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Wr. 142.
MLensleig, SamsLclg den 3. Dezember-
1892.
Tages-Neuigkeiten.
* Stuttgart, 1. Dez. Während hier in der Großstadt die verhältnismäßig noch gelinde Witterung viele Hände der arbeitenden Klassen lohnenden Verdienst finden läßt und wo das nicht der Fall ist, die öffentliche und vrivate Wohlthätigkeit kräftig in's Mittel tritt, so daß jedem Notstand abgeholsen wird, liegen auf dem Lande vielfach die Verhältnisse nicht so günstig. Das bezeugen besonders auch die Wahrnehmungen, welche der Verein zur Hilse in außerordentlichen Notstandsfällen auf dem Lande in letzter Zeit zu machen Gelegenheit hatte. In sehr vielen Familien auf dem Lande ist jetzt schon die Not eingekehrt. Wir wollen nichts sagen von den oft geradezu jammerwürdigen Wohnungsverhältnissen, aber wir möchten Hinweisen auf die zahlreichen ländlichen Familien, in welchen ein unglaublicher Mangel an Bettstücken, an Kleidern und Schuhen für Männer, für Frauen und namentlich für Kinder vorltegt. Möchten doch dem genannten Verein, der in der Lage ist, derartige Zuwendungen an die Allerbedürftigsten zu überweisen, solche Gaben von denen er Alles brauchen und auf's beste verwenden kann, reichlich zugestellt werden! Ohne Zweifel liegt mancher für unsere ländliche Armut noch sehr wertvolle Schatz da und dort in einem Haus unserer Stadt als unnötiger Ballast oder gar als unwillkommenes Sperrgut im Kasten. Es wird um Ueberlassung solcher Stücke an den genannten Verein zu Händen des Herrn Kaufmann Vöhringer, Marktstraße 15, hier, gebeten. In wenigen Tagen wird bei demselben auch die Weihnachts-Nummer der „Blätter ländlicher Armut" für Jedermann kostenfrei erhältlich sein.
* Aus dem Oberamt Gerabronn, 30. Nov. Die Dienstmagd des Bauern Zeiher in Ruppertshofen fand auf einem Acker eine alte Goldmünze von der Größe eines Zehnpfennigstücks ; dieselbe wog 7 Gramm. Kenner
bezeichnten dieselbe als eine schriftlose keltische Münze. An Stelle der Aufschrift sind nur 4 Punkte vorhanden. Es wurden 19 Mk. dafür bezahlt.
* Der „Essener Generalanzeiger" en hält folgendes Inserat: „Weil die sogen. Sonntagsruhe mein Geschäft ruiniert (Mindereinnahme an 17 Sonntagen 1020 Mark) so gebe ich dasselbe auf verkaufe meine Artikel, um schnell zu räumen 20 Prozent billiger, als bisher. Fritz Brager jr., Essen, Viehoscner Straße 56."
* (Die Militärvorlage als Geschäfts-Reklame.) Ein biederer Roßschlächter in Dessau erläßt im Volksblatt für Anhalt folgende Anzeige: „Die Militärvorlage fällt! sobald man mich in meinem Vorhaben, sämtliche Pferde zu schlachten, unterstützt. Kinderleicht sollte es mir werden, wenn das Publikum für den nötigen Absatz sorgt, so viel Pferde in kürzester Zeit zu schlachten, daß eine Verstärkung der Kavallerie und Artillerie einfach zur Unmöglichkeit wird und deshalb eine Vermehrung der Infanterie nicht ratsam erschiene. Darum, ihr Gegner der Militärvorlage, überzeugt euch zuerst von Prima-Qualität meiner Ware und helft mir, die Militär Vorlage zu beseitigen. Nur noch lahme Droschkenpferde und dürre Sandgäule dürfen in der Welt herumlaufen."
* Ein fingiertes Attentat auf den Zaren hat ein Scheusal in Menschengestalt Namens Hendigery vor die Geschworenen des Gerichts inKrakau geführt. Die Anklage richtet sich sonderbarer Weise auf Betrug der russischen Regierung und nebenbei auf Verleumdung zahlreicher Personen. Der wahre Sachverhalt ist folgender: Hendigery brauchte Geld, und um solches in genügenden Summen zu erhalten, denunzierte er der Petersburger Polizei die verschiedensten Personen, als eines Dynamit- attentals auf den Zaren verdächtig. Die Anklage kennzeichnet den Leichtsinn, womit die Po
lizei in Petersburg und die Warschauer Gendarmerie dabei vorgegangen. Jede Anzeige des ihnen unbekannten Denunzianten brachte Hunderte von Personen ins Gefängnis, so daß die Warschauer Zfladelle anfangs Mai für die Verhafteten nicht mehr Raum genug hatte. Erst als d:r Denunziant viel Geld verlangte, entschloß sich der Warschauer Gendarmerie-General Brock, Beamte nach Galizien zu schicken zur Prüfung der Glaubwürdigkeit Hendigery's. Die jetzige Anklage umfaßt nur eine unvollständige Liste der Denunziationen, weil die russische Regierung zwar das Anklagsmaterial wegen Betrugs lieferte, aber die Aufforderung zur Nennung der in Warschau auf Veranlassung Hendigery's verhafteten Personen unberücksichtigt ließ. Die Krakauer Polizei entdeckte, daß Hendigery e.fcig bestrebt war, Dynamit zu beschaffen und über die russische Grenze zu schicken. Er gab es Personen mit, welche ihm Gefälligkeiten erwiesen hatten, ohne daß die Betreffenden ahnten, was sie mit sich führten. Er denunzierte sie und da mau Dynamit bei ihnen fand, wurden sie sofort verhaftet. Für Hendigery ließ sich nicht leicht ein Verteiger finden; groß war die Empörung der Bevölkerung Krakaus. Der Schuft erhielt 10 Jahre schweren Kerker mit einmaligeu! Fasten im Monat.
