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Amts- und Anzeigeblatt für -en Oberamtsbezirk Calw.

85. Jahrgang.

Erscheinungstage: Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag und Samstag. Jnsertionsprers IO Pfg. pro Zeile für Stadt u. BeztrkSorte; außer Bezirk 12 Psg.

Montag, den 10. Oktober 1910.

Bezugspr. i. d. Stabt >/,jcihrI. m. TrSgerl. Mk. 1.25. PostbezugSpr. k.d. Orts-u. Nachbarortsverk. i -sährl. Mk. 1.2V, im Fernverkehr Mk.1.30. Bestellg.in Württ.30Pfg., in Bayern u. Reich 42Psg.

Tagesueuigkeitek.

Am 7. Oktober 1910 ist von dem K. Evangel. Ob:richulrat eine ständige Lehrstelle in Dagersheim, Bez Böblingen dem Unteilehrer Konrad Hahr in Calw.

in Gültlingen, Bez. Altensteigdorf (Nagold), dem Anstaltslehrer Johannes Reu sch in Stammheim, Bez. Calw, übertragen worden.

Böblingen 8.Okt. (Großfeuer.) In vergangener Nacht ist in dem Bezirkrorte Aid­lingen infolge der Fahrlässigkeit eines jungen Mannes ei« Brand ausgebrochen, dem neu» Scheunen und 4 Oekonomiegebäude zum Opfer fielen. Der Schaden beträgt ca. 50 000 Mark. Der junge Mann ist in Haft genommen worden.

Renningen OA. Leonberg 8. Okt. Ein ehrlicher Finder war ein hiesiger Einwohner, der auf der Straße 7000 Mk. in barem Geld fand. Der Verlierer, der sich nicht gleich nobel benahm, war ein Hopfenhändler, dem die Summe von dem Finder sofort wieder aurgehändigt wurde, der aber sich kaum bedankte, von sonst einer An­erkennung nicht zu reden.

Stuttgart 8. Okt. Der Staatsanzeiger schreibt: Ihre Majestät die Königin begeht am Montag Allerhöchst Ihr Geb « rtSfest. In Ver­ehrung und Dankbarkeit wird an diesem Tag wie morgen bei de« Festgotterdienste« der hohen Frau auf dem Throne gedacht werden. Ihr lande»- mütterlicheS Walten auf all den Gebieten, denen sie ihre besondere Fürsorge und Anteilnahme zu­wendet, wird allenthalben als segensreich em­pfunden und ist insbesondere bei denjenigen, die selbst in den verschiedenen Zweigen der Volks­wohlfahrt tätig sind, wärmster Anerkennung gewiß. Je bedeutsamer und mannigfacher die Aufgaben sind, die auf diesem weiten, fast unbegrenzten Felde immer aufs neue erwachsen, um so leben­

diger find die Gefühle des Dankes für die An­regung, Förderung, Unterstützung und tatkräftige Hilfe, welche die Königin den beteiligten Insti­tuten, Anstalten und Vereinigungen zuteil werden läßt Die treuen Gesinnungen und die herz­lichsten Wünsche des württembergischen Volkes begleiten Ihre Majestät in das neue Lebensjahr. Möge auch künftig der Königin Gesundheit, Glück und Segen befchieden sein und möge sie an der Seite des hohen Gemahls frohgemut das schöne Fest feiern dürfen, dar im nächsten Frühjahr dem Königshause und dem Lande bevorsteht. Wie alljährlich hat Ihre Majestät die Königin auf ihr GeburtSfest eine Reihe von Wohlfahrtseinrich­tungen mit außerordentlichen Zuwendungen be­dacht. Die Jugendfürsorge in verschiedenen Zweigen, die Tuberkulosenbekämpfung durch die BezirkSwohltätigkeitSvereine, die weibliche Beruft- und Erwerbsbildung haben hiebei besondere Be­rücksichtigung gefunden.

Stuttgart 9. Okt. Zur Feier des Geburtsfestes der Königin haben die staat­lichen und städtischen, sowie viele Privatgebäude Flaggenschmuck angelegt. Dem Festgottesdienst in der Schloßkirche wohnten an die Minister, die Hofstaate«, Kammerpräsident von Payer und zahlreiche höhere Beamte. Die Festpredigt hielt Prälat von Kolb. I» dem Zug, der sich unter Vorantritt der Stadtgarde vom Rathaus in die Stiftskirche bewegte, befanden sich Stadt- dirrktor Oberregierungsrat Nickel, Mitglieder der bürgerlichen Kollegien und städtische Beamte. Dem Gottesdienst in der Eberhardskirche wohnten Herzog Albrecht sowie Herzog und Herzogin Robert bei.

Stuttgart 8. Okt. (Die drei Aus­brecher.) Zu dem bereits gemeldete« Ausbruch der drei Verbrecher aus der Untersuchungshaft

