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Gendarmen von auswärts zur Verstärkung der hiesige» Sicherheittmannschaften beigezogen. Die Arbeiterzüge waren heute früh sehr schlecht besetzt. Heute Vormittag fand im Saalba« eine Versammlung der am Samstag und Freitag Ausgesperrten statt, die völlig überfüllt war. Zirka 4000 Personen waren da. Am Mittwoch beschließen die Arbeitgeber, ob sie alle Fabriken hier stilllegen wollen.
München 28. Nov. Der Aviatiker WinczierS flog gestern vom Exerzierplatz Oberwiesenfeld aus über das Zentrum der Stadt und führte zwei Flüge um die Türme der Frauenkirche au».
Berlin 28. Nov. (Reichstag) Am Bundesralstisch: der Reichskanzler, die Staatssikce- täre v. Lisco und Delbrück sowie Minister Breitenbach. Präsident Graf Schwerin-Löwitz eröffnet die Sitzung um 2.20 Uhr. Ohne wesentliche Debatte wird der Gesetzentwurf betr. den Schutz des zur Anfertigung von Reichsbanknoten verwandten Papiers gegen unbefugte Nachahmung in zweiter Lesung unverändert angenommen. Es folgt die erste Beratung des Gesetzentwurfes betr. den Ausbau der deutschen Wasserstraßen und die Erhebung von SchiffahrtSabgabrn. Reicbskanzler v. Bethmann- Holl weg: Der Entwurf bezweckt, an den Kosten für den Ausbau der Wasserstraßen auch die Interessenten teilnehmen zu lassen. Die Steuerzahler sollen sie nicht allein tragen. Diese Ansicht hat sich allmählich mit dem Wachsen des Schiffahrtsverkchrs und der großen Wasserbauten hrrausgebildet. Diese Strömung hat sich nicht bloß in Preußen gezeigt. So werden seit 1886 Schiffahrtsabgaben auf der Weser erhoben. Das würde auf die Elbe und soll auch auf andere Ströme ausgedehnt werden. Staatsrechtlich wurden 8 54 der Retchsverfassnng und wirtschaftlich gewisse Interessen dem enigegengehalten. Preußen ist sehr vorsichtig an dis Frage herauqe- treten. Man benutzte den genossenschaftlichen Gedanken der Bildung von zwischenstaatlichen Zweckverbänden. Das große gemeinsame Interesse der Entwicklung der Schiffahrt soll auf einer gesicherten und geregelten finanziellen Basis auf die Beteiligten verteilt werden. Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf ist vom Bundesrat einmütig beschlossen worden. Diese E nmü igkeit hat erzielt werden können durch allseitige Betätigung desjenigen Geistes bundesfieundlicher Gesinnungen, der das wechselseitige Verhältnis zwischen den Regierungen beseelt und der bereit gewesen ist, durch Opfer von urivlüng- lichen Meinungen und Zielen dem Interesse der Allgemeinheit zu dienen. Ich hoffe, daß nun auch der Reichstag den Grundlagen zustimwen wird, auf denen sich der weitere Aufbau des deutschen Wasserstraßennetzes vollziehen soll. Erst nach Verabschiedung des Gesetzes wird der Zeitpunkt gekommen sein, um mit den auswärtigen Staaten in Verbindung zu treien, wenn sie an den öffentlichen deutschen Wasserstraßen beteiligt sind. Ich habe dieses Ziel in deu sreundlichen Beziehungen verfochten, die uns mit den Nachbarstaaten verbinden. Wir werden diese davon zu überzeugen suchen, daß die von uns
