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Ar. 132.
Menfteig, Samstag den 8. Movemver.
1884.
D Die Stimmung in Braunschweig.
Die letzter: 8 Tage sind von dem Interesse an den Reichstagswahlen so ausschließlich in Anspruch genommen worden, daß die andere Angelegenheit, welche gegenwärtig für Deutschland die höchste politische Bedeutung hat, einstweilen in den Hintergrund treten mußte. Zwischendurch aber sind auch in betreff der braunschweigischen Erbfolgefrage die feistesten Enten aufgetischt worden. Die täglich neu auf- tauchenden Gerüchte, von denen eins immer abenteuerlicher ist wie das andere, sind den ruhigen und verständigen Braunschweigern längst zum Ueberdruß geworden.
Im allgemeinen bietet das Land Braunschweig das Bild erfreulicher bürgerlicher Ruhe. Jene Angstmeter in und außerhalb Braun- schweigs, welche die Lösung der Erbfolgefrage durch den Gewaltakt „eines größeren Staates" fürchteten, sind gegenüber den Thatsachen verstummt. Die Möglichkeiten für die Zukunft des Landes werden allerdings vielfach erörtert; aber das geschieht in durchaus leidenschaftsloser Weise — man verspürt keine „Angst" vor Preußen, keinen „Haß" gegen den Herzog von Cumberland; man setzt dagegen volles Vertrauen auf den ausgesprochenen Schutz des Kaisers und in die politische Weisheit seines strengen Ratgebers. Dazu kommt, daß bisher alle Schritte des Rcgentschaftsrats streng verfassungsmäßig und taktvoll waren und daß die Haltung des Landtags eine so einmütige und verständige gewesen, daß man (um einen Ausdruck des Abg. Baumbach zu brauchen) auch in den „nicht-braunschweigischen" Teilen Deutschlands nur mit größter Anerkennung davon spricht.
Der wohlwollende Brief, den Kaiser Wilhelm an den Regentschaftsrat gerichtet hat, und das Entgegenkommen des Reichskanzlers haben den deutschen Einheitsgedanken in Braunschweig mächtig erstarken lassen. Unwillkürlich lenkt sich der Blick in die Zeiten deutscher Zerfahrenheit zurück und dabei drängt sich naturgemäß die Betrachtung auf, daß sich auf dem Rechtsboden des Reiches eine schwerwiegende und verwickelte Frage friedlich lösen wird, welchem früheren Zeiten wahrscheinlich die Völker unter die Waffen gerufen haben würde. Man darf fest behaupten, daß die große Mehrheit des braunschweigischen Volkes keine andere Lösung der Frage wünscht, als eine solche, welche zugleich den Interessen des gesamten deutschen Vaterlandes entspricht.
Allerdings über das Wie der Lösung herrscht noch völliges Dunkel und die Angaben, daß Preußen eine schnelle Erledigung herbeiführen würde, haben sich bereits verflüchtigt. Es liegt auch gar kein Grund vor, eine Frage von solcher Tragweite mit Dampfgeschwindigkeit zu lösen. Die nach Berlin gereisten Mitglieder des Regentschaftsrats sind vom Kaiser empfangen worden und haben allerdings auch mit dem Reichskanzler Besprechungen gehabt; sie haben die preußischen Ordensdekorationen des verstorbenen Herzogs dem Kaiser zurückgegeben und demselben den Dank des Landes für das in dem kaiserlichen Schreiben an den Regentschaftsrat ausgesprochene Wohlwollen dargebracht. Die Besprechung mit dem Reichskanzler lag nahe genug und man hat durchaus nicht nötig anzunehmen, daß dabei irgendwelche feste Abmachungen getroffen worden seien.
