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der am 1. August auf englischem Boden erfolgte Sturz einer Aeroplans in das Publikum, der ein Menschenleben gekostet hat. Aus London liegt darüber folgender Bericht vor: Frau Frank, eine französische Aviatik er in, die gestern an den Flügen in Boldon bei Sunderland teilnahm, stieß mit ihrer Maschine gegen eine Fahnenstange, und stürzte aus einer Höhe von 25 Fuß herab. Ein Knabe wurde von der fallenden Maschine erschlagen, mehrere Kinder verletzt und die Dame selbst erlitt mehrfache Beinbrüche. 7000 Men­schen waren Zeugen des Unglücktfalls. Als Frau Frank mit ihrem Farmanopparat aufstieg, spielte die Musikkapelle die Marseillaise. Anfangs führte sie einige sehr graziöse Wendungen über der Zuschauermenge aus und schien sehr sicher zu fliegen, dann kam plötzlich der Zusammenstoß mit der Fahnenstange, worauf der Doppeldecker wie ein totes Ding auf die Erde hkralfiel. Es ist ein Wunder, daß alle die Menschen, die dicht bei der Fahnenstange standen, noch rechtzeitig aus­einanderstoben und sich retteten.

Stuttgart 2. Aug. Anna SutterS Kinder. DemNeuen Tagblatt" wird ge­schrieben : Die verstorbene Kammersängerin Anna Sutter hinter ließ zwei Kinder, die 11 Jahre alte Mathilde und den 8 Jahre alten Felix. Während das Mädchen bei der Mutter aufge­zogen wurde, wurde der Sohn bei einer Familie Sattelmaier in München erzogen; nur hin und wieder kam er auf Besuch zu seiner Mutter nach Stuttgart. Anna Sutter war heimatberechtigt in Jngenbohl in der Schweiz im Kanton Schwyz, es find deshalb ihre Kinder Schweizer. Die Gemeinde Jngenbohl hat denn auch die Vor­mundschaft (Bevogtung) über die Kinder ausge­übt. Vormund der Thilde ist Sekretär Groß- mann und der Vormund des Felix Hofrat Mattes in Stuttgart. Einige Wochen vor ihrem tragischen Ende hat Anna Sutter den Wunsch ausgesprochen, ihren Sohn nach Stuttgart bringen zu lassen, damit er unter ihren und den Augen des Vor­mundes aut gebildet werden sollte; er ist auf­fallend talentvoll und sehr musikalisch. Sein Talent ist durch den Pflegevater, der selbst Musiker und Chordirektor ist, sehr geweckt worden. Nach dem Tode Anna SutterS hat der Kammersänger Peter Müller in sehr anerkennender Weise das Mädchen zu sich genommen; e» weilt gegenwärtig bei ihm in Bad Schachen am Bodensee, während der Knabe noch in München ist. Nach dem altenSchwyzer" Recht steht den unehelichen Kindern kein Erbrecht an dem Nachlaß der Mutter zu, es beerbt also die Verstorbene ihre in Brunnen am Vierwaldstätter See lebende Schwester Mathilde. Außer einer Unfallrente von 20 000 Mark ist aber nach Abzug der Ver­

bindlichkeiten ein Erbe nicht vorhanden; die Kinder haben demnach außer den Unterhaltung» - beiträge« ihrer Väter kein Vermögen. Diese Beiträge sind aber, wenn nicht gerade reichlich, so doch hinreichend bemessen, um die Kinder erziehen lasten zu können. Die 64 Jahre alte Mutter der Anna Sutter lebt ebenfalls noch in Brunnen, sie wurde von ihrer Tochter unterstützt und bekommt jetzt aus dem Nachlasse det Dr. Obrist eine ausgiebige Unterstützung bis an ihr Lebensende, so daß sie vor Nm geschützt ist. Ob auch die Kinder der Verstor­benen hieraus etwas erhalten werden, ist noch nicht bestimmt worden. Was mit den Kindern ferner geschieht, ob sie zu der Tante in die Schweiz kommen, oder nicht, ist noch nicht be­stimmt; der Wunsch der beiden Vormünder und auch des Vaters de« jungen Felix geht dahin, sie in Stuttgart erziehen zu lasten; wenn aber das Waisenamt in Jngenbohl die Kinder reklamiert und andere Vormünder bestellt, wird nichts dagegen zu machen sein.

