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der Frau sind anfechtbar. Die Behauptung, daß der Friede auf unseren Rüstungen beruht, ist falsch; er beruht auf der eigenen Kultur. Mit dieser Rede hat Wilhelm II sein frühe-es Versprechen bewußt durchbrochen. Mit seiner Rede in Beuron hat Wil­helm II die Hilfe der katholischen Kirche und Geist­lichkeit angerufen. Diese Hilfe hat den Thronen bon Frankreich, England und Portugal nichts ge­nützt, und sie bringt den Kaiser in einen Gegensatz zu der Mehrheit des Volkes. Eine Erklärung des Reichskanzlers genügt nicht, wir müssen eine De­mokratisierung des Parlaments und des gesamten Verfassungslebens erhalten. Wir werden schließlich unser republikanisches Ideal verlangen. (Beifall bei den Sozialdemokraten; Murren rechts.) Reichs­kanzler v. B eth mann-Hollweg; Bevor ich zur Beantwortung der Interpellation übergebe, will ick einige Worte zu den Ausführungen des Vorredners sogen. Die Darlegungen Ledebours bewiesen, wie reckt der .Vorwärts" hatte, als er vor einigen Tagen verkündete, dcr Zw-ck der Interpellation sei die Aus­rollung der Versassungsfrage. Die Ausführungen Ledebours zeigen durchaus klar, daß er und seine Pw tri nicht von der So-ge um das Geuieiurecht, nicht von der Absicht, die verfassungsmäßigen In­stitutionen zu schützen, geleitet werden, sondern im Gegenteil von einer letdinschaftlichen Gegnerschaft gegen unsere Verfassung. Ledebour hat sich soeben mit klaren Worten zum RepublikaniSmus bekannt. (Rufe: Ist das etwas NevcS?). Nein, das ist nichts Neues, Sie haben von jeher das Prinzip verfockten. Das haben wir gewußt. . Aber es hat nie eine Zeit pegeben, wo sie mit diesem Endziel so klar vor die O-ffevtlichkeit traten (Sehr richtig.) Gut ist, daß Sie eS doch tun, daß das ganze Land cs weiß, zu welchem Ziel Sie hinstreben. Wenn Sie diese Auf­gabe verfolgen, müssen wir Sie beglückwünschen. Ob Ihre Begründung hier Glück hoben wird, darüber wird der Reichstag entscheiden. Dis Interpellation nimmt an, der Kais r habe 1908 hier Erk ä ungen abgegeben, mii denen er sich in diesem Jahre in Widerspruch gcs tzt hätte. Diese Annahme ist falsch. (Lachen links.) Tie KönigSbcrger Rede ist eine verfassungsmäßige Äußerung, daß das monarchische P-inzip auf eigenem Recht beruhe. Im Anschluß an jene Debatte hatte der Reichskanzler witgeteilt, daß der Kaiser trotz der als ungerecht empfundenen K iiik seinen Willen dahin kundgegeben hatte, die Politik des Reiches und die verfassungsmäßigen Verantwortlichkeiten