verfolgten verkehrspolitischen Ziele und die dazu angewandten Mittel ihnen allen zugute kommen werden und hoffen, daß wir auf diesem Wege gegenseitiger Verständigung den beiderseitigen und all- seitigen Interessen am besten dienen werden. (Bravo!) Minister der öffentlichen Arbeiten Breitenbach: Der vorliegende Entwurf ist nach den Vorverhandlungen der verbündeten Regierungen in weitem Umfange sicher, namentlich.: nachdem wir den Gesichtspunkt vorangestellt haben, daß nicht anderweitige Zwecke damit ve folgt werden, sondern daß die einkommenden Mittel lediglich zu Schiffahrtsverbesserungen verwendet werden sollen. Ueberbaupt sollen Abgaben nicht eine neue Einnahmequelle werden. Die Schiffahrtsabgaben sind nach oben festgelegt. Dabei ist den vom Meere weitentfernten Gebieten besondere Fürsorge zu teil geworden dadurch, daß die normalen Sätze in der Erwägung, daß die Brauchbarkeit der Ströme zur Quelle hin abnimmt, abgeftuft sind. Eine bedeutsam- Neubildung sind die Strombeiräte, die Mitwirken sollen an dem Aus- bau der deutschen Ströme. Derartige Einrichtungen haben wir bereits in Preußen, wo diese Körperschaften beratend Mitwirken. Es ist daran festzuhalten. daß schon jetzt nach Art. 54 der ReichS- verfassuno auf drnjenigen Strömen Abgaben erhoben werden können, bei denen die Methode der Kanalisierung angewandt worden ist, darin sind die Bundesregierungen einig. Wir wünschen und hoffen, daß der Ausbau des preußischen Wafferstraßennetzes auf der vorgesehenen Grundlage dem deutschen Verkehr und damit auch dem Reiche nützen wird. Abu. am Zehnthoff (Ztr.): Eine Kommission von 28 Mitgliedern erscheint wünschenswert, damit an den Beratungen möglichst viel Landesteile beteiligt find. Ueber die Frage, ob Schiffahrtsabzaben erhoben werden dürfen oder nicht kann kaum etwas Neues gesagt werden. Meine Freunde müssen sie bejahen. Sie entsprechen der Billigkeit und ausgleichenden Gerechtigkeit. Da bei den Eisenbahnen neben dem Ziel und der Wagenmiete durch die Frachten oder Fahrkarten auch der Schienenweg mitbezahlt werden muß. so muß auch bei den Flüssen der Fahrweg für seinen Ausbau und seine Instandhaltung mitbezahlt werden. Wenn die Jnteressenten nicht beran- gezogen werden zu den Kosten, so w'rd in absehbarer Zeit berzlich wenig für die Flüsse geschehen (sehr richtig!). Ich sehe nicht ein, weshalb der Ausbau des Wasserstraßenweges auf Kosten der Steuerzahler erkolgen solle. Eine Wiederherstellung der alten Flußzölle, die als reine Firanzzölle gelten, ist nicht beabsichtigt. Wir stimmen grundsätzlich dem 8 1 des Antrages zu, behalten uns aber für die Kommission mehrere Verbesssrungsant:äge vor. Insbesondere wollen wir, daß. wie die staatlichen Wasserstraßen, auch die komumnalen nur Erhebung der Selbstkosten berechtigt werden. Das Schleppen sollte der Staat selbst ausüben oder es ganz fallen lassen, aber nicht an Privatgesellschaften verpachten. Redner geht deS'weiteren auf die Einrelbestimmungen, Frachtsätze usw. ein. Abg Kreth (kons.): Die einstimmige Annahme des Entwurfs im Bundesrat erübrigt auf die Vorgeschichte, namentlich auf Art. 54 einzugehen. Wir Konservative find mit dem Grundgedanken der Vorlage einverstanden. Unsere sächsi