Reutlingen 3. Aug. Einer der wenigen überlebenden Mitarbeiter Gustav Werner's, des Begründers der weitverzweigten Bruder - Hausanstalten, wurde gestern nachmittag zu Grabe getragen: Johannes Schneider, Haus­vater und erster StifiungSvorstand vomBruder- hauS, dem er 56 Jahre lang schätzenswerte Dienste geleistet hat. Das Begräbnis gestaltete sich deshalb auch besonders ehrenvoll, denn außer den eigenen Angehörigen der Anstalten nahmen Regierungspräsident v. Hofmann von der K Kreisregierung, Oberregierungtrat v. Falch von der Zevtralleitung des Wohltätigkeitsverein», so wie ein Vertreter der Stadtverwaltung daran teil, während namens de» Aussichtsrates der Gustav Werner-Stiftung zum Bruderhaus Staats­rat v Buhl am Grabe sprach. Johannes Schneider ist 85 Jahre alt geworden und wurde am gleichen Tage beerdigt, da Vater Werner vor 23 Jahren die Augen zum ewigen Schlummer schloß.

Reutlingen 3. Aug. Ein halbes Dutzend lediger Burschen von Eningen u. Ackalm zogen mit ihren Mädchen am Sonntag abend zwischen Tag und Dunkel auf Raub aus und plünderten auf Reutlinger Markung mehrere Apfelbäume, wurden aber dabei von einem hiesigen Feldhüter erwischt und nach ihrem Namen gefragt. Kurz angebunden machten die Burschen samt und sonders falsche Angaben, sodaß der Feldhüter mißtrauisch wurde und zur Sicherheit einen der Obstdiebe mitgehen hieß, was mit schärfstem Protest beantwortet wurde. Die jungen Leute mißhandelten ihn und drohten mit Tot­schlag, wenn er den Festgenommenen nicht loS- laste. Schließlich gingen alle durch, sie konnten

aber vom Landjäger mit Hilfe der Mädchen er­mittelt werden und sehen nun ihrer Strafe ent­gegen, die für die Hauptbeteiligten nicht gelinde autfallen dürfte.

Marbach 3. Aug. In der ersten Woche de» letzten Monats erschien ein Bursche in der Wohnung eines hiesigen Einwohners und suchte von dessen Ehefrau unter dem Vorgeben, ihr Mann habe Alimente zu bezahlen, wenn sie ihm das Geld nicht sofort gebe, koste es ihrem Manne die Stellung, 100 zu erpressen. Die Frau gab nichts und schickte den Burschen zu ihrem abwesenden Mann. Etwa 8 Tage darauf kam ein zweiter Kerl im Alter von etwa 40 Jahren und stellte unter frechen Drohungen das gleiche Verlangen an die Frau. Auf die Hilferufe der Frau entwich er. Nach Verfluß einer weitere« Woche erschien eine etwa 35 Jahre alte Frauens­person und wiederholte die Forderung, gleichfalls ohne Erfolg. Am 26. v. M. erschienen zwei Marmipersvnen im Alter zwischen 30 und 40 Jahrcr» bei Bauersleuten in Beihingen und suchten bei diesen 300 ^ zu erpressen. Auch dieser Erfolg mißlang. ES scheint sich, wie der Staatranzeiger" meldet, um eine Erpresserbavde zu handeln, die gemeinsam arbeitet.

Heilbronn a. N. 3. Aug. Durch ver­unreinigtes Wasser aus dem Betrieb einer Fabrik wurde ein großes Fischsterben verursacht. Die Badwärter im Kleinäulen bemerkten, daß ver­unreinigtet Wasser aus dem Betrieb einer be­nachbarten Fabrik kam und daß Fische, die in das Wasser kamen, verendeten. Untersuchung ist eingeleitet.

Gmünd 3. Aug. In der Rathaussitzung der letzten Woche wurden gegen die hiesigen Bäckermeister Vorwürfe gerichtet, die vor allem die Qualität des Brotes betrafen. Die Bäckerinnung hielt nun eine Protestversamm­lung ab, in der sie diese Verwürfe entschieden zurückwies. Vorzugsweise kam zum Ausdruck, daß die Angriffe auf die Bäckermeister nur eine Empfehlung der Ware des Konsumvereins dar­stellen. Im übrigen könne da» Brot der Jn- nungsmitglieder einen Vergleich mit dem Brote de» Konsumvereins wohl authalten. Eine Kritik lasse sich die Innung wohl gefallen, aber keine Verallgemeinerung, wie sie auf dem Rathause beliebt worden sei. Die Bäckerinnung fordert nichtsdestoweniger ihre Mitglieder auf, jederzeit tadelloses Brot im eigenen Interesse und in dem des ganzen Stande» zu backen. Schließlich wurde eine Abwehrresolution einstimmig angenommen, die zur Kenntnis der bürgerlichen Kollegien ge­bracht werden soll. Bäckermeister Schall konnte Mitteilen, daß die Handwerkskammer Stuttgart das Vorgehen des Gmünder Rathauses ver-

dem bisher jeder Luxus zu Gebote gestanden, so gebrochen zu sehen. Wie ein Marmorbild saß sie, mit schweren Augenlidern und achtlos vor sich hinstarrend, in ihrer Ecke. Keine Spur von ihrer früheren gebieterischen Entschlossenheit war mehr an ihr zu erkennen. Sie schien ein völlig anderes Wesen geworden zu sei«. '

