lange gezögert hatte, war jetzt im sommerlichen Gewand gekommen, die Welt war um einige kühle Frühlingswochen betrogen.
Der Professor gteng zum Fenster und öffnete es.
Der weite Marktplatz vor ihm lag still und öde, nur dort hinten an der Straßenecke flackerte das Licht in einer Nachtlaterne und plätscherte das Wasser des Röhrbrunnens in das große Bassin hinein. Die weiche, warme Nachtluft quoll dem einsamen Manne entgegen; im Käfig an des Nachbars Hause sang eine arme gefangene Nachtigal ihr Lied von Sehnsucht und Liebe und es klang traurig und schön zugleich, es bewegte den Zuhörer seltsam.
Und dann, als er länger in die stille Nacht hinaushorchte, da hörte er auch ein leises Flüstern von Menschenstimmen, das heimliche verhaltene Lachen einer frischen Mädchenkehle und den tiefen zärtlichen Ton einer Männerstimme; das war sicher die junge blonde Magd der Wirtin, die mit ihrem Liebsten plauderte.
Der Professor seufzte etwas, er sah zu den funkelnden Sternen an dem dunkeln Nachthimmel auf, und Gedanken an das unendliche Weltall zogen durch seine Seele. Ja, groß ist die Welt, bevölkert von Millionen von Menschen, wie das Himmelszelt von den unzähligen Sternen und jeder Stern für sich eine Welt, wie jeder Mensch in sich seine eigene Welt herumträgt. — Das leise Liebesgeflüster scholl von der Straße her bis in das Zimmer hinein, zärtliche Abschieds- küffe wurden gegeben und genommen, und ein treues „Auf Wiedersehen!" wurde gewechselt, dann klappte leise die Hausthür, und verstohlene Tritte huschten die Treppe hinauf.
Fast drängte es den Horcher, die Thür seines Zimmers zu öffnen und die Hinaufschleichende anzusprechen; er wollte sehen, wie wohl ein glücklich liebendes Menschenkind in solcher Stunde aussehen möchte, allein er that es nicht.
Langsam schritt der Professor dann in seinem Zimmer auf und ab, vom Tische nahm er einen Brief auf und überlas noch einmal die Worte darin. Er las:
„Alter Junge, du mußt kommen, es verfängt bei mir keine deiner sonstigen Entschuldigungen; ich glaube ebenso wenig an notwendige Prtvatstudien, als an gebotene Schonung deiner überangestrengten Natur durch stilles Nichtsthun in deiner Klause. Ich verlange deine Gegenwart, ich schmachte nach dir. Ich schmachte, meine Line schmachtet nach dir, und meinetwegen unser kleines Dorchen auch. Du weißt nicht mehr, was ein Wald zur Pstugstzeit sein kann, du mußt es aber wieder wissen, ehe dein Haar völlig grau ist. Ich erwarte dich unbedingt. Du mußt kommen. Denke nur nicht, daß ich dich in meinem Wägelchen — denn der Pächter von Wiesenheim verfügt über eine hübsche kleine Britschke — von der Bahnstation abholen lasse, bewahre, schleppe du von Groß - Sclendorf an dein Ränzlein nur getrost selbst die zwei Stun
den durch den Wald zu uns hin, daS gelte als Vorkur für den Bücherwurm, du kannst den breiten, direkt zu uns führenden Weg nicht verfehlen. Und somit auf Wiedersehen, wenn nicht früher, so doch sicher am ersten Feiertage bei der Morgenarbett vor dem Riesennapfkuchen meiner Frau Liebsten."
Dtto Werner»
Lächelnd legte der Professor den Brief nieder, er reckte seine breiten, etwas gebeugten Schultern, als spüre er schon die Last des Rän- zels, den er durch den Wald tragen sollte, zwei Stunden lang. Wo waren die Zeiten hin, da sein Rücken solche Lasten gewöhnt war, wo er und eben dieser Otto Werner durch den schönen Wald gezogen waren als freie lustige Studenten, frische Buchenreiser auf den verwetterten Hüten? O Jugendzeit! Jugendzeit!
Er sah auch die hohen Bücherschränke mit ihrem kostbaren Inhalt, — das war der Wald, in dem er jetzt sich zu ergehen liebte, daraus pflückte er sich jetzt die Blumen, deren Duft ihn entzückte. — Und doch, es gab andere Blumen in der Welt; das junge Paar, das eben unten geflüstert hatte, das hielt sie in ihren glücklichen Händen, und sein Freund Otto Werner, der hatte sie auch daheim an seinem Heerd, wo sie ihm aus den Augen von Frau und Kind entgegenglänzten. Der junge Studtrende von damals, der nach dem Tode des Vaters dann so rasch alles Studieren aufgebm mußte, war Landwirt geworden, nach langen Jahren unselbstständiger Thätigkeit im Dienste anderer war er jetzt selbstständiger Gutspächter geworden, der Atem des offenen Landes hatte ihn gewiß kräftig und frisch erhalten, und seit kurzem war er verheiratet.
