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Dorfe, die haben so etwa? noch nie gesehen, der alte Muselmann soll eine Quelle des Spasses für meine Strickschule werden.* Sie hielt dem Professor die kleine Hand hin. „Ich bedanke Wich auch*, sagte sie, und ihre blauen Augen sahen ihn herzlich an. „Haben Sie meine Schwester schon gesehen?* fragte sie dann, „und haben Sie denn schon Frühstück bekommen?*
„Man wird mich wohl zur Zeit rufen, lasten Sie mich noch ein wenig hier verweilen*, bat er, „es ist für einen Städter ein fesselnder Anblick, hier Hof und Garten im Sonnenschein.*
„Ja, es ist auch gerade in diesem Jahr zu schön*, sagte Dora, „und morgen ist Pfingstfest*. Sie hob das junge Gesicht zu dem lichtblauen Himmel auf, frische Lust glänzte auf ihren Zügen, ihr Blick streifte auf den nahen Hof. „Da kommt ja Heinz!* rief sie freudig »nd ging einem kleinen barfüßigen Jungen entgegen, der sich ihr zutraulich näherte.
Dora nahm von einer Bank am Hause ein Weißes Bündel. „Siehst du, Heinz*, sagte sie, „da sind die versprochenen Festkuchen, siehst du, lieber dummer Junge, daß es nun doch welche für euch giebt, wenn auch daheim die Mutter krank ist.* Sie löste einen Zipfel des Tuches und ließ den Jungen in das Bündel hineinschielen. „Aber die Hände!* rief sie dann. „Heinz, pfui, die garstigen Finger, daheim gehst du aber gleich ans Wasser und wäschst sie rein, und sage der Schwester Kathrin, sie solle dich tüchtig durchbläuen, wenn du wieder das Waschen vergißt.* Sie sah dem bei aller Freude jetzt beschämt davontrabendeu Jungen nach. „Seine Mutter ist so lange krank*, sagte sie dann zu Leßner, wie zur Entschuldigung des kleinen Gescholtenen.
Sie gierigen zusammen hinein, im Zimmer fanden sie schon die junge Hausfrau, und gleich darauf kam Werner vom Hofe hinein; es gab viel Gelächter wegen der Angelegenheit mit dem gestrickten Muselmann, über den Dorchen ganz glücklich war. „Ich will ihn Nacharbeiten*, rief sie immer wieder, „paß auf, Lina, zu Weihnachten hat jedes Kind feinen Türken.*
Wenn der Professor ihr kindliches Lächeln hörte, wenn er die zierlichen Bewegungen, gleich denen eines spielenden Kätzchens, sah, dann sagte er sich, sie ist ein Kind, und dann, wenn er wieder ihre klaren Augen so verständig und aufmerksam den Gesprächen der Männer folgen sah, dann wußte er, daß das heitere Kind ein frisches, gut geschultes Verständnis auch für ernste Dinge haben müsse.
Werner erhob sich zuerst, er blickte etwas unsicher zu seinem Gaste hin. „Ich muß nun ins nächste Dorf zur Versammlung,* sagte er, „der Weg dahin ist zu Pferde nicht weit, aber was sollst du dort zwei bis drei Stunden machen, während ich mich mit den Leuten dort wegen unserer Wegeverbesserungen herumärgere?*
„Ich bleibe lieber zurück," meinte Leßner.
Werner sah etwas verlegen zu seiner Frau hinüber. „Es ist nur, weil L'na heute noch
so viel zu thun hat*, sagte er langsam; wir Landleute sind immer ein Vierteljahrhundert hinter der Zivilisation zurück, ich habe gedacht: mit Briefbekommen und dem Entschluß und der Herreise kann er vor heute nachmittag nicht hier eingetroffen sein, aber bei Euch geht eben alles mit Dampf. Ich habe mich so großartig auf dein Kommen gefreut, und nun wirst Du denken, du —*
Leßner klopfte ihm auf die Schulter. „Nichts davon*, sagte er, „je freier wir uns zu einander stellen, je mehr spricht das für die gute Art unserer Zusammengehörigkeit.*
„Soll dir,* sagte Werner, „am Ende Dorchen —*
Der Professor nickte dem ihm freundlich zugewendeten Gestchtchen der jungen Dame zu. „Wollen wir einen Gang durchs Dorf und in den Wald machen?* fragte er erfreut.
Eine Stunde später, als Werner wohl schon im Kreise der Dorfweisen redete, und Frau Lina, für alle Außenwelt unnahbar, in Küche und Keller herrschte, da machte sich Hans Leßner mit seiner jungen Begleiterin auf den Weg. Die kleine Schönheit hatte nicht zu viel an ihrem Anzuge zu ordnen gefunden, lange Filethandschuhe und ein breitrandiger Strohhut, das war ihr ganzer Promenadenausputz.
