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Reutlingea 32. Okt. Ei« Ga»g durch die noch gut belaubteu Weinberge an der Achalm und am Georgenberg weckt schmerzliche Gefühle insofern, al» der Ertrag diese» Jahr recht minimal ist. Nicht einmal die Stadtkelter kann aufgemacht werde», so gering ist da» Quantum de» Heurigen. Wer trotz alledem in der glücklichen Lage war, Wein verkaufe» zu können, brauchte sich um de» Absatz nicht zu besorgen. Alle» war schon vor der Lese von den Wirten zu Preisen von 180 für 3 I>1 verstellt. ES ergaben sich Mostgewichte bi» zu 60 Grad »ach Oech»le.
Ludwigsburg 22. Okt. In Stamm- Heim hat ein junger Fürsorgezögling, der al» Knecht bei dem Bauer Lerscher bedieustet war, al» er vom Felde schnell heimgeschickt wurde, einen Kasten aufgebrochen und daraus 400 Mk. gestohlen. Darauf ist er spurlos verschwunden.
Brackeuheim 32. Okt. (Erwischt.) Der Entführer de» 14jährigev Mädchen» au» Massenbachhausen, der 30jährige Friedr. Straub von Güglingen, ist an der französischen Grenze verhaftet und an da» Unters«chu«g»gefängni» Heilbronn eingeliefert worden.
Schwaigern OA. Brackenheim 22. Okt. (Wäschedieb.) In letzter Zeit mehren sich die Fälle wieder sehr, daß die zum Trocknen in Gärten aufgehängte Wäsche und Kleider über Nacht verschwindet. Zweifellos ist e» immer ein und derselbe Gauner, für den selbst der höchste Gartenzaun kein Hinderni» bildet, wofür er de» Beweis dieser Tage lieferte. Auch bei der Auswahl der Wäsche entwickelt er eins ganz besonders gute Sachkenntnis und e» ist ihm stet» nur da» Beste gut genug.
Schwaigern OA. Brackenheim 22. Okt. (Diamantene Hochzeit.) Da» Privatier G. Weisenstein'scheEhepaar, da» früherden Gasthof zum Ochsen bewirtschaftete, feiert morgen im Kreise seiner Kinder, Enkel und Urenkel die diamantene Hochzeit. Der Gatte ist 86, die Gattin 79 Jahre alt. Beide sind »och recht rüstig und erfreuen sich einer guten Gesundheit.
Vom Lein- und Zabertal 32. Okt. (Von der Ernte.) Die Ernte der Boden- gewächse zieht sich infolge der prächtigen Herbst- witteruug hin. Auf manchem Acker ließ man die Futterrüben und Angersen länger stehen, um noch bessere» Auswachsen und Reifen zu erzielen. Die Angersen find sehr gut gerate», man sieht wahre Prachtexemplare. Da es nicht selten an den nötigen Rübenkellern fehlt, so werden auf de« Aeckern tiefe Gruben gemacht und die Rüben darin eingeschlagen mit Stroh und Erde. Da» Zichoriengraben geht etwa» schwer, da der Acker
grund infolge de» regnerische» Sommer« speckig ist. Die Ernte fällt aber besser au», al» man annahm. Auch die Zuckerrübe« geben gute Erträge.
Ellwangen 32.Okt. In der bekannten Klagesache de» Abgeordneten Theodor Körner gegen den Schorudorfer Oberförster Leibnitz stand heute vor der hiesigen Strafkammer Berufung de» Abgeordneten Körner gegen da» frei- sprechende Urteil de» Schöffengericht» in Schorndorf an. Leibnitz erklärte beim Beginn der Verhandlung er habe die Körner'sche Aeußerung seiner Zeit nicht für anstößig gehalten und bedauere, daß sie politisch auSgrschlachtet worden sei. Darauf erfolgte ein Vergleich.
Wasseralfingen OA. Aalen 22. Okt. (Glück im Stall.) Eine nutzbringende Zuchtkuh, Simmentaler Raffe, besitzt Ockonom Patriz Riedmüller dahier. Dieselbe warf vor 8 Tagen drei Kälber, die alle gesund und munter sind, nachdem sie schon vorher 6mal ihrem Besitzer Zwillinge gebracht hatte.