„Meine Line und unser kleines Dorchen!" Wie wunderlich das klang in Verbindung mit dem Namen Otto Werner; wirklich schon so lange war er verheiratet, daß dem Hause schon ein Kindchen geschenkt sein konnte?
Sie riefen ihn zu sich, doch was sollte der alte Junggeselle im Kreise ihres jungen Glückes? Er wollte daheim bleiben. — Allein die Nachtigall schlug noch immer so süß. dem einsamen Manne wurde seltsam zu Mute, er legte seine Hand an die steifen ledernen Einbände der Folianten, die eine Zierde seiner Bücherbretter waren und sein Stolz, sie waren kalt und steif, und aus der Ferne lockten ihn andere Stimmen zu Waldesduft und zu den glänzenden Augen eines kleinen Kindchens, das glückliche Eltern ihm zeigen wollten.
Und endlich gieng er in die Nebenkammer holte seine alte, arg verstaubte Reisetasche, wischte emsig mit Tüchern an ihr herum und erschrack fast, als er dabei ein Liedchen zu pfeifen an- fieng. Er lachte dann, stopfte das Ränzlein voll mit etwas Wäsche, Kleidern und Schuhen, kleidete sich aus und löschte das Licht, aber noch während er schon mit dem Schlafe kämpfte, griff seine Hand zuweilen nach dem Ranzen auf dem Stuhle am Bett, um sich zu verge
wissern, daß also wirklich seine Reise morgen mit dem Mittagszuge beschlossene Sache sei.
Als Hans Leßuer am andern Nachmittag auf dem Bahnhof in Groß-Seleadorf sich bestätigen ließ, daß es nach Wiesenheim wirklich noch zwei gute Stunden durch den Wald war, wog er doch bedenklich den schweren Ranzen, den sein Rücken jetzt aufnehmen sollte; er hatte sicher viel zu viel hineingepackt; er schleppte hier Sachen für einen viertägigen Aufenthalt mit sich und wollte doch den größeren Teil seiner Ferienzeit wieder daheim bei seinen Büchern zubringen. Er klopfte ärgerlich auf den weit aufgebauschten Deckel des Ranzens! wie lächerlich das nun sicher aussah, warum hatte er sich auch noch in der letzten Stunde verleiten lassen, für das kleine Dorchen den großen gestrickten Türken zu kaufen, dessen plumpe Glieder man ordentlich durch den ledernen Ränzeldeckel hin- durchsehen konnte. Nach vielem Schütteln und Rütteln saß endlich die Last bequem genug auf den Schultern, und die Wanderung konnte beginnen.
Der Waldesschatten milderte die kräftige, späte Nachmittagssonne, die harzigen Kiefer- stämme dufteten stark, und es schritt sich gut auf dem weichen moosigen Waldboden, der ungewohnte Weg mit der seltenen Bürde war viel angenehmer, als Leßner es gedacht hatte. Welch herrliche Luft, von tausend kräftigen Wohlgerüchen erfüllt, welch' Farbenspiel auf Stamm, Laub und Nadeln der Bäume, welche Fülle der Blumen, welch' süßer Vogelgesang! Hans Leßner wollte nicht immer vorwärts gehen, er wollte rasten, ruhen und durch die hohen Kieferstämme nach dem tiefblauen Himmel aufschauen, an welchem die zartgefärbien frühen Abendwölkchen langsam dahinsegelten.
Am Fuße der wenigen Buchen, welche den Nadelwald belebten, setzte er sich nieder und ließ seine trunkenen Blicke um sich her schweifen. Ueber ihm in den grünen Zweigen jubelten die Finken, jetzt kam ein Pärchen von oben herunter geschossen: hüpfend, flatternd kollerten sie dicht vor des Mannes Füßen auf dem Moosteppich übereinander im fröhlichen Spiel, dann flog das eine Vöglein auf, ein leiser Lockruf rief auch das andere, und wieder hob oben in den Zweigen der lustige Gesang von Neuem an. (Fortsetzung folgt.)