zu sichern. Diese Erklärung stellt lediglich fest, wie der Kaiser stine staatsrecht­lichen Rechte und die Pflichten seines Herrscher­standes auffaßt. Mit dieser Auffassung hat sich der Kaiser nicht in Widerspruch gesetzt. Für das Gegen­teil hat Ledebour den Beweis nicht erbracht. Die letzten Ansprachen beweisen nicht, daß er die Stetig­keit der Politik gefährden wolle. (Sehr r'chtig) Die Königsberger Rede ist eine verfassungsmäßige Aeußerung, daß das monarchische Prinz p aas eigenem Recht beruht, verbunden mit dem Ausdruck tiefer religiöser Ueberzeugung, die auch vielfach im Volk geteilt wird. (Lebhafter Beifall) Wenn in unseren Togen auf demokratischer Seite die Meinung schärfer heivoriritt, auch in Preußen den König wie einen vom Volk erwählten Würdenträger zu be­handeln, so darf man sich nicht wundern, daß der König von Preuß-n das Bewußtsein keiner Volks- sonveränität zu unterstehen, stark betont. Persön­liche Unverantwortlichkcit des Königs, Selbständigkeit und Ursprünglichkeit seines monarchischen Rechtes, das find di: Grundgedanken unseres Staatswesens, die auch in der Periode der konstitutionellen Ent­wicklung lebendig geblieben sind. Gibt nun der Kaiser in der alten preußischen KrönungSstadt der durch die Tradit-on geheiligten Formel von Gottes- gnadentum Ausdruck, beruft er sich im Gegensatz zu den Tagesmeinungen ans sein Gewissen als Richt­schnur seines Handelns, so tut er dies im Bewußt­sein der Fülle seines Rechtes, wie stirer Pflichten. (Sehr richti;, rechts.) Mit dieser Auffassung der Stellung des Kaisers und Königs befinde ich mich auf verfassungsmäßigem Boden. Diese Auffassung werde ich sestholtrn und verteidigen getreu dir mir obliegenden Verantwortlichkeit, die ich mir lediglich von meinem Amt und meiner politischen Ueberzeugung bestimmen loste. (Lebh. w'ederb. Beifall.) Auf Antrag des Abg. Singer (Soz) findet Besprechung der Interpellation statt. Abg. Frhr. v. Hertling (Ztr): Wir haben nicht den Wunsch, die unliebsame Debatte- vom November 1808 zu erneurrn. Sie war ein beklagenswerter Ausnahmefall. Der Kaiser bat stets betont, er bewege sich in der durch die Grenzen der Verfassung gegebenen Verantwortlichkeit. Was die Aeußerung über das Gottcsgnadentum und Meneng des Herrn betrifft, so hat der König von Preußen lediglich ein Bekenntnis zum Christentum abgelegt. Sollte das vielleicht An­stoß erregt haben? (Sehr gut! Beifall ) Ledebour bat geradezu den Umsturz gefordert. Gegen diese verhetzende Kritik wollen wir Sammlung

