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dem gegenwärtigen Wasserstand nicht angeschwemmt worden sein können. Ihrer Beschaffenheit nach ist anzunehmen, daß sie wohl einige Zeit dort gelegen haben, dagegen sofort nach dem Diebstahl (35. April) dorthin verbracht wurden. Sie waren bi» auf ein 50 Stück ihres Geldinhalts beraubt und sind mit einem Nachschlüssel geöffnet worden.

Stuttgart 3. Mai. Die Königs­paraden, die für Stuttgart auf den 4. und für Ulm auf den 7. Mai anberaumt waren, fallen Heuer aus. Die Errichtung eines Vor­ratsschuppens für Benzin und Wasserstoff­gas, wie ihn die Zeppelin'sche Luftschifs- baugesellschaft als Station auf dem Cannstatter Wasen angeregt hatte, ist seitens der Stadt­verwaltung gesichert.

Ulm 3. Mai. Beim Graben eines Kellers im alten, in Privathände übergegangenen Schul - Haus in Bollingen auf der Alb wurde eine Kassette mit alten Münzen gefunden. Auf einem beiliegenden Zettel findet sich folgender Vermerk: der schwedt ist komme, hat alz mitgnomme, hat auch wolle hawe, i Habs vergrabe. 1634 Boze- hartt. Deutsch O. C. U. Der Fund wurde ins Bollinger Rathaus verbracht.

Ellwangen 30. April. (Strafkammer.) Der 25 Jahre alte, wiederholt vorbestrafte Otto Trukenmüller von Oberdorf bei Bopfingen, OA. Neresheim, mietete sich anfangs Dezember 1909 ein leeres Zimmer in Bopfingen und erließ in Zeitungen schwindelhafte Annoncen, worin er lohnende Stellen mit einem Anfangsgehalt von monatlich 90 bis 105 anbot. Bedingung war eine zu leistende Kaution von 200 ^ und vierwöchentliche Ausbildung, dann Lebensstellung und Pensionsberechtigung in sichere Aussicht stellend; unterzeichnet waren die Annoncen: Freihandverband deutscher Wach- und Schließ- gesellsch. m. b. H., V. GenJnsp. Bopfingen." Die sich Meldenden wurden aufgefordert, nach Bopfingen zu kommen und die 200 ^ mitzubringen. Auf diesen plumpen Schwindel fielen viele herein, opferten Zeit und Portoausgaben an eine fort­gesetzte Korrespondenz; mancher gab eine Stellung auf oder nahm eine ihm angebotene sichere Ar­beitsstelle nicht an. Da sich der Landjäger von Bopfingen etwa« näher mit dem AuSbildungs- institut beschäftigte, verlegte Tr. sein Geschäfts­lokal nach Nördlingen und hier gelang es ihm, noch 15 Personen in sein Netz zu ziehen, doch ohne Erfolg, da inzwischen eine Warnung vor Tr. veröffentlicht worden war und den Leuten selbst Mißtrauen aufstieg. Am 24. Febr. 1910 wurde Tr. verhaftet; er hatte sich heute wegen 3 vollendeter und 15 versuchter Vergehen des Betrugs zu verantworten. Das Gericht erkannte, unter Einschluß einer Strafe des Schöffengerichts

Rastatt vom 25. Febr. 1910 wegen Betrugs­versuchs von 6 Wochen Gefängnis, wegen der gleichen Delikte auf eine Gesamtstrafe von 1 Jahr 1 Monat Gefängnis.

Pforzheim 3. Mai. Sonntag nacht ließen sich zwei hiesige ca. 17jährige Burschen, Lehrlinge, beigehen, einen Obsthändler in der Nähe der Wirtschaft zumMayerhof" auf der Straße zu überfallen, ihm Pfeffer in die Augen zu werfen und ihm seine kleine Bar­schaft abzunehmen. Die zwei Burschen sind er­mittelt und sehen strenger Bestrafung entgegen.

Kassel 3. Mai. In der Nacht zum Montag ging auch im Fuldatal ein starker Schnee fall nieder. Die Umgegend von Fulda, das Rhöngebirge und der Meißner boten das Bild einer Winterlandschaft. Die Baumblüte ist strichweise vernichtet.

Neumünster 3. Mai. Heute nacht sind auf dem Gute Augustenhof 16 polnische Ar­beiter und Arbeiterinnen infolge Kohlen- gasvergiftung schwer erkrankt. Die Leute hatten vor dem Schlafengehen einen Ofen an­geheizt und geschlossen. Eine Arbeiterin liegt hoffnungslos darnieder.

