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M. 120
Mensteig, Samstag dm 11. Oktober.
1884.
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2 Die Kolomalfrage
wird ganz sicher in der nächsten Reichstags- fesfion eine hervorragende Rolle spielen. Die deutsch-freisinnige Partei verharrt nach wie vor in ihrer ablehnenden Haltung und auch im Zentrum sind abfällige Urteile laut geworden, wogegen die konservativen Parteien und die Nationalliberalen für das Vorgehen in der Art, wie es von der Regierung beliebt wurde, ein- zutreten entschlossen sind.
Herr Dr. Geffcken, der früher Vertreter der Hansastädte in Paris und London war und als solcher Gelegenheit hatte, die einschlägigen Verhältnisse genau zu studieren und zu beobachten, veröffentlicht in der „Deutschen Rundschau" eine Abhandlung über die Kolonisationsfrage, welche die weitgehendste Beachtung verdient; es ist das um so mehr der Fall, als er die von ihm behandelte Frage den Parteien entrückt und von einem höheren, allgemeinen Standpunkt aus behandelt.
Zunächst weist der Verfasser die Behauptung als irrig zurück, daß in England die Kolonialpolitik als ein „überwundener Stand- Punkt" betrachtet werde. Einzelne Männer s mögen wohl eine solche Auffassung haben, jedoch ständen sie damit in England allein; man wisse dort, daß der Wohlstand der Nation in I gleichem Maße, wie ihre äußere Ausdehnung wachse. Allerdings leide das großbritannische Weltreich an einer gewissen Uebersättigung, da es nicht mehr im Stande sei, seine ungeheuren und verstreut liegenden Besitzungen überall wirksam zu verteidigen, zumal es keine Armee im festländischen Sinne habe und seine Flotte, obwohl die stärkste der Welt, doch zu schwach gegenüber der übergroßen Aufgabe sei. Trotzdem erweitere England sein Kolouialgebiet fortwährend, weil ^8 dadurch für seine Industrie am ersten neue Absatzgebiete gewinnt. Von ! Bestrebungen, die Bande zwischen Mutterland und Kolonien zu lösen, sei nichts zu spüren, vielmehr suchen beide Teile durch Gewährung größter Bewegungsfreiheit das Band zu kräftigen.
Englands Beispiel zeige, daß überseeische j Politik den besten Boden für die Entwicklung des Nationalwohlstandes bilde und was für ! England zutreffend ist, würde auch Deutschland ? zum Vorteil gereichen. Nur die nationale Zerrissenheit, in der das deutsche Volk dahin vegetierte trägt Schuld daran, daß Deutschland bei der Teilung der Welt leer ausgegaugen sei. Die Deutschen, die im Mittelalter den Oste» kultivierten, hätten auch heute alle Vorbedingungen, die den Erfolg des Kolonisations- Unternehmens sicher stellen: Tüchtigkeit, Geschick und Kapital. Die Beispiele verkehrter Aus- wanderungs- und Kolonisationsbestrebungen beweisen nichts weiter, als daß man die Sache anders und nach den reifsten Anschauungen der Gegenwart ersoffen müsse. Auch wäre der Einwand, es sei kein freier Raum mehr vorhanden, ganz unzutreffend; in fremden Weltteilen liege noch zehnmal mehr Land unbenutzt, als die deutsche Nation zu kultivieren im stände ist.
Die Kolonialgegner zeigen die Möglichkeit von Konflikten mit anderen Nationen; allerdings: das sicherste Mittel gegen Beraubung ist, nichts besitzen. Aber doch wird sich durch > diese Rücksicht noch Niemand hoben vom Erwerb abhalten lassen. Zum Schutze deutscher
Kolonien ist unsere Flotte .'zunächst ausreichend und durch Kolonien wird sie sogar einen tüchtigen Rückhalt bekommen.