schen Freunde werden ihren etwas abweichenden Standpunkt selbst begründen. Der Kommissions- beratung stimmen wir zu. Die Aufwendungen in Holland für Uferbauten sind entgegen einer früheren Annahme recht erheblich. Abg. Frank-Mannheim (Soz.): Der Entwurf ist nicht verkehrsfreundlich; wir lehnen ihn ab. Die jetzige Einmütigkeit der Bundesstaaten will nicht viel heißen, wer weiß, wie sie zustande gekommen ist. Der Ausbau der Wasserstraßen wird das ohnehin teure Boot noch verteuern. Es fehlt der Vorlage jede genügende Begründung; sie will nur Preußen stärken. Wie verhalten sich Holland und Oesterreich? Die reaktionäre Politik des Reiches schafft ohne Nutzen Konflikte selbst mit unseren Freunden. Die Vorlage soll nur der Wucherpolstik dienen. Wölzl (natl): Ein Teil meiner Freunde steht der Einführung der Schiffahrtsabgaben freundlich gegenüber. Abg. Kämpf (fortschr. Vp.): Die Vorlage verstößt gegen die Verfassung und wirft ein grelles Licht auf die innerpolitischen Verhältnisse der Einzelstaaten. Der Mittellandkanal wird durch die Vorlage aussichtslos; sie schädigt also unsere Ströme und damit die Machtstellung des Reiches. Von ausgleichender Gerechtigkeit ist nichts zu spüren. Frhr. v Gamp (Reichsp): Eine Schädigung unserer Industrie ist nicht zu erwarten Preußen kann man keine Vorwürfe machen Der Mittellandkanal hat damit nichts zu tun. Preußen hat ebensowenig hier wie in anderen Dingen einen unangemessenen Druck ausgeübt. Die überwiegende Mehrzahl mener Freunde wird für die Voilaze stimmen. Vogt- Hall (wirtsch. Vgg.): Der größte Teil meiner Freunde mit Ausnahme der sächsischen Abgeordneten, steht dem Entwürfe sympathisch gegenüber. Eine zu große Belastung wird den Interessenten nicht auferlegt, weil die Einnahmen wieder dazu verwendet werden, im Oberlande die Schiffahrtswege zu verbessern. Man sollte einen früheren Fehler vermeiden und die Vereinheitlichung der deutschen Strorrsch'ffahrt nicht ebenso verpaffen wie seiner Zeit die Schaffung der Reichseisenbahnen. Es sprachen noch Grögotre (wildnat.) und Minister Brettenbach. Morgen Weiterberatung, außerdem Gesetz gegen Mißstände im Heilgewerbe.
Vermischtes.
(Bebels Frau) Bebels Frau ist, wie bereits gemeldet, gestorben. Was sie ihm war, davon spricht er in seinen Erinnerungen. Er sagt: Für einen Mann, der im öffentlichen L:ben mit einer Welt von Gegnern im Kampfe liegt, ist es nicht gleichgültig, wes Geistes Kind die Frau ist, die an seiner Seite steht. Je nachdem kann sie eine Stütze und eine Förderin seiner Bestrebungen oder ein Bleigewicht und ein Hemmnis für denselben sein. Ich bin glücklich, sagen zu können, die meine gehört zu der elfteren Klaffe. Meine Frau ist die Tochter eines Bodenarbeiters an der Leipzig-Magdeburger Bahn, der schon gestorben war, als ich sie kennen lernte. Meine Braut war Arbeiterin in einem Leipziger Putzwarengeschäft. Wir verlobten uns
Werk meines ganzen Lebens, die Basis meiner zukünftigen geistige« und wissenschaftlichen Existenz handelt. Daß ich mich nicht ohne Kampf beiseite schieben lassen kann, ist klar, e« kan» nur die Art und Weise des Vorgehens in Frage kommen, und zwar deshalb, weil ich zwei Umstände auf meinem Wege finde, die mich an der vollen Kraftentfaltung verhindern."
„Sie meinen Ihre Freundschaft für Leopold Sekal?"
Reinhart schüttelte finster den Kopf.
