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Tagespolitik.

Kürzlich wurde von derNordd. Allg. Ztg." erwähnt, daß eine schlesische Militärver- waltungsbebörde das für ihren Truppenteil er­forderliche Getreide, mit Umgehung des Zwischen­handels, direkt von den Produzenten zu be­schaffen beabsichtige. Mit Bezug auf jenen Vor­gang wird derWeser-Ztg." aus Minden geschrieben: Die Anweisung zu diesem Ver­fahren ist zweifellos eine allgemeine, denn heute erläßt auch das hiesige Proviantamt folgende amtliche Bekanntmachung:Die Verwaltung ist angewiesen, ihren Bedarf an Körnern möglichst nur von Produzenten zu kaufen. Wir ersuchen daher die Herren Gutsbesitzer und Kolonen ihre Produkte uns direkt ohne Zwischenhändler zuzu­führen; auch sind wir bereit, etwaige Offerte über später zu liefernde Quantitäten entgegenzu- nehmen." Der Korrespondent derWeser-Ztg." fügt hinzu:Wenn die Militärverwaltung auf diese Weise billiger einkauft, so ist das Ver­fahren durchaus gerechtfertigt."

Die KorvettenBismarck",Eneisenau", Adriadne" undOlga" sind unter dem Be­fehl des Kapitäns Valois als westafrikanisches Geschwader formiert worden.

Die Einberufung der französischen Kam­mern ist auf den 14. Oktober festgesetzt. Ferry soll im Ministerrat Bericht erstattet haben über ein Abkommen mit Deutschland. Deutschland würde hiernach Frankreich in Egypten gegen England unterstützen, ihm ferner seine guten Dienste in China leihen und die Franzosen zum Handel in der Kolonie Kamerun zulassen. Da­gegen verlangt Deutschland die gleichen Rechte für seine Landesangehörigen in allen französischen Kolonien an der Westküste von Afrika mit In­begriff des Kongogebtets.

Ueber das neue Schulgesetz in Belgien schreibt man der Kln. Ztg.: Von jetzt an wer­den in Belgien dreierlei Schulen bestehen: 1) öffentliche oder Gemeindeschulen; 2) freie Schulen 3) freie Schulen, welche durch die Gemeinden anerkannt und unterstützt werden. Den Ge­meinden wird es überlassen sein, den Grund­satz, wonach allerorts wenigstens eine öffentliche Schule besteht, beizubehalten oder aufzugeben; zu letzterem, sowie zur folgerechtlichen Aner­kennung von freien Schulen, bedarf es einer königlichen Ermächtigung nach eingeholtem Gutachten des ständischen Provinzialaus - schusses. Verlangen indessen 20 Hausväter, daß die öffentlichen Schulen beibehalten oder in der Folge wieder eingerichtet werden, so muß ein befürwortendes Gutachten des Provinzial­ausschusses vorliegen. Die Regierung hat in diesen Fällen also das letzte Machtwort. Eine der wichtigsten Bestimmungen der neuen Schul­ordnungen ist, vom Partetstandpunkt aus be­trachtet, der Kostenpunkt. Da der Unterricht durch die Verfassung freigegeben ist, so werden die Gemeinden mehr denn jemals der Versuch­ung ausgesetzt sein, aus Sparsamkeitsrückstchten die unter der zentralistischen Leitung des Bischofs stehenden freien Schulen anzuerkennen. Das belgische Landvolk empfindet den Nutzen der Kenntnisse nicht tief genug und ist deßhalb nicht geneigt, um deren Erwerbung willen einige Opfer zu bringen. Also, so viel Gemeinden, so viel Schulsysteme, da außer den 3 oben ver­merkten Haupteinteilungen noch Spielarten zu­

Mensteig, Samstag den 4. Mioöer

1884.

lässig sind, namentlich bezüglich der Aufstellung des Lehrprogramms. Wie kann bei solchen Bewandtnissen ein einheitliches Nationalitäts­gefühl in diesem ohnehin schon in sprachlicher Hinsicht gespaltenem Staate gedeihen?

