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Erscheinungstage: Montag, Dienstag. Mittwoch. Donnerstag, Freitag und Samstag. Jnsertionspreis 16 Pfg. pro Zeile für Stadt u. Bezirksorte; außer Bezirk 12 Pfg.
Breitag, den 14. Oktober 1910
Bezugspr.i.d. Stadt r/ijährl.m. Trägerl. Mk.1.25. Postbezugspr. f.d.Orts-u. Nachbarortsverk. ^jährl. Mk. 1.20, im Fernverkehr rökk.1.30. Bestellg. in Württ. 30Pfg.» in Bayern u. Reich 4L Pfg.
Politische Umschau.
Zwei bedeutsame Tagungen haben dem politischen Leben unseres engeren Heimatlandes in der abgelaufenen Woche da« Gepräge gegeben: die Herbstwanderversammlung der Natiovaliberalen Partei und die Lan- desversammlung der Sozialdemokratie. Beide wirsen bemerkenswerte Momente auf; erster« die parteiamtliche Erklärung über ein planmäßiges Zusammengehen von Nationalliberalen und Volkspartei bei den nächste» Wahlen, letztere die offene Markierung der schroffsten Gegensätze in den Reihen der Gesoffen. Wenn führende Persönlichkeiten offen von einer „Ver- ärgerungttaktik" innerhalb der Partei sprechen, von einem „zerklüftete» Parteiwesen, wie es schlimmer nicht sein kann", von der „Verleugnung aller Vernunft" auf Seite» der radikale» Genossen, so braucht man im bürgerlichen Lager darüber zwar keinen Jubelhymnus anzustimme», aber man kann doch in ruhiger Ueberlegung zu dem Schluffe kommen, daß eben auL die sozialdemokratische Vollkommenheit in die Brüche geht, ehe sie nur recht angefangen hat. Ist da» für die vernünftigen Beobachter der politischen Lebens eine Selbstverständlichkeit, so andererseits für die, die insbesondere heutzutage alles Heil von link» erwarten, eine ganz gesunde Lehre.
Eine Jubelfeier von hoher geschichtlicher Bedeutung wurde in den ersten Wochentagen in der Reichshauptstadt begangen: die Jahrhundertfeier der Berliner Universität. In de« Zeiten der tiefsten politischen Demütigung — durch den Frieden, zu Tilsit i. I. 1807 war mit dem „Königreich Westfalen" die wichtigste altpreußische Universität Halle, in Feindeshand übergegangen — wurde da» Institut unter Friedrich Wilhelm III ins Leben gerufen, um sich gar bald zu einer mustergültigen Pflegestätte deutscher Wissenschaft auszubilden. Heute hat
die Anstalt die unbestrittene Führung all Kulturfaktor für das ganze deutsche Vaterland.
Dem endgültigen Friedensschluß in der Werftindustrie haben sich noch mehrfach Schwierigkeiten entgegengestellt. Darf man diese auch nicht zu hoch einschätzen und hoffen, daß jeder weitere Tag die Wogen der Erregung vollends glätten und so doch noch ei« friedlicher Ausgang zuwege gebracht wird, so ist doch die Angelegenheit nach einer anderen Seite hin kritisch zu beurteile»: sie zeigt, daß in derart ernste» Situationen die Arbeiter ihren Führern über den Kopf wachsen, daß sie deren Parole nicht mehr strikte Folge leiste». Man hat da» daraus ersehen, daß die Abmachungen der Delegierte« zum Teil nur sehr geringe Mehrheit fanden, zum Teil sogar eine Minderheit für sich hatten. Wir glauben, man darf daraus an verantworlicher Stelle, hübe» wie drüben — auch die Arbeitgeberseite hat sich zum Teil recht hartnäckig gezeigt — die Lehre ziehen, daß man bei solchen Kämpfen die Erbitterung nicht zu tief fressen lassen darf, daß men von allem Anfang an vermittelnde Wege suchen muß. Der beiderseitige gute Wille hilft dann über vieles hinweg.
Eine Abmachung wie bei uns in Württemberg ist auch in Thüringen ins Auge gefaßt. Dort stehen zwischen der Leitung der Nationalliberalen Partei und dem Landesausschuß der Fortschrittlichen Volkspartei Verhandlungen in Sicht wegen gemeinsamen Vorgehen» bei den nächsten Reichstagswahle». Die Abmachung entspricht dort einem ebenso dringende« Bedürfnis wie bei uns, denn ohne sie sind alle in liberalem Besitze befindlichen Mandate durch die Sozialdemokratie auf's äußerste bedroht.
In der auswärtige» Politik konzentriert sich da» Interesse vornehmlich auf die neue Republik Portugal. Wenn man gerecht sein will, kann man eigentlich nicht sagen, daß sie sich mit ihrer ersten „Tat" besouder« rühm
lich eingeführt hat, nicht wegen der Aufhebung und Konfiszierung der Klöster und Orden an sich, denn das ist ein Staatsakt, der niemanden etwa» angeht, aber durch die Art und Weise, wie diese Tat vollführt wunie. Eine Republik, die Freiheit und Gleichheit auf ihre Fahne schreibt, sollte sich doch sagen, daß es dem primitivsten Gerechtigkeitsgefühl Hohn spricht, Leute, die nun doch einmal landesansässig gewesen find, innerhalb 24 Stunden über die Grenze zu jage». Das verrät recht wenig Großmütigkeit und noch weniger Großzügigkeit beim erste« staatS- politifchen Akt. Wenn sodann Gerüchte umgehen, der König habe noch nicht abgedankt, er behalte sich „weitere Entschließungen" vor ic., so hat da« natürlich gar nichts zu besagen; der 21jähr. Manuel muß sich eben wohl oder übel damit abfinden, sich nach einem anderen „Berufe" umzusehen. Daß man in Spanien nicht gerade freudigen Blickes über die Grenze schaut, versteht sich am Rand, denn wenn irgendwo in nächster Zeit in einem europäischen Lavde je wieder die Würfel fallen sollten, Spanien oder Griechenland dürften wohl in gleichem Maße besorgt sein, ob nicht sie das Lo» trifft.