Still sie beobachtend, dachte ich, ob dieses Erlebnis wohl imstande sein würde, ihren Charakter zu ändern. Falls der Ostindienfahrer uns rettete, lagen noch vierzehn bis sechzehn Wochen des Zusammenlebens vor uns. Würde sie dann ihr bisheriges Benehmen gegen mich die kalte Gleichgültigkeit, da» absichtliche Urbersehen meiner Person von neuem einschlagen, würde sie von neuem das verletzende Wese» gegen mich her­auskehren, das mich mit um so größerem Haß gegen sie erfüllt hatte, als ich nicht aufhören konnte, ihre Schönheit zu bewundern? War sie nicht ein Weib, da» jede Verbindlichkeit annahm, hinterher aber denjenigen keines Wortes mehr würdigte- dem sie verpflichtet war?

Lächerlich, wie im Grunde solche Gedanken waren, wo wir vielleicht beide in wenigen Stunden fadentief in dem bleiernen Ozean schwammen, gestehe ich doch, daß ich einigermaßen frohlockte. Wurden wir gerettet und mochte sie dann ihr Benehmen gegen «ich einrichten wie sie wollte so stand doch das eine fest, daß uns eine LebenSerinuerüng verband, die mich unverwischbar in ihr Gedächtnis eingegraben hatte. Sie konnte weder jemals vergessen, daß .sie auf diesem schrecklichen Wrack mit mir allein gewesen, noch verhindern, daß dieser Umstand ihren Verwandten und Freunden bekannt wurde. Es war dies ein Gedanke, der mein Herz mächtig erhob. Wer von un» hätte auch nur ahnen können, daß das Schicksal uns einander plötzlich so nahe bringen, einen so vollständigen Wechsel in unsrrn beiderseitigen Beziehungen herbeiführen würde! Au» der stolzen Dame an Bord derGräfin Jda", die sich kaum herabgelassen hatte, ein Wort zu mir zu sprechen, war jetzt ei« zaghaftes, furchtsames Mädchen geworden, das mich nicht mehr von ihrer Seite lassen wollte, sich bei jedem Schritt fest an mich klammerte, nur einzig in mir Trost,

Schutz und Hilfe fand, ein Mädchen, das sich gänzlich meiner Fürsorge überließ und mit einer Vertraulichkeit zu mir sprach, die sie an Bord de» Ostindienfahrers für niemand anders als ihre Tante gehabt hatte.

Als die zweite Nacht gewitterschwarz, aber ohne einen Hauch von Luftzug mit strömendem Regen niedersank, drang ich in sie, zu ruhe«.

Sie müssen schlafen, sagte ich. Ich werde Wache halten.

Ach, wie könnte ich denn, schüttelte sie den Kopf.

Versuchen Sie e» doch, bat ich wärmer. Sie werden auf dem Kasten ganz bequem liegen; es fehlt nur ein Kopfkissen, und das würde ich Ihnen so gern, wenn Sie erlauben, aus meinem Rock Herstellen.

Sie sind sehr gütig, aber schlafen könnte ich nicht.

Ich fuhr fort, ihr zuzureden, und meine Beharrlichkett hatte auch Erfolg. Mit einem matten Lächeln zu mir aufsehend sagte sie nachgebend: Wenn ich Ihnen einen Gefallen damit tue, will ich mich niederlegen. Und sie legte sich auf dem Kasten nieder.

Ich zog den Rock ab, rollte ihn zusammen und bettete ihn sorglich unter ihren Kopf.

Wie gut Sie sind, sagte sie leise und schloß die Augen.

Die ruhig brennende Kerze warf ihren Schein auf die herrliche Gestalt der Daliegenden, die mir in ihrem weißen Kleide, mit den in malerische Unordnung geratenen Haaren und den blitzenden Edelsteinen an Hals, Ohren und Händen wie eine Märchenprinzeß erschien.

Eine kleine Weile konnte ich mich von dem Bilde nicht loSreiße», dann nahm ich da» Licht und befestigter» so, daß die Ruhende im Schatten lag. Hierauf sktzte ich mich an die Tür, stopfte mir die Pfeife und achtete sorgsam darauf, den Rauch in» Freie hinauszublasen. So hrelt ich Wacht und horchte mit schwerem Herzen auf da» Prasseln des Regen», auf das zeitweise schwache Knistern, Knarren und Seufzen des Holzwerks und auf das Quieken und Nagen der Ratten in der Kajüte unten höchst wider­wärtige, unheimliche Geräusche, kann ich sagen, wenn man sie in der Stille einer schwarzen Meeresnacht vernimmt. (Forts, folgt.)