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Samstag, den 9. April 1910.

VrzugSpr.i.d. Stadt »/«jährl.m.rräg«r1. Mt. 1 . 26 . Postdezugspr f.d. OrtS- u. NachbarortSverk.'/aiührl. Mk. 1.20, im KernoerLehr Mk. 1.3V. Bestellg. in Württ. SO Pfg., in Bayern u. Reich 42 Pfg.

Tagesuerrigkeitnr.

Calw 9. April. Se. Maj. der König haben den Hinterbliebenen des Hrn. Regierungs­rats Voelter seine aufrichtige Teilnahme aus- drücken lassen.

Stuttgart 8. April. Die Zweite Kammer setzte heute die Beratung des durch die Volks schulnovelle notwendig gewordenen Nachtragsetats bei Kap. 84 fort. Der Ab­geordnete Schrempf (B.K) bat um Auskunft, ob bei der Besetzung der vorgesehenen hauptamt­lichen Bezirksschulaufseherstellen Volksschullehrer in Frage kommen können. Als Sitze der Bezirks­schulaufseher sollten auch Landorte gewählt werden. Wünschenswert sei die Gewährung von Stipendien an Lehrerstudenten. Löchner (Vp.) wandte sich dagegen, daß die Mehrzahl der Stellen mit früheren Geistlichen besetzt werde. Minister von Fleischhauer betonte, es sei vorgesehen, ge­eignete Personen aus dem Volksschullehrerstande in den Aufsichtsdienst zu berufen. Die Stellen würden ausgeschrieben werden. Im übrigen müsse er sich die Entscheidung darüber Vor­behalten, ob bei einem bestimmten Bewerber alle Voraussetzungen zutreffen. Dem Wohnsitz in Landorten stehe manches entgegen, so die Lösung der Wohnungsfrage. Rücksicht sei auch zu nehmen auf den Verkehr mit dem Oberamt. Grund­sätzlich fei der Wohnsitz in einem Landorte nicht ausgeschlossen. Die Belohnung für die Aufsicht habe sich mit Rücksicht auf die Finanzlage leider nicht mehr erhöhen lassen. Dr. Späth (Ztr.) wünschte dringend, daß das Ministerium den Oberschulräten die Anweisung gebe, in den kom­menden Jahren eine große Anzahl Rektorstellen von erprobten, nicht akademisch geprüften Lehrern definitiv zu besetzen. Den seitherigen Oberlehrern, die ihre Stellen als Oberlehrer verlieren, sollte man noch einige ihrer bisherigen Funktionen in Unterordnung unter die Rektoren und damit auch die seitherige Funktionszulage lassen. Löchner (Vp.) bezeichnete die Rektorenzulage als sehr mäßig. Die Belassung gewisser Funktionen bei den bis­herigen Oberlehrern sei nicht angängig. Wenn auch der üebergang schmerzlich sei, einmal müsse er doch vollzogen werden. Eifersüchteleien werden sich ja nicht vermeiden lassen. Hoffentlich verschwinden sie bald. Nach kurzen Ausführungen des Abg. Weber (Z.) erklärte Minister v. Fleischhauer, es sei möglich, gewisse Funktionen des Schulvor­stands aushilfsweise den Oberlehrern zu über­lassen. Zuzugeben sei auch, daß eine Härte darin liege, wenn die bisherige Oberlehrerzulage entzogen werde. Es lasse sich das aber nicht vermeiden, da sonst ein Mehraufwand von 10000 entstehen würde. Mit der weiteren Besetzung der Rektorenstellen werde je nach den Erfahrungen fortgefahren werden. Auf die vor­gesehenen Rektorenstellen 3Massigen Schulen sollen nur erprobte Volksschullehrer berufen werden. Der sachliche Mehraufwand von 121437 auf die evangelischen Volks­schulen wurde genehmigt, ebenso der sach­liche Mehraufwand von 62 504 ^ für die katholischen Volksschulen. (Kap. 87). In Kap. 88 ist für Dienstalters- und Gehalts­zulagen der Lehrer und Lehrerinnen und für Beiträge an Gemeinden zu den Gehalten ihrer Schulstellen ein Mehraufwand von 63 200 ^

