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Stuttgart 12.Okt. In einer von nahezu 100 Vertretern württ. Metzgeriunungen besuchten Versavimlung de« Bezirk«verein« Königreich Württemberg im Deutschen Fleischerverbaud, einem Obermeister­lag, der heute im neuen Schlachthausrestaurant Gaisburg abgehalten wurde, wurde zu der Frage der Viehteuerung Stelluv g genommen. Der Vorsitzende de« Bezirksvereins, Obermeister Häuß ermann-Stuttgart, eröffnete die Tag­ung und begrüßte die Versammlung. Er be­tonte, daß e« eine außerordentliche Tagung sei, daß die Metzgermrister nicht au« Uebermut son­dern der Not gehorchend zusammengekommen seien. Es sei eine schwere Zeit gegenwärtig für dar Fleischergewerbs. Scho« auf dem FleisLerver- bandttag im Frühjahr d. I. in Nürtingen habe er darauf hingkwiesev, daß die Aussichten für das Metzgergewerbe für die Zukunft keine rosigen seien. Seine damaligen Ausführungen hätten sich nicht nur in vollem Umfange bestätigt, son­dern seien auch durch die Tatsachen weit über- troffen worden. Wenn den Metzgermeistern gegen­wärtig etwas nützen könne, sei es vor allen Dingen die Einigkeit. Er richte an die Versammelten die dringende Bitte, in ihrem Teil dazu beizu tragen, daß jeder Zwiespalt innerhalb des Ge­werbe« vermieden werde. Auch die heutigen Ver­handlungen hätten keinen andern Zweck, als den, dem Gewerbe zu dienen, und Mittel und Wege zu finden, eine Besserung der Lage im Fleischer­gewerbe herbeizuführen. Obermeister Häußer- mann erstattete sodann ein eingehende« Referat über die Lage de» Fleischergewerbes im Hinblick auf die Viehteuerung. Er führte u. a. ou»: Die Viebprnse für alle Gat­tungen seien in diesem Jahr höher als in den Vorjahren. Der Mehrwert des im ersten Halb­jahr d. I. geschlachteten Vieh» betrug gegen früher etwa 100 Millionen. Der Durchschnitts­preis der Fleisches stellte sich im Jahr 1910 um 7,2 Pfg. für dar Kilo höher, als im Vorjahr. Die Einkaufspreise seien diesen Preisen weit vorausgeeilt. Außer diese« 100 Millionen habe das deutsche Fleischergewerbe jährlich etwa noch 25 Millionen Untersuchungsgebühren und 25 bis 30 Millionen für die Schlachtviehversicherung aufzubringen, ferner 40 Millionen an Verzinsung und Amortisation von Schlachthöfen, etwa 20 Millionen für Verwaltungskosten der Schlacht­höfe, etwa 4 Millionen für soziale Aufgaben und etwa 10 Millionen an Zölle» für Schlachtvieh u. s. w. Kein andere« Gewerbe ist mit so vielerlei Lasten beladen wie das Fleischergewerbr. Die Erhebung von Zöllen trägt ebensall» zur Ver­teuerung de« Fleische» bei; auch die Einfuhr­spesen, die auf da» auswärtige Vieh entfallen, seien sehr hoch; bei der Einfuhr aus Dänemark

