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HK. 133.

Atterrsteig, Samstag den 13. Wovemßer

1886

Die Höhe der Gerichtskosteu

Dem Bundesrate ist eine Vorlage zuge­gangen, welche die Ermäßigung einiger Ansätze von Gerichtskosteu und der Gebühren der Rechts­anwälte festsetzt. Einzelheiten des Entwurfs find noch nicht bekannt geworden, dem zu Tage tretenden Prinzip einer Prozeßkosten-Ermäßig­ung wird aber jetzt schon eine allseitige Zu­stimmung zu teil.

Die Klagen über die Höhe dieser Art von Kosten sind uralt, selbst die dementsprechende sozialdemokratische Forderung einer unentgelt­lichen Rechtspflege ist keineswegs erst durch das Eisenacher Programm aufgestlllt worden. Jeden« falls ist es eine Forderung der Billigkeit, wenn man aus fiskalischen und juristischen Gesichts­punkten die Unentgeltlichkeit der Rechtspflege verwirft, daß die Höhe der dem Rechtsuchenden erwachsenden Kosten in einem entsprechenden Verhältnisse zu der Höhe des Streitobjekts steht und dieses Verhältnis nicht übersteigt.

Allzuhohe Gerichtskosten rücken die Gefahr nahe, daß weniger bemittelte Staatsangehörige sich scheuen, ihr Recht zu suchen und dem Staate indirekt den Vorwurf der Rechtsverwetgerung machen. Die Zahl der Prozesse ist seit dem Zustandekommen der neuen deutschen Justizge- setze erheblich zurückgegangeu. Wäre die An­nahme richtig, daß dann das wachsende Rechts- Verständnis der Massen, die strenge Beobacht­ung der Rechtsnormen und die allgemeine Ge­sundung unseres Erwerbslebens die Ursachen seien, so wäre dieser Rückgang in jeder Bezieh­ung freudig zu begrüßen. Wie die Dinge aber einmal liegen, schreckt die Höhe der Prozeß­kosten bei etwaigem Verlust des Rechtshandels in zu vielen Fällen davon zurück, Prozesse an­hängig zu machen; der magerste Vergleich scheint dem weniger Bemittelten vorteilhafter als der fetteste Prozeß.

Die dem Bundesrat zugegangene Vorlage bezweckt im wesentlichen eine Herabsetzung der Rechtsanwaltsgebührcn und berührt damit nicht nu- die Interessen des rechtsuchenden Publi­kums, sondern auch zugleich ein soziales Pro­blem, dessen Lösung eine unbedingte Notwendig­keit ist. Die Anwaltsgebühren haben bisher noch keine Herabsetzung gefunden und dennoch

wird ein jeder, der sich der Hilfe eines An­walts bedienen mußte, die Empfindung gehabt haben, daß die Gebühren in grellem Mißver­hältnisse zu den Leistungen stehen. Es liegt uns selbstverständlich fern, daraus auch nur den leisesten Vorwurf gegen den hochachtbaren Stand unserer Rechtsanwälte erheben zu wollen. Die Gebühren sind durch das Gesetz fixiert und müs­sen gefordert werden; eine Ermäßigung oder gänzlichen Erlaß darf der einzelne zwar in be­sonderen Fällen, aber nicht allgemein, eintrcten lassen. Bei der Ueberfüllung der juristischen Karriere ist der Zudrang zur Advokatur be­sonders stark. Die Stellung als Anwalt wird vielleicht von manchen in erster Linie als milch- aebende Kuh betrachtet, wogegen leider das juristisch-praktische Interesse weit zmücktritt. Wenn sich nun auch der Rtchterstand dazu gra­tulieren kann, daß derartige Elemente ihm fern- bleiben, so gereichen sie doch dem Anwaltstande nicht zur besonderen Ehre. Ja noch schlimmer ist, daß durch die Aussicht auf eine zu erlangende, viel Geld bringende Advokatur manche jungen Leute die juristische Karriere einschlagen, welch- nicht den mindesten Beruf zur Rechtspflege haben.

