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Von der oberen Nagold.
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HK. 68.
Menstaig, Donnerstag dm 12. Juni.
1884 .
L Englische Politik.
In dem englischen Blatte „Fortnightly Review" erschien am Pfingstsonntage ein Artikel, der mit G. unterzeichnet war, und der in ganz Europa das größte Aufsehen erregt hat. Der Aufsatz beschäftigt sich mit den Beziehungen Englands zu den andern Mächten und kommt dabei, nachdem Deutschland und Oesterreich ziemlich kühl abgefertigt worden, zu dem Schluß, daß das eigenste Interesse Englands und seiner Kolonien von seiner Regierung gebieterisch die Unterhaltung freundschaftlicher Beziehungen zu Frankreich und Rußland fordere.
Gerade das Unterzeichnete G. machte den Artikel erst interessant, denn die „Times" behauptete, dieses große G. sei niemand anderes als Gladstone, der englische Premierminister. Allerdings konnte der Genannte sehr wohl der Verfasser sein, denn der Aufsatz spiegelt seine innerste Ueberzeugung wieder; als offizieller Staatsmann durfte er ihr aber diesen Ausdruck nicht geben, wenn er nicht die guten Beziehungen seiner Regierung zu Deutschland und Oesterreich gefährden wollte. Gladstone hat sich denn auch beeilt, durch seinen Sekretär erklären zu lassen, daß er nicht der Verfasser sei.
Die Verfasserschaft ist nun aber auch gleich- giltig gegenüber der Thatsache, daß die in dem Aufsatze niedergelegten Ansichten genau diejenigen Gladstones find, daß der Artikel Zeile für Zeile hätte von dem englischen Premier geschrieben sein können und daß er allgemein als der Vorläufer der Gladstone'scheu Verteidigungsrede im Parlament gehalten wird.
Am auffälligsten ist ein Satz des betreffenden Artikels, welcher besagt: „England könne vielleicht die Besitzergreifung Konstantinopels durch die Russen als eine Thatsache mit größerem Gleichmut ansehen, als manche andere Macht." Dies, in Verbindung mit den obigen Freundschaftsanerbietungen an Frankreich und Rußland ist ein ganzes politisches Programm — aber kein geschicktes. Gleichgültigkeit gegen Deutschland und Oesterreich; Freundschaft für Rußland und Frankreich, Verachtung gegen die Türkei! Wenn gesagt wird, der russische Eisbär könne seine Tatze ungehindert durch England auf Konstantinopel legen, nur Deutschland und Oesterreich würden dagegen sein, so entspricht das den tatsächlichen Verhältnissen. Der „Türke" war für Gladstone von jeher ein Gegenstand der Verachtung und wenn der Halbmond auf das kleinasiatische Ufer Hinübergetrieben werden sollte, würde Gladstone zu seinem Schutze keinen Finger rühren.
Das Eigentümliche an der Sache ist nur, daß die englische Politik dort Bündnisse sucht, wo sie bisher nur Nebenbuhlerschaft erfuhr. Ueberoll, wo die Franzosen ihre Kolonial-Angel auswerfcn, stoßen sie auf englische Interessen und schädigen dieselben; so in Tongking, auf Madagaskar, am Kongo — und überall zieht England den Kürzeren. Das gleiche Schicksal trifft das britische Jnselreich von seiten Rußlands. Dieses rückt seine Grenzen immer weiter gegen Indien vor und wird bald unmittelbarer Nachbar desselben sein. Der Feldzug gegen die Teke-Turkmenen und die Einnahme von Merw müßten England warnen — dies ist jedoch nicht der Fall, es bietet den Russen die Freundschaft an und überläßt ihnen sogar großmütig Konstantinopel. Und dies geschieht in einem Moment, wo Gladstone die von ihm so tief verachtete Türkei braucht, wo er vom Sultan ein Htlfskorps von 15000 Mann erbittet und zugesagt erhält, mittels dessen England der Schwierigkeiten in Aex-ypten Herr zu werden hofft.