Die englische Regierung scheint jetzt den richtigen Weg eingeschlagen zu haben, um in Egypten Ordnung zu schaffen. Da sie im Bösen nichts erreichen konnte, versuchte sie es im Guten. Dem General Wolseley wurden von Portsmouth aus mit dem DampferAus- stralia" 100000 Pfund Sterl. in blankem Golde nachgeschickt. Auf dem DampferDeccan" wurden auch einige Soldaten mitgesandt. Wenn die 100000 Pfd. Sterl. dem Mahdi nicht den Garaus machen, dann ist die englische Weis­heit gänzlich erschöpft.

Die zweite Kammer Hollands hat mit 68 gegen 14 Stimmen beschlossen, die bean­tragte Abänderung der Verfassung, wonach während der Regentschaft Verfassungsrevisionen nicht zulässig sein sollen, in Erwägung zu ziehen.

Die ministeriellen Zeitungen von Madrid bringen eine gleichlautende Mitteilung, tu welcher gesagt wird, daß die Umwandlung der spanischen Gesandtschaft am Berliner Hofe in eine Bot­schaft nunmehr bald erfolgen werde. Die deutsche Regierung, io wird hinzugefügt, werde in der nächsten Session des Reichstags die Bewilligung derjenigen Summen beantragen, deren sie zur Umwandlung ihrer Madrider Gesandtschaft in eine Botschaft bedarf. Man glaubt in Madrid, daß auch Oesterreich dem Beispiele Deutschlands folgen werde.

Laudesuachrichten.

* Freuden stadt, 29. Sept. Gestern Nacht um 2 Uhr brach in dem Ziegeleigebäude des Ziegler Joh. Georg Schneider von Schopf­loch Feuer aus, welches auch das angebaute Wohnhaus in kurzer Zeit verzehrte. Die Be­wohner sind beinahe in ihren Betten erstickt. Wie man vermutet, ist ein Quantum in der Nähe des brennenden Ofens aufgespeichertes Stockholz durch herausfallendes Feuer in Flam­men gesetzt worden.

* Stuttgart, 1. Okt. II. MM. der König und die Königin sind heute wieder mit Extrazug nach Friedrichshafen abgeretst. Auf den 8. Okt. ist die Kommission für innere Ver­waltung der Kammer der Abgeordneten einbe­rufen, um die Beratungen des Gesetz-Entwurfs, betreffs die Gemeinde-Angehörigkeit, aufzunehmen. Als Berichterstatter fungierten Beutter und Sachs. Was den Zeiipurkt des Wiederzu- sammentritts des Landtags anbelangt, so hören wir, daß derselbe, wenn überhaupt noch in die­sem Jahr keinesfalls vor 15. dem November erfol­gen dürsre. Bis zu diesem Zeitpunkt wird sich auch die Einbringung des neuen Etats hinaus­ziehen.

* RoLtweil, 30. Sept. (Schwurgericht.) Unter dem Vorsitze des Herrn Landgerichtsrats Lemppenau, nahmen heute die Schwurgerichts­sitzungen mit der Anklagesache gegen Magdalene Fischer von Salzstetten und Genossen wegen Körperverletzung mit nachgefolgtem Tode ihren Anfang. Am 8. Juli d. I. starb der von der Ortsarmenbehörde Sulz dem Straßenwärter Georg Fischer in Salzstetten OA. Horb, am 31. März 1884 auf 3 Jahre in die Pflege ge­gebene, am 27. März 1879 geborene Fridolin Schmidt, Sohn des Uhrmachers F. Schmidt von Sulz, und verbreitete sich in Salzstetten alsbald das Gerücht, das Kind sei in Folge rer von seinen Pflegeltern erlittenen Mißhand­lungen gestorben. Die ganze Familie wurde

