Amts- und Anzeigeblatt für den Gberamkbezirk Calw

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Samstag, Len 17. September 1910.

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Zache oder Person?

Erwiderung von Pfr. Wagner, Neuhengstett.

^ ES wäre sehr zu wünschen gewesen, daß Herr Pfarrer a. D. Bossert-Hirsau in seinen Ausführungen Nr. 212 dieses Blattes zwischen Sache und Person genau unterschieden hätte, um sich ganz der Sache zu widmen. Die Personen gehen, die Sache bleibt. Es gilt sonst als eine streng zu beobachtende Regel, daß Personen nicht in die Debatte hereingezogen werden sollen. Diese Regel hat, wie leicht einzusehen, sittliche Bedeutung. Daher sollte gerade ein Geistlicher sie als unverletzlich betrachten. Statt dessen hat Herr Pfarrer Bossert seinen ganzen Artikel auf einen persönlichen Ton gestimmt und zahlreiche Ermahnungen und Wünsche an mich gerichtet, auf die ich von meinem Standpunkt aus natür­lich nicht eingehen kann. Wozu die« alles?

Diegrundsätzlichen Bedenken", die Herr Pfarrer Bossert ausspricht, fußen haupt­sächlich auf den Ereignissen des Jahre» 1870. Ist aber au» ihnen zu folgern, daß Deutschland und Frankreich in alle Zukunft Feinde sein müssen? Wie tief und oft ist Frankreich von England im Lauf der Geschichte gedemütigt worden! Trotzdem sind sie Verbündete geworden. Warum soll dasselbe nicht auch einmal im Verhältnis von Deutschland und Frankreich eintreten können? Arbeiten wir hin auf dieses Ziel! Je mehr politische Aufklärung in beiden Völker» verbreitet werden wird, desto weniger Gehör werden die gewissenlosen Hetzer auf beiden Seiten finden. Die neu Heranwachsenden Generationen werden sich für die Forderungen der Vernunft und Ge­rechtigkeit immer empfänglicher zeigen. Schon das jüngere Geschlecht von heute, welches jene Zeit nicht gesehen hat, vermag ruhiger und ob­jektiver über die Beziehungen der beiden Länder zu urteilen. Die Behauptung, daß in Frankreich

auch die Friedensfreunde.widerstandslos

in da» Gebahre» der Fanatiker mit hineingerissen werden", ist gänzlich aus der Luft gegriffen.

Grundsätzlich sollte in keinem Fall über­sehen werden, daß mit geschichtlichen Erwägungen kein Beweis gegen den künftigen Sieg neuer Ideen und Kräfte geführt werden kann. Die Geschichte des Altertums z. B. spricht nicht für Abschaffung der Sklaverei in der Zukunft, die des Mittelalters nicht für Durchführung der To­leranz. Dennoch ist beide» verwirklicht worden. Nur die lebendige Gegenwart mit ihren in die Vergangenheit zmückreichenden Wurzeln gestattet Ausblicke in die Zukunft. Die Gegenwart aber fordert geradezu da« Kommen des Weltfriedens. Denn Professor vr. Charles Richet an der Uni­versität in Pari» hat recht, wenn er in seinem BuchDie Vergangenheit des Kriege« und die Zukunst der Friedens" sagt:In jeder Hin­sicht, außer der politischen, ist das heutige Leben international".

Auf der Jnternationalität der Welt wird sich daher einmal die Organisation der Wett aufbauen. Daß die erstere langsam aber sicher die öffentliche Meinung und die leitenden Kreise zur Friedensliebe erzieht, ist schon jetzt deutlich zu beobachten. Fast von Jahr zu Jahr wächst die Kriegsunlust und die Friedenssehnsucht. Die Weltorganisation wird daher nicht» anderes

als der selbstverständliche Ausdruck der all­gemeinen Weltlage der Zukunft sein. Der Aus­bruch eine» Krieges wird dann ebenso unmöglich sein wie heute etwa die Wiedereinführung der Sklaverei oder der Gerichtsfolter, und dies aus dem gleichen Grunde, weil eine Wandlung in den Anschauungen der Menschen sich vollzogen hat. Darauf vertrauen die Friedensfreunde, nicht auf einBlatt Papier".

Herr Pfarrer Bossert scheint nationales und internationales Bewußtsein insofern nicht zusammenreimeu zu können, als er eine Be­einträchtigung des Patriotismus befürchtet. Wenn aber der Schwabe keinen Widerstreit zwischen der Liebe zu seinem engeren und der zu seinem weiteren Vaterland empfindet, warum sollen nicht auch Liebe zur eigene» Nation und Liebe zur Menschheit sich vereinigen können? Ist uns nicht durch das Evangelium Jesu Christi der Begriff Menschheit" sogar noch näher gerückt und ver­trauter gemacht als der Begriff der einzelnen Nation" ? Im internationalen Bewußtsein findet das nationale seine Vollendung.

Unbeirrt durch alle Anfechtungen wird die Friedensbewegung ihre Bahn ziehen und werden die Friedensfreunde weiterkämpfen. Wie alle großen und fortschrittlichen Ideen muß auch die Friedensidee ein Stadium der Verspottung und Bekämpfung passieren. Viele heute jedermann bekannte Dinge find früher für Utopien, Schwär­mereien, Phantastereien erklärt worden. Die Utopie" von gestern ist Wirklichkeit von heute, dieUtopie" von heute ist Realität von morgen. Das ist der Lauf der Welt.

