863

Landstraße dicht mit Obst übersät. Allein an Obst beträgt der Schaden mehrere tausend Mark. Die Telephonverbindung von hier nach Stuttgart ist auf alle» Linien gestört.

Weinsberg 22. Aug. Am 26. Mai d. I. wurde zu Klingenhof, Gemeinde Ammerts­weiler, die 22 Jahre alte ledige Bauerntochter Lina Karle durch einen Schrotschuß in dev Kopf, den Hals und die linke Schulter so schwer verletzt, daß ihr alsbaldiger Tod sicher schien. Sie war von etwa 120 Schroten getroffen. Nach Heilbronn verbracht, wurde sie operiert. Sie erholte sich wieder soweit, daß ihre Wieder­herstellung al» möglich in Aussicht genommen werden kann. Der 28 Jahre alte ledige Bauer Gottlieb Eisemann in Klingenhof hatte die Tat aus Wut über geringschätzige Behandlung durch die Karle begangen. Infolge Bedenken hinsicht­lich seiner Zurechnungsfähigkeit wurde er in der U-uversitätstrrenklinik in Tübingen beobachtet und dort für geisteskrank und gemeingefährlich erklärt. Seine Einweisung in eine Irrenanstalt wird nunmehr erfolgen.

Schramberg 22. Aug. Vergangene Nacht entlud sich ein schweres Gewitter über der Schwärzwaldvorebene. In Bach-Altenberg schlug der Blitz in ein größeres unbewohntes Wohn- und Oekonomiegebäude, das dem dortigen Gemeindepfleger Schwab (Christlesbauer) gehört, und zündete. In kurzer Zeit war dar Anwesen dem Erdboden gleich. Erntrvorräte und land­wirtschaftliche Maschinen sind mitverbrannt. In Heiligenbronn wurde das Haus des Fabrikarbeiters Keller durch Blitzschlag vollständig eingeäschert. Die Bewohner konnten nur das nackte Leben retten. Ueber 300 Bargeld wurden ein Raub der Flammen. Auch in Seedorf hat der Blitz in ein Hau» geschlagen, jedoch ohne zu zünden.

Tuttlingen 22. Aug. Auf den in der Presse eingelegten Protest hat das General­kommando de» 14. (badischen) Armeekorps die vorgesehene Magazinverpflegung zurückgezogen. Erfindet nunmehr an sämtlichenEirquartierungS- tagen die volle Verpflegung der Mannschaften durch die Quartiergeber statt.

Talheim OA. Tuttlingen 22. Aug. In der Nacht zum Sonntag wurden die Einwohner durch Feuerlärm au» dem Schlafe geschreckt. E» brannte um 10'/« Uhr imhohlen Graben". Das Fcuer, da» im Hause der Händlerin Schweizer entstanden sein soll, griff bei der Schindelbedachung der Häuser mit solch rasender Schnelligkeit um sich, daß in kurzer Zeit 10 Häuser in Flammen standen. Um 2 Uhr nacht» waren sie bis auf den Boden niedergebrannt. Die Bewohner retteten zum Teil bloß da» nackte

Leben. 14 Familien find obdachlos. Ein lojähr. Knabe, der Sohn des Maurer» Ulmschneider, wird vermißt; wahrscheinlich ist das Kind in den Flammen umgekomme«. Auch ein Schwein und eine Ziege sind mitverbrannt. Glücklicherweise herrschte vollkommene Windstille, sonst hätte das Feuer auf weitere Ortßteile übergegriffen. Die Tätigkeit der Feuerwehr beschränkte sich in der Hauptsache auf die Rettung der Nachbarhäuser, von denen insbesondere da» Haus de» Schult­heißen Neher, da» des Gemeinderats Reiser und das de» Jakob Pfisterer zur Germania in größter Gefahr waren. Ein mächtiger Pappelbaum und große Obstbäume verhinderten, daß das Feuer sich auch auf dft Anwesen, der Witwe Philipp Wolf und des ^ Halleritusdehnte. Wasser­mangel und da» Nichtfunktionieren einer Feuer­spritze veranlaßten eine rasche Ausbreitung des Brandes. ES wurde meist mit Jauche gespritzt. Der Gebäudeschaden wird lautGränzbote" auf etwa 26 000 geschätzt. Von de» 14 Brandgeschädigten sollen einige nicht versichert sein.