schreibt die Württemberger Zeitung: Wie wir erfahren, ist der erste der Ausbrecher der angeb­liche Bauführer Siegfried Engel, dessen Name «och nicht einmal bekannt ist. Er ist ein inter­nationaler Hochstapler, der kürzlich wegen Hei­ratsschwindel» zu 2 Jahren 3 Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Zerbach hat erst am Samstag eine Gefängnisstrafe von anderthalb Jahren er­halten, weil er sich auf dem Wege der Wechsel­falle« Geld verschafft hatte. Er ist u. a. mit Zuchthau» vorbestraft. Der dritte Ausbrecher ist der Kaufmann Weiß, der sich wegen betrüger­ischen Bankerott» in Untersuchungshaft befindet. Die drei hatten sich nacheinander krank gemeldet und waren deshalb gemeinsam in einem beson­deren Raum untergebracht. Erst gestern, am Morgen, wurde der Ausbruch bemerkt. Die Aus­brecher hatten das Fenstergitter herauSgemeißelt, eine Arbeit, die sicher eine Reihe von Nächten in Anspruch genommen hat und sind dann, nachdem sie da» Gitter vollends herausgebrochen, in de« Hof gestiegen. Von hier au» gelangten sie ins Freie. Zu Hilfe kam ihnen dabei die völlige Dunkelheit, die die ganze Nacht auf dem GefänguiShofe herrschte. Vorerst fehlt noch jede Spur von den Ausbrechern, nur von Zerbach weiß man, daß er noch in der Nacht de» Aus­bruch» um 3 Uhr bei seiner Braut gewesen ist. Es ist sehr verwunderlich, daß man drei solcher schwere« Jungen in einen und denselben Raum gesperrt hat und daß es ihnen gelingen konnte, ohne Verdacht zu erwecken, an ihrer Befreiung zu arbeiten. Jedenfalls war ihre Krankheit nicht besonders gefährlich, und die Ausgebrochenen werden sicher mit den Gefühlen herzlichster Dank­barkeit an da» Stuttgarter Untersuchungsgefängnis zurückdenken, das ihnen so freundlich de» Weg in die Freiheit gezeigt hat. Verwunderlich ist e»

Beifall.

Eine Novelle von F. A. Geißler.

(Fortsetzung.)

Herr Haffner sei zwar nur ein mäßiger Schauspieler, der sich aber klug und wirksam in Szene zu setzen verstehe und bereit» zu de« Sondervorstellungen herangezoge« worden sei, was auf deren künstlerische Höhe nicht eben günstige Schlüffe zulaffe.

Der Artikel schloß mit den Worten:Ob Herr Haffner in seiner Eigenschaft als Vorleser de» Großherzogs mehr leistet wie als Schau­spieler, wissen wir nicht, wollen e» aber hoffen, da sonst die bevorzugte Stellung, die man diesem jungen Herr« zur Entrüstung aller ernste« Kunstfreunde so rasch bereitet hat, als ganz unbegründet erscheinen müßte."

Als Hugo diesen Erguß einer schönen Seele gelesen hatte, knüllte er da» Blatt zusammen und warf e» in den Ofen. Aber als schon die nächste Post ihm sechs Exemplare de» Blatte» brachte, alle anonym, aber mit rotblauer Umrahmung de» Schmähartikels, und als sich dann im Lauf de» Tages diese freundschaftlichen Sendungen wiederholten und einige Kollegen und Bekannte ihm ihreEntrüstung" über den Angriff mit schadenfroher Miene aussprachen, da mußte er erkennen, daß ihm mit diesem ZeitungSblatt, das in Kronburg, wo eine Zeitung großen Stil» fehlte, viel gelesen wurde, ein schwerer Schaden zugefügt worden sei. Und am Abend in der Vorstellung teilte ihm ein lieber Kollegeschonend" mit, daß die Kronburger Oppositionszeitung den Artikel wörtlich abgedruckt und die Bemerkung beigefügt habe:Wir halten uns sonst grundsätzlich von derlei Theaterklatsch fern, glaubten aber, die vorstehende» Zeilen deshalb wiedcrgeben zu müssen, weil in ihnen die Ansicht eine» großen Teils der ernsten Kunstfreunde unserer Residenz zum Ausdruck zu kommen scheint."

In der entsetzlichen Stimmung, welche uns jeden Blick und Hände­druck verdächtig macht und in jedem harmlosen Wort eine bittere An­spielung vermuten läßt, die trotz aller gegenteiligen Bemühungen unsere Gedanken immer wieder auf den wunden Punkt zurückführt, so daß uns ein Angstgefühl beschleicht und wir uns mit einem gehetzten Wild ver­gleiche«, in dieser Stimmung mußte Hugo an dem Abend eine große Rolle spielen. Er kniete sich wie der Theaterausdruck lautet mächtig hinein und riß da» Publikum mit sich fort. Aber er konnte sich doch nicht verhehlen, daß der Applaus nicht so einmütig und herzlich gewesen sei, wie sonst; de» Bühnenkünstlers Ohr schärft sich für den Beifall mit der Zeit dermaßen, daß er darin die leisesten Schattierungen erkennt und für seine Bewertung ein überaus feine» Empfinden hat. Am nächsten Tage konnte er sogar in den Kronburger Blättern, die ihm bisher da« größte Wohlwollen bewiese«, wenn sie ihn auch niemals recht ernsthaft in seiner Eigenart gewürdigt hatten, mit gewundenen Worten lesen, daß er doch nicht alle Hoffnungen erfülle, die man auf ihn gesetzt: daß sein Streben vielleicht unter dem allzu rasch erlangten Beifall der Menge erstickt worden sei und daß man mit Besorgnis an ihm die Neigung zu allzustarkemLoSlegeu", zu gewaltsamen, auf die große Masse berechneten Wirkungen feststelle. Dieser Vorwurf traf Hugo am schwersten, denn er stellte ihn als einen Kulifseureißer hin, während doch sein Bemühen immer darauf gerichtet war, mit den MUteln einer feinen Charakteristik zu arbeiten.Und wenn sie mein Feuer, meine Leidenschaft und die Macht meiner Stimme jetzt auf einmal nicht mehr gelten lasten wollen, sondern darin nur Theatermache sehen, nun so sind sie die Toren, nicht ich!" So murmelte er zornig, als er die Abendblätter gelesen hatte und sich anschickte, in« Schloß zur Vorlesung zu gehen. Er be­mühte sich, in Ausübung seiner Pflicht alle» andere zu vergessen.

(Fortsetzung folgt.)