Tagesuerügkeiteu. ^

Se. König!. Majestät haben am 12. Sept. ds. Js. allergnädigst geruht den evangelischen Pfarrer Häberlin in Stammheim. Dekanat« Calw, seinem Ansuchen gemäß in den Ruhestand zu versetzen und ihm bei diesem Anlaß das Ritterkreuz I. Klasse des Friedrichs­ordens zu verleihen.

Stuttgart 16. Sept. Die bürgerlichen Kollegien beschäftigten sich in ihrer gestrigen Sitzung mit der Frage der Milchversorgung von Stuttgart. Ein Antrag de« Gemeinderats Wasner, der in der Hauptsache die Uebernahme der Milchoersorgung in den Regiebetrieb der Stadt anstrebte, wurde abgelehnt und schließlich die von uns bereits vor einigen Tagen mitge­teilten Anträge des Referenten Dr. Dollinger, der bekanntlich eine Denkschrift über die Milch- versorgungSfrage ausgearbeitet hat, einstimmig genehmigt. Hierauf wurde die Interpellation Sperka betreffend die Fleischteuerung be­raten und ein Antrag des Interpellanten und Bürgerausschußobmann» Erlanger angenommen, wonach die Württ. Regierung im Bundesrat und bei den einzelnen Bundesregierungen für eine zeitweise Aufhebung der Zölle auf Futter­mittel und Vieh und eine Herabsetzung derVieh- und Futterzölle eintreten möchte, insbesondere auch dafür, daß die Grenzsperre für die Ein­führung von Vieh und Fleisch auf da» für den Seuchenschutz unumgängliche Maß herabzusetzen sei. Auch der deutsche Städtetag soll ersucht werde», zu der Frage Stellung zu nehmen.

Stuttgart 16. Srpt. (Strafkammer.) Vor der Strafkammer als Berufungsinstanz kam

gestern die Beleidigungsklage des Ratsschreiber» Scheel von Gmünd gegen den Geometer Adolf Weippert von Eßlingen zur Verhandlung. Weippert ist durch Fehler, die bei einer gegen ihn vorgenommenen Zwangsversteigerung von Ratsschreiber Scheel als ZwangSversteigerungS- kommiffär gemacht worden sind, schwer geschädigt worden. Sein Gesuch um Gewährung de» Armen- rechtS zur Geltendmachung seiner Rechtsansprüche an den schuldigen Ratsschreiber wurde» vom Landgericht, sowie vom Oberlandesgericht abge­wiesen. Er hat sich aber dabei nicht beruhigt, sondern in Eingaben und Beschwerden, die bi» ans Ministerium gingen, seine Sache verfolgt und sich so die Beleidigungsklage zugezogen. Er hatte in einer Beschwerdeschrift an da» Amt»- gericht Gmünd dem Rattschreiber Scheel falsche Beurkundung vorgeworfeu. In dem Schriftsatz hieß e»:Solche handgreifliche Fälscher und Verbrecher muffen kontrolliert werden". Weippert wurde jedoch vom Schöffengericht Eßlingen von der Anklage der Beleidigung als unzurechnungs­fähig im Sinn de« tz 51 de» Strafgesetzbuchs freigesproche». Gegen da» Urteil legte die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Zur Verhand­lung waren zwei Sachverständige geladen. Medizinalrat Dr. Späth von Eßlingen sprach sich dahin au», daß e» sich um einen typischen Fall von Querulantenwahn handelt. Medizinalrat Dr. Kreuser von Winnental dagegen erklärte de» Angeklagten für geistig gesund. Die Strafkammer verwarf die Berufung der Staatsanwaltschaft und billigte dem Angeklagten den Schutz de» Z 193, Wahrung berechtigter Interessen, zu. 'Die Angelegenheit hat auch den Landtag be­schäftigt. Der Berichterstatter Storz regte damal« an, das Justizministerium sollte den Fall zu einem Anlaß nehmen für eine Revision der württem- bergischen Vollzugsverfügung zum Zwangsver­steigerungsgesetz.

Stuttgart 16. Sept. Gestern nach­mittag hat sich ein 65 Jahre alter verwitweter Mann von hier, ein Schneidermeister namen» Georg S., im Urnenhain auf dem Pragfriedhof erschossen. In einem Hause der Johavne»- straße beugte sich gestern nachmittag ein 7 Jahre altes Mädchen in einem unbewachten Augen­blick über die Brüstung der Küchenveranda hinau», bekam da» Uebergewicht und stürzte ab. Das Mädchen erlitt einen schweren Schädelbruch und war sofort tot.

Herrenberg 16. Sept. Kürzlich wurde vom hiesigen Amtsgericht der ledige Bauer Fr. Hirn eise» von Oeschelbronn zur Zahlung von Alimente« an ein dortiges Mädchen verurteilt. Gestern abend versuchte er nun, sich an dem be­treffenden Mädchen zu rächen, indem er »ach ihm einen Schuß abfeuerte, der glücklicherweise sein Ziel verfehlte. Hierauf richtete er die Waffe durchs Fenster nach dem in der Stube sitzende» Vater des Mädchen» und verwundete ihn, jedoch nicht schwer. Nach der Tat legte er sich auf der Markung Bondorf auf die Eisenbahnschienen, wobei er derart auf die Seite geschleudert wurde, daß der Tod eintrat.

Eßlingen 16. Sept. Gestern abend wurde der Polizeihund Sherlok hierher gebracht, um den Dieb de» Handkoffer» der am Sonntag mit seinem Inhalte von