vorgesehen. Das Haus stimmte der Exigenz ohne nennenswerte Debatte zu und nahm dann den Entwurf unter Erhöhung des Gesamt­aufwands von 321841 auf 351841 mit sämtlichen 77 abgegebenen Stimmen an. Hie­rauf wurde die vor zwei Tagen unterbrochene Beratung der Bauordnung wieder ausge­nommen und die Debatte über Art. 3 fort­gesetzt, die sich zunächst noch um die wichtige Frage drehte, ob für die Ortsbausatzung die Genehmigung oder die Vollziehbarkeitssrklärung des Bezirksrats bezw. in großen und mittleren Städten der Regierung erforderlich sein soll. Speth (Z.) polemisierte gegen verschiedene Redner, die den Bezirksrat als ungeeignet für die Vollziehbarkeit erklärt und sich damit auf den Standpunkt eines dahingehenden sozial­demokratischen Antrags gestellt haben. Häffner (D.P.) betonte, daß seine Partei im Großen und Ganzen dem Antrag des Finanzausschusses zu­stimme. (Vollziehbarkeit durch Regierung in großen und mittleren Städten, sonst durch den Bezirksrat.) Minister v. Pischek erklärte, daß er an der Unparteilichkeit des Bezirksrats nicht zweifle, der aber für die Beratung umfangreicher Ortsbau­satzungen gar nicht die nötige Zeit hätte. Keßler (Z.) pflichtete dem Antrag Kraut bei, der das Genehmigungsrecht der Regierung fordert. Dr. Lindemann (Soz.) trat den gegen den soz. Antrag gemachten Einwendungen entgegen. Zwi­schen freiem Genehmigungsrecht und der Vollzieh­barkeit, wie sie jetzt vorgesehen sei, finde er keinen Unterschied. England beweise, daß das freie Genehmigungsrecht keineswegs eine unsittliche Einrichtung sei, wie Haußmann behauptet habe. Dem Bezirksrat fehle die größere Sachverständig - keit gegenüber den bürgerlichen Kollegien. Nach weiteren Ausführungen des Ministers v. Pischek und der Abgg. Rembold-Gmünd (Z.) und Mattutat (Soz.) sprach v. Gauß (V.) das Schlußwort, das er zu scharfer Polemik benützte, worauf von der Linken die Zurufe ertönten: Sie sprechen ja nicht als Berichterstatter, das ist skandalös! Vizepräs. Dr. v. Kiene konstatierte, daß der Berichterstatter berechtigt sei, gegenüber allen Einwendungen gegen Ausschußanträge sich auszulaffen. Das Maß sei individuelle Sache. Kraut (B.K.) erklärte, Gauß habe einige Aeußerungen falsch interpretiert. Gauß habe das Schlußwort in nicht zulässiger Weise zu polemischen Ausfällen benützt. Minister v. Pischek führte aus, wenn der Berichterstatter das früher gesagt hätte, was er in seinem Schlußwort sagte, so hätte er eingehend darauf erwidert (hört! hört!). Liesch ing (V.) vertrat die Ansicht, daß Gauß im Sinne der Geschäftsordnung gehandelt habe, v. Gauß (V.) betonte, ihm stehe eine unbe­schränkte Kritik zu. Die Schärfe seines Tones habe er selbst nicht gewünscht. Dr. Lindemann (Soz.) erwiderte, die Kritik müsse sachlich sein im Schlußwort, ebenso wie im Reichstag. Gauß habe sein Schlußwort mißbraucht. Nach weiteren polemischen Ausführungen Haußmann's (V.) gegen die Sozialdemokratie wurde die Debatte abermals geschloffen, wobei v. Gauß auf das Schlußwort verzichtete (große Heiterkeit). Der Antrag Kraut wurde mit 57 gegen 8 Stimmen, der sozialdemokratische Antrag mit 43 gegen 22 Stimmen ab gelehnt und hierauf der Ausschußantrag angenommen.

