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zw» soziale» Frieden getan werde» könne. Zum Schluß wurde folgende Resolution einstimmig angenommen: „Die vom Ortskartell christlicher Gewerkschaften in Stuttgart einberufene, gut besuchte Versammlung, an der erfreulicher Weise auch eine größere Anzahl Arbeitgeber teilnahmen, erklärt »ach einem Referat de« Gewerksckaftt- sekretärs Krug Stuttgart über da« Thema: „Arbeitsgeber und christliche Gewerkschaften", daß die christlichen Gewerkschaften als interkonfessionelle und parteipolitisch neutrale Vereinigungen auf dem Boden staatstreuer und patriotischer Gesinnung stehend, die wirtschaftlichen Interessen der Arbeiterschaft wirksam und erfolgreich zu vertreten in der Lage sind. Die Versammlung anerkennt, daß die Interessen der Arbeiter mit jenen der Arbeitgeber manche Berührungspunkte haben und daß im Interesse einer gesunden Fortentwicklung der deutschen Industrie, des Handel« und der Handwerks ein gegenseitiges Sichverstehenlernen notwendig ist. Die Versammlung bedauert es aus wirtschaftlichen und nationalen Gründen lebhaft, daß von leitenden Kreisen auf seiten der Arbeitgeber die christlichen Gewerkschaften nicht nur mit den sozialdemokratischen, klassenkämpferischen Gewerkschaften auf eine Stufe gestellt, sonder» als noch gefährlichere Organisationen in Arbeitgeber- zeitunge» bekämpft werden. Die Versammlung fordert alle der sozialdemokratische» Arbeiterbewegung fernstehenden Arbeiterkreise in Stadt und Land auf, sich den christlichen Gewerkschaften unverzüglich anzuschließen, weil damit die Gewähr für eine wirtschaftlich-soziale Besserstellung der gesamten Arbeiterschaft gegeben ist Die Versammlung verurteilt die erbärmliche Kampfesweise der „SLwäb. Tagwacht", weist die Beschimpfung der christlichen Gewerkschaften als „gelbe" Arbeiterorganisationen mit Entrüstung zurück und lehnt entschieden da« die deutsche Arbeiterschaft schwer schädigende einseitige Verhalten der sozialdemokratischen Klaffeukämpfer ab."
Stuttgart 7. Nov. (Schwurgericht.) Die Schwurgerichtssitzungen de» 4. Quartals begannen heute unter dem Vorsitz von Landgerichtsdirektor Ball uff. Als erster Fall kam zur Verhandlung die Anklagesache gegen den verwitweten 53 Jahre alte» Schneider und Taglöhner Christian Rathgeber von Hegenach OA. Waiblingen wegen vollendeter und versuchter Brandstiftung. Der Angeklagte ist ein willevs- schwacher und durch übermäßige» Alkoholgenuß heruntergekommener Mensch. Zudem hat er eine schlechte Erziehung genoffen, er wurde im Armenhaus geboren und wohnte auch »ach seiner Verheiratung darin. Nach dem Tode seiner Frau verlor er jeden Halt, er arbeitete nichts mehr und wollte auf Kosten der Gemeinde leben. Al» ihm vor 2 Jahren die Gemeinde weitere Unter
stützung verweigerte, legte er au« Rache im Armenhau» Feuer, da« jedoch gelöscht werden konnte. Er wurde deshalb vom Schwurgericht zu 9 Monaten Gefängnis verurteilt. Nach Verbüßung der Strafe zog er, nachdem er kurze Zeit in einer Arbeiterkolonie war, im Land umher. Die Gemeinde Hegnach machte mehrmals den Versuch, ihm eine geordnete Tätigkeit zu verschaffen. Der Angeklagte ist infolge eine» Handleidens vermindert arbeitsfähig. Zuletzt wurde er von der Gemeinde mit Steinklopfen beschäftigt und wohnte bei Verwandten. Er wollte jedoch Unterkunft im Armenhaus. Der Schultheiß erklärte ihm, daß er wegen der einen Sache den Gemeinderat nicht zusammenberufe» könne. Im Aerger darüber, daß ihm der Schultheiß nicht gleich Unterkunst im Armenhaus an- wie«, setzte er am 31. Juli ein diesem gehöriges, auf Markung Oeffingen gelegene« Gartenhaus in Brand. Der Besitzer, der zufällig in der Nähr einen Spaziergang machte, bemerkte den Rauch und löschte das Feuer mit Hilfe mehrerer Personen. E» entstand ein Schade» von etwa 50 Der Angeklagte machte selbst Anzeige beim Landjäger in Waiblingen. Er gab an, daß er da» Feuer gelegt habe, um dem Schultheißen einen Possen zu spielen und um wieder Unterkunft in der Strafanstalt zu finden. Inzwischen wurde im Armenhaus wieder ein Brandherd entdeckt. Der Angeklagte gab auch in diesem Fall unumwunden zu, daß er der Brandstifter sei. Er stieg im April in da« damals nicht bewohnte Armenhaus ein und legte unter der Treppe Feuer, da« offenbar von selbst wieder krlosch. Der Sachverständige bezeichnets den Angeklagten als moralisch minderwertigen Mensche«. Die Geschworenen sprachen ihn der vollendeten und versuchten Brandstiftung schuldig, unter Zubilligung mildernder Umstände. Das Urteil lautete hienach auf 1 Jahr 6 Monate Gefängnis und 5 Jahre Ehrverlust; 3 Monate Untersuchungshaft gehen ab.
