, die hier mit ihrer Gesellschaft — genannt „Meerschweinchen" oder „Schmiere" ihren Abstieg hielten, manchmal auch Kunstreiter oder Akrobaten und so weiter.
Von der Sorte der letzteren waren diesmal wieder da. Die Leute machten zwar keine glänzenden Geschäfte; aber das waren sie seit Monden nicht anders gewöhnt — seitdem sie in dieser Richtung reisten.
Der Direktor hatte darum auch beschlossen, in den nächsten Tagen rimzukehren.
Die einzelnen Künstler wohnten in den oberen Räumlichkeiten des Hauses ; nur Stanislaus Ferina und eine alte Zirkusdame waren in das Hinterhaus geschoben worden.
Dort — eine Treppe hoch — logierte nun Ferina mit seinem Kinde.
Es war am frühen Vormittag.
Sabine saß noch angekleidet, wie sie gestern war, am Fenster und schaute sinnend hinaus. Um ihre Augen lagen tiefe Ringe; schmerzlich war das rosige Mündcheu zusammengezogen. Sie war in eine starre Apathie versunken und bemerkte nicht, wie sich einige junge Leute der Truppe auf dem Hofe über sie unterhielten.
Der Sohn des Direktors war darunter, und mit lüsternen Blicken beobachteten die Männer das schöne Kind, das so traurig am Fenster saß. Diese Traurigkeit rührte sie nicht; wußten sie doch, daß Ferina gestern seine Tochter aus einem reichen Hause geholt hatte. Nun ge- stel dem Dämchen natürlich die Umgebung nicht; aber das würde schon kommen.
„Laß sie nur erst ein halbes Jahr in unserer Gesellschaft sein,
* Paris, 27. Jan. Der .Figaro" grebt «riter dem Titel „17ns »Isrts" eine phantastische Erzählung von vier europäischen Höfen, die glauben machen könnte, daß der Krieg vor Kurzem auszubrechen drohte. Als man nämlich in Petersburg erfuhr, daß die Löwe'schen Flinten schlecht seien, wollte die Militärpakte! den Zar zum Kriege drängen. Sie argumentierte, da der Krieg doch früher oder später kommen müsse, empfehle es sich, den günstigen Zufall zu benützen; auch sei Frankreich in den Rüstungen Deutschland um neun Monate voraus. Diese Partei, die am Hof sehr mächtig ist, benützte die Abwesenheit des Großfürsten Wladimir. Der Zar entsandte daraufhin seinen Bruder Sergius in vertraulicher Mission nach Rom, London und Paris: Er sollte die Anschauungen der Kurie und der anderen Regierungen betreffend eine eventuelle Kriegserklärung sondieren. Durch eine Indiskretion von spanischer Seite sei die Sache verraten worden. Die spanische Botschaft in St. Petersburg berichtete nach Madrid, von dort gingen Depeschen nach allen Seiten. Drei Tage lang regnete es Depeschen zwischen Berlin und Madrid. Kaiser Wilhelm II. hielt den Krieg einen Augenblick für unvermeidlich; dann bekam er Versicherungen aus London, daß die Gerüchte falsch seien, auch würde England im Falle einer russischen Kriegserklärung nicht ruhig bleiben. Inzwischen wurde der Großfürst überall aufs beste empfangen; in Rom überzeugte er sich, daß das italienische Heer weit davon entfernt sei, kriegsbereit zu sein, während der Vatikan versicherte, ein Krieg, der für das Haus Savoyen unglücklich ausfalle, werde als eine göttliche Strafe angesehen. In Paris war man ziemlich zurückhaltend; doch verließ Sergius die französische Hauptstadt mit der Gewißheit, daß Frankreich jeden Augenblick bereit sei. Ueber die Haltung Englands konnte er nichts erfahren, Waddington konnte ihm auch nichts sicheres mitteile», so daß der Großfürst sich geäußert habe: Waddington sei ungenügend in London und Herbette gefährlich in Berlin. In London sagte man dem Großfürsten, daß man für die Neutralität Englands in einem deutsch-russischen Kriege Aegypten, Marokko, die Unabhängigkeit der Balkanstaaten und Garantien in Afghanistan verlange. Der Gesamt-Eindruck des Großfürsten war der: In Westeuropa ist man von der Kriegslust und dem Optimismus der russischen Militärpartei weit entfernt. Um den unangenehmen Eindruck dieser Mission in Berlin zu verwischen» mußte der Zarewitsch nicht bloß zur Bermählungsfeier nach Berlin reisen, sondern auch noch bis zum Geburtstag des Kaisers dort verbleiben.
* Paris, 28. Jan. Es werden drohende Schritte zu Gunsten Rouviers im Elysee ge- than. Rouvier erklärt offen, falls er endgültig vor die Geschworenen verwiesen werde, werde er Enthüllungen machen, welche die gesamten leitenden Republikaner und insbesondere Carnot kompromittieren. Provost, de Launay und Delahaye kündigen die Veröffentlichung skandalöser Dossiers über die Bank von Frankreich, den Credit Foncier, die Dynamitgesellschaft, das Comptoir d'Escompte, die Societe deS Despots et des Compt'es Courants an.
* New-Uork, 27. Jan. Der vormalige Staatssekretär Blaine ist heute vormittag gestorben. Blaine war seit Monaten schwer leidend und man erwartete schon vor längerer Zeit sein jetzt erfolgtes Ende.