Was den Herzog von Cumberland betrifft, so steht die Berechtigung seiner Ansprüche auf den braunschweigischen Thron kaum in Frage; aber sein Regierungsautrflt erscheint nach wie
vor unmöglich — sein eigenes und das Verhalten seiner Anhänger in Hannover und Braunschweig haben ein kaum noch wegzuräumendes Hindernis geschaffen. Man hat in Braunschweig immer eine loyale Aussöhnung Ernst Augusts mit Preußen gewünscht, aber derselbe hat nichts gethan, diese Wünsche zu befriedigen. Man ist sogar jetzt zu der Ueberzeugung gekommen, daß der Herzog gar nicht die ernstliche Absicht gehabt habe, nach Braunschweig zu kommen, und diese Ueberzeugung hat eine tiefe Mißstimmung hervorgerufen. Denn das Be- sitzergreifungspatent — wenn ihm weiter keine Bedeutung als die einer Rechtsverwahrung beigelegt werden soll — konnte nach allen Seiten hin nur ungünstig wirken. Niemand hat der Sache des Herzogs von Cumberland so geschadet, als seine Ratgeber und jene Partei, welche die Wiederherstellung des Königreichs Hannover „auf friedlichem Wege" anstrebt.
Tagespolitik.
— Es erscheint bemerkenswert, daß die„Nordd. Allg. Ztp." jetzt eine Reihe Briefe des ehemaligen Königs von Hannover veröffentlicht, aus denen auf das klarste hervcrgcht, daß derselbe vom Auslande resp. von Napoleon seine Wiedereinsetzung erhofft und erwartete. Eingeleitet werden die Briefe mit dem Bemerken, daß der Herzog von Cumberland auf demselben Standpunkte stehe.
— Von Berlin wird geschrieben: „In allen politischen Kreisen wird die in der „Nordd. Allg. Ztg." erfolgende Publikation von Aktenstücken, betreffend die Wühlereien und Zettelungen der Welfen, lebhaft besprochen. Es ist kein Zweifel, daß die betreffenden Originalakten sich schon seit längerer Zeit in Händen der preußischen Regierung befinden und daß diese aus sehr gewichtigen Ursachen, welche sich zunächst der öffentlichen Kenntnis entziehen, mit der Publikation vorgeht. Klingt es auch ganz unglaublich, daß seitens Oesterreichs irgend ein Vermittlungsversuch zu Gunsten des Herzogs von Cumberland stattgefunden haben sollte, so scheinen doch noch hinter den Kouliffen sich mancherlei Vorgänge abzuspielen, denen durch diese Veröffentlichungen die Spitze abgebrochen werden soll. Man muß sich erinnern, daß schon bei einer früheren Gelegenheit der leitende Staatsmann die Bemerkung gemacht hat, mit der Publikation von Aktenstücken wird der Kriegszustand latent. Ohne Zweifel werden wir schon in den ersten Tagen der kommenden Reichstagssession eine animierte Welfendebatte haben." Was den Inhalt der bisher veröffentlichten, bis zum Jahre 1869 reichenden Briefe betrifft, so bietet derselbe nicht viel Neues. Georg der V. hoffl darin auf Napoleon, welcher Preußen demütigen und ihn wieder auf den Thron von Hannover zurückführen werde, lieber all tritt der Glaube an Frankreichs Hilfe hervor. Georg der V. hatte sich in seine Ideenwelt so fest etn- gesponnen, daß es ihm sogar als eine nationale That erschien, Deutschland in einen Krieg mit Frankreich zu verwickeln, um so ein großes, mächtiges Welfenreich wieder entstehen zu lassen.
— Statt der Tonkinfrage, die nachgerade auch den Franzosen langweilig zu werden beginnt, interessiert man sich gegenwärtig in Paris weit mehr für die Idee der Regierung, die Brottaxe wieder einzuführcn, um den Dürftigen zu Hilfe zu kommen. Die Bäcker sind über diese Idee im höchsten Grade erbittert, und arbeiten ihr entgegen. Infolge des bereits gemeldeten Widerstands der Bäcker hat die Verwaltung der Stadt Parts die Absicht, Gemeindebäckereien zu errichten. Das große Pu
blikum ist gegen die Bäcker, nur der Mehlgroßhandel steht auf ihrer Sette.