Ulm 5. Nov. Heute vormittag fand hier die feierliche Einweihung der evangelischen Garnisonskirche statt. Gegen 10 Uhr trafen der König und die Herzöge Robert und Ulrich, sowie der Kriegsminister und der Minister des Kirchen- und Schulwesen« nebst Gefolge ein und begaben sich vom Bahnhof sofort zur Garnisonskirche. Vor dem Haupt- portal de« Gotteshauses hatte die Generalität, die Geistlichkeit, Behörden usw. Ausstellung genommen. GarnisonSpfarrer Hartmann begrüßte den König. Darauf hielt Professor Dr. Fischer, der Erbauer der Kirche, an den König eine Ansprache und führte aus: „Eure Majestät, lebendig und stark ist nur, was sich entwickelt, so das Heer, so die Kirche, und so auch die Kunst In schwäbischen Landen genießt die Kunst unter
königlichem Schutz mehr als anderswo eine Freiheit der Entwicklung, für welche wir Künstler au« tiefstem Herzen dankbar sind. Aber was in der Entwicklung ist, kann nicht vollendet sein. Wenn unsere Kräfte an diesem Werk in manchem versagt haben, bitte ich Eure Majestät, bei Ihrem Einzug das allergnädigst in Acht nehmen zu wollen." Nach den Worten der Professors Fischer betrat der König mit den Herzögen die Kirche, unter Voraustritt der gesamten evangelischen Geistlichkeit, und nahm vor dem Altar Platz. Dann begann der Gottesdienst mit einem Gesangchor. Feldprobst Blum hielt die Weiherede. in der er dem König für sein Erscheine» dankte, allen Förderern des Werkes, dem König, den Behörden, dem Baumeister und den Arbeiter» seinen Dank ausdrückte und die Kirche in den Schutz des Höchsten empfahl. Di« Festpredigt hielt Garnison: pfarrer Hartmann. Nach einem Gememdegesavg fand die Taufe de» Kindes eines Unterosfiziers statt. Der König, der Paten- stelle übernommen hatte, hielt das Kmd, das den Namen Wilhelm erhielt, über Len Taufstein. Mit einem Schlußgebet, Gesang und dem Segen des Frldprobst fand die Feier ihren Abschuß. Unter Führung von Professor Fischer besichtigte der König nunmehr die Kirche und ließ sich von Professor Hölzel und Professor Speyer dis von ihnen gemalten Bilder erläutern. I» der Vorhalle verteilte Seine Majestät verschiedene Ordens- avSzeichnungen, so an den Baumeister Professor Dr. Fischer, an Architekt Brill, den Bauleiter und Garnisontpfarrrr Hartmann, welch letzterem außerdem vom Kaiser der Rote Adlerorden IV. Klaffe verliehen wurde. Gegen ^/»12 Uhr verließ der König dis Kirche wieder und kehrte um 12 Uhr 5 Mi», nach Stuttgart zurück. Anläßlich der EittweihungSfeier fand im Kasino des Infanterieregiments Nr. 127 ein Frühstück statt, zu dem verschiedene Einladungen ergangen sind.
Heilbronn 7. Nov. Während einSäg- werksbefitzer von Maulbronn bei einer Straf- kammerverhandlusg als Zeuge vernommen wurde, wurde ihm sein während seiner Vernehmung im Zeugenzimmer zmückgelaffrner Ueberzieher gestohlen.
Aalen 7. Nov. (Der eingeschlafene Einbrecher.) In die Wirtschaft zur „Rose" stieg ein Einbrecher durch da» Küchenfenster und ließ sich das Bier und die verschiedene» Schnäpse so gut schmecke», daß er bei seiner Tätigkeit einschlief und am Morgen vom Besitzer geweckt wurde. Nachdem verschiedene Würste und andere Nahrungsmittel, die der Einbrecher in seinen Tasche» verstaut hatte, ihm aLgerrommen worden waren, wurde er verhaftet.
