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Tagesrrerrigkeite«.
* Calw 36. März. Die Märznummer der Schwarzwaldvereinsblätter enthält einen Aufsatz von K. Jäkle-Calw über „Das Hochwasser am 19. Januar 1910". Interessant ist hiebei eine Zusammenstellung vom Waffer- stand der Nagold in den letzten 20 Jahren nach dem Wasserstand der Nagold am Pegel unterhalb des GutleuthauseS. Der höchste Waffer- stand betrug 4,38 (im Jahr 1895), der niederste 0,80 (im Jahr 1907); der mittlere Wafserstand bewegte sich zwischen 1,24 und 1,45. Der durchschnittliche Mittelwasserstand ist 1,31; der niederste Wasserstand bleibt verhältnismäßig wenig hinter dem Mittel zurück und wechselt auch nicht außerordentlich. Die Nummer bringt ferner 2 Beschreibungen eines Fastnachtsumzugs, nämlich eines von Rottweil und eines Zuges von Weilderstadt. Von den „Rätselhaften Burgresten im württembergischen Schwarzwald" beschreibt I. Bitz er-Freudenstadt „die Altstadt bei Unter- Jflingen"; Lehrer Egger-Neuenbürg beschreibt eine Wanderung von 7 Neuenbürger Schwarz- wäldlern „Im Schnee auf die Teufelsmühle" und ein Calmbacher Vereinschronist besingt den Reiz „einer verregneten Schlittenfahrt". C. Odendahl berichtet über die Geschichte der Ruine „Hohennagold" und kommt hiebei zu dem Ergebnis, daß der sonst der Burg beigelegte Name „Hohenberg" unrichtig sei. Eine ganze Zahl von Bezirksnachrichten erhält den Leser auf dem Laufenden über die Tätigkeit der Bezirksvereine.
Stuttgart 24. März. Durch die Wahl in Ludwigsburg ist nunmehr der Bestand der Zweiten Kammer wieder vollzählig geworden. Die Zusammensetzung der Kammer ist jetzt folgende: Zentrum 25 Sitze, Volkspartei 22, Bund der Landwirte und Konservative 16, Sozialdemokratie 15, Deutsche Partei 13, parteilos 1.
Stuttgart 25. März. Gestern früh ' -8 Uhr wurde hier längere Zeit ein Freiballon beobachtet, der in beträchtliche Höhe über die Stadt in der Richtung von Nordwesten nach Südosten hinwegzog. Da der Ballon dicht an einer großen Wolkenschicht schwebte, war es auch mit guten Gläsern nicht möglich, ihn näher zu erkennen, zumal er Ballast ausgab und dann in den Wolken vollends verschwand. Gegen 10 Uhr vormittags ist er dann, da ihn gerade dieses Durchstoßen der Wolken mit dem nachfolgenden unvermeidlichen Gasverlust verhängnisvoll wurde, hinter dem Bruckberg bei Eningen gelandet. Es war der Ballon Osnabrück. Der Gondel entstiegen vier Herren, die am Mittwoch abend in der Stadt gleichen Namens zu einer Nachtfahrt aufgestiegen waren und im Laufe des Morgens, begünstigt durch die Windrichtung, den Plan!gefaßt hatten, womöglich nach Friedrichs
hafen zu gelangen. Sie gaben ihre Absicht auch nach der vorzeitigen, aber glatten Landung nicht auf und setzten, nachdem der Aerostat geborgen und bahnfertig verpackt war, ihre Reise nach dem Bodensee fort, aber mit der Eisenbahn.
Stuttgart 34. März. Gestern vormittag wurde in die Wohnung eines Milchhändlers in der Katarinenstraße eingebrochen und neben ca. 430 Bargeld, zwei goldene und zwei silberne Uhren, sowie Schmucksachen entwendet. Die Täter sind alsbald ermittelt worden. Der eine konnte noch gestern mittag festgenommen werden, während die Festnahme der beiden weiteren Täter — sämtliche vorbestrafte Burschen — heute nacht einer Schutzmannspatrouille gelang.
Stuttgart 24. März. Auf dem Seefischmarkt herrschte heute ein lebhafter Verkehr. Vor der städtischen Verkaufsbude bei der Gemüsehalle bildeten die Käufer zeitweise eine lange Reihe. Schellfische kosteten 35—40 Kabliau 30—35 Seelachs und Schollen 35 <), Seeaal und Merlans 30 per Pfund.
Vaihingen a. E. 24. März. Ein an einem hiesigen Hause angebrachter Traubenstock zeigt zur Zeit zwei zehn Zentimeter lange und völlig entwickelte Triebe mit zwei Trauben, die in den nächsten Tagen zur Blüte gelangen dürften.
