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Wildbad 21. März. Alle Nachforschungen nach dem Verbleib des Mädchens, das in Donaueschingen verschwunden ist, find bisher ohne Erfolg gewesen. Die beiden Pforz- heimer Polizeihunde hatte man in das Zimmer der Verschwundenen geführt, und ihnen deren Kleidung vorgelegt; die Hunde sprangen dann auf die Straße, aber hier blieben sie stehen. Da die Hunde auch anderwärts gebraucht wurden, nahm man sie wieder von Donaueschingen weg, doch sollen sie noch einmal dahin gebracht werden. Das verschwundene Mädchen trug einfache Hauskleidung und hatte die Schulmappe bei sich, als es von der Schule nach Hause ging. Von da an fehlt jede Spur von ihm. Der Vater des Mädchens hat eine Belohnung von 1000 ^ ausgesetzt, der über den Verbleib des Mädchens Anhaltspunkte geben kann.
Stuttgart 19. März. Das der Volkspartei und Herrn v. Gauß nahestehende „Schwäb. Korrespondenzbureau" kann über die Absichten des Oberbürgermeisters folgendes feststellen: „Wie vorauszusehen war, haben sich an den Urlaub des Herrn Oberbürgermeisters Gauß verschiedene Betrachtungen angeknüpft. Wir glauben nicht fehl zu gehen, wenn wir feststellen, daß die Annahme, als ob der Urlaub des Herrn Oberbürgermeisters der Anfang vom Rücktritt desselben sei, nicht den Tatsachen entspricht. Der Urlaub des Oberbürgermeisters war bereits zu einer Zeit in Aussicht genommen, als die Frage seines event. Zurücktretens noch gar nicht zur Debatte stand. Ferner wird man annehmen dürfen, daß Herr Gauß sein Amt nicht verläßt, bevor nicht die großen Aufgaben, welche der Stuttgarter Stadtverwaltung bevorstehen, gelöst sind. Wirmeinen hier vor allem die Wasserversorgung Stuttgarts, die Erledigung der Gemeindeunterbeamtenwünsche rc. Seinen Pflichten als Landtagsabgeordneter wird Herr Gauß dadurch entsprechen, daß er noch die Referate zur Bauordnung, die ihm übertragen wurden, aussührt; ein Ersatz wäre jetzt, nach dem vorgeschrittenen Stadium, in dem sich die Behandlung der Bauordnung befindet, kaum zu finden. ES steht zu hoffen, daß Herr Gauß im Herbst mit neuen Kräften zur Arbeit zurückkehrt und seinen Aufgaben als Vorstand der Stadtverwaltung und als Abgeordneter in vollem Umfang wieder Nachkommen kann."
Stuttgart 21. März. Zwischen der „Schwäb Tagw." und dem „Beobachter" hat sich in der letzten Zeit ein lebhafter Meinungsaustausch über die Urheberschaft eines Wahlaufrufs aus dem Jahre 1899 zu gunsten der damaligen Kandidatur Gauß bei der Stadtvorstandswahl entwickelt. Der „Beob." erklärt nun heute, durch eine gegen den verantwortlichen Redakteur der „Tagwacht" in diesem Falle geradezu notwendig gewordene Klage werde die Angelegenheit ihre Erledigung finden.