Kolonien werden uns in der Welt erst berechtigten Stolz geben, unseren wirtschaftlichen Horizont erweitern, unserer Jugend ein großes neues Arbeitsfeld eröffnen, den krankenden Säften Abzug gewähren, wo sie Gebiete befruchten würden, welche nur auf die bildende Menschenhand warten. Eben deshalb ist die Kolontalfache keine Partetfrage: hier können Konservative und Liberale, Ultramontane und Prote- stantenvereinler, Freihändler und Schutzzöllner so gut Hand in Hand gehen, wie in England Tories und Radikale es thun, und in solcher gemeinsamen nationalen Arbeit läge das beste Gegenmittel für den unfruchtbaren inneren Hader, die Unzufriedenheit, in der sich so viele edle Kräfte verzehren.
Tagespolitik.
— Regierungsseitig ist eine Ausdehnung des Unfallverstcherungsgesetzes auf die Transportgewerbe, sowie auf die Land- und Forstwirtschaft in Aussicht genommen. Die betreffenden Gesetzentwürfe sind bereits aufgestellt und befinden sich gegenwärtig in dem Stadium der vorbereitenden Durchberatung.
— Die Reichsregierung ernannte zu ihren Vertretern bei der bevorstehenden internationalen Konferenz in Washington zur Vereinbarung einer allgemeinen gültigen Weltzeit den Reichsgesandten von Alvensleben und Bauinspektor Hinckeldey, technischen Beigeordneten bei der Gesandtschaft in Washington.
— Die Frage der Herabsetzung der Gerichtskosten wird den diesmaligen Reichstag wiederum beschäftigen. Abgesehen von den zahlreichen Petitionen, welche dem Reichstag in dieser Hinsicht regelmäßig in jeder Session zu- gehen, wird an den Reichstag auch eine amtliche Denkschrift gelangen, welche im Augenblick im Reichsjustizamte ausgearbeitet wird und Resultate statistischer Erhebungen über die Gerichtskosten aus den Jahren 1881—83 verwerten soll.
— Ein Gesetzentwurf betreff. Einführung der Post-Sparkaffen im Reich ist fertiggestellt. Er liegt eben dem preußischen Staatsministerium vor, gelangt dann au den preuß. Staatsrat und von diesem an den Bundesratdes westafri-
— Vor dem Jn-See-Stechen des westafri- kanischcn Geschwaders wird sich der Bundesrat dem Vernehmen nach noch mit einigen Fragen beschäftigen, welche mit dieser Expedition in Verbindung stehen und welche sich auf die Verwaltung der westafrikauischen Kolonien beziehen. Neben mehreren Beamten des auswärtigen Amtes sollen noch delegirte Verwaltungs- Beamie Preußens, Bayerns, Württembergs und Sachsens das Geschwader begleiten; welche Aufgabe diesen letzteren Herren zufällt, darüber ist noch nichts bekannt geworden.
— In dem Gemeindeausschufse des böhmischen Landtags erklärte der Vertreter der Regierung, die Regierung nehme zu der Anfrage des Abgeordneten Herbst betreffs der nationalen Abgrenzung der Bezirke keine ablehnende Haltungein, sofern ein solches Verlangen von der betreffenden Völkerung geltend gemacht werde u. weder geographische noch sonstige maßgebende, namentlich finanzielle Rücksichten obwalten. Auf die in dem Anträge Herbst's hingewiesene Aenderung der Organisation der zweiten Instanzen könne die Regierung jedoch imJnteresse einer einheitlichen Verwaltung und der Justizpflege nicht eingehen.
— Die italienische Regierung notifizierte nunmehr dem schweiz. Bundesrate die kürzlich ver
fügte Enthebung des italienischen Konsuls Grecchi in Lugano von der Besorgung der Konsulationsgeschäfte.
— Das französische Landesverteidigungskomitee hat beschlossen, Nizza stark zu befestigen und daselbst ein ausgedehntes verschanztes Lager (wie früher bei Chalons) zu errichten.