Vermischte s.
* (Ungerecht.) Onkel: „Du rauchst aber teure Cigarren, Junge!" — Neffe: „Nun sieh, und dabei willst Du mir noch von dem monatliche i Zuschuß abzwacken."
* (Größte Reinlichkeit.) „Frau Kalkulator Wischerisch ist so reinlich, daß sie selbst an ihren Blumen keine Staubfäden duldet! Die reißt sie alle sorgfältig aus!"
* (Schmeichelhaft.) A.: „Ich heirate nächste Woche, ratürlich Vernunstehe." — B.: „So? Ihre Braut scheint aber anspruchsloser zu sein."
Verantwortl cher Redakteur: W. Rieker, Altensteig.
Die Hochler des Gauklers.
Original-Roman von Gebh. S chä tz l er-P era si ni.
(Nachdruck
verboten.)
(Fortsetzung.)
Dann aber blickte es wieder so verlangend nach dem Kaninchen, daß Franziska unmöglich diesen leisen Wunsch mißverstehen konnte.
„Laß das kleine Mädchen mit dir spielen, Kürt."
Der Grafensohn kam langsam näher, nahm das Mädchen schüchtern bei der Hand und sagte zagend:
„Komm!"
Sabinchen lachte hell auf und hüpfte jubelnd davon.
„Sabine heißt sie, ja!" klagte Stanislaus, dem die Rührung der Gräfin sehr willkommen war; „Sabine, so wie ihre arme Mutter. Ach, Frau Gräfin, wir sind sehr unglücklich! Ich bin 'ein Künstler von Ruf — ich darf es wohl sagen — aber das Unglück drückt mich nieder. Mein Weib tot — ich entlassen!" Er bedeckte das Gesicht mit seinem Hute und versuchte zu schluchzen. „Sehen Sie das arme Kind, Frau Gräfin; das lacht und springt und ahnt nicht, daß wir auf der Landstraße stehen, allein und gänzlich hilflos!"
„Sind Sie nun zu Ende, Herr Stanislaus Ferina?" fragte kalt der Doktor.
Stanislaus blickte einen Moment verblüfft den Doktor an. Was fiel dem Manne ein?"
Ein herzliches Lachen tönte in die augenblickliche Ruhe.
Es war Sabinchen, die sich höchlichst amüsierte über die wackelnden Ohren des Kaninchens.
Das klang so silberhell und immer lauter — und da kam ein zweites Lachen dazu, erst leise und zaghaft, dann aber ebenfalls laut und herzlich.
Kurt, der träumerische Grafensohn, lachte über die Drollerien seiner Gespielin, lachte mit dem ganzen Gesichte.
Gräfin Franziska stieß einen Freudenschrei aus; sie hatte ihr Kind nie so lachen gehört. Das saß still und träumend die Tage neben ihr.
Dr. Bronnigs Antlitz erhellte sich.
Nun brach neuer, verstärkter Jubel aus. Das Kaninchen machte komische Sprünge im Grase, und die beiden Kinder hüpften nach mit lautem Rufen. Beinahe gefangen, entwischte das Tierchen immer wieder,, bis es hinter Hecken und Strauchwerk verschwand und die Kinder mit ihm.
Voll überströmenden Gefühls faßte Franziska die Hand des Doktors.
„Doktor! Doktor, ich vertraue Ihnen ganz! — Jetzt lassen Sie mich nach den Kindern sehen."
Hinter dem Buschwerke kicherte, lachte es. Nicht nur Sabinchens Lachen war es, sondern auch das beinahe fremd klingende des eigenen Kindes.
Franziska eilte hinweg mit freudigem Herzen, und als sie die Kinder fand, vergaß sie all' den Schmerz der Tage und lachte mit ihnen — sie, die das Lachen nicht mehr kennen wollte.
10 .
Von den zurückbleibenden Männern sprach erst keiuer ein Wort.
Der Sanitätsrat blickte der schlanken Gestalt nach, bis sie unter Baum und Buschwerk verschwand.
Vielleicht hatte er in diesem Augenblicke ganz vergessen, daß er nicht allein war.
Er flüsterte leise den Namen „Franziska" der Entschwundenen nach. So schön noch, geschaffen für das Leben und die Liebe, und allem entsagen wollen — es war zum Verzweifeln!
Aber kein Mensch kann ohne Hoffnung leben, und hat er diese verloren, dann erst muß er untergehen, wenn er in seinem eigenen Innern nicht eine erhebende Kraft besitzt.