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Kreiiag, den 22. April 1910.
BerUjjüpr. i. d. Elcwr^ ^jührl.m. Lrügerl. Mt. 1 . 2 b. Poftbezugspr s. 7. Orts- u. NachbarorlSvert. ^.sährl. ML. 1.20. im Fernverkehr Mk. i.vo. Beitellg. in Dürri. 30 Pfg., in Bayern u. Reich 42 Pfg.
TsgesUmigkeiten.
* Calw 22. April, lieber das wirtschaftliche Programm des Hansabundes hielt am Mittwoch abend im Hotel „Waldhorn" der Geschäftsführer des Hansabundes in Württemberg, G. Bayer-Stuttgart, einen sehr interessanten und wirkungsvollen Vortrag. Auf Einladung des Vorsitzenden der Handelskammer, Gemeinde- rat Georg Wagner, hatte sich dazu eine stattliche Zahl Zuhörer eingefunden. Nach freundlicher Begrüßung durch den Leiter der Versammlung, G. Wagner, ergriff G. Bayer das Wort, um zunächst auf die Bedeutung des alten Hansabundes einzugeyen und sodann die wirtschaftliche Umwälzung in Deutschland eingehend zu beleuchten. Die Veränderungsprozefse zeigen sich besonders in dem Unterschied der Bevölkerungszahl. Vor 90 Jahren habe Deutschland nur 24 Millionen Einwohner gehabt, jetzt betrage die Zahl über 60 Millionen. In 20 Jahren sei das deutsche Volk zum Riesenvolk angewachsen und damit sei auch ein Verschiebungsprozeß in der Berufsgliederung eingetreten. Früher seien 18 Mill. Einwohner bei der Landwirtschaft beschäftigt gewesen, die übrigen 6 Millionen hätten sich auf Industrie, Gewerbe und Handel verteilt. Nach der Berufszählung von 1907 seien heute auch nicht mehr als 18 Millionen landwirtschaftlich beschäftigte Personen vorhanden, die übrigen seien alle bei der Industrie untergekommen; die Landwirtschaft gebe nur 28 °/°, der Handel und die Industrie aber 56 °/° der Bevölkerung ihr Auskommen. Diese neuen Millionen mußten ein anderes Feld der Tätigkeit suchen und sie fanden es auch in den großen und kleinen industriellen Betrieben. Das Ueberwiegen der Industrie könne nicht mehr bezweifelt werden. Die Folgen des Verschiebungsprozesses seien
verschiedener Art. Alle Personen müßten ernährt und beschäftigt werden, das Mehr an Produkten ging hinaus auf den Weltmarkt, um neue Absatzgebiete zu erobern und so sei Deutschland vom Agrarstaat zum Industriestaat, zum exportierenden Jndustrievolk geworden. Durch Eroberung des Weltmarktes werde Geld ins Land gebracht und dadurch die Möglichkeit der Ernährung der vielen Millionen Einwohner geschaffen. Als Konsequenz ergebe sich hieraus, daß das neue deutsche Industrie- und Handelsvolk bedeutenderen Einfluß auf die Wirtschaftspolitik sich sichern müsse. Bisher habe die Industrie nicht den Einfluß gehabt, den sie verdiene; in Deutschland lebe man immer noch in den Traditionen des Agrarstaates und daher komme auch die Schutzpolitik Deutschlands, die für unser Erwerbsleben schädlich sei. Diese unglücklichen Zollgesetze hätten eine Verschlechterung der Absatzverhältmsse und eine Verteuerung der Lebenshaltung herbeigeführt. Selbst auf dem Gebiet der inneren Handelspolitik seien Gesetze entstanden, die in keiner Weise Handel und Industrie schützen, übrigens habe die Blockära auch etwas Gutes geschaffen, indem sie das alte Börfengesetz auf Drängen der Reichsregierung beseitigt habe. Die agrarisch konservative Anschauung gehe von dem Gedanken aus, die Industrie sei leistungsfähig und blühend und deshalb könne man ihr auch die größten Lasten auferlegen. Gegen eine Reichsfinanzreform an und für sich könne man nichts sagen, der Kampf richte sich nur gegen den Verteilungsmodus; die ungerechte einseitige Belastung vom Jahr 1909 errege das größte Bedenken. Der Hansabund sei gegründet worden, um den Kampf gegen die einseitige Belastung zu führen. Es wurde der Grundsatz aufgestellt von der Gleichberechtigung aller Stände auf dem Wirtschaftsgebiet. Um
eine Gleichberechtigung herbeizusühren, habe der Hansabund die Richtlinie seiner Tätigkeit festgesetzt. Die nationalen Interessen sollten allem vorangestellt werden. Der Hansabund vertrete nicht Sonderinteressen einzelner Gruppen sondern die gemeinsamen Interessen aller Berufsstände. In den Zeiten der politischen Wahlen werde der Hansabund dafür eintreten, daß Vertreter gewählt werden, welche die Interessen des Hansabundes wahrnehmen; in die Wahlkämpfe der Parteien selbst mische sich der Bund aber nicht ein, so wenig er in dem Kampf des Baugewerbes auf die Seite der Arbeitnehmer oder Arbeitgeber trete. Von den Gegnern des Hansabundes werde behauptet, dieser sei ein Gegner der Landwirtschaft, was aber nicht der Fall sei, sondern der Hansabund stehe unserer Landwirtschaft wohlwollend gegenüber. Was werde das Gewerbe und die Industrie den Bauern vernichten wollen, da ja der Industrie daran gelegen sein müsse, bei der Landwirtschaft kaufkräftige Abnehmer zu finven? Es sei aber ein Unterschied zwischen den ostelbischen Junkern mit ihren großen Besitzungen und unserer Landwirtschaft. Mit dem Bauernstand wolle man keine Feindschaft, sondern ein gutes Einvernehmen. Die Industrie habe im Hansabund nicht das Uebergewicht, ebensowenig die Finanzwelt. Es sei also unrichtig, den Hansabund mit dem Namen „Geheimer Kommerzienratsbund" zu beehren. In der Verwaltung des Hansabundes seien Gewerbe und Industrie gleichmäßig berücksichtigt. In den Richtlinien werde sodann gefordert, daß in öffentliche Betriebe mehr kaufmännischer Geist hereingetragen werde, daß der Kampf nicht gegen den süddeutschen Bauern zu führen sei, daß alle Maßnahmen zur Hebung der Mittelstandspolitik ergriffen und die Sozialpolitik besonders auch für Privatangestellte
Bernhard von der Eiche.