— Am Sonntag hat sich inBrüssel wieder eine recht unerquickliche Szene abgespielt. Der König und die Königin wohnten der allgemeinen Preisverteilung an die aus den Mittelschulen Belgiens Hervorgegau-Rnen besten Schüler bei. Als der Minister des Innern sich zum Sprechen erhob, wurde er durch den Ruf: nieder mit der Glatze! unterbrochen. Die Unterbrechung veranlaßte einen minutenlangen Tumult, der mit der Verhaftung eines Studenten endete. Die kurze Rede des Ministers wurde auch ferner durch Zischen und Zurufe unterbrochen, und als der Namensaufruf der gekrönten Schüler erfolgte, wurden besonders jene aus den durch die Regierung geschlossenen Schulen hervorgegangenen Zöglinge mit demonstrativem brausenden Beifall überschüttet. Die für das Königspaar qualvolle Sitzung dauerte fast zwei Stunden.
— In Belgien werden die Lehrer der Gemeindeschulen, namentlich auf dem Lande, massenhaft abgesetzt, weil der durch die klerikalen Schulbrüder erteilte Volksunterricht bedeutend billiger zu stehen kommt.
Laudesuachrichteu.
* Da die Zeit wieder herannaht, in welcher die Reichstagswahlen statrsinden, so ist es vielleicht manchem Leser dieses Blattes erwünscht, wenn er eine Ueberstcht über die 17 Wahlkreise, in welche Württemberg zerfällt, in die Hand bekommt, um daraus zu ersehen, aus welchen Oberämtern die einzelnen Wahlkreise zusammen gesetzt sind. Wir geben diese Zusammenstellung nach dem Staatshandbuch von 1881, Seite 614:
Wahlkreis: Oberamlsbezirk:
1. Stuttgart, Stadt und Amt.
2. Cannstatt, Ludwigsburg, Marbach, Waiblingen.
3. Besigheim, Brackenheim, Heilbronn, Neckarsulm.
4. Böblingen, Leonberg, Maulbronn, Vaihingen.
5. Eßlingen, Kirchheim, Nürtingen, Urach.
6. Reutlingen, Rottenburg, Tübingen.
7. Calw, Herrenberg, Nagold, Neuenbürg.
8. Freudenstadt, Horb, Oberndorf, Sulz.
9. Balingen, Rottweil, Spaichingen, Tuttlingen.
10. Gmünd, Göppingen, Schorndorf, Welzheim.
11. Backnang, Hall, Oehringen, Weinsberg.
12. Crailsheim, Gerabronn, Künzelsau, Mergentheim.
13. Aalen, Ellwangen, Gaildorf, Neresheim.
14. Geislingen, Heidenheim, Ulm.
15. Blaubeuren, Ehingen, Laupheim.ZMünsingen.
16. Biberach, Leutkirch, Waldsee, Wangen.
17. Ravensburg, Riedlingen, Saulgau, Tettnang.
* Freuden st adt, 6. Okt. Das neuerdings angeregte Projekt der Gründung eines Württemb. Schwarzwaldvereins wird hier mit Freuden begrüßt. Wenn unsere badischen Nachbarn allem aufbieten, um den badischen Schwarzwald immer mehr zur Geltung zu bringen, und wenn dem längst bestehenden badischen Schwarzwaldverein immer neue Zweigvereine für engere Interessen daselbst anreihen, so ist nicht einzu- sehcn, warum Württemberg zurückstchen soll, da doch gerade der nördliche Teil des württem» belgischen Schwarzwalds anerkanntermaßen hervorragend schöne Partien aufzuweisen hat. Gilt es doch blos, der Landschaft da und dort eine erhöhte Aufmerksamkeit und Pflege angedeihen zu lassen und sie ausgiebiger für die Touristenwelt zu erschließen. Der neu zu gründende Verein, mit der Leitung und dem Mittelpunkt seiner Thätigkeit in Stuttgart, will vor allem für gute Pfade, Wegweiser, Schutzhütten rc. sorgen und hat namentlich auch, waS einem längst gefühlten dringenden Bedürfnisse