Amtzblatl für

Erscheint rvöchentl. 8mal: Dienstags Donners­tag und Samstag und kostet in Mensteig SO ^ im Bezirk SO außerhalb 1 das Quartal.

Dienstag dw 5. Januar

EinrückungLpreiS der lspalt. Zeile für Altensteig! und nahe Umgebung bei lmal. Einrückung 8 ^ bei mehrmaliger je 6 auswärts je 8 j

Gestorben: Telegraphenvcrwalter a. D. Dollhopf, Tübingen; Bankier Albert Mischer, Stuttgart; Privatier Leonhardt Betzler, Stuttgart; Frhr. Adolf v. Ziegesar, Oberst im Ehreninvalidenkorps, Stuttgart.

D Der russische Notstand.

Die verzweifelt traurige Wahrheit, daß die Hungersnot in Rußland für Jahre hinaus eine der stärksten Friederisbürgschaften für Europa bildet, lenkt den Blick unwillkürlich auf jene unermeßlichen Gebiete der Wolga-Ebene, in denen das Elend in den mannigfachsten Ge­stalten seine Wohnstätte aufgeschlagen hat.

Bei der ungeheueren Ausdehnung des rus­sischen Reiches und den außerordentlich mangel­haften Verkehrswegen daselbst ist es erklärlich, daß selbst die amtlichen Organe des Nachbar­reiches nur schwer einen Ueberblick über die Gesumtlage gewinnen können. Hierzu tritt, daß die russische Presse noch durchaus unentwickelt ist; nur in den größten Städten existieren Zei­tungen, und auch diese verhältnismäßig wenigen verfügen keineswegs über eine zulängliche Be­richterstattung. Dazu kommt dann noch die Zensurbeschränkung, so daß man aus russischen Blättern eher alles andere als die Wahrheit erfahren kann. Aber die Wahrheit ist ein außerordentlich seines und flüchtiges Element; sie läßt sich auch nicht dauernd einfangen und verbergen; siezsucht sich vielmehr und findet alle­mal endlich ihren Weg in die Oeffentlichkeit. Und wenn wir bisher mit unserm westeuropäischen Begriffsvermögen nicht einzusehen vermochten, weshalb der Notstand so entsetzlich lange an­dauert, obwohl das europäische und noch mehr das astatische Rußland Korn in Hülle und Fülle hat, so daß es aus, den Lägern geradezu fault und verkommt, so erfährt man endlich, daß es nach dem Innern Rußlands zu an Transportmitteln vollständig fehlt, daß also alle Geldunlerstützungen des In- und Auslandes nichts nützen. Es fehlen eben Straffen und Eisenbahnen.

Auch eine andere Wahrheit hat sich durch­gerungen. Bisher glaubte man immer, das

russische Elend datiere von der diesjährigen Mißernte. In Wirklichkeit aber sind schon die letzten fünf Jahre für weite Strecken des Lan­des unfruchtbar gewesen und haben nicht einmal den laufenden Bedarf erzeugt. Die büreau- kratische Verwaltung hat das stets vertuscht und von Jahr zu Jahr auf eine bessere Ernte gehofft, die dann das Fehl der voraufgegangenen mageren Jahre einbringen sollte. Die Hoffnung aber ist im vergangenen Jahre durch eine un­gewöhnlich schlechte Ernte zerstört worden. An­stalt bei den ersten Anzeichen der Krisis vor Jahren schon einzugreifen, hat die Regierung gewartet, bis das Uebel zu einem himmel­schreienden angewachsen, bis Hünderttausende vollständig verarmt waren und bis eine Million von hungernden Bettlern auf dem Plane erschien.

Die Bevölkerung ist an dieser Notlage fast ohne Mitschuld. Stumpfsinnig und dem Schnaps­teufel ergeben, fristet ein großer Teil' der russischen Bauernschaft sein erbärmliches Dasein. Ohne männliche Energie steht es sich von seinen lüderlichen Popen und den jeglicher Art der Be­stechung zugänglichen Beamten ausgebeutet. Was nützt es da, daß man die armen Schächer, die Juden, auswies?

Das arme, unwissende, halbvertierte rus­sische Bauernvolk vermag sich nicht selber auf­zuraffen und der Beamtenstand befindet sich un­ter den jetzigen Verhältnissen zu wohl, um er­ziehlich auf das Volk einzuwirken. Die höheren Beamten aber und der Adel sind von der Kul­turmission desheiligen Rußlands" gegenüber dem üppigen und stttenverderbtenWesten" so sehr überzeugt, daß von ihnen erst recht keine Hilfe zu erwarten ist. Sie möchten ja die russischenpatriarchalischen" Verhältnisse nicht nur auf die deutsch-russischen Ostseeprovinzen, sondern womöglich auf das ganze Europa über­tragen. Schnaps und Knute sind ihre Regie­rungssymbole.

Kann man sich da über das Vorhandensein des Nihilismus wundern? Ist er nicht das na­türliche Produkt solcher unseligen Verhältnisse? Und dieses selbige Rußland will die Welt unter­

werfen? Dieses Reich, das Hunderttausende seiner Angehörigen in Hunger und-Elend ver­kommen läßt, wälzt seine Heeresmassen immer drohender gegen seine Ostgrenze vor; aber der russische Koloß scheint bestimmt zu sein, von innen heraus zu verfaulen. Dieser Prozeß ist ein Gewaltmittel des Weltgerichts, unter dem zwar Hunderttausende von Russen zu leiden haben, aber er schafft vielen Millionen anderer Europäer das Gefühl einer Erlösung vom drü­ckenden Alp der politischen Beunruhigung.

Laudesuachrichteu.

* Alten steig, 4. Jan. Beider Bürger'- ausschußwahl wurden folgende Herren in den Bürgerausschuß gewählt: Lorenz Luz, Ger­ber mit 92, Karl Beck, Gerber mit 74, Karl Ackermann, Schlosser mit 70, Franz Ehinger, Seckler mit 66, Gustav Schex zum Löwen mit 65, Friedr. Steiner, Seifensieder mit 59, Christof Bilhler, Farrenhalter mit 58, I. G. Müller, Schuhmacher mit 54, Karl Bauer, Bäcker mit 50, C. W. Lutz, Kaufmann mit 49, Wilhelm Beeri, Kaufmann mit 47 Stimmen. Weiter erhielten Stimmen: Friedr. Frey, Kupferschmied, 43, Louis Schaible, Uhrmacher, 42, Karl Luz zur Linde 41, Christian Luz sen., Fuhrmann, 39, Karl Luz, Rotgerber, 39, Friedrich Wall­raff, Schmied, 38, Ernst Pfeifle zur Blume 37, Heinrich Scholder, Rotgerber, 36, Christian Sailer zur Traube 34, Friedrich Gensheimer, Bürstenmacher, 33, Gustav Wucherer, Kauf­mann 28, Gottfried Walz, Hutmacher 28. Die übrigen Stimmen zersplitterten sich. Von 272 Wahlberechtigten haben 140 abgestimmt.

* Alten st eig, 4. Jan. Auch in der diesmaligen Neujahrsnacht machte sich wieder eine Abnahme des Schießens bemerkbar, was jedermann nur angenehm war. Der litur­gische Gottesdienst am Silvesterabend war so zahlreich besucht, daß fast alle Bänke der Kirche mit Andächtigen dicht besetzt waren. Am Neujahrsfeste sano ein allgemeiner Ausflug nach Nagold statt, zu welchem unser Hr. Stadt­vorstand Einladung hatte ergehen lassen.. Die