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85. Ii-rgnz.

Amts- und Anrrigeblatt für den Gberamtsbezlr? Calw

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Samstag, den 30. Anti 1910.

Amtlich« Bekanntinach«ns«n.

Bekanntmachung.

Durch Allerhöchste Entschließung Sr. Maj. des Königs vom 3. ds. Mls. ist den, nachstehend aufgeführten Personen die Medaille der König- Karl-JubttSumS-Ttiftung verliehen worden:

1. Johann Einsele, Schlosser in den Vereinig­

ten Deckenfabriken in Calw,

2. August Kleindienst, Fabrikarbeiter daselbst,

3. Marte Schelling geb. Schroth, Weberin,

daselbst,

4. Karoltne Wilhelme Tümmel geb. Reinhard,

Spulerin, daselbst,

5 Friedrich Widmann, Ztgarrenmacher bei Heinr. Huiten Nachfolger in Calw. Calw, 28. Juli 1910.

K. Oberaml.

Amtmann Ripp mann.

Tsgesnerrigkeiteu.

Calw. Das Georgii-Reichert- 'sche Preisturnen des hiesigen Turn­vereins hat am vergangenen Sonntag seine alte Anziehungskraft auf die in hiesiger Stadt erfreulicherweise zahlreiche Schar warmer Freunde der edlen Turnfache ausgeübt. Und die Erschie­nenen sind in ihren Erwartungen nicht getäuscht worden. Mit großem Eifer beteiligten sich die aktiven Turner, die Turnzöglinge und die Turn­schüler am ernsten und heißen Wetkkampfe und auch bei den Jüngsten und Kleinsten konnte man beobachten, wie sie ihre letzte Kraft einsetzten, um die Mitkämpfer zu überwinden. Bedeutende, jedem sofort in die Augen springende Fortschritte, insbesondere an Barren und Reck, konnte man bei den aktiven Turnern beobachten und die Ueber- zeugung, daß im Turnverein tüchtig gearbeitet wird, drängte sich jedem Zuschauer auf; auch die Ruhe und Ordnung, in der das Ganze sich ab­wickelte, ist anzuerkennen. Neben den gut und stramm vorgeführte« Freiübungen der Turner waren es aber auch diesesmal wieder insbesondere die vorzüglich eingeübten und tadellos durchge­führten Uebungen der Damenriege, die lebhafte Beifallskundgebungen auslösten; die sämtlichen Milwirkenden und deren Leiter können stolz auf diese Leistungen sein. Hübsche Gaben, die der Vorstand nach einer kernigen Ansprache an die Sieger zur Verteilung brachte, mögen denselben eine frohe Erinnerung und gleichzeitig ihnen und der übrigen Calwer Jugend eine Mahnung zur ferneren Pflege der Leibesübungen sein, der Jugend zur Stärkäng und Kräftigung, unserem deutschen Volkstum und Vaterlande zum Heil.

Leonberg 29. Juli. Ein Baum­frevler trieb letzter Tage in der Ditzinger- straße sein Unwesen und schnitt einer Anzahl Obstbäume die Krone ab. Anzeige ist erstatttet. Von dem Baumfrevel werden mehrere Besitzer betroffen. Die Tat scheint aus reinem Uebermut ausgeführt worden zu sein.

Stuttgart 2S.Juli. DaSErgebnis der Nachwahl in Welzheim wird in den Blättern aller Parteien als eine große Ueber- raschung empfunden. DerSchwäbische Merkur" sagt im ersten Teil seiner Wahlbetrachtung, daß deutschparteiliche Wähler in Hellen Haufen zur Sozialdemokratie übergegangen find, um dann am Schluß seiner Ausführungen gegen den Bauern­

bund den Vorwurf zu erheben, er habe sich zum Mitarbeiter 1er Sozialdemokratie hergegeben, weil er seine Kandidatur nicht zurückzog. Das Blatt fügt hinzu, es sei ein politischer Skandal, wenn in einem Wahlkreis, in dem fast zwei Drittel bürgerliche Stimmen abgegeben werden, die Sozialdemokratie lachend sich zum Herrn machen könne. DasDeutsche Volksblatt" sagt dagegen, die deutsche Partei dürfe sich zum größten Teil selbst die Schuld an dem Wahlausfall bei- mefsen. Hätte sie ihre frühere freundliche Hal­tung zum Bauernbund beibehalten, so wäre ihr das Welzheimer Mandat nie verloren gegangen. Wandle sie den gegenwärtigen Kurs weiter, so werde ihr vielleicht die schlauere Volkspartei ver­gnüglich einige Sitze wegkapern, während die änderen an den Bauernbund verloren gehen. DerBeobachter" bestätigt demSchwäbischen Merkur", der die Unschuld der Parteileitung an der Nichtbefolgung der Parole beteuert, daß die Leitung der Deutschen Partei den getroffenen Vereinbarungen durchaus treu blieb. Er ist keineswegs erbost über die mangelhafte Unter­stützung, kann ab ^ doch die Bemerkung nicht unterdrücken, daß die Deutsche Partei fast restlos im Bezirk aufgerieben zu sein scheine, und hofft auf die Zurückeroberung des Bezirks. DieReichs post" erklärt, die Zweifrontentheorie der VolkS- partei habe gestern Schiffbruch erlitten. Da» romanische Wahlverfahren bringe vielleicht die bürgerlichen Parteien zu der Einsicht, daß für die Minderheit keine Zwangslage mehr existiert und daß man ehrliche Kompromisse schließen muß, wenn nicht ein Bezirk nach dem andern der Sozialdemokratie in den Schoß fallen soll. Das Blatt sieht die hauptsächlichste Bedeutung des Wahlausganges darin, daß die Grundlagen für künftige Wahlentschkidungen gelegt seien. Die Schwäbische Tagwacht" freut sich über den glänzenden Erfolg und erinnert daran, daß bei der Volkspartei schon alle Federn gespitzt ge­wesen seien, um der Welt die Sieghaftigkeit der volksparteilichen Politik zu verkünden. Jetzt könne die Volkspartei mit ihrem Herrn Jlg den Gesangbuchvers anstimmen: ....Es ist aus mit deiner Sache, Ja im Himmel und auf Erden Kann dir nicht geholfen werden." Die Zweite Kammer setzt sich nun folgender­maßen zusammen: Zentrum 25, Volkspartei 22, Bauernbund und Konservative 16, Sozialdemo­kratie 16, Deutsche Partei 12 und 1 wilder.