Roman von Baronin Gabriele v. Schlippenbach.
(Fortsetzung.)
Als der Wagen hielt, sprang Eiche mit einem Satz heraus und stürzte die steile Treppe hinauf. Die anderen folgten ihm. Der erste Werkmeister berichtete in fliegender Hast was geschehen war. Da ertönte die laute Stimme Bernhards; kurz und klar klangen seine Befehle. Er stand etwas erhöht, so daß er alles übersehen konnte. „Wie der Feldherr in der Schlacht," dachte Irmgard. Und die schlanke Männergestalt schien zu wachsen unter der Verantwortung, die auf ihm lastete. Der Kessel, der heute gereinigt wurde, war frisch gefüllt worden. Eine kleine Unachtsamkeit hatte das Unglück hervorgerufen. Die rotglühende Masse des frischen Erzes hatte die Wände gesprengt und sich blitzschnell über eine weite Fläche ergossen. Es hatte die zunächst stehenden Arbeiter erreicht. Zwei von ihnen find tot und mehrere haben Brandwunden erlitten. Jnek kniet mit ihrem Hellen Kleide neben einem Italiener, der die Besinnung verloren hatte. Sein Gesicht war arg verbrannt und das Hemd, mit dem sein Oberkörper bekleidet war, hing in Fetzen herab. Am rechten Arm befand sich eine große Brandwunde. Frau Gerard und der Graf waren näher getreten. Schaudernd beobachteten sie, wie da» junge Mädchen den ersten Verband anlegte, wie sie den dunklen Kopf des Burschen auf ihren Schoß bettete. Es ist auf jedem Werk Verbandzeug und Pikrinsalbe vorrätig, das beste Mittel bei Unglücksfällen, die leider nur allzuoft auf den Hochöfen und Hütten Vorkommen. Wie schnell und geschickt der Zögling des Stettiner Krankenhauses alle» verrichtete, wie die kleinen Hände mutig eingriffen, Schmerzen linderten und wohltuend wirkten. Und auch der Bruder stand als ganzer Mann an seinem Platz. Ihm gehorchte die zuerst wüd durcheinander laufende Arbeiterschar. Wo
es not tat, griff Eiche selbst mit an, er hatte ja Kraft und Mark in dm Armen. Er fühlte sich Herr der gefährlichen Lage. Es sah seltsam genug aus, wie er mitten unter den berußten Arbeitern in ihren groben, vertragenen Anzügen im feinen Gesellschaftskleide mit anpackt, und sich nicht schonte, nur von dem treibenden Gedanken erfüllt, seine Pflicht als Chef, noch mehr als Mensch zu tun.
Nun war die Gefahr beseitigt. Das glühende Erz war erkaltet, eS gefährdete nichts mehr. Die Kranken stöhnten. Eiche trat auf sie zu und sprach zu ihnen, so sanft und freundlich, wie Irmgard es nie für möglich gehalten hätte. Er selbst achtete der Brandwunden nicht, die er davongetragen. Haar und Bart waren versengt, sein Anzug von Wasser und Feuer verdorben. Auf Tragbahren brachte man die Verunglückten in'S Hospital. Ines bettete sie sorglich, Graf Frauenfeld neigte sich ganz bewundernd über sie.
„Wie können Sie das? Sie, so zart und jung, es ist mehr als mancher Mann vermag."
„ES gilt ja, einem Leidenden zu helfen, Herr Graf", versetzte Ine» mit leuchtenden Augen.
Irmgard stand dem Hochofenchef von Rößlingen gegenüber; eS schimmerte feucht in ihren dunklen Stemm. „Ich werde Ihnen morgen einen größere Summe schicken, Herr Baron", sagte sie.
„Geld und immer wieder Geld. Glauben Sie, daß damit alle» gemacht werden kann, wa» die Reichen an ihrm armen Mitbrüdern sündigen?" Fast drohend grollte es in der Männerstimme; düster faltete sich die Stime de» jungen Hochofenchefs.
Da ergriff Frau Gerard seine Hand. Wie in heißer Qual und doch wieder wie von einem zwingmdm Muß getrieben, rang e» sich über ihre Lippen.
„Sie find ein ganzer Mann; man muß Sie bewundern und hochstellm."
(Fortsetzung folgt.)