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In seiner Polemik gegen die Einführung eine» FriedenrsonntagS übersieht Orelli, daß die Gefahr, e» könnte in den FnedenSpredigten politisiert werden, kein Argument dagegen abgibt. Wo drohen denn keine Gefahren? In England hat der Friedentsonntag eine weit höhere Be­deutung als man nach seinen Worte» vermuten könnte. Im letzten Jahr sind am 19. Dezbr. 56000 Friedenipredigten gehalten worden. Hieraus läßt sich leicht ermessen, mit welcher Energie die englischen Kirchen für die Welt­friedensidee eintreten.

Orelli täuscht sich, wenn er bei der Friedens­liga die Meinung voraursetzt,als ließe sich der Krieg aus der Welt schaffen, solange da» Völker­leben bleibt wie es ist." Eben weil ihr tiefe Meinung fremd ist, so erstrebt sie die Weltorga­nisation, welche da» Völkerleben auf neue Grund­lagen stellen wird.

Wern dieDeutsche Reichspost" die Worte Orellis dazu verwendet, bei uns die Meinung zu verbreite», die Friedentidee finde in der Schweiz wenig Anerkennung, so ist dies recht ungeschickt. Nur ein paar Tatsachen seien ange­führt. Im Jahr 1900 lehnte der Schweizer BundeSrat, da» ihm von Chile und Argentinien zugewiesene SchiedLrichteramt mit der Begründung ab: Die Bundesregierung sei, da im Haag die berufene Instanz für derartige Entscheidungen bl stehe (seit 1899), nicht mehr geneigt, ein solche» Ehrenamt zu übernehmen, da» auszuüben sie früher al» Pflicht betrachtek habe. Die Bedeut ung dieser Erklärung liegt darin, daß die Schweiz hiedurch die Autorität des Haager SchiedSgerichtS- hofe» offiziell proklamiert hat. In der Botschaft des Schweizer Bundesrat« an die Bundesversamm­lung vom 19. Dez. 1904 wird der Anschauung Ausdruck gegeben,daß die Gewalt die inter­nationalen Probleme nicht löst, sondern nur schwieriger gestaltet, indem sie die Ursache neuer Gefahren und Streitigkeiten wird", und weiter gesagt:Die Achtung vor dem Recht wird immer mehr die Richtschnur der internationalen Bezieh­ungen werden." Wa» besonder» die Zahl der abge­schlossenen ständigen Schiedsverträge betrifft, so marschiert die Schweiz mit»England, Frankreich, Italien und den Vereinigten Staaten, von kleine­ren Staaten abgesehen, an der Spitze der Welt.

Sollten nicht diese Tatsachen einen sichereren Maßstab für die Beurteilung der Stel­lung, welche die Schweiz in der internationalen Friedensbewegung einnimmt, ergeben, al» die Worte eines einzelnen Mannes? DieReichs­post" erweist Orelli einen schlechten Dienst, wenn sie auf seine Ausführungen Behauptungen stützt, welche den realen Verhältnissen der Schweiz widersprechen. Wie konnte aber auch die konser­vativeReichspost" die Schweiz, den Hort der Demokratie aussuchen, um sich dort eine Waffe gegen die Friedensbewegung zu holen? In Deutschland hätte sie es viel leichter gehabt. Wer die Friedensbewegung bekämpfen will, sollte sie zuerst kennen.

Tagesneuigkeiten.

