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verhimmle. Es sei ein Unding, daß unsere Geglichen auf der Kanzel Frieden und Liebe predigen und bei einer patriotischen Feier eine Kriegsrede hielten. Auch der Jugend werde schon der Haß eingepflanzt, indem in den Schulbüchern nur die Kriegszeiten, nicht aber auch die Friedenswerke zur Geltung kämen. Er sei kein Sozialdemokrat, aber die gegenwärtigen Zustände bei den Völkern seien nicht erfreulich und man habe es in der Humanität nicht weiter gebracht als früher. Die Ausführungen wurden teils mit Beifall teils mit großem Widerspruch ausgenommen, jedenfalls haben sie der Friedensidee eher geschadet als genützt. In feiner, vornehmer Weise erwiderte Stadlpfarrer Umfrid, man dürfe die Vaterlandsliebe nicht ersticken und die Deutschen nicht schlechter machen als sie seien, die Zustände seien verbesserungsbedürftig, aber jedenfalls seien die deutschen Soldaten nicht grausamer gewesen als ihre Gegner. Pfarrer Wagner in Neuhengstett trat in ruhigen und zuversichtlichen, sachgemäßen Worten für das Ziel der Friedensgesellschast ein. Er beleuchtete die zwei Feinde der Gesellschaft, die Trägheit und die Kurzsichtigkeit der Völker und betonte noch, daß nicht alle Pfarrer den Militarismus auf der Kanzel und an Königs Geburtstag verherrlichen; davon hätten sich manche freigemacht. In einem Schlußwort forderte er zum Beitritt zur Friedensgesellschaft auf. Postsekretär Kauffmann, der den Vorsitz führte und die Versammlung mit herzlichen Worten begrüßt hatte, trat ebenfalls warm für die Friedensidee ein und hob den gesunden Sinn der Bestrebungen eindringlich hervor. Die Versammlung, die gut besucht war, nahm mit Interesse von der Bewegung für die Friedenssache Kenntnis.
Calw. Wie uns mitgeteilt wird, konnte die seit 1Jahren eröffnete „Neue Handelsschule" (Direktoren Zügel und Fischer), Heuer erstmals Kandidaten zur Ablegung des Einj.- Freiw.-Examens vor die K. Prüfungskommission nach Stuttgart entsenden. Das Resultat war, daß sämtliche Prüflinge mit einer einzigen Ausnahme das Examen glänzend bestanden haben.
Nagold 18. März. Gestern trank infolge einer Verwechslung Sägwerksbesitzer G. Benz aus einer Flasche mit Schwefelsäure. Er starb nach schrecklichen Qualen.
Stuttgart 18. März. Oberbürgermeister von Gauß hat bei den bürgerlichen Kollegien um einen sechsmonatlichen Urlaub nachgesucht.
Tübingens. März. Die Auffüllungsarbeiten in dem Terrain des neuen Güterbahnhofs sind rüstig fortgeschritten, aber noch lange nicht vollendet; überhaupt dürste es mit diesen umfangreichen, großen Arbeiten nicht so schnell vor sich gehen, wie sich manche denken und alle wünschen. In den letzten Tagen und Wochen hat man sich wenigstens mit einer großen Anzahl Grundstücksinhaber wegen Abtretung des Grundstücks einigen können, mit vielen allerdings nicht, es hat in vielen Fällen (12) zur
Zwangsenteignung geschritten werden müssen. Am 31. März soll eine Tagfahrt stattfindsn. Der Bahnbedarf an solchem Gelände, das nicht gutwillig hergegeben wird, beträgt rund 121 Ar, meist Feld oder Wiese.
Tübingen 17. März. (Strafkammer.) Wegen 4 im Rückfall verübter Betrügereien wurde der Kommissionär Josef Baur in Herrenberg neben 3 Jahren Ehrverlust zu 7 Monaten Gefängnis verurteilt, wovon 6 Wochen Untersuchungshaft abgehen. Der in einem Fall der Beihilfe Mitangeklagte Kommissionär Blepp in Stuttgart wurde mangels Beweises freigesprochen. Baur hatte einem Mann von Eutingen versprochen, ihm Geld zu beschaffen. Der Mann mußte zwei Wechsel über je 150 ^ akzeptieren und Baur sagte ihm zu, binnen 2 Tagen 300 zu verschaffen, für jeden Wechsel mußte er ihm 5 lassen. Später erklärte er, die Wechsel
seien ungültig wegen undeutlicher Unterschrift. Der Mann ließ sich bestimmen, 2 neue Wechsel im gleichen Betrag zu akzeptieren. Baur setzte alle 4 Wechsel in Verkehr und behielt das Geld für sich. Aehnlich erging es einem Maler aus dem Oberamt Rottenburg. Es wurde gegen Baur festgestellt, daß er von Anfang an entschlossen war, aus dem Erwerb der Wechsel den Leuten nichts zu geben und daß er durch seine Lügen das Mittel der Täuschung benützte. Baur, der aus Not handelte, hat die Betrogenen in weitem Umfang entschädigt.