Durmersheim 22. Aug. Ein schreck­licher Unglücksfall ereignete sich gestern abend hier nach 7 Uhr. Der Bahnwart Bilian von hier wurde samt seinem 2 Jahre alten Kinde vom Schnellzuge 12 erfaßt und gelötet. Wahr­scheinlich war da» Kind beim Spielen auf das Bahngeleise geraten, was der Vater erst in dem Momente bemerkte, al» der Zug schon daher­gebraust kam. Beim Versuche, er noch zu retten, wurden beide von der Maschine erfaßt und in ganz schrecklicher Weise zugerichtet, sodaß der Tod bei Beiden sofort eingetreten sein muß. Der Vater, dem ein Arm vollständig vom Körper ge­trennt war, wurde mit solcher Wucht zur Seite geworfen, daß ihm da» ganze Hirn heraus­geschleudert wurde. Dem Kinde wurde der Kopf vollständig vom Rumpfe getrennt, elfterer wurde einige Meter vom Körperchen gefunden. Bilian hinterläßt Frau und noch 6 Kinder.

Essen 22. Aug. Heute vormittag um 11 Uhr ist hier das Laboratorium de» Krupp­schen SchießstandeS infolge einer Explosion in die Luft geflogen. Der in der Nähe liegende Pulverschuppen ist infolge des schnellen Ein­greifens der Feuerwehr verschont geblieben. Da» Feuer war um 12 Uhr gelöscht. Die Firma Krupp teilt über den Brand des Laboratoriums auf dem Schießplatz ergänzend mit: Während Laborierens mit Munition entzündete sich auf unaufgeklärte Weise eine kleine Pulvermenge. Sämtliche Arbeiter ergriffen die Flucht. Da» Feuer griff um sich, entzündete eine weitere Pulvermenge und das ganze Laboratorium ging in Flammen auf, wobei Munitionsteile, wie

Zünder und Gewehipatronen, explodierten. Ver­letzt wurde niemand. Auch beim Niederbrennen des Laboratorium» kam niemand zu Schaden. Die Kruppsche Feuerwehr verhinderte ein weitere« Umsichgreifen de» Feuer».

Berlin 22. Aug. Au» Baden verlautet, daß die badische Sozialdemokratie gestern auf ihrem Parteitag zu Offenburg mit 136 gegen 36 Stimmen die Zustimmung der Landlagsfraktion zum badischen Budget gutgeheißeu hat. Berichten aus Hessen zufolge hat die hessische Sozialdemokratie auf ihrem Parteitag in Gießen mit 48 gegen 30 Stimmen eine Resolution an­genommen, die besagt, daß die Frage der Budget- bewilligung nur eine Frage der Taktik sein könne und dethalb der Entscheidung der Landerorgani­sation überlasten bleiben müsse.

Plymouth 22. Aug. Der britische SchoonerSterling" war durch Stürme 3 00 Meilest aus seinem Kur» getrieben worden. Nachdem sein Proviant infolgedessen schon seit 4 Tagen erschöpft war, traf ihn der deutsche DampferPrinz Joachim", der der darbenden Mannschaft Lebensmittel, sowie einen Arzt an Bord sandte.

Lauterbrunnen 22. Aug. Die Leichen der drei auf der Jungfrau verunglückten Touristen Kinscherf, Wenuer und des Frl. Sarner sind gefunden worden und wurden abend» hierher gebracht.

Gemeinnütziges.

Frühlingsblumen. Es wird jetzt bald Zeit, Blumenzwiebeln zu besorgen zur Aus­schmückung de« Gartens im nächsten Frühjahre. Hyazinthen sind prächtig, ein größere» Beet davon wird aber ziemlich teuer. Hingegen bieten Nar­zissen und Tulpen einen billigeren Schmuck. Selbst von vornehmen und edlen Tulpensorten koste» 10 Stück Zwiebeln nur 50 Pfg. bi» 1 Mk., und e» lasten sich mit diesen Zwiebeln, die jetzt von Gärtnereien und Blumenzwiebel­handlungen mastenhaft angeboten werden, prächtige Wirkungen im Garten erzielen. Der praktische Ratgeber bringt in seiner neuesten Nummer einen Aufsatz über Zwiebelgewächse. Gartenfreunde können sich diese Nummer kostenfrei senden laste» vom Geschäftsamt de» praktischen Ratgeber» im Obst- und Gartenbau in Frankfurt a. d. Oder.

Landwirtschaftlicher KeMsvereikl.

Es wird zur Kenntnis gebracht, daß die vom X. Gauverband in der Schweiz aufgekauften Farnen am Samstag, 27. Augnst, vormittags 9 Uh: in Nagold zur Versteigerung kommen.

Calw, 23. August 1910.

Vereinssekcetär Fechter.

Vierundzwanzigste» Kapitel.