kommen noch die Quarantänekosten hinzu. Au» den erwähnten Zahlen gehe hervor, daß die hohen Kosten da« eingeführte Vieh wesentlich verteuern. In Württemberg seien die Verhältnisse gleich ungünstig wie im übrigen Deutschland. Wenn bei der Eröffnung der Stuttgarter Schlacht- und ViehauSstellung in Anwesenheit de» Königs von Finanzrat vr. Trüdinger der Viehbestand Würt­tembergs in den rosigsten Farben geschildert und betont worden sei, daß Württemberg eine große Anzahl Vieh ausführe, dann hätte billigerweise auch gesagt werde» müssen, daß diese Ausfuhr nur dadurch möglich sei, daß wieder eine ganz beträchtliche Menge Vieh nach Württemberg ein­geführt werde. Dabei müsse auch berücksichtigt werden, daß an verschiedenen Orten ein ver­schiedenes Bedürfnis für Schlachtware vorhanden sei; daher komme es, daß Vieh au» Württemberg ausgeführt, auf der andern Seite aber ebenso­viel eingeführt werde. An Hand von Zahlen­material legte der Redner die Richtigkeit dieser Angaben im einzelne» dar. Von besonderem Interesse ist die Mitteilung, daß im Jahr 1908 beispielsweise 48 °/«, also nahezu die Hälfte der Gesamtzusuhr von Großvieh am Stuttgarter Schlachthof au« Bayern ««geführt wurde; im Jahr 1907 seien sogar 52 Prozent der Gesamt­zufuhr, also mehr als die Hälfte, von auswärts eingeführt worden. Die Viehproduktion halte nicht gleichen Schritt mit der Vermehrung der Bevölkerungszahl in Deutschland; daher komme es, daß noch immer zu wenig Schlachtvieh am Platze sei, im Verhältnis zur Bevölkerung?zahl. Mit jedem Jahr wachse auch das Bedürfnis, mehr Fleisch zu konsumiere». Der Obermeister ging dann auf die verschiedenen Maßnahme», die zur Beseitigung der Fleischteuerung versucht worden find, näher ein. Auf allen Versammlungen des StädtetagS, der Gemeindeverwaltungen, der Ar­beiterschaft u s. w. sei ausgesprochen worden, daß nicht die Metzger, sondern die Verhältnisse an der Teuerung schuld seien und daß nur dadurch Abhilfe geschafft werden könne, daß die Viehzölle aufgehoben und die Frachten für Vieh ermäßigt werden. Wenn bei den maßgebenden Stellen, bei der Reichsregierung, der Wille vorhanden wäre, würde sich ein Weg zu einer vorüber­gehenden erleichterten Einfuhr von Vieh schon zeigen, es scheine aber, daß der gute Wille fehle. Mindestens 2 Jahre werde es dauern, bi« wieder schlachtreifes Vieh in Deutschland vorhanden sei. Nach einer längeren Debatte wurde die fol­gende Resolution von dem Obermeistertag ein­stimmig angenommen:Der heute abge­haltene, sehr gut besuchte Obermeistertog kam nach eingehender Beratung und Erwägung der in der letzten Zeit zurückgegangenen Viehproduktion und der dadurch entstandenen Viehknappheit zu dem

Beschluß, an die Reichs- und Landesregierung die Bitte zu richten, sie mögen 1) unverzüglich die nötigen Schritte tun, daß die Zölle auf Schlachtvieh und Futtermittel solange mög­lichst herabgesetzt, auch die Quarantänevor­schriften erleichtert und das Vieheinfuhrverbot aufgehoben werden, bis wieder normale Vieh­preise bei un» eingekehrt sind, 2) die Landwirt­schaft zu vermehrter Viehzucht und Vieh­haltung veranlassen und insbesondere bei der Verpachtung von Staatsdomänen darauf dringen, daß ein gewisser, der Größe des Guts entspre­chender Bestand von Zucht- und Mastvieh ge­halten werden muß, weil die Pächter gegenwärtig vielfach zur viehlosen Bewirtschaftung der Güter übergegangen sind, 3) die Frachtsätze beim Bahntransport für Schlachtvieh auf diejenigen für Zuchtvieh herabzusetzen, 4) dahin wirken, daß in den Gemeindeschlachthäusern die Schlacht- gebühren nicht zu hoch angesetzt und daß die Gebühren für Schlachtvieh- und Fleischbeschau auf die Staats- oder Gemeindekaffrn übernommen werden."

Tübingen 12. Okt. (Erbschaft.) Einem hier lebenden Pensionär sind durch Ueber- mittlung des Justizministeriums 23 000 Mark Erbschaft eines in Guatemala verstorbenen Sohne« ausbezahlt worden. De? Verstorbene ging mit jungen Jahren ins Ausland, legte in Guatemala eine Kaffeeplantage an, die bei der großen Erd­bebenkatastrophe in wenigen Minuten verschüttet wurde. Der überaus energische Mann fing von neuem an, wurde aber dann vor einem Jahre von der Seuche dahingerafft.

Endersbach OA. Schorndorf 12. Okt. An der oberhalb der Haltestelle Stetten befind­lichen Straßenkreuzung Rommelrhausen-Stetten wurde beim Ueberschreiie» der Straße der in Strümpfelbach wohnhafte 42 Jahre alte verhei­ratete Arbeiter Fr. Kaiser von einem au« Endersbach kommenden Automobil aus Unter- türkhnm überfahren und ca. 20 Meter weit geschleift. Die Insassen des Automobils Nahmen sich des Verunglückten an und verbrachten ihn ins Bezkkikrankerrhau» Cannstatt, wo er gestern früh seinen Verletzungen erlegen ist. Er hinter­läßt eine Witwe und zwei Kinder.

Brackenheim 12.Okt. JmSchulhau« in Gemmingen brach Feuer au«, da« den ganzen Dachstock zerstörte. Die Brandursache ist unbekannt. Von Glück kann man sagen, daß die Kinder Herbstferien haben, sonst hätte sich schwere» Unheil wohl nicht verhüten lassen.

Heilbronn 12.Okt. (Verlorene Geld­beträge. Diebstahl) Auf dem gestrigen Viehmarkt verlor ein Bauer aus Talhrim sei« Taschenbuch mit über 300 Mark, ein Bauer aus

Oder der liebe Gott", antwortete Hugo mit freundlichem Ernste und mit der ganzen Schlichtheit seines gütigen Herzens.