Berlin 3. Mai. (Reichstag.) AmBundes- ratStisch die Staatssekretäre Delbrück, Lisco und v. Schön. Das Zusatzabkommen zu dem mit Aegypten bestehenden Handelsab­kommen wird in dritter Lesung debattelos an­genommen. Es folgt die zweite Lesung des Gesetzentwurfes betr. die revidierte Berner Uebereinkunft zum Schutze von Werken der Literatur und Kunst. Dietz (ntl.): Der Antrag der Reichspartei für die ausschließliche Befugnis zur öffentlichen Aufführung eines Bühnenstücke« oder von Werken der Tonkunst an Stelle der Frist von dreißig Jahren eine solche von fünfzig Jahren zu setzen, ist für uns nicht annehmbar. Wagner (kons.) begründet einen Antrag, daß bei dem Export musikalischer Instrumente, die aus dem Ausland nach Staaten, in denen der Urheber keinen Schutz gegen die mechanische Wiedergabe des Werkes genießt, zum Zwecke des Absatzes dort ausgeführt worden sind, die Lizenzgebühr zurückzugewähren ist. Ein Teil der Nationalliberalen schließt sich diesem Anträge an, ein anderer Teil der Nationalliberalen und der fortschr. Volkspartei wünscht die unver­änderte Annahme der Vorlage. Regierungsseitig wird der Antrag der Konservativen für unan­nehmbar erklärt, worauf derselbe zurückgezogen wird. Die Redner des Zentrums erklären sich für die Kommissionsfassung. Regierungsseitig wird erklärt, daß in Zukunft bei Zeitungsartikeln die Privatklage zulässig ist, sofern nicht ein öffent­

liches Interesse vorliegt. Prinz zu Hohen­lohe (Rp.) bittet um Annahme des Antrages der Reichspartei, da derselbe den Zweck habe, die Hinterbliebenen unserer großen Männer, die meistens in bedrängten Verhältnissen leben, vor Not zu schützen. Nachdem sich mehrere Redner gegen diesen Antrag ausgesprochen haben, wird derselbe abgelehnt und das Gesetz in der Kom­missionsfassung angenommen. Es folgt die zweite Lesung des Gesetzes betr. Zuständigkeit (Entlastung) des Reichsgerichtes und Aenderung der Rechtsanwaltsordnung. Thaler (Ztr): Wenn das Reichsgericht sein Arbeitspensum nicht erledigen kann, so müssen entsprechende Aenderungen getroffen werden, daß es dazu im Stande ist. Die vorliegenden enthalten aber soviel Mängel, daß wir sie ablehnen müssen. Gyßling (fortschr. Vp.): Trotz schwerer Bedenken werden wir der Vorlage zustimmen, denn es handle sich um ein Provisorium. Abg. Heinze (ntl.): Wir erklären uns für den Gesetzentwurf. Nur durch Erhöhung der Revisionssumme oder Einführung des Difformitätsprinzips läßt sich eine Entlastung des Reichsgerichts erreichen. Heine (Soz.): Eine vorübergehende und später eine dauernde Verstärkung des Reichsgerichts ist notwendig. Das mündliche Verhandlungsprinzip muß aufrecht erhalten werden. Von einer Er­höhung der Revisionssumme sollte die Regierung Abstand nehmen. Staatssekretär Lisco: Das Material läßt sich durch eine Erhöhung der Revisionssumme vermindern. Außerdem werden wir baldmöglichst an die Heranziehung von Hilfsrichtern gehen. Schultze - Bromberg (Rp.ft Wir stimmen den Kommissionsbeschlüssen zu. Sayda (Pole): Wir lehnen die Vorlage ab. v. Damm (wirtsch. Vgg.): Wir stimmen den Kommissionsbeschlüssen zu. Dr. W a gn er (kons.): Wir halten den von der Kommission vorge­schlagenen Weg für den einzig gangbaren. Becker- Köln (Ztr.): Ein Teil meiner Freunde wird für die Kommissionsbeschlüsse eintrelen. Schmidt- Marburg (Ztr.) befürwortet einen Antrag, wonach gegen die Entscheidungen des Oberlandesgerichts eine Beschwerde nur insoweit zuzulassen ist, als es sich um die Versagung des Armenrechts handelt. H eine (Soz.) spricht sich für den Antrag Schmidt- Marburg aus. Staatssekretär Lisco bittet, den Antrag abzulehnen, da die Belastung des Reichsgerichts mit ergebnislosen Armensachen ganz ungeheuer sei. v. Dziembowski(Pole)erklärt die Abschaffung des Beschwerderechts gegen die Entscheidungen der Oberlandesgerichte für höchst bedenklich. Spahn (Ztr.) bittet, den Antrag Schmidt-Marburg abzulehnen. Nach weiterer unerheblicher Debatte vertagt sich das Haus. Morgen 1 Uhr Fortsetzung.

ihre veränderten Lebensausfichten. Sie schrieb überhaupt nicht mehr nach Rößlingen seit der Unterredung mit Beyerstein, und da sie ihre neue Adresse nicht aufgegeben hatte, blieben Ines Briefe auf der Post liegen.