- Calw 9. Sept. Ein rege» militärisches Leben herrscht gegenwärtig in unserer Stadt. Seit Montag haben wir hier Einquartierung. Am genannten Tag rückten da» Jnf.-Reg 122 von Heilbronn und ebenso Artillerie von Lud­wigsburg hier ein, um Nachtquartier zu beziehen. In aller Frühe am Dienstag morgen um 4 Uhr rückte die Mannschaft wieder aus zu einer Marsch­leistung und Gefechtsübung bei Merklingen und Heimsheim. Gestern kam da» gleiche Regiment wieder zur Einquartierung hieher, da» I. und III. Bataillon de» Füs. Reg. Nro. 122, der RegimentSstab der 52. Inf. Brigade (3. K. W.) mit Generalmajor und Kommandeur v. Berrer und Oberst v. Gagstätter. Die Truppen rückten gestern nachmittag um V-2 Uhr von Alt­hengstelt und Stammheim her unter den Klängen der Regimentsmusik hier ein und bezogen sofort ihre Quartiere. Am Montag waren 1178 Mann und gestern 1500 Mann einquartiert, heute sind e» über 1600 Mann und am Samstag und Sonntag 700 Mann. Alt und Jung beteiligte sich am Einzug der Truppen, überall wurden die Soldaten in ihre Quartiere abgeholt und es ist sicher, daß die Mannschaften hier gerne aus­genommen wurde», um so mehr, da die Stadt und Umgebung seit dem Kaisermanöver im Jahr 1899 mit größerer Quartierleistung nicht belegt worden ist. Heute haben die Soldaten nach den anstrengenden Strapazen der letzten Manöver­tage einen Rasttag. Gestern abend und ebenso am Montag spielte die Regimentsmusik vor dem Hotel Waldhorn; zu dem mvsikalischen Genuß hatte sich eine große Zuhörerschaft eingefunden. Die Mannschaften sprechen sich bis jetzt sehr günstig über die hiesigen Quartiere au»; die Verpflegung sei in alle» Häusern mit wenigen Ausnahmen eine sehr gute. Bei der starken Einquartierung war e» keine leichte Aufgabe, die Quartierlasten gleichmäßig zu verteilen und e» möge» hiebei ja einige Unebenheiten mit­unterlaufen sein, aber eine rechtzeitige Re­klamation hebt die Ungleichheit sofort auf. Die Stadt wird ihren Ruf als gute Quartierstadt wieder glänzend bewähren. Die liebe Jugend möchte selbstverständlich die Manöver- und Ein- quartierungsfreuden bis zum kleinsten durchkosten und nicht« entgeht ihrem bekannten Scharfblick. Al« zukünftige Soldaten wollen die Knaben natürlich auch einer Gefechtsübung anwohnen, aber hiezu fehlt ihnen die Zeit, denn die Schule bat wieder begonnen und fordert ihr Recht. ES ist aber wohl zu hoffe», daß der Schuljugend ein geeigneter Tag zum Besuch des Manöverfeldes freigegeben wird; denn ein Manöver haben wir nicht"'jede» Jahr in der Nähe.

Stuttgart. Zuder Fahrt des Luft­schiff» 1-2 6 von Baden-Baden »ach Stuttgart wird derWürtt. Automobil- und LuftschiffahrtS-Korrespondenz" von zuständiger Seite mitgeteilt, daß da» Luftschiff am Sams­

tag 9 Uhr vormittag» von Baden-Baden ab­fahren und nach 11 Uhr in Stuttgart eintreffen wird. An der Fahrt von Baden-Baden nach Stuttgart werden 13 Paffagiere teilnehmen. Dem in der Presse geäußerten Wunsche ent­sprechend, wird da« Luftschiff vor der Landung auf dem Cannstatter Wasen, eine Sch leis en- fahrt über der Stadt ausführen, vorausgesetzt, daß die Witterung dies gestattet. Die Absperrung auf dem Cannstatter Wasen wird von der Unter- türkheimer Feuerwehr unter Leitung ihres Kom­mandanten Bubeck (der die Fahrt von Baden- Baden gleichfalls milmacht), von einem Teil der Schutzmannschaft und eventuell auch durch Militär erfolgen. Da» Luftschiff wird sich auf dem Cann- stalter Wasen nur kurze Zeit aufhalten. Sobald die Auswechslung der Paffagiere vorgenommen sein wird, späüstens 1 Uhr, erfolgt die Rückfahrt nach Baden-Baden, an der nicht mehr als 10 Paffagiere teilnehmen können, weil eine GaS- nachfüllung auf dem Cannstatter Wasen, ein Er­satz für da» auf der Fahrt verloren gegangene Gas, nicht statrfir.den wird.

Stuttgart 8. Sept. Dem heutigen Mostobstmarkt auf dem Wilhelmkplatz waren 600 Zentner ausgeführt. Preis 2.703 20^ per Zentner.

Tübingen 8. Sept. Unsere Garnison ist heute morgen mit einem Extrazug ins Manöver abgedampft. Am 12. bereit« wird sie hierher zurückkehren, um dann in den nächsten Tagen zum Korpsmanöver bei Horb auSzurücken. Inzwischen hat die hiesige Gegend reichen ander­weitigen Ersatz für die abwesenden Marsjünger in Gestalt mannigfacher Einquartierung erhalte». Auf dem Tübinger Bahnhof sind verschiedene Militärzüge mit Maschinevgewehrabteilungen und Infanterie angekommen, die von hier au» in» Manövergelände abrücken.

Ruith b. Mühlacker 8. Sept. Letzte Nacht brach hier Großfeuer aus. Abgebrannt sind die Bäckerei, die Scheuer und die Stallungen de« Hermann Rittmann, sowie da» Wohnhaus und die Scheuer des Goldarbeiter» Büchle, ebenso da» Wohnhaus und die Scheuer de« Feldhüters Schühle.