Verantwortlicher Redakteur: W. Rieker, Altensteig.
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Blitz und Wetter! Sie wird ein Magnet für uns. Ich will sie unterrichten. In dem Mädel steckt Rasse!" eiferte der Sohn des Direktors, der ein schlechter Jongleur war.
„Schade", schnarrte ein dürrer, langer Mensch, „daß sie zu alt ist. Ich hätte sie zur Schlangendame gemacht!"
Er schnalzte mit der Zunge.
„Um dich selber bei Gelegenheit heranzuschlängeln! Infamer Kerl!" meinte lachend ein anderer.
Noch eine lange Weile flogen die Reden hin und her.
Sabine hatte auch nicht bemerkt, wie die jungen Leute vom Hof- raume verschwanden.
Neben ihr stand noch unberührt das frugale Frühstück, das ihr die Zirkusdame vorgesetzt; das junge Mädchen rührte es nicht an.
Nachts hatte sie sich angekleidet auf das Bett gelegt. Der Vater war gegangen; wohin, wußte sie nicht. Allein der wohlthätige Schlaf floh sie gänzlich. Mit brennenden Augen stierte sie in das Dunkel. So fand sie der anbrechende Morgen.
Stanislaus bemerkte wohl die furchtbare Veränderung, die in dem sonst so lieblichen Gesichte seines Kindes vor sich gegangen war; er konnte auch niemand als sich selbst die Schuld beimeffen. Allein das rührte ihn nicht etwa, sondern machte ihn nur wütend. Lieber wäre es ihm gewesen, Sabine hätte die ganze Sache ruhiger genommen.
Auf der Treppe draußen entstand ein Geschrei; dann polterte es, als sollte das ganze Hinterhaus einstürzen.
Müde hob Sabine das Köpfchen.
Ihr Vater hatte vor einigen Minuten auf ein Klopfen die Stube verlassen; nun trat er wieder ein. (Fortsetzung folgt.)
Gemeinde Dudweiler gehörenden Kolonie, auf dem Dudweiler Bürgermeisteramt vorsprachen, um sich Erlaubnisscheine zur Auswanderung nach Amerika erteilen zu lassen. Ihrem Wunsche wurde indessen nicht entsprochen.
* Hamburg, 28. Jan. Bei dem offiziellen Festmahl in Altona brachte Graf Waldersee den Kaisertoast aus und sagte nach Hamburgischen Korrespondenten: Man halte ernste Zeiten für gekommen, der Kaiser stelle auf Grund reiflicher Erwägungen u. den erfahrenen RatAnforderungen an die Nation, deren Zweck es sei, die reich erworbenen Güter, vor Allem den Frieden zu erhalten. Er hoffe, der vorhandene Widerstand werde glücklich überwunden, alsdann werde Niemand es wagen uns anzugreifen und der Friede auf lange hinaus gewährleistet sein.
Ausländisches.
* Frankreich suchte die Schweizer Viehzölle dadurch zu umgehen, daß es Vieh, namentlich Kälber, geschlachtet in die Schweiz einführte. Die Stadt Genf wünschte deshalb die Herabsetzung der schweizerischen Viehzölle. Der Bundesrat hat nun im Gegenteil den Zoll für frisch geschlachtetes, gesalzenes und geräuchertes Fleisch, ferner für Fleischkonserven und dürren Speck französischer Herkunft auf 35 Frank per Doppelzentner erhöht und die Erhöhung sofort in Kraft gesetzt.
* In der italienischen Kammer hat am Freitag die Verhandlung über die Bankfrage begonnen, die zu einem kleinen Panama-Skandal auszuarten droht. Bereits sind schwere „Unregelmäßigkeiten", die in die Millionen gehen, öffentlich festgestellt worden.
* Rom, 28. Jan. Manzilli, der Direktor für Industrie und Handel im Ackerbau- und Handelsministerium, wurde gestern abend verhaftet.
* Paris. Anläßlich der Beratung des Budgets der Ehrenlegion kam es in der Kammer zu einer lebhaften Debatte. Provost Delauny zog mit Seitenhiebcn auf Cornelius Herz gegen die Verleihung dieses Ordens an Ausländer zu Felde, die man mit Geschenken abfinden könne, verlangte aber in jedem einzelnen Falle Veröffentlichung der Verleihung des Ordens durch das Amtsblatt. Dieser Antrag ward, nachdem die erste Abstimmung ein zweifelhaftes Resultat ergeben, im zweiten Stimmgang abgelehnt. — Sämtliche Zeitungsdirektoren beschlossen der Vorladung vor die Panama-Kommission keine Folge zu leisten, sowie jede Aussage abzulehnen. (Sie wissen auch, warum!)
* Paris, 26. Jan. Wie verlautet, steht die durch die Auffindung des Artonschen Checkbuches veranlaßte neue gerichtliche Untersuchung in der Panama-Angelegenheit unmittelbar bevor. Die Vorladungen sollen bereits ausge- ferttgt sein; die Gerichtsbehörde wird bet der Deputiertenkammer neuerdings die Erlaubnis beantragen, die gerichtliche Verfolgung gewisser Deputierten zu gestatten.
Auflösung des Rätsels in Nr. 12: „Totentanz."