die Angelegenheit im Reichstage zur Sprache kommen. An heftigen Debatten wird es dabei nicht fehlen.

Deutscher Reichstag.

Am Montag wurde die erste Beratung des Alters- und Jnvalidenversicherungsgesetzes be­endet. Abg. Kmnierowski (Pole) stellte sich im wesentlichen auf den Standpunkt des Zentrums, verwarf den Reichszuschuß und befürwortete den Anschluß der Organisation an die Berufsge­nossenschaften. Abg. Grad (Elsässer) entwickelte Bedenken gegen den ganzen Versicherungszwang und wies auf den Weg der Freiwilligkeit hin. Abg. Lohren tadelte mit großer Entschiedenheit die niedrigen Rentensätze, vor allem aber den Verlust aller Rentenanspüche nach fünfjähriger Unterbrechung der Beiträge, worin er nament­lich gegenüber den weiblichen Versicherten eine Ungerechtigkeit fand. Abg. Oechelhäuser be­trachtete die Vorlage hauptsächlich auf zwei Punkte hin: Statt der im Entwürfe vorge­sehenen Ortsklassen befürwortete er Lohn- klasseu, und die Organisation schien ihm sich am besten au die Unfallberufsgenossenschaften anzuschließen. Das letztere jedoch unter der Be­dingung einer vorgängigen durchgreifenden Re­form des heutigen Berufsgenossenschaftswesens in der Richtung, daß die Einteilung derselben in Sektionen obligatorisch gemacht und die sämt­lichen an derselben Stelle befindlichen Sektionen zum Zwecke der Alters- und Invalidenversiche­rung vereinigt würden. Mit besonderem Nach­druck forderte der Redner die Möglichkeit für die Versicherten, sich freiwillig mit höheren als den gesetzlich vorgeschriebenen Beiträgen zu ver­sichern. Von seiten des Zentrums erörterte der Abg. Spahn nochmals den nach seiner Mein­ung zu büreaukratischen Charakter der Vorlage und die Unzulässigkeit des Reichszuschusses. Bundesbevollmächtigter Frhr. v. Marschall be­leuchtete die Unzuträglichkeit der Anschließung der Alters- und Invalidenversicherung an die Un­fallberufsgenossenschaften und die großen Schwie­rigkeiten einer Reichsversichernngsanstalt, ohne indes die letztere als unannehmbar zu bezeichnen. Abg. Rickert sprach lebhaft gegen den Versiche­rungszwang und fand es ungerecht, daß mau in dem Reichszuschusse die Unbemittelten anderer Klassen zu gunsten von Leuten besteure. die eine Rente gar nicht nötig hätten; er behauptete, daß für die wirklich Bedürftigen die Armenpflege thatsächlich mehr leiste, als die Rente thnu würde. Staatssekretär v. Bötticher konstatierte, daß die Nachricht, der Bundesrat habe eine Reichsversicherungsanstalt abgelehnt, durchaus unwahr sei. Er schloß mit dem Wunsche, daß die Wohlthat, welche die sgroße Mehrheit des Hauses dem Arbeiter zuwenden wolle, ihm mög­lichst bald gewährt werde. Die Debatte wurde geschlossen, die Vorlage nach einer Reihe per­sönlicher Bemerkungen an eine Kommission von 28 Mitgliedern verwiesen.

Laudesuachrichteu.

* Alten steig, 12. Dez. Landtagsabgeord­neter Regierungs-Präsident v. Luz hat sich einer Abordnung deslandwirtschaftl. Bezirksvereins und des Gewerbevereins gegenüber bereit erklärt, ein Mandat des Bezirks wieder annehmen zu wollen. Somit wird dem Bezirke Nagold ein Wahlkampf erspart bleiben.