Nach einigen vergeblichen Protesten von seiten Dorchens hatte sich Leßner eines Teiles der verschiedenen Päckchen, Körbe und Säckchen bemächtigt, mit denen das Mädchen ihre Wanderung antrat; es mußten noch manche Liebesgaben zum Fest in verschiedene Hütten getragen werden, das hatte Dorchen ihrem gelehrten Begleiter anvertraut und sie hatte mit ihm zutraulich beraten wie die Reihenfolge der Besuche sein sollte, um die unbequemsten Päckchen zuerst loswerden zu können; dem alternden Gelehrten war es, als ob er halb im Traume wandelte da er so beladen durch die staubigen Dorfstraßen ging und das frische Mädchen so herzig mit ihm plauderte.
Denn Dorchen kannte ihn ja so gut, gestand sie ihm, Schwager Otto spräche ja allezeit mit so viel Liebe von ihm, ja, sie wußte von manchem Jugenderlebnis der beiden Männer zu berichten, aus guten und bösen Tagen, und immer wieder sprach sie davon, wie alle in Wiesenheim gewünscht hätten, die abgeschickte Einladung möchte angenommen werden. „Und was für ein Bild machten Sie sich wohl von dem erwarteten Besuch?* fragte Leßner.
Dorchen sah ihn von der Seite an. „Aber heraus mit voller Wahrheit,* mahnte der Professor.
Dorchen lächelte verlegen. „Ich dachte an meinen früheren Lehrer und erwartete, daß Sie eine Brille tragen würden", sagte sie ausweichend.
„So, lieben Sie denn die Brillen?* fragte Leßner, um nur etwas zu sagen, denn er war, trotz aller Gelehrsamkeit, doch Mensch genug, um zu fühlen, daß das Mädchen ihn fiL bau
licher und ärger vorgestellt hatte, als er ihr jetzt vorkam, und er freute sich dessen.
„O nein!*
„Das ist nur gut," meinte der Professor. Sie schritten schweigend weiter. Nach und nach wurden die verschiedenen Päckchen abgegeben, manch' dankbare Frau folgte mit thränenden Augen der jungen Wohlthäterin bis auf die Straße und wünschte Gottes Segen auf ihr Haupt.
„Sie haben eine offene Hand*, sagte Leßner warm, als die Geschenke alle verteilt waren und die Beiden nun frei dem Walde zuschrttten.
„Das danke ich meiner Schwester, sie weiß, wie es mich jetzt beglückt, Not zu lindern oder ein Stückchen glänzenden Ueberfluffes in den dürftigen Haushalt der sparsamen Arbeiter fließen zu lasten, die ihn so selten kennen lernen und die ihn doch so sehr verdienen. Sie glauben nicht, wie gut meine Schwester ist, sie gibt so gern, aber sie hat mich auch gelehrt, durch kleine Entbehrungen und Einschränkungen an meiner eigenen Person zu erfahren, wie durch Wohlthun jedes Opfer uns versüßt wird.
(Fortsetzung folgt.)
Vor kurzem erst wurde von Brockhaus' Conversations-Lexikon, dreizehnte Auflage, der siebente Band vollendet, und jetzt liegen bereits zwei Drittel des achten Bandes, das 106.—115. Heft, vor. Der Text wird darin mit gewohnter Vollständigkeit und präciser, fachkundigster Darstellung bis zum Artikel Gustav III. fortgeführt. Unter den zahlreichen Abbildungen und Karten fesselt den Blick vor allen die farbige Doppcltafel Giftpflanzen, ein Chromobild, das die natürliche Färbung der Gewächse, ihrer Stengel, Blätter und Blüten, mit überraschender Treue wiedergibt und dem Werke wahrhaft nur Zierde gereicht. Wie bei dieser Tafel kommt der Farbendruck außer bei sämtlichen Landkarten überhaupt da zur Anwendung, wo das Colorit für anschauliche Darstellung der Gegenstände erforderlich oder für die Hervorhebung unterscheidender Merkmale von besonderer Wichtigkeit ist. Wir erwähnen bei dieser Gelegenhei: noch, daß die Verlagshandlung, vielfach geäußerten Wünschen entsprechend, eine neue unveränderte Lieferungsausgabe der 13. Auflage veranstaltet, von der jede Woche ein Doppelheft erscheinen soll. Es ist dadurch wieder die Möglichkeit geboten, mittels einer wöchentlichen kleinen Zahlung in den Besitz des ganzen umfangreichen Werks zu gelangen^
Vermischtes.