Für die Redaktion verantwortlich: W. Riet er in Altenstaig
Mit sechs Pfennigen
täglich kann man eine gründliche Reinigung seines Körpers herbeiführen und hierdurch einem Heer von Krankheiten Vorbeugen, welche durch Störungen im Ernährungs- und Verdauungsleben hervorgerufen werden. Wir meinen die Anwendung der Apotheker R. Brandt's «chweizerpillen als Reinigungscur. Erhältlich in den Apotheken.
meines Eremltenlebens wurden durch ihren Namen ausgesüll! — es war eine fünf Jahre alte Liebe, die sie in fünf Minuten eroberte. Wie gesagt, ich war sehr verliebt. Sie war die Tochter eines reichen Kaufmanns -"
„Hm!" schaltete unser schöner Reisekamerad ein und nickte kaum merklich lächelnd zwei, dreimal mit dem Kopfe.
„Ich machte ihre Bekanntschaft in den Sommerferien, die ich mit einem Kameraden bei dessen Vater zubrachte, der in einer schönen, aber einsamen Gegend Schullehrer war. Das junge Fräulein war zu einer Tante, der Frau eines Rittergutbesttzers, ebenfalls in jene Gegend zu Besuch gekommen, und langweilte sich aus Herzensgrund über das einförmige Landleben auf dem Gute, wo sie weder Gesellschaft noch Zerstreuung harte. Ihr Onkel lebte nur der Landwirtschaft, und von oen schönen Künsten kannte er nur l'Hombre und Skat; die Tante war eine liebe, gutmütige Frau, und so redselig, daß man zuweilen sogar fürchten mußte, sie könnte sich überanstrengen, aber sie hatte in ihrem Haus halt und in ihren fünf Jungen so reichen Stoff zur Unterhaltung, daß ihr Gedankenflug niemals über den Hofraum hinauskam.
„Dann war da noch eine alte unverheiratete Tante, aber sie war so schwerhörig; endlich war auch eine Art Bibliothek vorhanden, aber sie enthielt nur allgemein nützliche und moralische Werke. Dies alles erzähle ich nur, um Ihnen begreiflich zu machen, wie eine Dame, die von Kindheit an von reichen, eleganten Anbetern umringt gewesen, ihren Blick auf eine iso verschwindende Größe, wie es der arme schüchterne Student war, richten konnte. Wo man der einzige ist, wird man der Erste — das war die Erklärung des Wunders. Das schöne junge Mädchen bedurfte der Zerstreuung, und da draußen auf dem Lande war ick der Einzige, mit dem es sie amüsierte, sich zu unterhalten; aber da ich
aus gewohnter Verschämtheit und Verzagtheit mich zurückhiell, so mußte sie mir entgegenkommen, und auf diese Weise war ich der Erste, der sich eines solchen Glückes rühmen konnte. Sie war zugleich die Erste, die mir eine solche Aufmerksamkeit erwiesen, und in dem Augenblick, wo man der Erste wird, wird man auch immer der Einzige. Insofern zwei Liebende sich gegenseitig zu ergänzen suchen, konnte man kaum ein Paar finden, das besser zusamunnpaßte, denn wir bildeten vollständige Gegensätze: sie war reich und schön und infolgedessen voller Mut. fast Ueber- mut gegenüber der Welt, und noch blind gegen ihre eigenen kleinen Unvollkommenheiten, über die sie niemals Zeit gehabt hatte nachzudenken — ich dagegen war häßlich und so arm, wie eine Kirchenmaus, hatte aber eben deshalb Gelegenheit gehabt, alles das zu lernen, was sie nicht gelernt hatte. Sie begann damit, mir Mut einzuflößen — das war etwas neues, sowohl für sie, die nur gewohnt war, ihren Verehrern zu imponieren, als auch für mich, der sich bisher vom ersten besten hatte imponieren lassen. Ich benutzte meinen Mut sofort dazu, ihr die Wahrheit zu sagen, sobald sie etwas Ungereimtes sagte, und das fast komische Erstaunen, mit dem sie meinen Widerspruch anhöcte, überzeugte mich, daß auch dies etwas ganz neues für sie war.
„Hat man je so etwas gehört!" rief sie lachend. „Sie sagen mir gerade ins Gesicht, ich hätte Unrecht — so unartig ist noch nie ein Herr gegen mich gewesen. Aber fahren Sie nur so fort: das ist ungeheuer amüsant/'
„Und ich fuhr fort. Ich sagte ihr jeden Augenblick Wahrheiten, die sie nie zuvor gehört, und sie bückte mich mit einem schelmischen, mißtrauischen Lächeln an, als erzählte ich ihr ein Märchen. Sie war entzückend.
(Fortsetzung folgt.