* Alten steig, 13. Dezember. Weihnachten ist vor der Thüre! Das deuten nicht nur die immer kürzer werdenden Tage und der niedrige Stand der Sonne an, das verrät uns nicht nur das heimliche und eifrige Schaffen im Familienkreis, nicht nur der raschere Puls- schlag deS Geschäftslebens in Fabrik und Werkstätte, das verkünden uns viel deutlicher und in vollständig unzweifel­hafter nicht mißzuverstehender Weise die Schaustellungen und Auslagen der Kaufläden. Werfen wir einen Blick auf dieselben, so sehen wir überall eine Fülle des Schönen und Wünschenswerten nicht nur für die Kinder, welche mit leuchtenden Augen und begehrlichen Blicken all die Herrlichkeiten bewundern, sondern ebenso für die Erwach­senen, denen bei der Fülle des Dargebotenen die Auswahl schwersällt. Wenn wir so sehen, wie sichs der Geschäfts­mann angelegen sein läßt, von Jahr zu Jahr reichhaltiger auszustellen, jedem Wunsch, jeder Geschmacksrichtung ge­recht zu werden, neben dem beliebten und als praktisch er­probten Alten das schöne und noch zweckmäßiger sein sol­lende Neue darzubieten, wie er auf jedes Bedürfnis ein­geht und weder Mühe noch Kosten scheut, jeden, auch den anspruchsvolleren Kunden möglichst zu befriedigen, sollten wir uns da nicht verpflichtet fühlen, ihn in seinem löb­lichen Streben zu unterstützen und ihn dadurch zu rast­losem Weiterstreben in Vervollkommnung und Ausdehnung des Geschäftsbetriebs zu ermutigen, ihm und uns zum Nutzen. Schon lange und immer lauter, und wahrschein­lich nicht ohne Grund, klagt der ansässige Geschäftsmann über die bei ihm bedeutenden Eintrag zufügende Konkur­renz auswärtiger Geschäfte, welche als Wanderlagsr, Ver­sandtgeschäfte ». s. w. das Geschäft am Ort nicht unerheblich beeinträchtigen. Gerade auf Weihnachten überschwemmen letztere mit ihren illustrierten Preislisten, welche mitunter Erzeugnisse ver verschiedensten Geschäftszweige umfassen, Stadt und Land, und setzen ihre Artikel dem gläubigen Publikum ins hellste Licht. Wie mancher, der sich darauf einließ, mußte bald die Erfahrung machen, daß dies oder jenes nicht recht paßte, drß das eine oder das andere Stück sich auf der Zeichnung vorteilhafter ausnahm als in Wirklichkeit, daß schließlich alles in allem am Platz selbst oder in der nächsten Stadt die ganze Bescheerung ebenso gut und mindestens ebenso billig zu bekommen ge­wesen wäre. Darum wollen wir unser Geld nicht ins Blaue hinausschickeu, und nicht etwa dem uns persönlich bekannten Geschäftsmann, der uns stets gut und billig bedient, nur die kleineren Aufträge zukommen lassen sondern womöglich unfern vollen Bedarf am Platze selbst einkaufen, nicht blindlings in das vielfach nur vom Vorurteil diktierte und so oft unbegründete Lob des aus der Ferne Bezogenen einstimmen, sondern wir wollen, jeder in seinem Teil, mithelfen, das Geschäft am Orte selbst immer mehr zu Ehren zu bringen.

* Der Hokzfuhrmanil Johannes Bühler von Huzenbach, der mit einem anderen Lang­holz von Baiersbronn nach Schönmünzach führte, fand dadurch einen jähen Tod, daß ein Teil des Wagens über die Straße hinauskam und den Abhang hinunter in die Murg fiel, wobei Bühler von einem abstürzenden Stamm an den Kopf getroffen und erschlagen wurde.