Stuttgart 30. Juli. (Strafkammer.) Voriges Jahr berichteten hiesige Zeitungen, daß ein Mädchenhändler ein hiesiges 20 Jahre altes Mädchen nach Brasilien verschleppt habe. Der angebliche Mädchenhändler, ein von hier gebürtiger Gärtner, hatte sich nun heute vor der Strafkammer zu verantworten. Die Anklage lautete aber nicht auf Mädchenhandel, sondern nur auf Entführung. Wie die Verhandlung ergab, hatte der Angeklagte, das Mädchen, das sich auf ein von ihm erlassenes Inserat gemeldet hatte, mit Einwilligung ihrer Eltern mitgenommen. Er war durch eigenartige Umstände dazugekommen. Er war vorige» Jahr von Brasilien, wo er eine Gärtnerei betrieb, nach Stuttgart zurückgekehrt, um seine Familie zu holen. Von einer Aus­wanderungsagentur hatte er für sich und für seine Familie freie Ueberfahrt zugefichert er­

halten. Da sich aber seine Frau weigerte, nach Brasilien zu gehen, so erließ er das Inserat. Den Eltern des Mädchens kamen nach der Ab­reise Bedenken, sie benachrichtigten die Polizei und diese veranlaßte die Festnahme des Ange­klagten bei der Ankunft in Brasilien. Der An­geklagte wurde nach einigen Tagen wieder frei­gelaffen. Es war ihm bei der ganzen Sache nur um freie Ueberfahrt zu tu», er gab deshalb das Mädchen als seine Frau aus. Das Mädchen wollte in Brasilien in Stellung treten. Der An­geklagte kehrte freiwillig nach Stuttgart zurück, um sich zu rechtfertigen. Er gab an, er habe nicht gewußt, daß das Mädchen noch minder­jährig sei. Die Verhandlung endigte mit Frei­sprechung.

Aus dem Oberamt Maulbronn 29. Juli. Gegenwärtig ist die Johannisbeeren­ernte in vollem Gange. Der Anbau des Jo- hannitbeer- und Stachelbeerstrauches hat in unserem Bezirk im letzten Jahrzehnt ganz be­deutend zugenommen. Die Früchte werden haupt­sächlich zur Mostbereitung verwendet. Der Ertrag des Beexenobstes ist befriedigend. Daß Steinobst hat vollständig fehlgeschlagen; Pflaumen gibt es vereinzelt. Die Kernobstbäume lassen strichweise sehr schöne Erträge erhoffen. Den Weinbergen hat das anhaltende Regenwetter sehr geschadet. Viele schöne Ansätze und Blüten sind gewandert. Einen erfreulichen Stand zeigen die Hackfrüchte, äußerst notwendig ist jetzt, daß die Aecker rasch von dem üppig wuchernden Unkraut gesäubert werden. Das Wintergetreide ist auf fetten Grundstücken sehr gefallen, sonst sieht das Frucht- feld schön. In dem sehr schön angesetzten Oehmd- gras hofft der Landmann einen Ersatz für da« schlecht eingebrachte HeugraS zu finden.

Heilbronn 29. Juli. Zum Nachteil eines Heilbronner Bankhauses wurde eine schwere Urkundenfälschung mit Betrugiversuch begangen. Von Schaffhausen in der Schweiz versuchte ein Betrüger auf den Namen eines z. Z. in Ferien weilenden hiesigen Beamten einen Geldbetrag zu erhalten; er verlangte umgehende Zusendung von 500 Mk. auf da» fragliche Konto und zwar sollte ihm der Betrag mittelst einfacher Briefsendung ohne Wertangabe zugesandt werden. Die Bank vermutete sofort eine Schwindelei hinter diesem nicht gewohnten Verlangen und erstattete Anzeige. Der sofort gefaßte Verdacht wird sich wohl bestätigen und durch die in Schaff­hausen alsbald veranlaßte Verhaftung des Schneiders Hermann Bertsch von Heilbronn, der aus Heilbronn ausgrwiesen ist, der Täter gefaßt sein. Bertsch ist ein vielfach vorbestrafter Mensch, der durch seine schändlichen Erpresserbriefe förm­lich gefürchtet war und nun von der Ferne aus sein verbrecherisches Treiben offenbar fortsetzt.

Ulm 28. Juli. Der älteste Bürger München», der 101 Jahre 4 Monate alte Privatier Wilh. Valentin, ist gestorben und wird im hiesige» Krematorium eingeäschert.

Tettnang 29. Juli. Am sogenannten Berger Weiher bei Hemigkofen landete ein Frei­ballon mit 4 Insassen. Er war vormittags V-9 Uhr in Luzern aufgestiegen und erreichte eine Höhe von über 4000 Meter. Erst wurde die Landung bei einem Wald bei Hemigkofen versucht, dort riß sich der Ballon aber wieder