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die Strafe erhob, mit der Begründung, daß die Kapelle lediglich zur Unterhaltung der Kurgäste diene. Von der Falkensteiner Seite wurde geltend gemacht, daß die Leistungen der Musiker durchau» keine künstlerischen, sondern mehr tingeltangel- mäßige seien. Bei dieser Sachlage hielt et das Gericht für nötig, die Kapelle selbst kritisch zu hören. Die 15 Mann nahmen im Gerichtshof Aufstellung und die Mitglieder des hohen Ge­richtshof» gruppierten sich al» Zuhörer. Die geldgierigen Falkensteiner erlebten einen bösen Reinfall: der Gerichtshof war von der ersten Piece so begeistert, daß er stürmischen Beifall klatschte. Nach dem musikalischen Ohrenschmau» zog sich der Gerichtshof zur Beratung zurück. Da» Urteil erging dahin, daß die Leistungen der Kapelle künstlerischer Natur seien und daher nicht der Lustbarkeitrsteuer unterlägen. Die Strafe von 5 ^ wurde für unzulässig erklärt. Be­friedigt zogen die 15 Mann, nachdem ihre musi­kalische Ehre gerettet, von dannen.

Berlin 27. Sept. Die Beilegung des Werstarbeiterstreik« ist zwar in Aussicht, doch noch nicht sichergestellt. In der gestrigen Sitz­ung, die auf Einladung de» Jndustriellenver- bandeS abgehalten wurde, machte sich auf beiden Seiten eine versöhnliche Stimmung geltend. In verschiedenen Punkten wurde durch beiderseitiges Nachgeben Uebereinstimmung erzielt. Die Sitz­ung, die um 5 Uhr begonnen hatte, schloß erst kurz vor 10 Uhr abend». Die Weiterberatung wurde dann in Anbetracht der vorgerückten Stunde auf Mittwoch Nachmittag vertagt, denn die De­legierten der Arbeiter und die Vertreter der Arbeitgeber wollen zunächst noch einzelne der von beiden Seiten gemachten Vermittelungsvor­schläge getrennt beraten, um in der gemeinsamen Sitzung am Mittwoch endgiltige Beschlüsse zu fasten.

Berlin 27. Sept. Gestern abend hatte sich eine etwa 3000 Personen zählende Menge in der Beustelstraße und Sittlingerstraße ange­sammelt. Wiederholte ZerstreungSversuche der Polizei hatten nur zeitweiligen Erfolg. Auch 100 Berittene «ahmen in langen Reihen Auf­stellung. Schlag 7 Uhr brach die Menge in furchtbare» Pfeifen und Johlen au». Pfuirufe und Schmähworte erschollen. Die Beamten zu Fuß und 15 Berittene zogen blank, trieben die Menge mit scharfen Hieben auseinander, ver­folgten sie bis in die Nebenstraße hinein und sperrten die Beustelstraße ab. Trotzdem sam­melte» sich gegen Vs 8 Uhr wieder neue Masten an. Wieviel Verletzte es gegeben hat, ist zur Zeit noch nicht festzustellen. Zwei Verletzte mußten nach der Unfallstation getragen werden.

Berlin 27. Sept. Zu den gestrigen

Krawallen in Moabit ist noch nachzutragen, daß der Janhagel Schaufenster zertrümmerte und die Auslagen plünderte. Da» Straßen- pflaster wurde aufgeristen und mit den Steinen wurde» dann Schutzleute geworfen. Ein auf Patrouille geschickter Schutzmann wurde ver­mißt. Später fand man ihn besinnungslos in einem Hausflur liegen. Er hat schwere Ver­letzungen am Kopfe. Ein anderer Schutzmann, der vor der Menge in ein Lokal flüchtete und verfolgt wurde, konnte sich nur dadurch retten, daß er mehrere Schüsse auf da» Gesindel abgab. Schließlich blieb ihm nichts andere» übrig, al» sich zu verstecken. Da» Gesindel demolierte dann die gesamte Einrichtung der Schankwirtschaft, in die der Schutzmann geflüchtet war. Der Wirt ist so schwer verletzt worden, daß man an seinem Aufkommen zweifelt. Auch seine Frau ist schwer verletzt. Besonder« fanatisch zeigten sich bei dem gestrigen Auftritte die Frauen, die, um den Schutzleuten die Arbeit zu erschweren, mit Kindern auf den Armen erschienen waren und die Männer zum Vorgehen gegen die Schutzleute aufhetzteu.