(Der Gerichtsvollzieher als Doktor.) A: „Höre mit Vergnügen, daß Ihre Frau Gemahlin jetzt gesund ist. Früher hatte sie häufig Ohnmachtsanfälle?* — B.: „Seit man uns die aepolsterten Möbel gepfändet hat, haben die Ohnmächten aufaebör^.
Für die Redaktion verantwortlich: W. Rieker in Altenkaig
„Ich weiß nicht, ob Sie gehört haben, daß ihr Koustn, der Leutnant, morgen zu Besuch kommt!* zischelte Tante Zölestöne.
Die andern Tanten sagten nichts. Sie schüttelten blos den Kopf »nd blickten gen Himmel; aber als die alte Lisettc mir die Thür aufschloß, flüsterte sie: „Der Herr sollte nur wissen, waS ich weiß, dann bedächte er sich nicht lange zu kommen."
Ich bedachte mich auch nicht mehr. Am folgenden Abend stand ich auf den Glockenschlag fix und fertig, als ein Freund von mir, der ebenfalls eingeladen war, mich abzuholen kam. Ich war mit einer Eleganz ausgerüstet, die fast meine eigene Bewunderung erregte: eine außerordentlich gut geglückte Frisur, ein nagelneuer schwarzer Anzug und «in unvergleichlich schönes gesticktes Halstuch, das die kleine Constanze Mir verehrt hatte, ein Paar Lackstiefel, so neu und so klein, daß ich fast nicht wußte, auf welchem Bein ich stehen sollte, ein Hut der direkt vom Hutmacher kam — allerdings zum zweiten oder dritten Mal, und end ltch — unerhörter Luxus! — ein Paar wirklich französische Glaceehandschuhe!
„Wenn du heut abend dein Glück nicht machst,* sagte mein Freund, als er mich vom Scheitel bis zur Sohle betrachtet hatte, „dann machst du es nie.*
Ich selbst dachte etwas Aehnliches, und wir bekamen alle beide Recht. In meiner überschwenglichen Freude wollte ich einmal durchs Zimmer tanzen, um ihm meine Fertigkeit in der neuen Kunst zu zeigen; — jetzt kommt der kleine Zufall, welcher über mein Leben entschied — bei dem ersten Sprung trat ich auf die verhängnisvolle schwarze Kugel, welche der kleine Peter meiner Waschfrau hatte fallen lasten, als seine Mutter mir die Wäsche brachte. Mein rechter Fuß glitt aus, mein li»kes Kniee berührte den Boden und meine herrlichen schwarzen Bein
kleider, die wahrscheinlich in der Färberei verbraunt worden waren, harren in demselben Augenblick drei gähnende unheilvolle Riffe! — Da lag ich mit all' meinen Ballhoffnungen! Ich brauche Ihnen natürlich nicht zu erzählen, daß die Vorbereitungen zum Ball meine Finanzen vollständig erschöpft batten, und daß meine Garderobe damals keine Dou- bletten kannte, am allerwenigsten von Galastücken. Nachdem wir eine geraume Zeit mit unnützen Klagen und Untersuchungen verschwendet hatten, machte mein Freund mir ein großartiges Anerbieten. Er wollte zu Hause bleiben und mir seine Unaussprechlichen überlasten: Achilles müßte diesmal in Patroklus Rüstung kämpfen l Dieser Vorschlag ver- anlaßte selbstverständlich einen langen Wettstreit der Großmut, der erst endete, als uns eine Probe handgreiflich und augenscheinlich die traurige Ueberzeugung gab, daß seine Unaussprechlichen nicht im Verhältnis standen zu seinem Edelmut: meine Knöchel waren vollständig unbedeckt, und es war mir kaum möglich, in diesem allzuengen Pantalons zu gehen, geschweige denn zu tanzen. Wiederum vergeudeten wir jetzt eine gute Weile mit furchtlosen Klagen; aber die Freundschaft meines Kameraden war noch nicht erschöpft. „Wart' einen Augenblick! Ich weiß, wo welche zu haben sind," rief er und stürzte die Treppe hinunter. Das ward ein langer Augenblick. Nachdem er anderthalb Stunden auf den abenteuerlichsten Expeditionen umhergekreuzt war, um den Besitzer des erwünschten Kleidungsstückes zu entdecken, kehrte ec mutlos mit der Nachricht zurück, daß der betreffende verreist sei und die Pantalons mitgenommen habe. „Denken wir nicht mehr daran! Ich bleibe heut abend bei dir zu Hause!* sagte die ehrliche Seele. „Hier Hab' ich einen Hummer und eine Flasche Punsch als Zugabe zum Abendbrot», und wenn wir gespeist haben, spielen wir Dame — auf diese Weise werden wir die lange» Abendstunden schon totschlagen.* (Fortsetzung folgt.)