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Unterhausen OA. Reutlingen, 3. Noo. (Mordanschlag.) Auf der Haltestelle an der Spinnerei zog ein unbekannter junger Mann plötzlich einen Revolver heraus und feuerte auf eine am Vorplatz stehende 24—25jährige, in dem Mädchenheim der Spinnerei wohnende Arbeiterin zwei Schöffe ab. Während der erste Schuß fehl ging, traf der zweite Schuß das Mädchen in die Backe, sodaß ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden mußte. Ein weitere- Mädchen, da- in den Zug einstieg, ist an einer Hand leicht ver letzt. Der Täter suchte das Weite und konnte noch nicht festgenommen werden.
Göppingen 3. Nov. (Politischer Kurt.) Der hiesige Juvgliberale Verein veranstaltet in Verbindung mit der Nationalliberalen (Deutschen) Partei in diesem Winter einen zehn Vortragsabende umfassenden politischen Kurs zur Förderung de« Interesse« an allgemeinen politischen Frage» und im Sinne der staatsbürgerlichen Erziehung. Vorträge werden gehalten über: 1) Die ReichSverfaffung, 2) Württ. StaatSverfassung, 3) Reichs-, Landes- und Gemeindesteuern, 4) Die deutschen Kolonien, 5) Der deutsche Reichstag und seine Fraktionen, 6) An- gestelltenrecht, 7) Handwerkerfrogen, 8) Schutzzoll und Freihandel, 9) StrasrechtSfragen, 10) Heer und Flotte. Für die Teilnahme an allen 10 Vorträgen wird sine Einschreibgebühr von 1 ^ erhoben. Die Vorträge sollen einen rein sachlichen Charakter tragen.
Gmünd 3. Nov. (Leichtsinn oder Absicht.) I» nicht geringen Schrecken wurde die Frau eine« hiesigen Ladenbesitzers in der Kapvzinergaffe versetzt. Kurz nach 6 Uhr abends ertönte ei» furchtbarer Knall. Ein großes Schaufenster war durch einen Revolverschuß von der Straße her zertrümmert und die Kugel flog in den Laden. Glücklicherweise prallte sie an einem starke» Ofenschirm, der erst aufgestellt worden war, ab, ohne jemand zu treffen. Die Schuß- öffnung im Fenster entspricht genau der Kugel; rings herum ist das Glas zersplittert und zwei große Sprünge ziehen sich in der Scheibe von oben bis unten. Leider gelang es nicht, de» Täter, der sofort die Flucht ergriffen hatte, ausfindig zu machen. Sonderbarer Weise scheint auf der Straße gerade niemand in der Nähe gewesen zu sein. Spätere Nachforschungen haben zu keinem Ergebnis geführt.
Kliugenberg OA. Brackenheim 3. Nov. (Schlechter Herbst.) I» dem Weinbau- gelande mit gegen 20 tis, am Stock stehenden Weinbergen wurden Heuer ganze 3 Eimer geherbstet. Dar meiste wurde ringe keltert. Ein Kauf zu 70 ^ für da» Hektoliter fand statt. Voriges Jahr wurden 100 Eimer geherbstet, der verkaufte Wein brachte über 8000 ^ ins Dorf. I» den Gräflich Neipperg'schen hiesigen Wein- lagea war der Ertrag diesen Herbst gleich Null.
Pforzheim 3. Nov. Die gestern abend vom deutschen Metallarbeiter-Verband einberufeueu vier Arbeiterversammlungen waren sämtliche sehr stark besucht. Es wurden eine Reihe von Reden gehalten, die darin gipfelten, daß die Arbeiter an ihren Forderungen festhalten sollten. Dann wurde übereinstimmend eine Resolution angenommen, wonach von heute an alle Weilarbeit in allen Bijouterie fabriken (nicht nur Kettenfabriken) verweigert und bei der Akkordarbeit passive Rlsistevz getrieben werden solle. Heute abend findet wieder eine Versammlung statt, in der die Ketten-Bijouteriers (nicht die eigentlichen Kettenarbeiter) beschließen, ob sie morgen ebenfalls kündigen sollen.
Von der hohenzollernschen Grenze 3. Nov. In Sigmaringen begab sich dieser Tage ein bester gekleideter Herr nach dem fürstlichen Schlöffe und erklärte dem Hofmarschall, er komme direkt aus Berlin und habe im Auftrag des deutschen Kaisers den Fürsten von Sigmaringen zu erschießen. Sein Diener werde mit dem geladenen Gewehr gleich Nachfolgen. Die Schloßbeamten erkannten natürlich sofort, daß sie er mit einem geistesgestörten Menschen zu tu« hatten, der, wie nachher festgestellt wurde, au« einer Berliner Heilanstalt entsprungen war. Der Mann wurde fsstgenommeu und in die Jrreuabteilung des LandesspitalS überwiesen.