Stuttgart 21. März. (Luftschifffahrt.) Im kürzlich erschienenen Jubiläumswerk der Firma Lanz in Mannheim ist endlich eine authentische Darstellung der Konstruktion des Riesenluftschiffs erschienen, das auf der Lanz'schen Werft am Rhein seiner Vollendung entgegengeht. Dem Artikel sind folgende interessante technische Einzelheiten zu entnehmen. Der neue Lenkballon Lanz-Schütte ist bekanntlich ein Typ des starren Systems. Er wird ungefähr 19500 Kubikmeter Wasserstoffgas fassen und eine motorische Kraft von 500 Pferdestärken erhalten. Die besonderen Vorzüge des Schütte'schen Systems liegen in der ihm konstruktiv eigenen erheblichen Nutzlast und in der daraus folgenden Prallhöhe, ferner in dem nicht zu unterschätzenden Umstand, daß das Luftschiff mit einem Holzgerippe versehen ist. Dieses vom Ingenieur Huber erdachte Holzgerippe besteht aus einem System von Trägern oder Lamellen, welche wellenförmig verlaufen und hochkantig, bezw. radial gestellt find. Die Träger bestehen aus 3 mm dicken, zusammengeleimten Holzsurnieren, deren Fasern teils längs, teils quer verlaufen, wie es bei Eisenkonstruktionen üblich ist, wobei die Absicht des Konstrukteurs nicht dahin ging, Dreiecksfelder zu machen, um ein möglichst starres Gerippe zu erhalten, sondern e» wurden aus
drücklich rautenförmige Felder gewählt, welche in gewissen Grenzen elastisch beweglich sind.' Das in seiner Form parabolische Luftschiff hat einen größten Durchmesser von 18,4 w Länge und eine Totallänge von 130 w. (2 III ist 136 m lang, faßt 15 000 Kubikmeter und hat 2 Motore von zusammen 240 Pferdekrästen.) In dem Innern des Schütte'schen Luftschiffs werden untereinander kommunizierende Kugel- und Ringballons sowie an den Enden einige Gassäcke angeordnet. Das Gerippe wird umspannt von einer dünnen, gummierten Schutzhülle und es ist als ein wesentlicher Vorteil der Konstruktion zu betrachten, daß zwischen den Gasballons und der Außenhülle eine isolierende Luftschicht von 20—40 ew besteht. An dem Luftschiff ist nur eine Gondel von 13 w Länge vorgesehen. Darin befinden sich 4 Motore, die paarweise angeordnet, die beiden Propeller von 3,6 m Durchmesser antreiben. Diese können einzeln vor- und rückwärts laufen. Die Gondelaufhängung ist unstarr, aber durch besondere Anordnung der tragenden Seile in der Längs- und Quervorrichtung gegen den Luftschiffkörper unverschiebbar. Das Luftschiff ist nach schiffbau- und marinetechnischen Grundsätzen erbaut und es soll demgemäß Besatzung und Führung gewählt werden. Es wird mit Funkentelegrafen und den besten nautischen Instrumenten ausgestattet. Wie verlautet, wird der Lanz-Schütte Ballon zur Brüsseler Weltausstellung dorthin übergeführt und an den großen Wettfahrten teilnehmen. ES ist selbstverständlich, daß den ersten Probefahrten allgemeines Interesse entgegengebracht wird. Dr. Karl Lanz und Professor Schütte werden das Wunderwerk moderner Technik nicht eher dem Luftmeer anvertrauen, als bis alle Einzelheiten auf das sorgfältigste erprobt und das Ganze vollendet dasteht.
Stuttgart 21. März. (Oberlandesgericht.) Der „Simplizissimus" wird bekanntlich in Stuttgart gedruckt, von wo aus in der Hauptsache auch die Versendung vorgenommen wird. Als Ausgabeort, an dessen Polizeibehörde das Pflichtexemplar abzuliefern ist, sieht der Verlag München an, von wo aus die Expedition geleitet wird, und er weigert sich, ein Pflichtexemplar an die Stadtdirektion Stuttgart abzuliefern. Das Schöffengericht verurteilte nun den Geschäftsführer des Simplizissimus-Verlag, Dr. Geheeb, unter Aufrechterhaltung eines polizeilichen Strafbefehls wegen Uebertretung des 8 9 des Paßgesetzes zu 10 ^ Geldstrafe. Das Schöffengericht stellte sich auf den Standpunkt, daß Stuttgart der Ausgabeort sei. Diesen Standpunkt nahm auch die Strafkammer ein und verwarf die von dem Angeklagten eingelegte Berufung. Gegen das Urteil der Strafkammer wurde vom Verteidiger des Angeklagten Revision eingelegt, die heute vor dem Oberlandesgericht zur Verhandlung kam. Der Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt Haußmann, lehnte zu Beginn der Verhandlung den Beisitzer des Strafsenats, Oberlandesgerichtsrat Dr. v. Kiene, wegen Besorgnis der Befangenheit ab und begründete das Ablehnungsgesuch mit der Stellungnahme des Oberlandesgerichtsrat v. Kiene gegen den Simplizissimus in der Sitzung der Abgeordnetenkammer vom 9. Februar 1909. Oberlandesgerichtsrat Dr. v. Kiene erklärte sich als nicht befangen, auch das Gericht war der Ansicht, daß eine Besorgnis der Befangenheit nicht vorliege. Die Revision wurde verworfen.
GroßingersheimO.A.Besigheim21.März. Am Samstag mittag wurde Landtagsabgeordneter Schmid von einem sehr bedauerlichen Unfall betroffen. Er wollte sich vom oberen Raum seines Hauses eine Treppe herunterbegeben, wobei er abstürzte und bewußtlos liegen blieb. Der Unfall wurde von den übrigen Hausbewohnern nicht gleich bemerkt, sodaß Schmid einige Zeit hilflos am Boden lag. Das Bewußtsein stellte sich jedoch bald wieder ein und der Verunglückte konnte sich mit vieler Mühe in seine Wohnung begeben. Außer verschiedenen äußeren Verletzungen wurde noch eine Gehirnerschütterung konstatiert.