* Stuttgart, 12. Dez. Auch die Deutsche Partei hat ihren Wahlaufruf zu den Landtags­wahlen erlassen. Ihre Forderungen decken sich vollständig mit den Forderungen der Volkspartei, nur betonen sie noch die Reichstreue, die auch ein Abgeordneter in den Landtag haben sollte,

um beizutragen zu den umfassenden, zielbewußten und planvollen Bemühungen des Reichs, die Lage der arbeitenden Klassen zu verbessern und den unbemittelten Volksgenossen einen reich­licheren, gesicherteren Anteil an den Volksgütern zuzuwenden. Ferner verlangt das Programm: eine zeitgemäße Verfassungsdurchsicht, insbeson­dere hinsichtlich der Zusammensetzung der Stände­versammlung; eine einseitige Verstärkung der ersten Kammer wäre zurückzuweisen, in der zwei­ten die Beseitigung der Vorrechte der Geburt und des Amtes, sowie die Neuordnung des Wahl­rechts der sog. guten Städte ins Auge zu fassen. Als ein praktisches Bedürfnis erkennt die Par­tei zur Zeit namentlich für die Stärkung der Selbstverwaltung der Gemeinden durch die Be­seitigung aller kleinlichen und lästigen Aufsichts­befugnisse der Vorgesetzten Regierungsbehörden, für eine den gesteigerten Ausgaben entsprechende Neugestaltung der Verfassung und Verwaltung der größeren Stadtgemeinden, für die gesetzliche Erleichterung der Amtsenthebung unbrauchbarer Ortsvorsteher, für die Einschränkung des Ueber- maßes des Hausierhandels durch eine im Rahmen gerechter Ausgleichung gehaltene höhere Besteue­rung desselben, für eine gerechtere Verteilung der Armenlast durch die Schaffung größerer Armenverbände. Die günstige Vermögenslage des Staats muß vor allem zu einer finanziellen Erleichterung der Gemeinden benützt werden. Eine Ueberweisung einzelner, jetzt den Gemein­den aufliegenden Lasten auf die breiteren und stärkeren Schultern des Staats soll ernstlich in Erwägung zu ziehen sein, hierbei wird nament­lich der Aufwand für Landarme, für Schulen, für Straßenunterhaltung in Betracht kommen. Endlich ist die Eröffnung weiterer Steuerqnellen für die Gemeinden, insbesondere deren stärkere Beteiligung an der Kapital- und Berufs-Eiu- kommens-Steuer bei gleichzeitiger Herabsetzung des dem Staate daran zukommenden Anteils und die Ueberlassung der Liegenschaftsaccise an die Gemeinden anznstreben.

* (Land tags-Kandidaturen.) Bei einer am Montag in Balingen abgehaltenen Versammlung der Volkspartei wurde u. «.Rechts­anwalt Konrad Haußmann aus Stuttgart als Kandidat für den Balinger Bezirk proklamiert und wird somit neben Malzfabrikant Keller von Ebingen aufgestellt werden. Beide haben nun definitiv angenommen. In Marbach kandi­diert neben dem bisherigen Abgeordneten Stock- mayer auch Rechtsanwalt Zchicklcr ans Stutt­gart. In Gerabronn wird von der Volks­partei der bisherige Abgeordnete Oberamtspfleger Egelhaaf nicht mehr aufgestellt, sondern der Rechtsanwalt Friedrich Haußmann in Stuttgart. In Tübingen Amt kandidiert wieder Pro­fessor Dr. v. Weber. In Ellwangen Stadt kandidiert der seitherige Abgeordnete Landge­richtsrat Landauer wieder; in Ellwangen Amt wird dem seitherigen Abgeordneten Schultheiß Ratgeb von Dalkingen Schultheiß Hauber von Stödtlen gegenübergestellt.

Es war einmal. . ."

Ja, es war einmal ein junger Mensch, der ein junges Mädchen liebte. Sie hatte sanfte, träumerische, liebenswürdige Augen, von der Farbe der deinigen, Marie, und die blonden Farben ihres Haares um­wallten ihr Gesicht. . ."

Das um fünfzehn Jahre jünger war als jetzt. Deine Schilde­rungen sind schmerzlich. Die Personen sind bekannt; ich will Hand­lungen hören."

