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HK. 128.
AttmSeig, Samstag dm 31. Oktober
1885
2 Aus Oesterreich.
So lange Oesterreich die Vormacht der deutschen Staaten war, hatte es ein lebhaftes Interesse daran, selbst als ein deutscher Staat zu gelten. In Wirklichkeit kamen denn auch die nichtdeutschen Völkerschaften der diesseitigen Reichshälfte, die Polen ausgenommen, kaum in Betracht und die Bestrebungen der Tschechen und sogenannten Jung - Tschechen wurden kaum ernst genommen. Seitdem indessen Oesterreich aus Deutschland ausgeschloffen wurde, schien es den Regierenden im Staatsinterefle zu liegen, die deutsche Vergangenheit des Landes vergessen zu machen, das Deutschtum zu unterdrücken und die deutschen Bewohner nur noch als Geduldete zu betrachten.
Graf Taaffe sprach bei der Uebernahme des Ministeriums das geflügelte Wort von seiner »Versöhmrngsvolittk* * — seine ausgesprochene Absicht war, die einzelnen Nationalitäten, welche innerhalb der Grenzmarken Deutsch - Oesterreichs wohnen, mit dem österreichischen Staatsgedanken einerseits und andererseits sie untereinander »auszusöhncn.* Daß dies nur auf Kosten des Deutschtums geschehen konnte und daß diese Politik besonders die Tschechen mit Vorherrschaftsgelüsten erfüllt hat, ist das Schlimme an der Sache.
Daß mit dieser den Deutschen abgeneigten Politik auch die Bestrebungen Hand in Hand gehen, die liberalen Errungenschaften auf dem Gebiete der Schule zu beseitigen, ist bekannt. So sind die deutschen Abgeordneten in Oesterreich fast durchweg in die Oppofitionsstellung der Regierung gegenüber gedrängt und ihre Erfolge würden vielleicht ab und zu größer sein, wenn sie sich zu einem gemeinsamen Programm einigen könnten. Aber der eine Teil betont in erster Linie sein Deutschtum, der andere in erster seinen Liberalismus, und dieser verschiedenartigen Auffassung wird ein guter Teil der Parteikraft zum Opfer gebracht.
Die Adreßdebatte im Wiener Abgeordnetenhause, die in voriger Wocke stattfand, hat zu vielfachen tumultarischen Auftritten Anlaß gegeben. Die Klagen der Deutschen über Zurücksetzung und Vergewaltigung haben auf den Grafen Taaffe und seine Kollegen keinen Eindruck gemacht — über solche Geföhlsanwand- lungen ist man in den österreichischen Regierungs- kretsen längst hinaus. Aber die Verhandlungen griffen auf ein anderes Gebiet über, welches bisher noch — scheinbar wenigstens — von dem Streit der Parteien unberührt blieb.
Es handelte sich um die Armee, welche in Oesterreich mehr noch als anderwärts das Fundament der Staatssicherheit ist. Die deutschen Abgeordneten legten dar, daß der Nationalitäten- strcit bereits seinen Einzug in die Armee gehalten habe, so sehr sich auch dir Regierung Mühe gebe, diese unliebsame Thatsache zu vertuschen. Die tschechische Bevölkerung Böhmens betrachte die deutschen Regimenter als feindliche; es wurden Fälle festgestellt, in denen deutschen Soldaten selbst ein Trunk Wasser versagt worden war; ferner wurde konstatiert, daß tschechische und deutsche Soldaten derselben österreichischen Armee vielfach in blutige Händel gerieten, die ihren Grund in dem Nation alitäten- haß haben. Das könne auch gar nicht anders sein in einem Lande mit allgemeiner Wehrpflicht, wo der Rekrut aus den Reihen des werktätigen Volkes genommen wird und von dort den Nationalitätenhaß mitbringt, der von oben her eher gefördert als gemildert werde.