Waiblingen 21. März. Ein freche« Bubenstück wurde in der Nacht vom Samstag
auf Sonntag in einem Neubau der Fuggerstraße verübt. Von einem bis jetzt unbekannten Individuum wurde im ersten Stock die Wasserleitung laufen gelaffen, wodurch das ganze Haus überschwemmt und ein beträchtlicher Schaden angerichtet wurde.
Gmünd 21. März. In letzter Zeit ist man hier umfangreichen Milchpantschereien auf die Spur gekommen, wobei es sich um Wasserzusatz bis zu 40°/» handelt. Die Milch stammt aus einem benachbarten Ort. Die Schuldigen werden der wohlverdienten Strafe nicht entgehen.
Eßlingen, 21. März. Der Expreßgutbesteller Al lgaier wollte heute mittag über den Bahndamm fahren. Der Schrankenwärter öffnete die Schranke, die er schon geschlossen hatte noch- einmal, um ihn durchzulaffen. Schon hatte Allgaier die Schienen überfahren, als der Zug 208 von Tübingen her den Wagen packte. Durch den Anprall wurde Allgaier, der meist auf dem Bocke steht, rückwärts geschleudert und kam so unglücklich unter die Räder der Lokomotive des Zuges, daß er vollständig zermalmt wurde. Der Tod trat auf der Stelle ein. Der etwa 40 Jahre alte Allgaier versah den Expreßdienst schon seit 12 Jahren. Er war ein braver und fleißiger Mann.
Oberndorf 21. März. Wie wir hören, hat die serbische Regierung die Waffenfabrik Mauser hier mit der Lieferung von Gewehren beauftragt. Die Ausführung der Bestellungen dürfte der Fabrik für 1 Jahr Beschäftigung geben. — Gestern fand mit einem Automobil der Rottweil-Schramberger Automobilgesellschaft eine günstig verlaufene Probefahrt von hier nach Schramberg statt, an der Oberamts- und Stadtvorstand, Angehörige der bürgerlichen Kollegien und sonstige Eingeladene teilnahmen.
Lauterbach O.A. Oberndorf 21. März. Die organisierte hiesige Arbeiterschaft hat über die Brauereien und Wirtschaften, die dm Bierausschlag eingeführt haben, den Boykott verhängt.
Berlin 21. März. Zur Haftentlassung der Frau v. Schönebeck-Weber wird gemeldet, daß die Hinterlegung der von der Staatsanwaltschaft verlangten Kaution von 50000 ^ heute morgen erfolgt ist. Frau v. Schönebeck-Weber wird darnach im Lauf des heutigen Tages auf freien Fuß gesetzt werden.
San Sebastian 21. März. Nach Meldung aus Oviedo, Leon und Vigo sind im nordwestlichen Spanien seit Sonnabend außerordentlich große Schneemengen niedergegangen. Auf mehreren Eisenbahnlinien ist der Verkehr unterbrochen. Die Züge von Madrid erleiden Verspätungen.
Vermischtes.
„Caruso in Todesangst." Unter der Ueberschrift schreibt man dem „Berl. Lok.-Anz." aus Newyork unterm 9. März: Durch da» Kabel ist bereits gemeldet worden, daß Enrico Caruso ein paar Tage in Gefahr schwebte, von der Schwarzen Hand entführt oder gar gelötet zu werden. Jedenfalls hat er das geglaubt, und es scheint auch etwas Wahres an der Sache zu sein. Durch die üblichen Briefe, die statt einer Unterschrift plump gezeichnete Revolver und Dolche aufwiesen, erhielt der große Sänger die Weisung, so schnell wie möglich 15000 Dollar« in die Tasche zu stecken, einen Spaziergang durch die 42. Straße zu unternehmen und das Geld demjenigen auszuliefern, der danach fragen würde. Caruso benachrichtigte die Polizei, und diese riet ihm, der Anweisung zu folgen, statt des Gelbe« aber ein Stück Zeitungspapier mitzunehmen. Geheimpolizisten bewachten ihn während de« Spaziergangs, indessen nahte sich niemand, dm es nach alten Zeitungen gelüstete Schon fühlte der Sänger sich sicher, als am nächsten Tag ei« neuer Brief eintraf, in dem ihm mitgeteilt wurde, die Schwarze Hand hätte wohl bemerkt, daß Geheimpolizisten auf der Lauer lagen. Er sollte nun das Geld auf der Vortreppe eine« Hausein Brooklyn niederlegen, und wenn er es nicht