Berlin 27. Sept. Bei den Ausschrei­tungen in Moabit am gestrigen Tage und in der vergangenen Nacht wurden insgesamt 38 Offiziere und Schutzmänner, einige von ihnen schwer, durch Steine und Messerstiche ver­letzt. Die Zahl der verletzten Exzedenten ist entsprechend groß, jedoch nicht festzustellen. Von 13 Verhafteten werden sich einige wegen Land­friedensbruche» zu verantworten haben. Heute früh 7 Uhr erschien der Polizeipräsident auf der fliegenden Wache. Für den Fall von neuen Ausschreitungen find scharfe Maßregeln beschlosten worden. Die Sickingerstraße und ihre Zufahrtsstraßen sind ab ge sperrt. Die Reformationskirche ist durch ein Polizeikommando beschützt.

Domodossola 27. Sept. Chavez ist unter schwerem Todeskampf gestorben, nachdem zwischen ihm und seinem mittags au» Pari» ein­getroffenen Bruder ein ergreifende» Wiedersehen stattgefunden hatte. Während der Agonie rief Chavez:Nein, ich sterbe nicht." Der Tote ist so aufgebahrt, daß sei» Haupt gegen die Alpen gerichtet ist.

Mailand 27. Sept. Da» tragische Schicksal Chavez', der 27jährig seinen großen Erfolg mit dem Leben bezahlen mußte, erregt tiefste» Mitgefühl in der Bevölkerung. Die Mailänder Flugwoche wurde zum Zeichen der Trauer für einen Tag unterbrochen. Die Ruhmeslaufbahn Chavez' war überraschend kurz und glanzreich; er hatte am 1. März 1910 in

Mourmelo» debütiert. Kurz vor der Katastrophe war der Bruder de» Verunglückten hier einge­troffen. Da» Begräbnis erfolgt in Pari», wo Chavez als Sohn peruanischer Eltern geboren war.

(Frkf. Ztg.)

Newyork 24. Sept. Al» Gaymor, der Bürgermeister von Newyork, aus den un­längst, wie erinnerlich, ein Rrvolverattentat ver­übt wurde, au» dem Hospital al« geheilt ent­lassen wurde, waren die Aerzte der Meinung, daß keine Operation notwendig sein würde, um die Kugel zu entfernen und daß der Bürger­meister sie al» bleibende Erinnerung bi» an sein Lebensende mit sich herum tragen würde. Am letzten Donnerstag besuchte ein bekannter ameri- kannter Halsspezialist den Bürgermeister und nach einer sorgfältigen Untersuchung gab er seiner Meinung dahin Ausdruck, daß e» schließlich doch notwendig sein dürfte, die Kugel auf operativem Wege zu entferne». Der Bürgermeister hat, wie e» scheint, empfunden, daß die Kugel ihn am Sprechen hindert. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird cr, sowie er sich kräftig genug fühlt, sich der notwendigen Operation unterziehen.

Marktbericht«.

Stuttgart 27. Sept. Der heutige Ob st mar kt war infolge de» Volksfeste» sehr schwach befahren. Dementsprechend waren die Preise gedrückt; e» kosteten Pfirsiche 1213 Aepfel 610 Birnen 625 Rüste 1830 °^, Zwetschgen 89 Quitten 12 bis 15 Tomaten 1516 Hagenbutten 1012 ^ je für 50 Kilo. Ausländische Wein­trauben waren zu 2022 da» Pfund ange­boren. Auf dem Mo stob st mar kt auf dem Wilhelmsplatz waren 1100 Zentner angefahren zum Preise von 4.204 50

Stuttgart, 27. Sept. Dem gestrigen Hopfenmarkt im städtischen Lagerhaus waren 150 Ballen zugeführt. Preis 4080 Mark per Zentner.

Ulm, 27. Sept. (Mostobstmarkt auf dem neuen Güterbahnhof.) Zugeführt war nur 1 Wagen Oberländer Mostäpfel, die bei flauer Kauflust zu 4 Mark der Zentner abgegeben wurden. Tafeläpfel wurden zu 8 Mark der Zentner angeboten.

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Beifall.

Eine Novelle von F. A. Geißler.

(Fortsetzung.)