aller sittlichen und religiösen Kräfte. (Lebhafter Beifall rechts und in der Mitte. Unruhe links.) Tr. Heydebrand (kauf.) erklärt sich mit den Ausführungen des Reichskanzlers einverstanden. Wir sehen die Interpellation als eine Herausforderung an. Unser Volk hält es nicht für falsch, daß der Kaiser im Rahmen seiner verfassungsmäßigen Rechte sich als Mann eigener Ueberzeugung bekennt und sich vor einen höheren Richterstuhl stillt Im Jahre »908 ist kein Versprechen verlangt und aegeben worden, das mit dem Standpunkt des Kaisers in W.derspruch stände. Ich frage den Reichskanzler, ob es nicht die Begriffe verw rrt, wenn alle Tage unsere höchste Autorität verunglimpft wird. Beim Reichskanzler liegt die Verantwortung für diese Zustände. Er muß stine Pflicht tun. (Lärm links, lebhaftes Bravo rechts.) Wassermann (natl): Eia W-derspruch zwischen den Erklärungen des Fürsten Bülow und dem jetzigen Zustand besteht nicht. Die damalae Lage war von der heutigen orundveischieden. Damals herrschte eine hochgradige Erregurg in allen Schichten der Bevölkerung, weil Vorgänge in Frage standen, die auf die auswärtige Politk unseres Landes Einfluß haben konnten. Heute handelt es sich um persönliche Anschauungen, die getragen sind von hohem Pflichtgefühl und christ­lichem Sinn und durchweg auch von der Liebe zum deutschen Vaterland (Brovo!) Die Aeußerung über die starken Rüstungen birgt keine neuen Ge- sichtsp m kte in sich. In dem Bekenntnis zum Gottes- gnadenium ist eine Abkehr von aller irdischen Ge­walt nicht zu erblicken. Je höher bei der Sozial­demokratie die Wogen gehen und je stärkere Worte sie braucht, desto größer wird das Bedürfnis sein, sich anzulehnen an e ne starke Monarchie. (Lebh. Bravo bei den Nationolliberalen und rechts.) v. Payer (fortsck. Vp): Wir verwahren uns gegen die Verschiebung des Grundgedankens der Debatte. Die Sozialdemokraten haben mit dieser Interpellation nicht etwas Besonderes und Unerhörtes getan. Es handelt sich nur um die Frage, ob die Rede des Kaisers zu v-reinbaren ist mit u seren staatsrecht­lichen Verhältnissen. Das ist bei der Königsberger Rede nicht der Fall. Derartiges hindert den be- lcke densttn politischen Fortschnit in Preußen. Das Parlament darf dozu nicht schweigen. Wir ver­langen, daß der Kaiser sich als konstitutioneller Fürst fühle. Mit der Zahl der Reden des Kaisers schwindet ihre Bedeutung. Der Reichskanzler würde seine Schuldigkeit nicht tun, wenn er den Zeitpunkt kommen ließe, in der die deutschen ZestnngSleser anfangen würden. Kundgebungen des deutschen Koffers als etwas Alltiffl'ches zu bewerten (Abg. David (Soz): Wenn der Kaiser aus seinen reli­giösen Grundanschauungen staatsrechtliche Kon­sequenzen zieht, so ist es Recht und Pflicht der Volksvertretung, das mit Energie zurückzuweisen. Auch von Untertanen hat der Kaiser einmal ge­stochen; wir find aber freie Staatsbürger, v. Derksen (Reichsp): der Kaffer muß, wie jedermann, dos Recht hoben, sein Urteil unabhängig von den wechselnden Tagesmeinungen zu sällen. Wir wollen kiin Scheinkönigtnm (Beifall rechts.) Liebermann v. Sonnenberg (w. Vga>: Wir erblicken in den Kaiserreden ein rein persönliches Glaubensbekenntnis. Darauf wird ein Schluß - antrag angenommen. Er folgt die Interpellation der Freisinnigen, betr. die Privatbeamten- verstcherung. Mugdan (frs. Vp.) begründet die Interpellation, in der gefragt wird, ob der Ent­wurf innerhalb zweier Monate ?u erwarten ist. Staatssekretär Delbrück: Der Entwurf ist aus- gearbeitet und liegt dem preuß. Staatsministerium zur Beschlußfassung vor. Wann er an den Reichs­tag kommt, hängt von den Entschließungen der Bundesregierungen ab. Ich werde die Angelegenheit möglichst zu fördern suchen. Auf Antrag der Kon­servativen wird Besprechung der Interpellation beschlossen.

