Wr. 112. AILensterg, SclnrsLcrg den 24. SepLbv. 1892.
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Der falsche Hraf. lN->chdr..ck °erbo,-r,.)
(Kriminal-Roman von Karl Schmeling.)
(Forlsetznng.)
„Und Sie keimen diese Menschen von Person wie bei Namen?" fragte Gilbert den Polizei-Kommissar.
„Gewiß, Herr Graf, auch ihre ganze Lebensgeschichte, wenn Sie wollen; es ist notwendig, mich eingehend mit ihnen zu beschäftigen."
* Gilbert erbleichte wieder, doch Vidocq schien es nicht zu bemerken. „Nun, wie gesagt," murmelte jener, „ich bin Ihnen sehr verpflichtet und werde das nicht vergessen."
„Bitte, Herr Graf — aber ich muß schon so unbescheiden sein, Sie zu ersuchen, mich in Person an den gedachten Ort zu bringen."
„Gerne — folgen Sie mir."
Gilbert führte den Beamten in das nicht erleuchtete Entree und verließ ihn dann, um sich wieder zu Julie zu begeben.
Vidocq mag ein paar langweilige Stunden in dem finstern Räume verbracht haben. Unbehaglicher verbrachte sie jedoch Bennoit, und was Gilbert betraf, so war er während derselben zerstreut, ruhelos, und schien jedem besonderen Geräusche im Hause eine bedeutende Aufmerksamkeit zu schenken.
Es geschah indessen nichts, und als er nach Mitternacht nochmals von Jean gerufen ward, fand er Vidocq abermals im Wartesaal. Gilberts etwas dringliche Fragen wurden dahin beantwortet, daß die Verbrecher festgenominen seien; seine Einladung an Vidocq, im Schlosse zu bleiben, jedoch abgelehnt, weil dieser vorschützte, seine Gefangenen verwahren zu müssen.
Hiernach verabschiedete sich der Spitzbubenfänger äußerst höflich und eilte, Bennoit abzurufen.
„Bennoit!" sagte er dabei mit unterdrückter Stimme, „du bist wirklich ein Narr, und ob ich dich später werde gebrauchen können, weiß ich wirklich noch nicht!" Der Graf ist, was er zu sein scheint, und nicht Milhaud."
Bennoit wollte noch Fragen an seinen Meister stellen, doch dieser schnitt ihm solche durch ein ärgerliches „Halt's Biaul!" ab. Im Wirtshause angekommen, ließ er die Pferde satteln, und nach einer halben Stunde waren die beiden Männer, in ärgerlicher Stimmung gegeneinander, aus dem Wege nach Paris.
Inzwischen hatte Gilbert seine Frau wieder ausgesucht. Julie hatte schon vorher sein zerstreutes Wesen bemerkt und gerügt; jetzt mußte ihr eine gewisse Ausgelassenheit an dem Manne auffallen, nach deren Veranlassung sie endlich fragte.
„Der Zufall selbst will uns wohl," sagte Gilbert, „wir haben nicht mehr nötig, Fraimois zu fürchten, er hat sich selbst für uns unschädlich gemacht!"
„Wie das, Gilbert?" fragte Julie.
„Nun, indem er uns einen nächtlichen Besuch durch Einbruch zugedacht, vor dessen Ausführung er verhaftet ward."
„Gilbert, was hast du gethan?" schrie Julie auf.
Gilbert trat dicht vor Julie hin und legte die Hand auf die Brust. „Auf Ehre und Gewissen, Julie," sagte er in fast feierlichem Tone; „ich habe nichts gethan; es ist, wie ich bereits mitgeteilt, und der bekannte Vidocq, welcher seine Spur verfolgte, hat ihn soeben festgenommen. Ich konnte und durfte dies um so weniger verhindern, als der neue Streich ohnehin keine Gemeinschaft zwischen uns duldet."
„Der Unglückliche!" rief Julie, „und Vidocq hat ihn verfolgt, ihn verhaftet?"
„Ja, er ließ sich als Baron melden."
„Vidocq!" murmelte Julie; möglich, daß ihr der Name besonders bedeutungsvoll klingen mochte.
20.
Die Verhaftung.
Das scheinbare Aufgeben der Absichten Vidocqs hinsichtlich der vermutlichen Person des Gilbert Milhaud hatte seine verschiedenen Gründe. Zuerst war mit einem Gehilfen, wie Bennoit es geworden, wenig anzufangen, er war nach seiner Umwandlung eher ein Hindernis, als etwas anderes zu nennen.
Vidocq eilte zur großen Pein Bennoits daher ohne Rast auf Kurierpferden nach Paris zurück und ließ hier seinen Begleiter zu dessen Schrecken in Bicetre verwahren.
Dann schickte er einen seiner tüchtigsten Fänger nach d'Erville, den Grafen zu beobachten und ihm zu folgen, falls er das Schloß ver
lassen sollte; ein anderer ward zur 'Beobachtung des Palais in Paris bestimmt.