Reutlingen 18. März. Die nach dem großen Brande von 1726 noch übrig gebliebenen sichtbaren Zeichen alter Reichsstadtherrlichkeit laufen immer mehr Gefahr, der fortschreitenden industriellen Entwicklung zum Opfer zu fallen. So wurde in letzter Zeit der altehrwürdige Storchenturm, der ein Vorwerk bildete an der nordwestlichen Ecke der Stadtmauer, abgebrochen, um einem Fabrikneubau Platz zu machen. Der Storchenturm hatte in den letzten 50 Jahren eine gar bewegte Geschichte, denn er ging, nachdem er in früheren Jahren von der Stadtverwaltung verkauft worden war, von einem Privatbesitzer zum anderen über, und jeder erzielte bei seinem Weiterverkauf einen Gewinn von einigen tausend Mark. Nunmehr sollte er an das in seinem organischen Zusammenhang noch am besten erhaltene Stück der Stadtmauer beim alten Zeughaus gehen, woselbst der auf einer Bogenstellung ruhende hölzerne Umgang auf der der Stadt zugekehrten Seite der Stadtmauer im Original noch vorzufinden ist. Anstoßend daran ragen zwei in ihrer Eigenart charakteristische Stadtmauerecktürme empor, von denen der eine nahe an ein Geschäftshaus angrenzt und deshalb hinderlich ist," weil der Geschäftsinhaber seine Lokalitäten vergrößern möchte. Er richtete deshalb eine Eingabe an die Stadtverwaltung mit der Bitte um käufliche Abtretung des Eisturmes — so der Name des alten Bauwerks — und des dazu gehörigen Platzes. Die bürgerlichen Kollegien waren aber mit dem Landeskonservator Prof.
Dr. Gradmann- Stuttgart und dem LandeS- ausschuß für Natur- und Heimatschutz, Ortsgruppe Reutlingen, die um ein Gutachten angegangen wurden, darin einig, daß ein Verkauf dieses am besten erhaltenen historischen Zeugen einer großen Vergangenheit nicht in Frage kommen kann, da sonst das lieblichste alte Stadtbild Reutlingens sein reizvolles Aussehen verlieren müßte, selbst wenn der Neubau nach Möglichkeit der Umgebung angepaßt würde. Auf diese Weise bleibt also das alte und historisch wertvolle Stadtbild am Zwinger bezw. beim alten Zeughaus in seinem Urzustand erhalten zur Freude aller Kunstfreunde—ein Werk richtig verstandenen Heimatschutzes und ein Sieg der Bewegung zur Erhaltung kulturhistorischer Baudenkmale.
Schramberg 16. März. Auf Gut Berneck erstellt Geh. Kommerzienrat A. Jung- hanS über dem sog. Burgfried eine Villa großen Stils, die nicht weniger als 52 Zimmer erhalten soll. Laut „Schm. Gr." find die Erdarbeiten für das Fundament bereits im Gang. Mt diesem großen Neubau wird das Gut Berneck zusammen 4 Wohngebäude umfassen, für gärtnerische Anlagen, Spaziergänge usw. bleibt aber immer noch meist schon angelegtes Gelände genügend übrig.
Pforzheim, 17. März. Durch einen raffinierten Trick wußte sich der Kaufmann Christian Friedrich Pfeiffer von Eßlingen, wohnhaft hier, in den Besitz eines gutgehenden Maschinengeschäfts zu setzen. Er hatte seinerzeit das Geschäft mit zwei anderen Teilnehmer« übernommen und wollte nun diese abstoßen. Zu diesem Zwecke stellte er falsche Bilanzen auf und sagte seinen Teilhabern, das Geschäft müsse verkauft werden, indem er es ihnen sehr ungünstig hinstellte. Dann ließ er es durch einen Strohmann, seinen Schwager Schellen- herger von Heilbronn, zu billigem Preise ankaufen ; auch hatte er falsche Jnventuraufstellunge« gemacht Als seine Teilhaber den Betrug merkten, zeigten sie ihn an. Das Gericht verurteilte nun gestern Pfeiffer zu 3 Monate« Gefängnis und Schellenberger zu 6 Wochen. Die Kosten und Schadenersatz kommen noch nach.