Die Höhe der Anwaltsgebühren und die dadurch hervorgerufene Scheu vor Prozessen schützt uns mithin nicht einmal vor der »Ad­vokatur* im üblen Sinne des Wortes und eine entsprechende Ermäßigung der Ansätze kann aus den angeführten Gründen dem praktischen Ju­risten nur ebenso lieb sein, wie dem rechtsuchen­den Publikum.

Damit soll indessen keineswegs gesagt sein, daß man nun von einem Extrem ins andere übergehen solle. Wir müssen einen festen Stamm guter Rechtsanwälte bchalren, und diesen durch angemessene Gebühren sozial unabhängig stellen. Wir wollen uns nicht amerikanische Zustände wün­schen, in denen ein Anwalt den andern womög­lich an »Billigkeit* überbieiet. Die Vorlage tm Bundesrat ist darauf gerichtet, gewisse arge Mißverhältnisse zwischen Leistung und Bezahl­ung auszugleichen und wir zweifeln nicht daran, daß der Reichstag in seiner Mehrheit desselben Sinnes ist.

Tagespolitik.

In Berliner parlamentarischen Kreisen

wird die Einberufung des Reichstags und des württembergischen Landtags für denselben Tag, den 25. Novbr., lebhaft besprochen.

Eine hochbedeutende offiziöse Auslastung über die Fortdauer des deutsch-österreichischen Bündnisses bringt die .Köln. Zig/ ; es wird darin ausgeführt, daß die Augen der deutschen Staatskunst mit ängstlicher Spannung auf das ungünstige Verhältnis zwischen Oesterreich-Ruß« land gerichtet seien. Ein ernstlicher Konflikt zwi­schen beiden würde auch das deutsch-österreichische Bündnis schwächen. Darum müsse Deutsch­land versuchen, den Bruch zu verhindern. Bleibt dagegen das Dreikaiserbündnis unversehrt, so gibt es auch noch ein Europa, freilich kein Eu­ropa im rustenfeindlichen Sinne. Deutschlands Schuld ist es nicht, wenn Frankreich sich außer­halb dieser Friedens-Interessengemeinschaft stellt. Deutschland mißgönne den Engländern Aegypten nicht und da es selber auf der Balkanhalbinsel keinen Ländererwerb sucht, so habe es sich auch nicht einzumischen in die Streitigkeiten der Mächte, welche die europäische Erbschaft der Türket an» treten möchten.

Prinz Ferdinand von Hohenzollern ist mit seinem Vater, dem Fürsten Leopold nach Rumänien gereist. Es steht die Proklamierung des Prinzen zum Thronfolger Rumäniens zu erwarten. Die Ehe des Königs Karol, Onkels des Prinzen, ist kinderlos und wird nach mensch­lichem Ermessen auch kinderlos bleiben; die Ausrufung des Prinzen Ferdinand zum Thron« folger ist eine schon lange beschlossene Sache, mit der Ministerium und Volksvertretung ein­verstanden find.

Aus Lemberg wird über große Trup- penansammlungcnlängs der österreichischen Grenze berichtet.

Die französische Dcputi-rtenkammer ist in die Bndgetbcratung eingetreten, und diese gibt naturgemäß Veranlassung zu den weit- jchweifendsten Debatten. Seitens der Radikalen ist wiederum die Streichung des ganzen Kultus­budgets verlangt worden.

Die Ansicht, daß die Aussichten der Orleans auf den französischen Thron seit ihrer Ausweisung aus dem Lande ganz bedeutend ge- unken seien, ist in der Pariser diplomatischen W-.lt zurzeit ganz allgemein verbreitet. Von

(Nachdruck verboten.)

Eine Theaternovelle von Karl Glabisch.

(Fortsetzung.)