An: Morgen nach seiner Ankunft in Paris begab sich Vidocq in das Palais des Polizeiministers, wo er sogleich vor seinen hohen Chef berufen wurde.
„Ah, Monsieur Vidocq!" sagte der hohe Herr leichthin und kor- dial. „Ihr schenkt mir auch die Ehre — das muß etwas zu bedeuten haben; geht nur ohne Umschweife heraus, ich habe bereits gesorgt, daß wir allein sind und ungestört bleiben!"
„Exzellenz haben, wie immer, recht!" erwiederte der Kommissar; „ein wichtiger Fall zwingt mich, Ihre kostbare Zeit zu beeinträchtigen, um eine Meldung zu machen und Vortrag zu halten."
„So schießt nur los, alter Junge."
„Exzellenz, ich habe die Entdeckung gemacht, daß ein ehemaliger schwerer Verbrecher und entsprungener Galeerensträfling einen hohen Rang in der Gesellschaft erschlichen, eine bedeutende Stellung im Heere gewonnen und eine noch bedeutendere bei Hose und in der Gunst der allerhöchsten Herrschaften einnimmt."
„Plagt Euch der Teufel, Mensch?"
„Mich wohl weniger, Exzellenz, als den frechen Patron, von denk ich spreche."
„Und wer ist das?"
„Der Oberst Graf Punon d'Erville, persönlicher Adjutant Seiner Hoheit des Herzogs von Angouleme."
„Bah -!"
„Ich bin von dem, was ich sagte, überzeugt, Exzellenz, jener angebliche Erbe eines hohen Hauses ist ein gewisser Gilbert Milhaud, der gewiß nur durch Verbrechen dazu kommen konnte, die Stellung eines Grafen d'Erville einzunehmen."
„Das ist ja ein verzweifelter Brocken, den Ihr mir früh am Morgen hinwerft, Vidocq; der Graf steht in großem Ansehen bei Hofe, wovon wir erst kürzlich sprechende Beweise erhielten — und wie steht es mit den Beweisen für Eure Behauptung?"
„Vorläufig sehr schwach, Exzellenz, sie bestehen lediglich in Aussagen eines entlassenen Sträflings und meinen Beobachtungen."
„Das ist allerdings nicht viel, Vidocq."
„Nein, Exzellenz; juristisch namentlich sehr wenig und deshalb wollte ich auch nicht weiter gehen, ohne Ew. Exzellenz Befehle eingeholt zu haben. Denn es gibt in diesem Falle allerlei Bedenken."
„Ja gewiß, viel und wichtige Bedenken, Mann; wir könnten uns gründlichst blamieren, selbst wenn Ihr recht hättet. Der Graf ist moralisch und materiell so legitimiert, daß man eine Behauptung wie die Eure, lächerlich finden wird."
„Daß sie bald ernst werden sollte, wäre nun wohl meine Sache, Exzellenz, doch es wäre möglich, inan hätte allerhöchsten OrtS Kenntnis von allem Vorhergegangenen, der Manu wäre loyal adoptiert und wegen späterer Verdienste bevorzugt, es ist dergleichen möglich in unserer Zeit."
„Hm — ja, es ist möglich — leicht möglich, wenn der — wie heißt er doch — während der Kaiserzeit bestraft wurde."
„Gilbert Milhaud ward 1806 verurteilt, entsprang 1808 aus Toulon, diente als Graf d'Erville vermutlich erst im spanischen, später jedoch im englischen Heere; ich erinnere mich jetzt seines Auftretens und seines Uebertritts in unsere Armee sehr wohl."
„Oh, was das betrifft, ich auch, aber es beweist nichts — wo zum Henker sollte denn der rechte Graf geblieben sein?"
„Vermutlich tot, Exzellenz."
„Ja so — aber da kommt am Ende eine greuliche Mordgeschichte, ein mörderischer Skandal zu Tage. Kam-o bwu I Vidocq, Ihr rührt da eine häßliche Geschichte auf."
„Meine Pflicht, Exzellenz."
„Freilich wohl, aber meint Ihr denn, daß die Sache zu verfolgen wäre."
„Man muß den Verbleib der Familie d'Erville und ihrer einzelnen Glieder festzustellen suchen, Exzellenz."
„Eine weitläufige Sache."
„Allerdings, doch wir sind noch nicht so weit; Majestät befiehlt vielleicht, die weitere Verfolgung der Sache aufzugeben."
„Und dann bleibt sie oder kann sie stille bleiben?"
„Der Mensch, welcher außer uns darum weiß, sitzt fest und muß stumm gemacht werden, soweit es den Handel betrifft. Majestät, Exzellenz und ich würden ohnehin schweigen, und alles bleibt, wie es ist."
„Ein böser Handel, weiß Gott, Vidocq. Aber ich sehe ein, daß