Frankreich nimmt natürlich die dargebotene Frenndschaftshand gern an, besonders da keine Gegenleistungen gefordert werden. Rußland dagegen sieht sich seine Verbündeten vorher genau an; es hat nicht den geringsten Grund, einen ffo unzuverlässigen, durch das ägyptische Fiasko geschwächten Verbündeten gegen das reckenhaft starke, nachbarliche Deutschland zu vertauschen, das ihm zudem noch friedliche Beziehungen zu Oesterreich verbürgt. Gladstones Liebesmüh ist dort umsonst.
Tagespolitik.
Die Frage der Einführung der Postsparkassen in Deutschland, über welche schon seit längerer Zeit kommissarische Verhandlungen zwischen den hiebei beteiligten Ressorts stattgefunden haben, ist jetzt, wie die „Berliner Pol. Nachr." hören, soweit zum Abschluß gebracht, daß man im Reichsamt des Innern an die Ausarbeitung des Gesetzentwurfes in Bälde wird herantreten können. Im Großen und Ganzen sind die Grundzüge desselben festgestellt, und nur die Frage, ob eine besondere Instanz für die Verwaltung der Spargelder zu schaffen oder ob hiemit die Verwaltung des Reichsinvaliden- fonds zu betrauen sein würde, soll noch der endgiltigen Entscheidung harren. Der Reichstag wird sich in seiner jetzigen Session jedenfalls mit dieser Angelegenheit noch nicht zu befassen haben.
— Der „Allg. Ztg." wird geschrieben: Unter den während der beiden Psmgsttage sehr zahlreichen Besuchern des Niederwalds bildete das geplante Niederwald-Attentat einen viel ventilierten Gesprächsstoff. Wie ich Ihnen aus zuverlässiger Quelle Mitteilen kann, war dasselbe nicht, wie vielfach angenommen wird, gegen das Denkmal selbst und das vor demselben errichtete Katserzelt projektiert, sondern sollte den kaiserlichen Zug bei der Auffahrt zum Denkmal treffen. Ein Sprengversuch in der Nähe des Denkmals war durch die Vermauerung sämtlicher Bewässerungsröhren unterhalb desselben unmöglich gemacht. Wohl aber wurden in Bewässerungsröhren, über welche der Fürstenzug auf dem Wege zum Niederwald fuhr, Dynamitquantitäten aufgefunden.
— In der italienischen Kammer antwortete der Minister Martini auf die Anfrage, ob die Armee kriegsbereit sei: Seine Politik sei der Friede, den er durch die Allianzen zu fördern gesucht habe. Die Regierung fahre fort in der Organisation der Armee und er würde der erste sein an die Armee zu appellieren, wenn es notwendig sei.
— Der französische Senat nahm mit 156 gegen 115 Stimmen den Gesetzentwurf betr. die Ehescheidung in erster Lesung an.
— Sehr unangenehm wirkt !n London ein Bericht des „Standard" aus Berlin über die Fortschritte der deutschen Seemacht. Es heißt darin, daß Deutschland im Punkte der Küstenverteidigungseinrichtungen England längst aus dem Felde geschlagen. Deutschland richte sein Organisationstalent, das 1870 sich glänzend bewährt, nunmehr auf die Flotte, und es wird nicht lange dauern, so werde man von Deutschland auch als einer Seemacht ersten Ranges sprechen.
— Ein Moskauer Korrespondent der „F. Z." meldet: Aus Kischinew erfahre ich, daß an 3 dortigen höheren Lehranstalten Schüler und Schülerinnen erster und zweiter Klaffe nihilistischer Umtriebe verdächtig waren. Eine angestellte Untersuchung belastete ungefähr fünfzig, welche zur Zeit genauer inquiriert werden.
Die nihilistischen Tendenzen auf den Schulen im Innern des Reiches scheinen zuzunehmen.