Als Hugo den kurzen Weg von seiner Wohnung zur Intendanz zurücklegte, zeigte er auffallende» Interesse für Firmenschilder und Straßenverkehr, es ist ja eine alte Erfahrung, daß wir vor einer wichtigen Unterredung unsere Aufmerksamkeit gern auf unbedeutende Aeußerlich- keite» richten, um dadurch unsere innere Unruhe zu betäube«. Selbst al» er schon die steilen Treppe» mit den ausgetretenen Stufen au» Sandstein im Hause der Intendanz emporstieg, kamen ihm noch ablenkende Gedanken. Wieviel Hoffnung und Enttäuschung, Zuversicht und Erbitterung hatten diese Wände schon gesehen. Wie viel tausend Menschen waren, von den verschiedenartigsten Empfindungen bewegt, diese altertümliche» Stiegen schon auf- und niedergegangen. Schauspieler, Sänger, Dichter, Musiker, sie alle hatte« den Weg über diese Treppen mit Herzklopfen angetreten und waren einer oft für ihr ganze» Leben entscheidenden Stunde entgegengegangen. Wenn Steine reden könnte», würden sie hier sicher zu erzählen wiffen von mancher zerbrochenen Hoff­nung, mancher zagenden Angst, aber auch mancher stolzen Genugtuung.

Ein Sekretär geleitete Hugo in da» Wartezimmer. Dieses schien, so'einfach seine Au»statiung auch war, darauf berechnet zu sein, de» Harrenden in eine feierliche Stimmung zu versetzen. Da hingen unter Gla» und Rahme» Bilder des alten niedergebrannten Hoftheater» und daneben die Riste und Pläne zu dem gegenwärtige« stattlichen Bau.

Szenenbilder au» den berühmten Neueinstudierungen klastischer Dichtwerke gaben dem Beschauer sofort einen Einblick in die Art der hier gepflegten künstlerischen Arbeit. Am meisten in» Auge fiel aber ein in halber Lebensgröße gemalte» Porträt de» regierenden Großherzog», da» von einer Anzahl Bilder bedeutender Dichter und Mitglieder der Hof­

bühne umgeben war.Wie der Sterne Kreis um die Sonne sich stellt," zitierte Hugo unwillkürlich, al« er die scharf geschnittenen Bühnenköpfe musterte, die hier so traulich und doch bedeutungsvoll ihren kunstsinnigen Fürsten umgaben.

Eine warme Welle flutete bei diesem Anblick durch Hugo» Innere». Stolz und Freude erfüllten ihn bei dem Gedanke«, einem Kunstinstitut anzugehören, da» seine verdientesten Mitglieder in so sinniger, fürstlicher Weise zu ehren wußte.Ob wohl einst auch mein Bild hier zu schauen sein wird? Nu«, an mir soll's nicht liegen, wenn e« ander» kommt. Treulich arbeiten, die ganze Kraft auch für die kleinste Aufgabe aufbieten und nicht müde werden, wenn auch nicht alle» gleich glücken will. So werd ich einst wohl würdig werden, mit meinem Bild hier Nachbar de» Großherzogs zu sein." Diese Gedanken gaben ihm eine innere Freudig­keit, eine Reinheit de» Empfindens, wie er sie lange nicht erfahren hatte. Er fühlte seine Kräfte wachsen, hob unwillkürlich da» Haupt empor und umfaßte, einige Schritte zurücktretend, die ganze Ehrengallerie mit einem großen Blick, da wurde eine Tür geöffnet und ein Diener sagte leise: Exzellenz lasten bitten."

Hugo trat ein und verbeugte sich vor dem Intendanten Grafen Meerheim, der, scheinbar nachlässig an seinem modernen Schreibtische sitzend, den Eintretenden mit kluge», grauen Augen musterte. Der Graf war ein langer, schlanker Herr, dem man den ehemaligen Offizier der Gardeküraffiere auf den ersten Blick ansah. Da» leicht ergraute Haar lichtete sich bereit», der Schnurrbart zeigte militärischen Schnitt. Man wäre geneigt gewesen, den Grafen, der mit leichter Eleganz gekleidet war, für eine» ausgesprochenen Hofman« zu halten, hätten nicht seine Augen unter den buschigen Brauen jenen eigentümlichen, gleichsam in die Ferne schweifende« Ausdruck gezeigt, der allen sinnenden Menschen zu eigen sein scheint. Die schmale, sorgsam gepflegte Hand spielte mit einem an breite« schwarzem Bande befestigten Lorgnon.

(Fortsetzung folgt.)