Die Mitglieder der Regierungspartei zeigten sich zwar diesen Vorwürfen gegenüber sehr
entrüstet, aber sie mußten sich getroffen fühlen, denn die Tbatsachen waren nicht hinwegzu leugnen und zeigen eine Gefahr, die wenn sie um sich greifen sollte, selbst den Bestand des Staates bedrohen könnte.
Wenn man in der Wiener Hofburg die ungeschminkte Wahrheit erfährt, wohin Taaffes .Versöhnungspolitik* bereits geführt habe, so dürfte das Vertrauen des Monarchen zu der Regierungskunst seines ersten Ministers doch etwas schwinden.
Tagespolitik.
— Die im Deutschen Reiche bestehenden fünf Staatslotterien werden nach den neuesten Lotterieplänen eine Steuer von zusammen rund 5 425 000 Mark zu entrichten haben, und zwar die preußische etwa 1 347 000, die sächsische 1860000, die mecklenburgische 88 000, die braunschweigische 1 095 600 und die hamburgische 1035 000 Mark.
— Das preußische Staatsmimsterium hat seine Zustimmung zu einer Vorlage, betreffend die Ausführung des Nord-Ostseekanals von Reichswegen erteilt. Die Vorlage wird, sobald sie vom Könige vollzogen ist, alsbald als preußischer Antrag beim Bundcsrat eingebracht werden. Nur über die Höhe der von Preußen im Voraus an das Reich zu leistenden Zahlung scheint ein endgiltiger Beschluß noch nicht gefaßt zu sein.
— Kaiser Franz Joseph hat. wieder einmal eine Erwiderung des Besuchs des Königs von Italien in Aussicht gestellt; nach Rom würde er aber nicht kommen.
— Neuere Berichte aus Siebenbürgen melden über die Bewegung unter den dortigen Rumänen. Doch wird hinzugefügt, es habe damit keine Gefahr. Die dort lebenden Ungarn sähen, eingedenk der Ereignisse des Jahres 1849, alles schwärzer, als es tatsächlich ist.
— Das schweizerische Volk hat sich mit überwiegender Mehrheit für das Gesetz gegen die Branntweinpsst ausgesprochen. Bei der Volksabstimmung am Sonntag wurde die Alkoholvorlage von 15 Kantonen mit 214 693 Stimmen gegen 7 Kantone mit 135 951 Stimmen angenommen. Der Bund erhält durch dieselbe das Recht, auf die Einfuhr und die Fabrikation von Schnaps eine Steuer zu leg-m. Dagegen kommen die kantonalen Auflagen, Einfuhrsteuern auf Wein. Bier, Most u. s. w. in Wegfall.
— Ein Dynamit-Attentat ist in Florenz dicht vor dem Portale des erzbischöflichen Palais von mehreren Garibaldianern verübt worden. Die mächtigen Granitmauern widerstanden. Dagegen flogen Eiscnsplitter hundert Meter weit umher ohne jedoch jemand zu verwunden.
— Aus Spanien kommen wieder mannigfache Berichte über republikanische Agitationen. In Madrid wurden mehrere höhere Offiziere und Beamte verhaftet. Die Notierung läßt die portugiesische und französische Grenze streng bewachen. — Ueber den Gesundheitszustand des Königs Alfons lauten die Nachrichten widersprechend. Während die einen ihn als Todeskandidaten bezeichnen, sagen die andern, der junge Monarch fühle sich so wohl, daß der Plan seines winterlichen Aufenthalts in Nizza (oder wohin ihn die Aerzie sonst schicken wollen) aufgegeben sei.
— In Bezug auf die Balkanwirren ist eine völlige Nachrichtendürre eingetreten. Am Samstag meldete zwar ein Telegramm, die serbische Armee habe die bulgarische Grenze überschritten, am Sonntag hieß es dagegen, es sei nur ein Zollposten hart an der Grenze besetzt worden, und am Montag wurde »von zuverlässiger Seite*
gemeldet, alle Nachrichten über ein angriffs- weiscs Vorgehen Serbiens seien unwahr. — In Bulgarien ist auf den ersten Verbrüderungsrausch ein schlimmer Katzenjammer gefolgt; die Armee ist enttäuscht und die Mobilisierung kostet viel Geld, was nicht vorhanden ist. — Die .wirkliche* Botschafter-Konferenz in Konstanti- nopel wird in den nächsten Tagen zusammeu- treten und auf dem Papiere wieder alles hübsch ordnen.