Ostdorf OA. Balingen 21. Okt. (Höhe- Alter.) Der älteste Ostdorfer, Wagner Martin Sämann, hat seine« Eintritt in» 98. Lebeus- jahr dadurch gefeiert, daß er seine Kinder, Enkel und Urenkel, in deren Mitte er sich zuvor hatte photographieren lassen, zu einem Gla» Bier cinlud. Einschließlich der Schwiegersöhne, Enkel und Enkelinnen waren e» im ganzen 17 Personen, darunter 5 Urenkel. Es bot einen erfreulichen Anblick, den geistig regsamen und auch körperlich noch recht rüstigen Greis im Kreise der Srinigen seinen Schoppen trinken und seine Zigarre rauchen zu sehen. Wagner Sämann ist geboren 1813, am Tage der Völkerschlacht bei Leipzig; er hat also schon gelebt, al» im Winter 1813/14 russische Kosaken in Ostdorf im Quartier lagen. Als junger Mann war er längere Zeit auf der Wanderschaft in Bayern, der Schweiz und dem (damals französischen) Elsaß, und er weiß noch jetzt gelegentlich sehr interessant von seinen Erlebnissen zu erzählen.
Tuttlingen 23. Okt. Trotz der in de» letzten Jahren vorgekommenen Verhaftungen und schweren Bestrafungen von Saccharinschmu g- lern treiben diese ihr Unwesen weiter. In Singen wurden letzter Tage zwei Frauenspersonen verhaftet, welche etwa einen Zentner Saccharin mit sich führten; zum Teil trugen sie die Ware in geschickt konstruirten Taschen in den Beinkleidern.
Ehingen a. D. 22. Okt. 40 Jahre lang hat ein Kriegsveteran einen Knochensplitter in der Zunge mit Herumgelragen. Der KSsereibefitzer Härle von Dellmensingen OA. Laupheim, der den Feldzug 1870 beim 2. württ. Infanterie- Regiment Nr. 120 mitmachte, war beim Sturm
auf Fröschweiler durch einen Schuß durch de« Kiefer und die Zunge schwer verwundet worden. Ohne Rücksicht auf seine schwere Verletzung und den starken Blutverlust hielt der wackere Mann au» bi» zum Ende der Schlacht. Härle, der für seine bewiesene Tapferkeit mit de» Eisernen Kreuz ausgezeichnet wurde, lag zuerst im Feldlazarett in Reichshofe» und wurde später auf der Solitude bei Stuttgart ärztlich behandelt; er hatte viele Schmerzen auszustehen und konnte wochenlang nur flüssige Nahrung mittel» eines Schlauchs zu sich nehmen. Während seine» langen Krankenlager» hatte er immer das Gefühl, al» ob in der schwerverletzten Zunge, die von Zeit zu Zeit eiterte, ein Fremdkörper in Form eine» Knochensplitters sich befände. Aber es gelang weder damals noch später, den vermeintlichen Knochensplitter zu entfernen. Schließlich verheilte die Zunge und Härle genaß vollständig. Vor einigen Wochen nun verspürte Härle wieder Beschwerden in der Zunge und eine leichte Rauhigkeit an der Oberfläche. Dem zugezogruen Hausarzt gelang e» ohne besondere Schwierigkeiten, einen recht beträchtlichen Knochensplitter zu Tage zu fördern.
Pforzheim -22. Okt. (Arbeiterbewegung.) Bereits hat eine größere Zahl Kettenmacher in denjenigen Geschäften, die gestern Zahltag hatte«, gekündigt. Da» Gros wird heute kündigen. Die Fabrikanten habe» ein Flugblatt in der Stadt verbreiten lassen, dis Arbeiter sollen sich nicht von Hetzern zu einem schädlichen Streik treiben lassen. Die Antwort war leider, daß die Straßen mit den Resten der zerrissenen Aufrufs bedeckt waren. Da» sieht nicht nach Friede« in letzter Stunde aus!
Pforzheim 22. Okt. Die Gesamtlage hier wird von hiesigen Fabrikanten dahin beurteilt, daß er wahrscheinlich nicht nur zu einer Aussperrung in der Kettenbranche, sondern leicht auch zu einer Gesamtaussperrung der ganzen Bijouterieindustrie mit ihren 30000 Arbeitern kommen kann.
Pforzheim 22. Okt. Von hier hat sich in den letzten Tagen ei» Liebespaar, ein 20jähriger Goldarbeiter und eine gleichalterige Fabrikarbeiterin entfernt. Die beiden haben sich nach hier eingelaufener Nachricht in einem Kahn auf dem Zürichers«« erschossen.
Vom Schwarzwald 20. Okt. (Au»- sichts türm.) Der neuerbaute Turm auf der Hornisgrinde wird Sonntag, den 30. Okt. feierlich eingeweiht. Der nunmehr vollendete Turm, da» größte Werk, da» der Schwarzwaldverein bi» heute erstellt, wurde nach den Plänen de» Herrn Professor» Wälder in Karl»-
nicht grämen, wenn'» keine schlimmeren Enttäuschungen im Leben gäbe al» diese, so wär'S gut."