Das Bild jener Zeit, Marie, setzt sich mir zusammen aus kleinen Steinchen, aus halb verwehten Erinnerungen . . . Wann ich dich zu lieben begann wer könnte es dir sagen? War es, als ich deinen zarten, weichen Kindeskörper auf meinen Armen trug? Oder als ich dich auf meinen Knieen schaukelte und Reiterlieder dazu summte, während deine Augen so hell glänzten, so hell, und du so vergnügt lachtest beim wildesten Hopp-Hopp? Oder noch später, als ich dir Märchen erzählte und du mir nachdenklich lauschtest gerade so, wie jetzt? ... Ich weiß nur, daß die Jahre giengen und daß du sehr lieblich heranblühtest. Ich war damals ein sogenannter Musensohn, das heißt: ich rauchte die längsten Pfeifen, geberdete mich sehr hemdärmelig und trug eine bunte Mütze, unter der mein Kopf im Winter fror, im Sommer dem Sonnenstich ausgesetzt war."

Sie stand dir aber doch sehr gut zu Gesicht."

Du weißt es noch? Mir schien es doch, als flößte dir mein ganzes Wesen Widerwillen ein. Ach, ich war trostlos, aber trotzig war ich auch. Du zeigtest dich jedem anderen freundlich, liebenswürdig, mich hast du sehr kalt behandelt, kalt, gleichgültig, verletzend. Warum? Ich wurde dadurch elend, Marie. Freilich durfte es Keiner bemerken, du am aller­wenigsten. Wie eine Maske band ich mir die ansgelassene Laune vor, hinter der ich sehr traurig war, und die Bekannten gewöhnten sich, mir

den Beinamen desLustigen" zu geben. Dabei sah ich mit großer Genauigkeit, was sich begab. Und es begab sich, daß die Werber dich umdrängten, denn du warst ja eine blühende, begehrenswerte Rose ge­worden ... Da fällt mir ein kleines Abenteuer ein, Marie. Auf einer sommerlichen Landpartie, die wir in zahlreicher Gesellschaft unternahmen, ließ uns der Zufall eine Weile zusammen gehen. Die anderen waren voraus und wir beide kamen an einen Heckenrosenstrauch. Du pflücktest eine der blaßroten Blüten; ich weiß noch sehr genau, daß ich gierig nach dem Röslein schielte. Da stießest du einen leisen Schrei aus, weil du dich beim Pflücken geritzt hattest; wie ein rosiger Thautropfen lag es auf dem blütenweißen Finger. Ich zog mein Taschentuch und wischte den Blutstropfen sorgfältig ab. Er kam wieder und eine Traumsekunde lang erwog ich den Plan, meine Lippen auf die verwundete Stelle zu legen und das Blut nach Kinderart zu saugen . . . Hätte ich es doch gethan, Marie! . . . Nein, ich wischte noch einmal pedantisch mit meinem Tuch: fort war das Blut und kam nicht wieder vorüber auch die holde Gelegenheit . . . Daran kannst du dich wohl nicht mehr erinnern, was dann geschah?"

Doch, ich erinnere mich. Ich bot dir zum Dank die Blume an."

Und ich habe sie zurückgewiesen! Ich frage dich: warum? Aus Trotz oder aus Verlegenheit? Ach, unsere Narrheit ist groß in der Jugend! ... Ich sehe noch, wie deine Lippen geringschätzig zuckten, wie du das Röschen in den Wegstaub fallen ließest . . . Martin kam auf uns zu und du gingst mit ihm weiter. Ich blieb zurück, aber als ihr entfernt genug wäret, hob ich die verschmähte Heckenrose auf. Ich bewahre sie noch immer, habe sie in ein Taschentuch gewickelt, das einst mit zwei Blutstropfen getränkt worden . .

Frau Marie lächelte wehmütig:Ich wußte nicht, daß du senti­mental bist."