Lavdesuachrichleu.
* Dornstetten, 28. Okt. In Schopf- l o ch wollten gestern zwei Männer einen Farren auf den dortigen Bahnhof verbringen und verbanden demselben um ganz sicher zu gehen, die Augen, die Folge davon war, daß das Tier trotz kräftiger Hiebe nicht vorwärts zu bringen war; vielmehr wurde dasselbe ganz rasend und stürzte sich, nachdem es sich seiner Binde ent- ledigt hatte, auf seine Führer und brachte dem einen eine tiefe Wunde an den Fuß, dem andern aber schwere innere Verletzungen bei. — Die Magd eines hiesigen Kaufmanns stürzte beim Verbringen einer Kiste in das Magazin so unglücklich, daß sie einen Fuß brach. — Auf die heftigen Herbststürme und schauerlichen Regengüsse der letzten Zeit folgte in vergangener Nacht ein leichter Schneefall.
* Freudenstadt, 28. Okt. Nachdem es gestern den ganzen Tag furchtbar gestürmt und geregnet hatte, fiel heute Nacht bei Westwind der erste diesjährige Schnee, der in leichter Decke Wald und Flur bedeckt.
* Eine Vertrauensmännerversammlung der deutschen Partei in Württemberg findet, wie man hört am 1. November in Stuttgart statt.
* Die Kgl. Stadtdirektion Stuttgart hat in einem Zirkular an alle dortigen Bankfirmen eine Warnung vor amerikanischen Bankdieben, die z. Z. in Europa ihr Spiel treiben, erlassen.
* Man schreibt der »Ulm. Schn.* aus Lide r a ch, 27. Okt.: Es ist überraschend, welche große Ausdehnung die Einfuhr von Obst in unser Land gewonnen hat. In den letzten Wochen kamen auf dem hiesigen Bahnhof 88 Eisenbahnwagen mit ca. 18000 Ztnr. ausländischem Obst an, das teils in der Stadt, teils in der nächsten Umgegend schnelle Abnahme fand. Auch heute ist der Güterbahnhof von Obstkäuscrn belagert, und man wird wohl nicht fehl gehen, wenn man die Menge des in diesem Herbst hier verkauften Obstes auf mindestens 20000 Ztr. schätzt. Diese stellen einen Wert von 90—100000 Mrk. dar, welche allein vom hiesigen Platz aus für ein Genußmtttel ins Ausland gehen. Und doch ist das Hauptgetränke in hiesiger Gegend nicht Most sondern Bier.
* (Verschiedenes.) Großes Aufsehen in der ganzen Jagstgegend erregt die plötzliche Verhaftung des sehr reichen Güterhändlers I. Krailsheimer von Hohebach, O. A. Künzelsau, wegen Wucher. — In Künzelsau und einigen benachbarten Ortschaften ist der neue Wein sehr billig. Man trinkt das Vz Liter zu 10 Psg., in den Gasthäusern zu 15 Pfg. In mehreren Wirtschaften darf der Gast um 1 Mark so viel Wein trinken, als er will und kann. — In Thannhausen im Fränkischen starb vor einigen Tagen eine Frau in dem hohen Alter von 106 Jahren 9 Monaten. — In Jsny brach an einem Kellerbau ein ca. 8 Meter hohes Gerüst, wodurch 4 Mann in die Tiefe stürzten. Mit Ausnahme des Akkordanten, welchem der Oberschenkel von 2 Stücken Holz schwer zerquetscht wurde, kamen die anderen sämtliche mit etwas leichten Quetschungen davon. — In letzter Zeit ereigneten sich in Vaihingen