— Es liegt im Plane der schwedischen Regierung, Norwegen zu einem Vizekönigreich zu machen; der jeweilige Kronprinz von Schweden soll Vizekönig von Norwegen sein. In Chri- stiania stößt diese Absicht auf crheblichm Widerstand und sie scheint auch nur geeignet, den zwischen den Radikalen und der Monarchie notdürftig hergestelltcn Frieden zu erschüttern.
— Schon wieder wird aus Rußland von einer mittels Uuterminirung versuchten Rentei- Beraubung berichtet. Der di.smalige Anschlag richtete sich gegen die Rcnteikaffe von Rjeshitza von Dynaburg, in welcher sich zur Zeit der Entdeckung 80000 Rubel befanden. Die Diebe hatten einen langen unterirdischen Gang bis unter das Kassenzimmer geführt, so daß ihm: zur Erreichung ihres Zweckes nur noch die Durchbrechung der Diele übrig blieb. Bei dieser letzten Arbeit aber machten sie ein so lautes Geräusch, daß die Wächter in den anstoßenden Zimmern aufmerksam wurden und die Eindringlenge verscheuchten. Obgleich sofort Lärm geschlagen wurde, gelang es doch nicht, die Einbrecher zu ergreifen. In dem Gange selbst fand man das zur Aushöhlung benutze Werkzeug und einige Kleidungsstücke vor. Ob man es mit einem nihilistischen Streich zu thun hat, ist noch nicht klar.
— Das in Newcastle, Natal, erscheinende Blatt „Newcastle Echo" will erfahren haben, daß Deutschland die Absicht habe, einen Teil von Zululand, einschließlich der St. Luciu Bay, in einer Küstenlänge von ungefähr 45 Km. mit zwei Flüssen und den zu denselben gehörigen Gebieten in Besitz zu nehmen. Der Hauptagent für die Ausführung dieses Planes sei ein Dr. Haevernick in Pretoria, welcher nach dem Kriege mit den Boeren einige Zeit in Newcastle lebte. Es sei ein Vertragsentwurf gefaßt worden, um denselben dem Zulukönige Dinizulu (dem Sohne Ketschwayo's) zu unterbreiten, vorausgesetzt, daß cs Dr. Haevernick gelingt, die Transvaal- Regierung dazu zu bewegen, daß sie zur Einleitung der Verhandlungen ihre Zustimmung gibt. Der Vertrag setzt fest, daß das betreffende Land zunächst dem Dr. Haevernick selbst übergeben werde, jedoch mit dem ausdrücklich erwähnten Rechte, das Land der deutschen Regierung zu überliefern. Einer der in dem Vertrags-Entwürfe angeführten Zwecke dieser Landabtretung ist die Einführung von Waren zu vernünftigen Preisen zum Gebrauche der Einwohner der neuen Republik und des Zuluvolkes. Der Preis für die Landabtretung ist noch nicht bestimmt und soll eben durch die Verhandlungen festgestellt werden, allein cs soll, so versichert das „Echo", an barem Gelbe nicht fehlen und außerdem soll die Hcrbeischaffung einer Defen- sivmacht angedeutet sein. Die St. Lucia Bay liegt an der Osttüste Südafrikas unter dem 28 Vz Gr. südl. Br.
r.'MbesMchnchteu.
* Von Herrenberg schreibt man dem „N. T.": Nachdem im hiesigen Bezirk seit fast einem halben Jahre 10 rotzvervächtige Pferde unter polizeiliche Beobachtung gestellt, wurden kürzlich auf Anordnung der K. Kreisregierung 2 Stück getötet, welche bei der Sektion auch als rotzig befunden wurden. Die Tiere wurden abgeschätzt, und die Besitzer erhielten 3 Vierte! des geschätzten Werses vergütet.
* Stuttgart, 5. November. Dem Beispiel der Verwaltung der Zahnradbahn, welche beschlossen hat, in Degei loch eine Erst ahn herzustellen, um die Frequenz der Bahn im