Von der bayrischen Grenze 2.Nov. (Jugendliche Selbstmörder.) Innerhalb kurzer Zeit haben sich in Weißenhorn zwei noch schulpflichtige Burschen erhängt. Am letzten Sonntag fand man den 15jähr. Söldnerisohn Wilhelm Schüler am Waldrande erhängt auf. Er war Hauptbeteiligter an einer Rauferei und deshalb aus dem Dampfsägewerk entlasten worden. Dies hat er sich so zu Herzen genommen, daß er den Tod suchte.
München 3. Nov. (Zur Fleischteuerung.) Die sozialdemokratische Rathausfraktion hat in der gestrigen Ma- gistraissitzung einen Dringlichkeitsantrag eingebracht, wonach der Magistrat beschließen soll, sofort Schritte zu unternehmen, um die Einfuhr größerer Fleischmengen, eventuell auch aus Argentinien, zu ermöglichen. In der Begründung de« Antrag« wurde auf die Stellung des Bayerischen Landwirtschaftsrats zur Fleischversorgungsfrage hingewiesen, wonach die bayerische Landwirtschaft bei der heutigen Sachlage in einer begrenzten Fleischeinfuhr keine Schädigung der heimischen Landwirtschaft erblicke, und sich mit einer solch vorübergehenden Maßnahme einverstanden erklärt. Der Antrag wurde auf Vorschlag des Bürgermeisters v. Brunner an den Lebenrmittelausschsß zur tunlichst raschen Erledigung geleitet. (N. Tgbl.)
Mannheim 3. Nov. Das Großfeuer
in der Lanz'schen Fabrik, das um V-9 Uhr ausgebrochen war, zerstörte ein fünfstöckiges Gebäude mit Vorräten von landwirtschaftliche« Maschinen. Es gelang der Feuerwehr, das Feuer nach 2 V-stündiger Tätigkeit zu lokalisieren. Bei den Löscharbeiten erlitten von den Arbeitern und Feuerwehrleuten 15 Mann mehr oder weniger schwere Verletzungen. Bis abends 11 Uhr war dem Brand das große fünfstöckige Maschinengebäude zum Opfer gefallen, dessen Umfassungsmauer um 11 Uhr mit großem Getöse einstürzte. Die Modellschreinerei, von der es anfangs hieß, dar Feuer sei in ihr auSge- brochen, ist gerettet.
Mannheim 3. Nov. Der Schaden, der durch den gestrigen Brand an der Maschinenfabrik von Heinrich Lanz verursacht wurde, wird auf I V- Millionen angegeben. Diese Zahl wird aber wohl etwas zu nieder gegriffen sein. Es läßt sich auch nicht einmal annähernd feststellen, wie hoch der Schaden sich beläuft. Die Firma macht heute offiziell bekannt, daß von dem Brand der Zentrifugenbau uns die Lagerräume kleinerer landwirtschaftlicher Maschinen, sowie die Modellabteilung getroffen sind. Sämtliche übrigen großen Werkstätten der Firma sind gänzlich unversehrt geblieben. Der Betrieb der durch Feuer zerstörten Arbeiten wird in den anderen Werkstätten der Firma aufrecht erhalten. Die betreffenden Arbeiter, die sich auf etwa 250 Mann belaufen — in Anbetracht der gesamten Arbeiterschaft von über 4000 Arbeiter eine verschwindend geringe Zahl — wird daher weiter beschäftigt bleiben. Folgende FeusrverficherungSgesellschaften haben den Schaden zu tragen: Leipziger Feuerversicherungsanstalt, Allianz Versichern« gSaktien- geftllschaft Commercial, Union FeuerversicherurgS- aktiengesellschaft, Westd. VrrsicherungSaktienbank in Essen, Oldenburgische Feuerversicherungsaktiengesellschaft, Oldenburg, Adlrrversicheruvg»- gesellschaft gegen Feuerschaden in Basel, Badische Feuervers.Bank in Karlsruhe, Vaterländ. Feuer- vers Aktiengesellschaft, Elberfeld, Union Allg. Versicherungsaktiengesellschaft zu Berlin und Deutsche FeuerversicherungSaktiengesellschaft in Berlin, die Schlesische FeuerversicherungSgesell- schaft in Breslau wurde erst am 15. Oktober durch die Badische Feuerversicherungsbank in Karlsruhe abgelöst. Der Brandplatz war auch heute das Ziel vieler Tausende. Es darf niemand an die Ruinen heran, da man weitere Einstürze befürchtet.
Darmstadl 3. Nov. Der Kaiser von Rußland und Gefolge haben heute abend 10.15 Uhr im Hofsonderzug von Station Langen aus die Fahrt «ach Wildpack angetreten.