„Er war mein Freund, aber seine Handlungsweise hat das Band unserer Freundschaft für immer zerrissen. Nein, um seinetwillen würde ich niemals zögern — auch die Achtung vor dem angesehenen Namen seines Vaters dürfte in diesem Falle nur al« mildernder, niemals als hemmender Beweggrund in Betracht zu ziehen sei«. Was ich im Sinne habe," — er schwieg plötzlich und starrte kummervoll vor sich hin.
„Du meinst Wera, Reinhart?" bemerkte Gertrud nach längerem Stillschweigen leise.
„Wera — du hast recht, liebe Schwester. Ihr alle kennt mein Empfinden für das herrliche, edle Geschöpf — Leopold ist ihr Bruder — ich stehe vor der schwere» Wahl, entweder mich selbst oder ihre» Bruder in» Verderben zu stürze»! Behaupte ich mein Recht gegen ihn, so ist sie mir verloren, denn wie könnte ste die Gattin eine» Mannes werden, welchem die Ehre ihre» Namen», ihrer Familie zum Opfer fiel? Und andererseits — soll ich um meiner Liebe zu ihr willen die Lüge erdulden, die Blätter der Wissenschaft fälschen und meine Familie und mich selbst um den Lohn betrügen, den ich mir mit Gefahr meine» Lebens errungen? Wollte ich selbst auch, vor die Wahl zwischen Liebe und Ehre gestellt, allen Früchten meine« Tun» entsage«, wie dürfte ich meinen teuren Angehörigen die Schmach auflade», den Namen eiue» Menschen zu führen, der sich selbst zum Narren oder Betrüger gestempelt?"
„ES ist ei« sehr schwerer Kampf, Reinhart — vielleicht empfiehlt
es sich, vorläufig «och keinen Entschluß zu fasse», sondern die Angelegenheit reichlich zu überlegen."
„Hieße das aber nicht, meinem Gegner Zeit gewähren, seine Maßregeln zu treffen und mir vielleicht mit irgend einer heimtückischen List zuvorzukommen? Würde er nicht schon die Tatsache, daß ich mit meiner Anklage gegen ihn einige Tage oder Wochen gewartet, zu seinen Gunsten ausnützen? Jedenfalls weiß er doch bereit», daß ich die Anstalt heute verlasse, denn wie ihr mir sagtet, hat es in den Zeitungen gestanden. Nein, «ein, lieber Freund, wenn ich einmal losschlagen will, dann ohne Zögern — jeder Tag Versäumnis verstärkt die Zweifel an der Gerechtigkeit meiner Sache!"
„Aber die Beweise — das verschwundene Notizbuch —"
„Das ist eben das zweite der Hindernisse, von dem ich sprach! Ich habe au» dem Gedächtnis dem Bericht, welchen Leopold Sekal auf Grund meiner in seinem Besitz befindlichen Aufzeichnungen über die Reise erstattet, nur wenig hinzuzufügen und dieses wenige könnte ich ja auch erfunden haben. Denn da» Material, das ich mir vorbehielt, besteht im wesentlichen aus Zahlen und Zeichnungen. Auch trägt das Buch vielfach die äußeren Spuren der Reise — kurzum, ich muß e« unbedingt wieder haben, schon um de» wertvollen Inhalts willen, der für die ethnographische und geographische Wissenschaft nicht mit Gold aufzuwiegen ist."
„Ich hoffe, daß e» sich doch «och findet," bemerkte Hermann.
„Diese Hoffnung teile ich nicht. Ich hege keinen Zweifel, daß Leopold e» entwendet hat — und wenn e» geschehen, so erheischt e« sein heiligste» Interesse, es zu verbrennen. Wie leicht könnte e» in andere Hände gelangen oder jemand zu Gesicht kommen."
„Aber die darin enthaltenen Notizen — sollte er an der Wissenschaft den Frevel begehen, sie schlechtweg zu vernichten?"
„Sie vergessen, Doktor, daß e» sich für ihn um Sein oder Nichtsein handelt." (Fortsetzung folgt.)