Hallberg lachte kurz auf. „Selbstverständlich Hilst da kein Fluchen und kein Beten. Da» Schlimme ist nur, daß deine Eltern, mein lieber Haffner, einen netten Begriff von der Würde eine» Künstler» bekommen müssen, den man telegraphisch heimkommandiert wie einen Geschäftsreisende«. Wie sagt doch gleich mein Kollege Schiller von den Künstlern: Der Menschheit Würde ist in Eure Hand gegeben! Eine großartige Ansicht, freilich lebte der gute Mann ja auch in Weimar, aber nicht in Kronburg."
Hugo fuhr auf: „Bedenke, mit wem du redest! Ich verbitte mir diese anzügliche« Bemerkungen und wundere mich, daß du so taktlos sein kannst."
Hallberg pfiff leise vor sich hin. „Immer poltere lo», mein lieber Junge. Ich wollte dir nur Gelegenheit gebe», deine stille Wut hrrau»- zuschleudern. Kannst jetzt meinethalben auf mich schimpfen wie ein Wachtmeister, e» macht mir gar nicht» au», aber bitte, schlucke den Aerger nicht in dich hinein, denn da» ist ungesund. Ich kenn' dich doch ganz genau und weiß, wa» du jetzt leidest."
Hugo antwortete uicht, so fuhren sie schweigend ihrem Ziel entgegen und erreichten e» in später Nachtstunde.
XIX.
Hugo» Unmut über die erzwungene Unterbrechung seine» Velt- heimer Gastspiels legte sich einigermaßen nach der Sondervorstellung der „Braut von Messina", denn der Großherzog zeichnete ihn am Schluffe ganz besonder» au» und stellte ihm auch die Wiederaufnahme der Vorlesungen in nahe Au»ficht. Vor allem aber wünschte er nunmehr die rasche Einstudierung der „Freiheitsträume", die denn auck sofort in Angriff geuowme» wurden.
Hugo» Gegenspieler in diesem Werke war Wartner, der eine ruhige,
tiefe, seinem gauze« Wesen auf» Glücklichste zusagende Rolle darzustellen hatte und meist mit Hugo zugleich auf der Szene stand. Aber seltsam, während sie einander bei früherem Zusammenwirken rasch verstanden und aufs Beste ergänzt hatten, wollte ihnen da» diesmal nicht gelingen, so dcß der Regisseur seiner Verwunderung offen Ausdruck verlieh und der Dichter in Verzweiflung geriet. Hugo glaubte den Grund der Unstimmigkeit in einem Irrtum von Wartner» Gesamtauffaffung zu finden und machte diesem in einer Probe ganz offen den Vorschlag, sich nach seinen Ansichten zu ändern.
Doch da erlebte er die Enttäuschung, daß Wartner, der seine hastige Auseinandersetzung ruhig lächelnd angehört hatte, für seine Auffassung fest eintrat und für sie die Unterstützung des Dichter» und de» Regisseur» fand. Und al» Hugo dann achselzuckend auSrief: „Ja, dann weiß ich nicht, woran da» liegt, daß wir nicht zusammenkommen!" da zog ihn Wartner in eine Kulisse und sagte: „Aber ich weiß e» — und will heute noch mit dir darüber sprechen. Ich bi» um 5 Uhr nachmittag» bei dir und hoffe, dich daheim zu finden."
Dann wandte er sich zu dem Regisseur und sprach ganz gelassen: „Ich denke, daß ich dem Fehler auf der Spur bi«. Haffner und ich werden uns aussprechen, und morgen schon wird die Dissonanz wohl behoben sein." Damit wurde die Probe abgebrochen. Hugo ging nicht wie sonst mit Hallberg zu Tisch, sonder» begab sich in starker Erregung nach Hau». Er fühlte, daß heute eine Entscheidung fallen, daß in wenigen Stunde» Wartner ihn zur Verantwortung ziehen werde. Er fürchtete die bevorstehende ernste Unterredung nicht, denn er durfte sich da» Zeugnis geben, ehrlich gekämpft und nur in der wilde« Erregung jener einen Stunde der Versuchung nachgegebe» zu haben. Zudem hatte seine reine, freie Liebe zu Eva ihn gelehrt, seine früheren Empfindungen für Wartner» Gattin so gering zu bewerten, daß er beinahe eine Genugtuung darüber empfand, daß der Druck jener Erinnerung nun endlich von ihm genommen werden sollte. (Forts, folgt.)