Heilbronn a. N. 8. Sept. In Sont­heim hiesige» Oberamts hat ein 18 Jahre alter Fabrikarbeiter anscheinend au» Eifersucht abends auf seine von der Kirchweihe in Flein zurück­kehrende frühere Geliebte scharf geschossen, au» Versehen aber nicht diese sondern eine neben ihr gehende Freundin in den Kopf getroffen. Der Täter ist verhaftet.

Gmünd 8. Sept. Infolge des Genusses von Leberwürsten ist hier eine größere An­zahl Personen, wie es heißt 15, erkrankt, die Frau einer Bauunternehmer» wie verlautet, so­gar schwer. Da» 7 Jahre alte Mädchen eine» Maurerpoliers ist gestorben; die Sektion der Leiche hat noch nicht mit Gewißheit ergeben, daß der Tod auf den Genuß der Wurst zurückzuführen

Kur» nehmen mußte. Ich freute mich, daß wir Sommer hatten, denn so durften wir hoffen, die Schrecknisse diese» im Winter eisbeladenea, unwirt- samsten Wasser» der Erde durch eine warme Sonne gemildert zu sehen.

Seitdem ich de» Befehl über die Bark übernommen, waren un» im ganzen bis zu den Falklandsinseln nur vier Segel in weiter Ferne zu Gesicht gekommen. Jetzt aber sichteten wir ein Fahrzeug voraus, da» mit un» gleichen Kur» steuerte. Wir erkannten in ihm einen plumpen, rund- bugigen Walfischfänger, der unter einer Last von Booten, die an hölzernen Davit» über seine Seiten hingen, schwerfällig dahin watschelte. Bei unserer schnellen Fahrt mußten wir ihn bald überholen.

Während ich ihn durch das Teleskop betrachtete, trat Lush neben mich und fuhr mich barsch an: Er wird nicht angerufen. Aendern Sie den Kur», Herr, damit wir außer Anrufsweite kommen.

Mir stieg da» Blut in den Kopf bei diesem gebieterischen Ton, ich hielt jedoch da», wa» ich auf der Zunge hatte, zurück, sah ihn nur fest an und entgegnete:

Fürchten Sie, daß die Leute ihn anrufen werden, wenn wir in Sprechweite an ihm vorübersegeln?

Pah, darum habe ich keine Sorge, von denen wird'» keiner tun.

Na, Sie denken doch nicht etwa, daß ich e» tun will?

Er sah mich argwöhnisch an. Warum denn nicht? Man kann doch nicht wissen.

I, zum Henker! schrie ich nun, meine» Zorne» nicht mehr Herr. Was erdreisten Sie sich? Sind Sie hier Kapitän oder ich? Ich habe noch keine Veranlassung zu Mißtrauen gegeben. Wolle» Sie den Vertrag brechen? Sprechen Sie noch ei» Wort in dem Ton zu mir, so rufe ich

die Mannschaft zusammen, und sie mag dann entscheiden, ob ich den Befehl noch weiter führen soll oder nicht. So lange ich ihn aber führe, werde ich den Kur» nicht ändern, bloß um an einem Schiffe nicht in An­rufsweite vorüberzufahren. Nun wissen Sie Bescheid und können gehen und tun was Sie wollen.

Der Kerl glotzte mich an, al« wollte er mir an die Kehle springen, trottete aber nach kurzem Besinnen schweigend nach der Leeseite hinüber.

Dieser Bursche soll mich noch kennen lernen, knirschte ich durch die Zähne, meiner Gefährtin zu, die gerade im Augenblick dieser Szene auf Deck erschienen und zu mir getreten war. Wenn er glaubt, mich in» Bockshorn jagen zu können, irrt er sich.

Ach Gott, wie habe ich mich gefürchtet, sagte sie noch ganz entsetzt. WaS hätte daraus entstehen können! War es denn auch richtig, ihn derart anzulaffen und ihm nicht seinen Willen zu tun?

Da» einzig Richtige, verlassen Sie sich darauf. Sehen Sie nur, wie die Kerle da an der Küche noch ganz verblüfft hierher lugen. Sie haben alle» mit angehört, und das ist mir gerade recht. Sie müssen alle wiffen, daß ich mir nicht auf der Nase herumtanzen lasse. Nur da» gibt den nötigen Respekt.

Sie mögen recht haben, aber ich bewundere Ihren Mut.

Wir waren inzwischen dem Schiff so nahe gekommen, daß man mit bloßem Auge seinen in großen und weißen Buchstaben gemalten Namen Maria Jane" lesen und die Leute unterscheide» konnte. Schwarze, Gelbe und Weiße blickten neugierig zu un» herüber. Ein in der Besan- wante stehender Mann schien offenbar zu warten, bi» wir in Sprechweite sein werden, um un» anzurufen. (Forts, folgt.)