Hamburg 28. Nov. Dcr kommende dänische Dampfer Orrik wurde heute mittag beim Hafen Kuhwärder von dem ausgehende« englischen Dampfer Montauk angerannt und sank im liefen Wasser. Die Mannschaft wurde gerettet. Der Montauk ist schwer beschädigt und mvßte die Ausreise aufgeben. Der Dampfer Hermja kollidierte gestern abend bei Nmmühlen mit dem Dampfer Leander. Hermja wurde in sinkendem Zustand bei Neumühlen auf Strand gesetzt, während Leander, ebenfalls stark beschädigt, vor Anker ging.

Neuengamme 25. Nov. (Erdgasfeuer.) Ein hervorragender Hamburger Chemiker macht auf eine große Gefahr aufmerksam, welche der ganzen Umgebung der brennenden Gasquelle bei Neuengamme droht. Er geht davon au«, daß die Gase nicht, wie anfänglich angenommen wurde, au« einer Salzlösung, sondern sehr wahr­

scheinlich au« Petrsleumlagern stammen. Au« dem starken Druck, mit dem sie entweichen, ist anzunehme», daß, nachdem da» über dem Pe­troleum lagernde Ga» verflogen ist, jenes selbst Nachfolgen und zwar mit erheblichem Druck an die Oberfläche kommen wird und große Mengen sehr leicht brennbarer Flüssigkeiten über Felder und Gräben fließen werden. Die ölige Flüssig­keit wird sich «ach der nicht unbegründeten Mei­nung dieses Chemikers an den Flammen ent­zünde» und es wird-dann äußerst schwer sein, den Brand zu löschen. Ein unberechenbarer Schaden kann entstehen neben dem Brande da­durch, daß überall, wo da» Oel hingelangt, der Pflanzenwuchs gelötet und der Boden unfruchtbar wird. Die Möglichkeit eine» solchen Schadens allein schon sollte dazu führen, daß die äußersten Anstrengungen gemacht werden, so schnell wie möglich die Gase in die Gewalt zu bekommen. ES kann in ganz kurzer Zeit Oel Nachfolgen. Daraus, daß die Flamme bei unvermindertem Drück Neigung zeigt, zu verlöschen, ist, wie weiter gesagt wird, nicht anzunehme», daß da« GaS weniger oder ungefährlich wird, sondern nun treten schwerere Kehlenwasserstoffe au«, dir zu ihrer Entzündung ein andere« Mischungs­verhältnis mit Luft nötig haben. Am Geruch der nicht brennenden GaSenrströmung und der größeren Rauchentwicklung sind die Gase bereit» deutlich wahrzunehmen.

Neuengamme 25. Nov. Heute morgen wurde mit den Vorarbeiten zur Ableitung des Gasstromes von der Hamburger Stadlwaffer- kunst unter Mithilfe der Feuerwehr begonnen. E« gelang verhältnismäßig leicht, die Flammen zu löschen. Um die Ableitungsrohre anzubrinqen, muß das aus dem Erdboden Hervoragende Rohr durch Zementschlvß verankert werden, wa« auch den morgigen Tag in Anspruch nehmen wird. Während der Mittag»- und der Nachtpanse wird das Gas wieder entzündet und erst wieder vor Beginn der Arbeiten gelöscht.

Zürich 26. Nov. Zu der gestrigen Be­stattung der Frau Julie Bebel hatten die sozialdemokratische Reichs agsfraktion, die Partei­blätter in Deutschland und die schweizerischen Arbeiterorganisationen zahlreiche Kränze gesandt.

Moskau 28. Noo. Auf verschiedenen Straßen und Plätzen der Stadt veranstalteten Studenten heute Demonstrationen gegen die Todesstrafe. Die Demonstranten wurden sogleich durch Husaren, Kosaken und berittene Schutzleute zerstreut. 181 Demonstranten wurden verhaftet, unter ihnen 60 Studentinnen. Verletzt wurde niemand. Die Verhafteten werden wegen Ver­letzung von Anordnungen des Stadlhauptmanns bestraft werden.

Petersburg 26. Nov. Die Witwe de» Grafen Tolstoi ist ernstlich erkrankt. Sie Hot hohe« Fieber. Zwei Aerzte halten ständig Wache bei ihr.

Buenos Aires 26. Nov. Ein heftiger Zyklon hat in Stadt und Provinz schweren Schaden angerichtet. Tausende von Bäumen sind entwurzelt, mehrere Personen ums Leben gekommen und viele andere verletzt worden.

randwtktschastl. Vezirkveretn.

Am Mittwoch, 30. November (AndreaS- fetrrtag), nachmittags 2 Uhr, findet tm Saale der Brauerei Dreiß in Calw die jährliche

Hauptversammlung

statt mit folgender Tagesordnung:

1. Wahl des Vereinsvorstandes und seines Stell­

vertreters,

2. Wahl deS Vereins-AvSschuffes,

3. Wahl der Mitglieder des Gau-Ausschusse?,

4. Kaffen- und Rechenschaftsbericht pr. 1. April

1909/10,

5. Vortrag des Herrn Landwirtschaftsinspektors

Ströbele von Leonberg überBezirks- pferde-Versicherungsvereiue."

Hieran schließt sich an die Beschlußfassung über den Antrag auf Gründung eines Bezirkspferdeverficherungs-VereinS.

6. Verteilung landwirtschaftlicher Kalender.

Die Mitglieder und insbesondere die Herren Pferdebesitzer werden um möglichst zahlreiches Er­scheinen gebeten.

Calw, 23. November 1910.

Der Vereinssekretär Fechter.