Vom Zabertal 25. März. Wenn man nach Zavelstein in die Krokusblüte geht und bei Hofen die Scylla aufsucht, so lohnt es sich, im Zabertal den Veilchenflor aufzusuchen. In vielen Farben: dunkelblau, hellblau, blaurot und weißgesprenkelt, blüht das Veilchen der Zaber entlang und in verlassenen Weinbergen. Ganze Wiesen, auch ältere Luzernenfelder, sind übersät mit dem lieblichen Blümchen. Ueberall, an Busch und Bach, im Rebberg und im Gehölz streut die viola, oäorutu ihren süßen Dust aus. Arme Kinder sammeln die Veilchen massenhaft. Sie werden zu einem bei hartnäckigem Husten und Katarrh heilkräftigen Tee, auch gegen Halsweh bei Mandelanschwellung gebraucht. Es ist ein prächtiges Bild, mitten im Grünen einen veilchenblauen Teppich oder einen weinroten Veilchenfleck zu sehen. Dabei riechen die weinroten und weißgesprenkelten Veilchen nicht minder lieblich als die dunkelblauen.
Plochingen 24. März. Der 20 Jahre alte Carlo Damiant, ein Italiener, der hier mit einigen Landsleuten zusammenwohnte, verließ nachts, nur leicht bekleidet, das Zimmer mit dem Bemerken, er kehre alsbald zurück. Als er jedoch längere Zeit ausblieb, wurde nach ihm geforscht, doch sind die Nachforschungen bis jetzt ergebnislos verlaufen. Man vermutet, daß der junge brave Mensch freiwillig den.Tod gesucht hat.
Eßlingen 35. März. Im benachbarte« Berkheim verübten zwei junge Leute dadurch groben Unfug, daß sie an dem Wagen eines dortigen Fuhrwerksbesitzers Teile entfernten und fortsührten. So hängten sie ein solches Teil auf einem Baum auf. Die Täter sind ermittelt. — Auf dem Wege von Obereßlingen nach dem Bahnhof wurden aus dem Boden Pfosten und Holzeinlagen herausgerifsen und demoliert. Auch hier sind die Täter ermittelt.
Göppingen 24. März. Daß die Schüler höherer Lehranstalten für die Besucherinnen höherer Mädchenschulen ein gewisses Interesse haben, kommt überall vor. Dieses Interesse scheink aber hier einen etwas eigentümlichen Ausdruck gefunden zu haben, wie aus einer Zuschrift hervorgeht, die der Rektor der höheren Mädchenschule an den Hohenstaufen gerichtet hat. Die Zuschrift lautet: „Schon seit längerer Zeit wurde der Unterricht an der höheren Mädchenschule vielfach gestört durch zum Teil jetzt ausgetretene Schüler der Oberrealschule bezw. des Realgymnasiums, die sich in der Grabenstraße durch auffallendes Klingeln mit der Fahrradglocke, durch Heraufwinken, Zutrinken aus der „Traube" heraus und anderes lästig machten. Als nun drei solche vielsprechende Jünglinge gestern zur öffentliche» mündlichen Prüfung in der höheren Mädchenschule erschienen, wurden sie durch den Schulvorstand zum Verlassen des Zimmers aufgefordert. Die Art, wie sie der Aufforderung endlich Folge leisteten, ließ erwarten, daß diese aufdringlichen „Freunde der höheren Mädchenschule" mittags bei der Turnprüfung wieder erscheinen würden; daher wurde das Polizeikommissariat gebeten, durch zwei Schutzleute uns im Notfall vor weiteren unliebsamen Störungen zu sichern. Wenn dabei auch jüngere Herren, die wirkliches Interesse für die höhere Mädchenschule haben, in Mitleidenschaft gezogen wurden, so ist das sehr bedauerlich. Die Maßregel war aber nicht zu umgehen, wie aus obigem erhellt. Jedenfalls hat die Schulleitung im Sinn und Interesse der Eltern ihrer meisten Schülerinnen gehandelt."
Lorch 24. März. Der von hier infolge gegen ihn erstattete Anzeige mit Selbstmordgedanken geflüchtete angesehene Kaufmann Finkh ist außer Verfolgung gesetzt worden, nachdem die auf Grund der Denunziation eingeleitete Untersuchung ergeben hat, daß jeder Beweis für die Finkh zur Last gelegten strafbaren Handlungen fehlt. Der Mann ist vollständig unschuldig verdächtigt worden.