ES ist ein eigenartiger Wechsel, der sich immer auf der Schaubühne des Lebens vollzieht. In diesen selben Tagen, da der Umschwung im Portugieserlande sich vollzog, hat der Absolutismus in Rußland einen weiteren Schritt vorwärts getan. Von der Zumutung an die Finnländer, Gesetze durch ihr Parlament rechtskräftig zu machen, die das letzte Ende der Oberhoheit diese» Landes bedeuteten, einer Zumutung, die da» wackere Völklein mannhaft ablrhnte, ging der Zarismus einfach zur Auflösung de» finnische» Landtag» über. Diese Auflösung ist natürlich nichts anderes als da» letzte Scheinmanöver vor dem letzten Gewaltstreich; die russische Regierung weiß ganz genau, daß bei einem neu zu wählenden Landtag — Januar bezw. Fe
Beifall.
Eine Novelle von F. A. Geißler.
(Fortsetzung.)
„Und wen» er was kann, so wird er schließlich rasch genug Hofschauspieler oder Mitglied einer guten, anständigen Bühne. Euer Talent steht noch im Marktwert, aber wer kümmert sich um einen Dichter? Er kann die herrlichsten Meisterwerke in seinem Rock mit herumtragen, keine Seele fragt danach, denn da» Versemachen und Dramenschreiben wird nur bei einige» wenigen geschätzt, die damit Geschäfte zu mache» wissen. Und um nicht zu verhungern, schreibt man schließlich Gelegenheitsgedichte für ein paar Groschen und wird zum armseligsten aller Knechte. Er löste ein Paket, das er fest an seinen linken Arm gebunden hatte, von seiner Verschnürung, riß die Hülle ab und brachte ei» sauber geschriebene» Heft zum Vorschein. „Da, sehen Sie diese« Manuskript? ES ist ein Drama, weiß Gott ein echtes Stück Dichtung voll Kraft, Schönheit und Tiefe. Lachen Sie mich nicht ans, Lebensretter; ich flunkre nicht, e» ist ein Stück, das nicht jeder schreiben kan». Und doch bin ich so weit gewesen, daß ich mir'» heute draußen mit einem Strick an den Arm band, um e» mit hinunter zu nehmen auf de» tiefen, ruhigen Grund. Sie haben mich dran verhindert, und zur Strafe sollen Sie da» Stück lesen. Dann werden Sie mich kennen. Nu» lieg' ich Ihne» zur Last da, fortgehen kann ich nicht, der Wein macht mich schläfrig, ach so müde bin ich, so müde. Lassen Sie mich die Nacht hier verbringen, morgen früh geh' ich meine» Weg», wer weiß wohin."
Hallberg streckte sich auf der Chaiselongue au» und verfiel rasch in
einen bleiernen Schlaf. Hugo nahm da» zerknitterte, auf billigster Papier geschriebene Drama und begann zu lese«. Und er las stundenlang ohne Aufhöre» mit glühende» Wangen und schlagenden Pulse». Die Lampe ging au», er steckte eine trübe Kerze an und la» weiter und weiter bi« zum Ende. Er war auf« tiefste erschüttert, eine große, edle Dichtung war in seine Seele gedrungen. Ja, dieser Eugen Hallbrrg war ei» Dichter von Himmels Gnaden und sein Drama „Freiheit»träume" ein Meisterwerk. Und eine Rolle war darin, eine Rolle, wie für ihn geschrieben, wie au» der Tiefe seiner eigenen Seele heraus geschaffen!
Da« Licht in der Hand haltend, trat Hugo zu dem Schlafenden-
„Armer, armer Manu! Wa» hast du gelitten. Aber jetzt soll'» Heller, froher Tag für dich werden. Ward dein Leben durch mein Dazwischen- tretrn erhalten, so muß ich dir nun durch Taten helfen. Dein Weick sei mein Werk. Ich will den Deutschen einen großen Dichter zeigen, de» sie schon bis an den Rand des Wassers gebracht hatte»."
Von einem seiner letzte« Lorbeerkränze schnitt Hugo einen fast noch frischen Zweig ab und legte ihn in die Hand des schlafenden Dichter». Dann ging er zur Ruhe.
Nach traumbelastetem Schlummer erwachte er früh am Morgen und schaute durch den Türspalt in da» Wohnzimmer. Da saß Hallberg mit verklärtem Antlitz auf der Lagerstatt und betrachtete den Lorbeerzwrig. Er fuhr erschreckt zusammen, als Hugo eintrat; schnell stand er auf.
„Ich muß nun gehen, Herr Haffner, will Sie nicht länger belästigen. ES ist wirklich sehr schön bei Ihnen, man trämt so herrlich, sogar ich alter Esel Hab' von Lorbeer geträumt. Da halt' ich beim Erwachen die» Zweiglein in der Hand, wer weiß, woher mir'» kam.