Cöln 3. Nov. Der Bahnhofspolizei ist es gelungen, zwei junge Burschen abzufassen, die seit längerer Zeit die deutsch-französischen I) Züge unsicher machten. Sie wurden
„Wenn du so energisch sein kannst, mein Fräulein, so zeige diese Eigenschaft auch in dem Mute der Offenheit. Sind wir, die Eltern, deines Vertrauen« nicht würdig?"
Wera ließ betroffen das Köpfchen sinken. Die Sprache der Vater« brachte offenbar Eindruck auf sie hervor. Sie fühlte, daß ihr bisheriges Verhalten ein Unrecht gegen ihn einschließe, deshalb antwortete sie nach kurzem Schwanken:
„Wir waren allerdings einander näher getreten, Papa, Dr. Hohl und ich. Aber nicht so, wie du denkst. Herr Dr. Hohl hat mir seine Verehrung gestanden, aber sofort hinzugefügt, daß er keinerlei Worte von mir hören wollte, durch welche die Freiheit meines Entschlusses für die Zukunft gebunden werde. Er stehe vor einem Unternehmen, dessen glückliche Beendigung mehr als zweifelhaft genannt werden müsse. E« sci besser, wen» ich mich seiner immer als eine« dem Tode Geweihten erinnere.
Ihre schöne« Augen überflog ein wehmütiger Glanz, als sie von ihm sprach, so daß der Geheimrat ein Gefühl von Rührung nicht zu unterdrücken vermochte. Sie zärtlich auf die Stirn küssend, sagte er:
„Du hast unrecht gehandelt, die besten Freunde deines Herzens in Unwissenheit zu lassen, mein Kind. Ich achte Dr. Hohl und sein Wissen hoch und bin überzeugt, daß dir an seiner Seite eine Zukunft erblüht wäre, wie ich und die Mutter sie dir nur wünschen könnten. Um so trauriger, daß es so gekommen ist. Doch der edle Verstorbene hatte recht — er wäre besser gewesen, du hättest dich seiner stet« al» eine» dem Tode Geweihten erinnert, dann hättest du dir da« Uebermaß diese« Schmerzes erspart. Weine nicht," unterbrach er sich ein wenig ungeduldig, als ihre Augen sich plötzlich umflorten und der Kummer sie zu überwältigen drohte, „du weißt, ich kann Tränen nicht gut sehen — Mut — «ein Kind, den Kopf hoch," — er trat zu ihr hin und tätschelte ihr liebe
voll die Wangen — „du mußt dich tapfer halten, Wera, denn du hast noch eine dringende und heilige Mission zu erfüllen —"
Sie blickte erstaunt zu ihm auf.
„Hat Dr. Hohl nicht eine Mutter? Eine Schwester?"
„O, die arme Gertrud," rief sie, kaum noch ihr Schluchzen zurückhaltend. „Du hast recht, ich muß zu ihr hin, sie vorbereiten, ihr und ihrer Mutter schonend die schreckliche Botschaft beibringen. Die unglücklichen Menschen, sie erhofften alles von ihm! Und nun —"
„Sie müssen es durch un« erfahre«, denn sicher ist das nicht da« einzige Telegramm, welches Leopold abgesandt hat. Wer weiß, ob nicht heute abend schon der Tod Dr. Hohls in allen Zeitungen proklamiert wird. Wir sind der Familie diese Rücksicht schuldig."
Wera« Zustimmung erstickte in ihrem gebieterisch nach Ausdruck ringenden Schmerz, sie eilte aus dem Zimmer, um den Anblick desselben ihrem Vater zu verbergen. Denn je tiefer, wahrer, edler ein Schmerz ist, desto mehr sucht er die Einsamkeit, und nur dort läßt er sich gehen, wo er liebevolles Verständnis zu finden gewiß ist und inniges Vertrauen hegt. Vor ihrer Mutter hätte Wera sich, keinerlei Zurückhaltung auferlegt, aber der Vater war ihr eine Respektsperson, so sehr sie ihn liebte — sie zog sich hastig in ihr eigenes Stübchen zurück, um sich dort auszuweinen und auszuklagen.
„Armer Reinhard," wiederholte sie immer von neuem, als sie an ihrem Fenster stand und die Arme auf die Fensterbank, da« Gesicht auf die Hände gestützt, trübsinnig in den im herrlichsten Maienschmuck prangenden Garten hinabschaute. „Armer Reinhard, arme Gertrud! O, wir sind beide unglücklich, du und ich," murmelt sie bitter. „Mir kehrt der Bruder zurück, aber der Geliebte ist mir gestorben; du betrauerst den Bruder, aber — der Geliebte kehrt wieder in deine Arme!"
(Fortsetzung folgt.)