Pforzheim 7. Nov. (Bestrafte Eindringlinge.) Aus dem hies. 'Kranken-
„So hast du keine Erinnerungen an ihn behalte«? Auch nicht für seine Familie?"
„Nein, Wera. Die Batuas haben aller im Besitz, und in ihren Händen wird e» sich nicht lange halten."
„Mein Gott, mein Gott — nicht einmal ein ehrliches Grab habt ihr ihm geben können?"
„Leider nicht — seine Gebeine bleiche« in öder Wildnis — und selbst, wenn sie je gefunden würden — aber ich fürchte, die Schuldige» habe» sie aus Furcht vor der Strafe der Weißen beseitigt — wie sollte man sie von denjenigen der übrigen Mitgefallenen unterscheiden?"
Sie starrte leidvoll vor sich hm. Um ihre Gedanken abzulenke», griff er nach einem der auf dem Tische aufgestellten Buketts.
„Rosen, Veilchen und Vergißmeinnicht", sagte er leise. „Von dir, Wera, nicht?"
„Nein, Leopold — errätst du nicht, von wem es kommt?"
„Nicht von dir?"
„Von Gertrud. Du hast noch gar nicht nach ihr gefragt. O, wenn du wüßtest, wie sie dich liebt, wie sie sich nach dir gesehnt hat. Um deinetwillen Hai sie jede Bewerbung um ihre Hand zurückgewiesen."
Wieder umschattete eine Wolke seine» Blick.
„Denkt sie wirklich noch an mich?" rief er kurz, ja erstaunt.
„Aber Leopold? Ob sie noch an dich denkt? O die Arme — e« hat sie viel Unglück betroffen, seit du fort bist. Ihr Vater ist gestorben, vor einem Jahre schon. Er hat nicht» hinterlasse«, gar nicht», da» Geschäft lag völlig darnieder. Der armen Gertrud fiel die ganze Sorge für ihre alte Mutter und ihren noch jüngeren Bruder zu, der, wie du weißt, eben erst die Universität bezogen hat und noch mehrere Jahre auf die Familie angewiesen ist. Ihre einzige Hoffnung ruhte auf dem teuren Bruder — o Gott, wie schlug ihr Herz ihm sehnsuchtsvoll entgegen, und nun, o die unglückliche«, bemitleidenswerten Menschen."
„Ja, es ist traurig", erwiderte er, ohne aber sonderliche Bewegung an den Tag zu legen.
„Wirst du heute noch zu ihr gehen?"
„Ich? Ich bitte dich, Kind, nach einer solchen Parforcefahrt? Ich bin derangiert bis aus die Knoche»! Außerdem fühle ich mich nicht stark genug, ihr als Herold so schrecklicher Nachrichten entgegsnzutretrn."
„So muß ich zu ihr, Leopold — e» ist eine heilige Pflicht, deren Erfüllung uns obliegt."
„Sie wird heute abend ohnehin «och alles au» den Zeitungen erfahren. Ich bin bereit« in Hamburg interviewt worden."
„Gerade deshalb — soll sie dmch fremde Worte vernehmen, was deine und unsere Lippen ihr allein sage» dürfen? O Leopold, da« kann nicht dein Ernst sein — oder —" ein vorwurfsvoller Strahl aus ihren dunklen Sternen traf sein sich veriegm abwesendes Antlitz — „du fühlst nicht mehr für sie wie einst! Jst's möglich, ist dein Herz erklaltet in der Fremde? Meine arme, arme Gertrud!"
Der junge Mann blickte finster vor sich hin. Er konnte sich nicht verhehle», daß seine Schwester da» Richtige getroffen hatte. Seine Liebe für Gertrud Hohl war längst erkaltet, der Gedanke an sie war ihm immer unbequemer geworden, er hoffte, sie bei seiner Rückkehr ebenfalls verändert, vielleicht sogar al» die Gattin eine» anderen wiederzufinden.
„ES ist immer töricht, Wechsel auf die Zukunft ausstellen", bemerkte er verdrießlich, indem er aufstand und ganz in der Art seine» Vater« da« Zimmer durchkreuzte. „Ich dachte, Gertrud würde mich längst vergesse» haben — wenn man durch soviel Fährlichkeiten und Todesgefahren geht wie ich, so verliert die Vergangenheit ihre frischen Farben, die Eindrücke verblasse« und verflüchtigen — ich beginne hier ein völlig neue« Leben und muß erst selber sehen, inwieweit diese« den früheren Zustand meiner Seele wiederherstellt."
(Fortsetzung folgt.)