Stuttgart 8. April. VorderStraf- kammer des hiesigen Landgerichts kam heute unter dem Vorsitz des Landgerichtsdirektors Fischer die Klage gegen den verantwortlichen Redakteur des S i m p l i z i s s i m u s, Hans Kaspar Gul- branffon, wegen Beleidigung des Bischofs von Keppler und der Geistlichen der Diözese Rotten­burg zur Verhandlung. Vertreter der Anklage war Staatsanwalt Elwert, Verteidiger des An­geklagten Rechtsanwalt Heusel. Der Bischof war als Nebenkläger zugelassen, jedoch nicht anwesend, sondern durch Rechtsanwalt Dr. Schilling ver­treten. Der Anklage liegt folgender Tatbestand zu Grunde: In Nr. 10 des Simplizissimus vom 7. Juni 1909 befand sich die Darstellung eines Bischofs in voller Amtstracht, wie er mit der rechten Hand eine Herde von Schweinen segnet, die mit dem Zeichen der Priester versehen sind. Das Bild trug die Unterschrift:Durch sein Eintreten für den Pfarrer Bauer hat der Bischof Keppler von Rottenburg gezeigt, daß er nicht nur über Schafe, sondern auch über Schweine ein guter Hirte ist." Die Anklage erblickt darin die Behauptung und Verbreitung einer nicht erweis­lichen wahren beleidigenden Tatsache über die Geistlichen in Beziehung auf ihren Beruf und den Bischof, die geeignet sei, diesen in der öffent­lichen Meinung herabzuwürdigen (öffentliche Be­leidigung im Sinne der 88 185, 186, 196, 200, 73 St.G.B. und 8 20 Abs. 2 Preßges.). Der Angeklagte behaupte zwar, nur Bauer sei beleidigt, nicht aber der Bischof, dem nur allzu­große Milde zum Vorwurf gemacht werde. Hierin liege keine Ehrverletzung, sondern nur ein er­laubter Tadel über unzweckmäßiges Verhalten. Durch die Darstellung einer ganzen Schweine­herde in geistlicher AmtStracht unter der Obhut des namentlich Gezeichneten Bischofs werde jedoch in nicht mißzuverstehender Weise und mit einer dem Angeschuldigten wohlbewußten Deutlichkeit der Gesamtheit der Geistlichen ein grob unsitt­liches Verhalten in geschlechtlicher Beziehung durch einen schon an sich schimpflichen Vergleich vorgeworfen und zugleich zum Ausdruck gebracht, daß sie in dieser Beziehung auf gleicher Stufe mit dem wegen SittlichkeitsverbrechenS und Re­ligionsvergehens zu drei Jahren Zuchthaus ver­urteilten Stadtpfarrer Bauer stehen. Gegenüber dem Bischof selbst aber werde nicht nur die durchaus unwahre Behauptung aufgestellt, er sei für Bauer, einen damals wegen schweren Sitt­lichkeitsverbrechens dringend verdächtigen Geist­lichen, eingetreten, sondern es werde ihm auch weiter eine schwere Verletzung der ihm als obersten Kirchenfürsten obliegenden Pflichten der Ueber- wächung und Beaufsichtigung der ihm unterstellten Geistlichen in sittlicher Hinsicht durch die Unter­stellung vorgeworfen, er sehe über die ihm be­kannten groben sittlichen Verfehlungen der Geist­lichen aus politischen Gründen (alles für das Zentrum) hinweg. Ja, er halte sogar segnend und schützend seine Hand über die Schuldigen und begünstige dadurch ihr verwerfliches Treiben. Tatsächlich habe der Bischof in der Männerver­sammlung in Schramberg am 12. Mai 1909, nach den Aussagen sämtlicher vernommener Zu­hörer in durchaus sachlicher Weise und lediglich im Zusammenhang mit der Erörterung der ver­schiedenen Möglichkeiten des Ausfalls des an­hängigen Verfahrens auch die Möglichkett einer