Es war eine harte Schule, die das eitle, selbstsüchtige Weib durch­litt, die den Mann verließ, dem sie die Treue gelobt, dessen wahren Wert sie zu spät erkannt hatte. O, warum hatte sie es nicht früher getan, damals, als es noch Zeit war. Erst etwas über ein Jahr war es her, seit sie Randenhagen verlassen hatte, sie war gebrochen an Leib und Seele. Ihre Gesundheit war durch die ungewohnten Entbehrungen geschwächt. Tiefe Schatten lagen unter ihren Augen, und das einst blühende Gesicht sah verfallen aus. Ein dumpfes Kopfweh quälte sie dazwischen und sie war müde müde. Aber sie durfte es nicht sein, es hieß ja: arbeiten, um nicht Mangel zu leiden.

Professor Beyerstein hatte mit dem Inhaber des Ladens gesprochen. Als Herta zum ersten Male hinging, zitterten ihre Knie, so aufgeregt war sie. Sie hatte einen Fächer gemalt, leicht hingeworfene Veilchen und Maiglöckchen, in der Mitte ein zierliches Rokokobildchen. ES kam ihr schwer an, es Münster und Strauß anzubieten. Der Preis, den sie bekam, war so gering, daß sie erschrak, aber sie mußte das Geld nehmen, um nicht zu hungern. Der Inhaber des Ladens sagte:Der Wettbewerb in diesem Zweck ist so groß, daß wir mit Angeboten überlaufen werden und daher keine hohe Summe zahlen können."

Herta kämpfte mit sich. Endlich fragte sie, in welcher Art sie wohl weiter für das Geschäft Arbeiten liefern könne.

Hier sind stchs Mappen, die ich Ihnen geben will," entgegnete Strauß, ein freundlicher älterer Mann.Sie können sie nach ihrem Geschmack malen, ich will nur bemerken, daß ich sie gern möglichst bald hätte. Ten Preis kann ich erst nach Ablieferung nennen, cs kommt darauf an, wie mir die Arbeit gefällt."

Herta trug das ziemlich umfangreiche Paket in ihre Dachstube, die ein einziges Fenster hatte, das von einem Nachbarhause verdunkelt wurde.

Ich betreibe die Malerei handwerksmäßig, gleich ein halbes Dutzend auf einmal", dachte sie mit bitterem Spott.Soweit habe ich es also gebracht."

Es war draußen heiß und staubig, in der engen Dachstube heiß und schwül. Die Sonne schien unbarmherzig herein. Herta hatte schon mehrere Stunden rastlos gearbeitet; sie hatte sich kaum Zeit genommen, ein Glas Milch und ein Brötchen zu genießen. Mittags brachte ihre Wirtin ihr einen Teller wässeriger Suppe und ein winziges Stückchen Fleisch. Die schlecht zubereitete Kost widerte Herta an. Oft blieb die karge Mahlzeit fast unberührt. Heute war ihr besonders weh ums Herz. ES war ihr Geburtstag. Sie wurde erst zweiundzwanzig Jahre alt, aber sie fühlte sich wenigstens wie vierzig durch die trüben Erfahrungen de» letzten Jahres.

Ich will für heute Schluß machen," dachte sie,es zieht mich allzu mächtig hinaus ins Freie. Ich muß Luft haben, den blauen Himmel sehen, vielleicht verliere ich dieses peinigende Kopfweh."

Von ihren mitgebrachten Kleidern war nur noch ein graues Kostüm halbwegs anständig, aber auch ihm sah man an, daß es abgenutzt und eigentlich kaum mehr zu brauchen war. Es hing, viel zu weit geworden, um die abgemagerte Gestalt der jungen Frau. Sie nahm die elektrische Bahn und fuhr weit hinaus aus der geräuschvollen Stadt. Der Lärm der Wagen, das laute, frohe Treiben der Menschen auf den Straßen war ihr unerträglich. Nur fort, fort, wo es still war, wo sie sich im Grase ausstrecken konnte, wo die linde Luft ihr die pochenden, schmerzende» Schläfen kühlte. Als die Bahn hielt, stieg Herta aus. Der Wald nah« sie auf. Hier war es kühl und friedlich. Wie ein weidwundes Reh hätte sie sich verkriechen mögen, um zu sterben. Sie lag unter einem Baum. Bunte Falter gaukelten von Blume zu Blume, und die Drossel sang ihr süßes Lied. Hier, wo niemand sie sah, durste sie wemen. Die Augen, die sich zwangen, ruhig und kalt zu blicken, fanden die erlösende Wohltat der Tränen. (Forts, folgt.