Der andere lachte hell auf.Es geschehen Zeichen und Wunder, ei» Schauspieler, der ernsthaft vom lieben Gott spricht! Ja, ja, mein großer Kollege Goethe hat schon Recht: ein Komödiant könnt' einen Pfarrer lehren."

Hugo stutzte.So find Sie ein Dichter?"

Der Gerettete hob stolz da« Haupt empor und sagte mit fester StimmeJa". Doch als schämte er sich seines Bekenntnisses, ging er mit große» Schritten fürbaß. Hugo tat ein Gleiche» und schritt eine Weile stumm neben ihm her; dabei betrachtete er voll Teilnahme seinen Gefährten. Dieser war unter Mittelgröße, zart, überschlank, mit jenen schmalen Schultern, auf die das Schicksal oft schwerere Lasten legt als auf die breiten und stämmigen. Die Kleidung war ärmlich, abg-tragen, aber peinlich sauber. Er mochte etwa vierzig Jahre zählen.

Endlich brach Hugo das Schweigen.Daß ich Schauspieler bin wissen Sie also. Nun haben Sie mir gesagt, daß- Sie ei« Dichter sind. Darum gehören wir beide doch eigentlich zusammen, und vielleicht war'« mehr als ein Zufall, daß gerade meine Hand Sie von Ihrer Tat zurückhielt."

Der Poet lachte heiser.Glaub's nicht, denn Sie fitzen ja sicher und warm, ich aber, weh dem, der keine Heimat hat. Doch jetzt komme» wir in den Bereich der Straßenlaternen. Sie können sich doch nicht mit mir öffentlich sehen lassen, darum adjüs, für Ihre Rettung kan« und will ich Ihne» nicht danken. Aber für Ihren guten Willen dank' ich Ihnen gern, und auch für di« lieben Worte und das ehrfurchtsvolle Schweigen vorhin bei unser« Gang. So lieb war zu mir seit vielen Jahren kein Mensch mehr. Leben Sie wohl!"

Er ergriff Hugo» Hand zu kurzem Druck. Jener aber hielt die seinige fest und sagte:So laß' ich Sie nicht von mir. Diesen Abend dürfen Sie nicht allein verbringen. Kommen Sie mit zu wir. Mein Zimmer ist still, ich will mich nicht in Ihr Vertrauen eindrängen, wir

fitze« da ruhig zusammen und unterhalten uns schweigend. Oder soll ich Sie begleiten? Wo wohnen Sie?"

Wohnen, ich? Nirgends ... in einem Heuschober, unter einer B ücke, besten Fall» ab und zu mal in einer Kaschemme ... ja, ja, es stimmt schon, obdachlos, junger Herr, obdachlos."

Wortlos schob Hugo seinen Arm unter den des Geretteten und war im Begriffe, eine leer vorüberfahrende Droschke heranzurufen. Da sagte ihm sein Zartgefühl, daß sein Begleiter daraus schließen müsse, er wolle sich nicht mit ihm auf der Straße zeigen. Und so ging er mit dem Fremden, der sich jetzt willenlos führen ließ, durch die hellerleuchtete Stadt nach seiner Wohnung.

Dort bewirtete Hugo seinen Gast mit Speise und Trank, und die wenigen Gläser feurigen Weins machten den Fremden bald mitteilsam. Eugen Hallberg war sein Name, und sei» Schicksal das so manche» be­gabten Menschen, dem das dichterische Talent zum Verhängnis geworden.

Wär' ich geblieben, was ich einst war, ein kleiner Beamter beim Magistrat in Neuenstein, einem kümmerlichen Nest in unserem Ländchen, so hält' ich jetzt noch mein Auskommen und dürfte in meine» Musestunden vielleicht manches Werk mit behaglicher Ruhe schaffen. Aber ich war früher nicht so klug, dachte nicht daran, daß ein Grillparzer sein Lebtag ein Subalterner mit karger Besoldung blieb und doch dabei ein großer Dichter war.

Ich meinte, die Kunst fordere einen ganzen Mann mit all seinem Leben, Sinnen und Trachten. Und so warf ich alle« von mir, was mir hinderlich schien und wurde ei« freier Schriftsteller. Frei bin ich aller­dings, ja frei wie die Vögel, bloß daß die ihre Nester haben, während ich obdachlos bi» und heut' Ihr schöne» Zimmer anstaune wie einen Märchenpalast. Ach, die Gabe der Dichtung ist ein karge» Geschenk. Ein junger Kerl, der sich zum Schauspieler geboren glaubt, nimmt Reißaus von daheim und findet bei der ersten besten Wandertruppe schließlich ein Unterkommen." (Forts, folgt.)