Das Geheimrris des Kapitäns.

Die nächsten Tage veiflosftn in chte,sicher Eintönigkeit und langer Weile, besonder» für meine arme Gefährtin. Sie wußte gar nichts mit sich anzufangen, wenn ich mich ihr, während meiner Messungen und Ein­tragungen in» Loggbuch, nicht widmen konnte. Bei den letzteren hatte ich meinen Spaß an dem Kapitän, der meine Handschrift nicht genug bewundern konnte und sie wie ein Gemälde betrachtete.

Ja, ja, seufzte er einmal, es ist ein eigen Ding mit der Erziehung. Wie ander» sieht da» Buch jetzt au« im Vergleich mit den Krähenfüßen von Chicken» und mir. Aber sehen Sie, wir beide wurden auf derselben Hochschule nävsich dem Vorderkastell des Schiffe»erzogen, und da nahm man es mit der Schrift und Rechtschreibung nicht so genau. Ich bin erstaunt, daß ich überhaupt schreiben kann.

Im übrigen saß er, während ich arbeitete, still und in tiefe» Sinnen verloren mir gegenüber. Ja selbst beim Miltagesten tat er kaum noch den Mund auf; er war immer in Gedanken und bewegte sich auch auf Deck nur mit tief gebeugtem Kopf, die Hände auf dem Rücken. Sein Wesen machte einen so wunderlichen Eindruck, daß wir uns in allerhand Vermutungen ergingen, was in aller Welt er so unausgesetzt zu überlegen haben könnte. Schli ßlich waren wir fest überzeugt, daß er ein Geheimnis auf dem Gewissen haben müßte.

Eine» Tage» wurde sein Gebühren noch auffälliger; da stand er öfter an der Reling, focht mit de» Händen in der Luft herum und sprach mit sich selbst. Zwischendurch drehte er sich plötzlich scheu um, als wäre er sich bewußt geworden, daß er laut gesprochen hatte und rannte dann unruhig hin und her. Das ging so mit geringen Unterbrechungen den ganzen Tag hindurch, kaum daß er einmal irgend eine Anordnung traf, die Segelstcllung etwas ändern ließ oder nach dem Kur» sah. Zu uns hatte er noch kein Wort gesprochen, war auch nicht zu Tisch erschienen.

Wir wußten absolut nicht mehr, was wir denken sollten, und beobachteten ihn nur ängstlich und verstohlen. Jeden Augenblick befürchteten wir einen Wahnsinn»ausbruch.

Endlich, abends gegen 6 Uhr, schien er ruhiger geworden zu sein.

Wir ftßen schon lange Zeit unter dem Sonnendach, und er stand schon wenigsten« zwanzig Minuten mit verschränkten Armen bei bem Manne am Rade. Jedesmal aber, wenn wir nach ihm hin schielten, begegneten wir seinem unausgesetzt auf uns gerichteten brennenden Blick, so daß Fräulein Temple mir endlich zuflüsterte: Diese» Anstarren ist ja unaus­stehlich! Kommen Sie, wir wollen etwas umherwandeln.

Im selben Augenblick, wo wir uns erhoben, kam er aber auf uns zu und sagte zu mir:

Bitte, ich möchte Sie in meiner Kajüte sprechen.

Die Art, wie er da» sagte, erschreckte mich. Seine Miene hatte etwa», wie wenn er einen Entschluß gefaßt hätte, vor dem seine Natur zurückbebte. Ich schwankte einen Moment, denn wenn ich auch stark war, erschien es mir doch mißlich, mich unbewaffnet mit einem Mann einzu­schließen, besten kranker Geisteszustand noch nie so auffällig hervorgetreten war, wie jetzt. Ich schüttelte jedoch alle Furcht gleich wieder ab, weil ich mir sagte, daß ich ihm an Kraft jedenfalls überlegen wäre und nur auf meiner Hut zu sein brauchte.

Ich erklärte mich also bereit, seinem Wunsche nachzukommen.

Er schritt voran und ich folgte ihm. Fräulein Temple begleitete mich bi» zur Treppe und raunte mir zu:

Um Gotteswillen, nehme» Sie sich in acht, wer weiß, was er im Schilde führt.

Ich zuckte die Achseln und lächelte beruhigend: Haben Sie nur keine Sorge. Gleich darauf betrat ich die Kajüte des Kapitän».

Bitte, nehmen Sie Platz, lud er mich ei», während er seinen Stroh­hut in eine Ecke schleuderte, sich den Schweiß vom Gesichte wischte und dann sich mir gegenüberstellte. (Forts, folgt.)