Heiter erwachte sie, nahm wieder einige? von den E'guickangen und genug leichteren Herzens konnte, als es Abend und Zeit ins Theater zu gehen war, ihr Mann aufbrechen; sie reichte ihm die Hand, im Scherz flüsternd: »Keine Unrechten Wege ohne mich hörst du? Und viel Glück, Fritz!* Dann eilte er von ihr. Ein verklärend Lächeln umschwebte noch ihr- Lippen, cs blieb noch der sanftruhige Zu­stand wie vorher etwa eine Stunde lang. Da plötzlich, wie cs auch kam, Gott weiß! plötzlich war der Umschlag da.

Die Kranke begann unruhig das Haupt zu wälzen eine Angst überflog sie erst zuckte es um ihre Lippen ihre Hand hob sich nach dem Munde sogleich folgte ein Hustenanfall diesem nach, während ihr Kopf konvulsivisch herum an den Rand des Bettes ge­worfen ward ein Strom Blutes, der zum Erschrecken lange quoll, bis nun, bis endlich völlige Erschöpfung ihn versiegen machte. Da nahm es ein Ende, der Kopf sank wieder schwer ins Kissen, mit gebrochenem Auge noch ein leises Aechzen, und dann kein Laut mehr; so aufs letzte entkräftet, regungslos, ohne einen Hauch und Bewußtsein liege sie nun eben noch-»Gott erbarme sich der Gequälten!'

Mit diesem- der Mutter abgelauschten, frommen Worte schloß die Wirtstochter.

Sie empfing keine Silbe des Bescheids; sie erwartete solchen auch nicht; »wozu noch*, dachte sie selber, »hier hilft kein Rezept mehr.* Sachte schlich sie wieder nach dem Alkoven zurück.

Wilborn stand noch lauge, schwer grübelnd, in schmerzliche Empfind­

ungen versenkt, am Fenster. Es war jetzt tiefe, lautlose, unheimliche Stille in dem Gemach, das immer mehr und mehr Dämmerung füllte; die letzten AbendliLter krochen langsam wie müde Falter über die Wand hin; schon waren st- nahe dem Fenster, um hinausflatternd draußen in Nacht zu verlöschen. Und langsam in der sterbensstillen Einsamkeit rann Minute um Minute vorüber.

Langes, langes Schweigen; durch den Fußboden des Gemachs war das Ticken der Uhr, unten in der Wirtin Stube, dumpf vernehm, -da ließ sich ein schnarrendes Geräusch, dann ein Schluchzen, plötz­lich ein Schlag, als falle ein schwerer per auf etwas, aus dem Al­koven hören dann wieder still, aber die Stille gespenstisch unter­brechend, lange, schwere, tiefe, rauschende Atemstöße, die Zeichen der ein­tretenden Agonie.

Im Moment eilte der Arzt gegen den Alkoven, die Wirtin er­schien auf der Schwelle, weinend, mit der Schürze am Mund ihr leises Schluchzen unterdrückend, drinnen über das Kopfende des Bettes ge­worfen, sein Haupt nahe der Sterbenden, mit stierem Auge in deren Züge sich grabend, den linken Arm quer überm Kiffen, mit der Rechten die schlaff über das Deckbett gestreckte kalte Hand umklammernd, lag der Mann und starrte und starrte.

O, war es denn faßbar? möglich das Unmögliche? »Sie stirbt nicht, sie kann nicht sterben!* hatte er sich tröstend oft gesagt »an die Schönheit wagt sich der feige, erbärmliche Tod nicht. Und sie ist mein. Er darf sie mir nicht rauben.*

Narrenwahn! Nun ist er ja doch da, grinst ihn an hohnlachend: »Was ist denn dies Heilige? Die Eugelsschöuheit, von der du prahlst, ste sei dein? Blöder Thor! Staub ist das blasse Gebild! Ich ver­nichte es und Speise für Würmer die ganze Herrlichkeit.*