dann auch sofort in Haft genommen. Während G. Fischer bald wieder eutlassen wurde, er­gaben sich gegen Agathe Fischer, 50 I. a., Ehefrau des G- Fischer und deren Tochter Magdalene Fischer im Laufe der Untersuchung so schwerwiegende Verdachtsgründe für ihre Schuld, daß beide heute auf der Anklagebank sitzen unter der Anklage: sic haben den Frido­lin Schmidt in einer Reihe von nicht selbst­ständigen Handlungen vorsätzlich und widerrecht­lich in gemeinschaftlicher Ausführung körper­lich mißhandelt und an der Gesundheit beschä­digt, indem sie denselben in bewußtem und ge­wolltem Zusammenwirken aus Anlaß von seiner Unreinlichkeit in bewußter Ueberschreitung des Züchtigungsrechts fortgesetzt heftig mit der Hand, einer Rute und einem Stocke auf Kopf, Rücken und sonstige Körperteile schlugen, öfters uw' länger unter Entziehung seiner ordentlichen Lagerstatt in Abtritt und Stall einsperrten, im Gesichte wiederholt mit seinem Kothe ver­schmierten und sonst auf das Roheste miß­handelten und ihm dadurch versch iedene Ver­letzungen beibrachten, insbesondere eine Hirn­blutung und eine Erschöpfung bei demselben herbeiführten, und es sei durch diese Körper­verletzung der am 8. Juli eingetretene Tod des Verletzten, Fridolin Schmidt, verursacht worden. Die Angeklagten gaben zu, das Kind wegen seiner Unreinlichkeit (die aber gerade durch die Mißhandlung gesteigert wurde) oft gezüchtigt zu haben, allein diese Züchtigungen seien nicht über das vernünftige Maß hinaus- gegangeu und können au dem Tode des Kindes nicht schuld sein; die an dem Kinde gefundenen Verletzungen rühren davon her, daß dasselbe öfters die Treppe hinab und aus dem Bette gefallen sei. Die Angeklagte Magdalene Fischer räumt ein: sie habe dem Knaben nicht nur mit der Hand und einer Ruthe, sondern auch mit einem Stocke einigemal Schläge gegeben aber nur auf das Hinterteil, das furchtbare Schreien des Knaben, der in der letzten Zeit vor seinem Tode schlecht ausgesehen und keine Eßlust mehr gezeigt habe, sei viel daher ge­kommen, daß das Kind beim Auswaschen seiner kranken Nase heftig Schmerzen gehabt habe; am Tage vor seinem Tode sowohl als am Morgen des Todes selbst habe sie und ihre Mutter dem Kinde mit einem Stecken Schläge gegeben, eine Stunde nach der letzten Mißhand­lung sei dasselbe dann gestorben. Die Agathe Fischer will das Kind nur einmal, 3 Wochen vor seinem Tode mit einem Stocke geschlagen haben, mit der Hand habe sie es öfters ge­züchtigt, auch es öfters in den Abtritt einge­sperrt, und ihm einmal den Kopf in seinen eigenen Koty gesteckt! Sehr gravierend lauten die Zeugenaussagen für die Angeklagten. Die Zeugen erklären, das Kind, das anfangs ge­sund und stark gewesen, auch von den Fischer'schen nicht schlecht behandelt worden sei, sei bald mit Schlägen traktiert worden und so herunterge­kommen, daß es bleich undübelsichtig geworden sei; jeden Tag habe man das Schreien desselben gehört. Eine Nachbarin bezeugt, daß das Kind 78 Wochen vor seinem Tode um die Augen herum ganz blau gewesen sei, die Zeugin fragte die Magdalene Fischer nach der Ursache, worauf diese schnell zu dem Kinde sagte:Gelt, du bist die Stiege hinuntergefallen und als es nichts erwiderte, es aufuhr:Balg, verreckter, schwäz!" worauf das Kind ja sagte. Später, an einem Sonntag, habe die Agathe Fischer das Kind zuerst in den Abtritt und dann in den Stall gesperrt; als es da gegen die Thüre gestoßen habe, habe sie es geschlagen, zum Haus hinaus gejagt, es wieder hereingezogen und abermals