— Der Kaiser von Rußland hat au Kaiser Wilhelm telegraphisch seine Freude und seinen Dank für die der Zarin durch die Berliner Bevölkerung bereitete sympathische Aufnahme übermittelt.
LalldesmchriÄen.
Stuttgart, 7. Juui. Sicherem Vernehmen nach werden Seine Königliche Majestät sich nächsten Sonntag den 15. d. M. zum Sommeraufenthalt nach Friedrichshafen begeben. Eine in der letzten Zeit wieder vorgenommene ärztliche Untersuchung hat zwar sehr wesentliche Fortschritte in der Besserung der linken Lunge ergeben, die allgemeine Erholung und Kräftigung dagegen schreiten nur langsam vorwärts und noch immer tritt schnell Ermüdung ein. Es ist übrigens zu hoffen, daß der Aufenthalt in der stärkenden Luft des Bodensees von wohlthätigen Folgen für die Wiedergenesung Seiner Majestät sein wird.
(Auch ein Sittenbild!) Kürzlich gab es zwischen zwei Frauen in der Schmidenerstraße in Cannstatt Streit. Eine der Beiden sagt zu ihrem zwölfjährigen hoffnungsvollen Spröß- ling: geh hin und schlag ihr (der andern Frau) ein paar ins Gesicht! Kaum hatte die Frau Mama ausgesprochen, als die „paar" der ca. 35 Jahre alten Frau von dem Bengel auch schon verabreicht waren. Ob zwar nun der eigentliche Thäter wegen seiner Jugend nicht gerichtlich belangt werden kann, so wird doch die Mutter, welche ihm den Befehl zu der Rohheit gegeben hat, eine empfindliche Strafe treffen.
Leonberg, 8. Juni. Vorgestern hat Forstmeister Herdegen im Staatswald Hirschhäuer und dem Gemeindewald Eltingen 7 Stück Wildschweine aufgetrieben, 2 alte und 5 junge. Die Mutter wurde angeschossen, entkam jedoch, 3 der Jungen wurden von den Hunden zerrissen, die 2 anderen lebend eingefangen, welche wohl und munter sind. Es treiben sich immer noch etwa 20 Stück solcher Schaden bringenden Tiere in unseren Waldungen herum, welchen jedoch schwer beizukommen ist.
Urach, 8. Juni. Gestern nachmittag um 5 Uhr brach dahier im Gasthaus zum „Wilden Mann" ein sehr gefährlicher Brand aus, der das sehr ausgedehnte Hauptgebäude mit Brauerei und ein Nebengebäude bis auf die untern Stockwerke, sowie die angebaute Scheuer vollständig zerstörte und zugleich die vorhandenen großen Malzvorräte vernichtete. Das Vieh und die Mobilien konnten zum größten Teil gerettet werden. Der Brand ist entstanden durch Kinder, welche in der Scheuer mit Feuer spielten.
Ulm, 8. Juni. Gestern abend wurde ein Fremder, bis zur Bewußtlosigkeit betrunken, in der Nähe des Bahnhofs an der Straße liegend aufgefunden und mußte auf einem Handwagen, von einer Schaar großer und kleiner Kinder verfolgt, zur Polizeiwache gefahren werden. Die Nacht verbrachte er 'im Arrest und war, als er heute früh endlich zur Besinnung kam, wie aus den Wolken gefallen, sich an einem so verdächtigen Ort zu befinden. Er gab an, von Wien zu kommen und zu einer Verlassenschaftsauscinandersetzung auf heute Vormittag nach Rottenburg a. N. vorgeladen zu sein. Auf der Durchreise habe er das Ulmer Bier kosten wollen und es habe ihm so gut gemundet, daß ihm im Uebermaß des Genusses der Zweck seiner Reise ganz aus dem Gedächtnis entschwunden sei. — Heute Vormittag ist Hr. Professor Dr. Gustav Jäger hier durch-