Schwenningen 24. März. Eine hiesige junge Frau versuchte in einer Metzgerei einen Griff in eine Kaffe. Die mit Läutewerk versehene Kontrollkasse machte jedoch Alarm, worauf der Metzgermeister herbeieilte und die davon
schon jetzt zu sich genommen, aber sie war noch so jung und hatte selbst den Wunsch, etwas zu lernen.
„Weißt du, Hardy, was ich möchte," sagte sie, „ich möchte auf ein Jahr zu Oberförsters, um dort grü Mich die Wirtschaft zu erlernen. Die Frau Oberförster Krause nimmt junge Mädchen in Pension und mit der Tochter Luise bin ich sehr befreundet. Sie ist ein Jahr älter als ich, wir haben in Liebenau die Schule besucht und ich liebe sie wie eine Schwester."
„Der Plan ist nicht so übel, Kleines," meinte Bernhard nachdenklich, „aber ich möchte auch, daß du noch etwas nebenbei lernst, und dich besonders im Klavierspiel vervollkommnest; du spielst ja recht nett."
„O, ich kann ja zweimal in der Woche von der Forstei hierher zu einem Musiklehrer kommen, wie du weißt ist es ein kleiner Weg, und eine tüchtige Lehrerin unterrichtet die jüngeren Geschwister meiner Luise. Hast du sie nicht am Beerdigungstag des lieben Papa bemerkt, Hardy?"
„Nein, Kleines," entgegnete Bernhard.
„O, du mußt Luise kennen lernen!" rief Ines enthusiastisch. „Sie würde dir gefallen. Sie wirkt wohltuend in ihrer stillen, weiblichen Art und weißt du, sie interessiert sich sehr für dich, ich muß ihr immer von dir erzählen. Dein Bild gefällt ihr außerordentlich. Sie meinte, du sähest gut und klug aus."
„Sehr schmeichelhaft," dachte Bernhard, „die Meinung eines Backfisches ist mir recht gleichgültig."
Etwas mehr als eine Stunde von Liebenau entfernt, lag die Oberförsterei. Das schmucke, weißgetünchte Haus mit den grünen Jalousien und dem starken Elchgeweih über der Eichentür wurde von mächtigen Bäumen beschattet. Unter ihren breiten Wipfeln leuchtete das rote Ziegeldach. Schon in der dritten Generation waren die Kraußes hier als Förster seßhaft, und der älteste Sohn des Ehepaares beabsichtigte ebenfalls, sich derselben Karriere zu widmen. Er war in Tharandt auf
der Forstakademie, ein junges, frisches Jägerblut von 22 Jahren. Eine ganze Reihe von Kindern folgte ihm. Die älteste Tochter war schon verheiratet, dann kam Luise, die Freundin von Ines, und nach ihr noch fünf jüngere Brüder und Schwestern. Bei einer so großen Familie reichte dos immerhin recht gute Einkommen des VaterSnicht. Seine brave, praktische Frau sah es ein, deshalb suchte auch sie zu erwerben. Sie kam auf den glücklichen Gedanken, eine Koch- und Wirtschaftsschule einzurichten; mehr als sechs junge Mädchen nahm sie nicht an. Gegen eine nicht sehr hohe Pension weihte Frau Emma Krause sie in die Geheimnisse der Küche, des Einmachens der Früchte und Beeren, in die Gartenpflege und große Wäsche, in das Bügeln, Nähen und Ausbeffern ein. So manche ihrer Zöglinge waren schon verheiratet und standen dem Haushalt mustergiltig vor; andere hatten Stellungen angenommen. Die Elevinnen aus der Försterei waren so tüchtig, daß jeder sich glücklich pries, sie bei sich anzustellen. DaS Haus war geräumig, so daß alle bei Kraußes Platz halten. Je zwei und zwei wohnten die jungen Mädchen in den einfachen, weißangetünchten Mansarden zusammen. Man verrichtete die aufgetragene Arbeit fröhlich. Nie sah man mißmutige Gesichter, wohl aber hörte man oft Helles, jugendliches Lachen und muntere Scherzworte.
„Tante Emma," so nannten die Wirtschaftselevinnen die Frau Oberförster, verlangte nicht wenig, sie war selbst noch frisch und leistungsfähig. Sie griff alles am rechten Ende an. Tante Emma war wie eine Mutter für die jungen Mädchen. Manche Waise stand unter ihrer Obhut und kam traurig und gedrückt in das weiße Haus, aber es dauerte nicht lange, sd hellten sich die Augen auf. Man mußte sich glücklich und heimisch fühlen bei Tante Emma. Sie verstand die Karaktere je nach ihrer Eigenart zu nehmen und erzieherisch einzuwirken. Bei der tüchtigen Lehrerin der jüngeren Töchter konnten wissenschaftliche Sprachstudien ge-