Aus Baden 18. März. In Rastatt hat sich gestern vormittag in seiner Wohnung ei« verheirateter Unterzahlmeister, Vater von fünf Kindern, vom Infanterieregiment Nr. 25, durch einen Schuß in den Mund, der den Schädel zerschmetterte, getötet. Der Mann schickte seine Frau mit den Kindern vor einigen Tagen zu seinen Eltern, um wegen der bevorstehenden Versetzung nach Aachen Abschied zu nehmen. Nach Lage der Verhältnisse scheint er die Tat schon länger geplant zu haben. — Ueber die LiebeStragödie in der Nähe des Kurhotel» Unterstmatt verlautet noch folgendes: Es handelt sich um den Leutnant Frantz vom Infanterie- Regiment Lützow Nr. 25 in Rastatt und die 20jährige Kontoristin Olga Häfner aus Karlsruhe. Der Offizier verließ seine Garnison und
Und an einem würzigen, tauftischen Frühlingstage kam ein ernster, junger Wanderer auf die Mühle zu. Veferl war eben dabei, eine Schüssel voll knusperiger, frischgebackener Schmalznudeln aufzutragen, als er auf sie zutrat und mit halblauter Stimme sagte:
„Grüß dich Gott, liebs Veferl, mein liebs Dirndel!" Weiter kam er nicht. Schüssel und Schmalznudeln lagen am Boden und kollerten durcheinander. Mit einem Jubellaut lag sie in seinen Armen.
„Vater, Muter, kommts heraus, die Schwalben haben mir das Glück ins Haus getragen!"
Veferl rief es mit Heller Stimme. Vorbei war die Traurigkeit, die ihr junges Gemüt, wie ein Alpdruck belastet hatte, vergessen das Trennungsweh; in seligem Glücksgefühl hielt sich das Pärchen umfaßt.
„Der Franzel hat heiwgefunden", lächelte sie froh der Mutter zu.
Wallner küßte Frau Therese auf die Wangen und auf den frischen Mund, der wieder so heiter lächelte, wie ehedem, er drückte Lindhammer an seiM Brust im Vollgefühle seines Glückes.
O je, heut müssen die Ehehalten schon ohne Schmalznudeln vorlieb nehmen", schalkhaft drohte Frau Therese mit dem Finger, „gelt Veferl, für das Kranksein, das die Lieb mit sich bringt, da hilft kein Tee von unseren Lindenbäumen, da ist der Franzel der rechte Doktor dafür!"
„Recht wenig hast hören lassen und wir haben schon gar nimmer auf dein Kommen gehofft", gestand Lindhammer ehrlich zu.
Franz erzählte, welche Kämpfe er mit seiner Mutter gehabt, und daß die alte Frau durchaus nicht zu einem Domizilwechsel zu bewegen
gewesen sei; so habe er denn ausgeharrt und im Frühjahr sei sie in seinen Armen entschlummert, während er nach Regelung aller Angelegenheiten sofort abgereist sei.
„Jetzt bin ich da, für immer da, doch nicht als Heimgast, jsondern als euer braver, treuer Sohn", endigte er seine Ausführungen.
„Die Gundi für mein Tonerl, dich als Ersatz für meinen Sixt," sagte Lindhammer, ihm herzhaft die Hand schüttelnd. „Ich nehms an, die Gottesgab, und der Herr segne deinen Eingang unter mein Dach."
Und sein Eingang wurde und blieb ein gesegneter allezeit. Als man die Ernte eingefahren hatte, da gab es eine Doppelhochzeit die ohne großes, äußeres Gepränge verlief, aber die innere Weihe in sich barg, die nie fehlen sollte, wo zwei Menschen zu einem gemeinsamen Lebensbund sich vereinigen. Vom Erdgeschoß bis zum Dachfirst verschwand der Raintalerhof im freundlichen Tannengrün und blauweiße Fähnchen flatterten lustig im Winde. Der Raintaler war der Fröhlichste der Fröhlichen, sein Rheumatismus war durch eine zweckmäßige Kur beinahe ganz vMangen, doch mehr als alle Kuren verjüngte ihn das frohe Leben, da» mit dem Sixt in den Hof zog.
Auch Lindhammer und Frau Therese sonnten sich noch lange im Glück ihrer Kinder, sahen eine glückliche, gesunde Enkelschar heranblühen, und verlebten, von Kindern und Enkeln hoch in Ehren gehalten eine« friedsamen, reichgesegneten Lebensabend.
(End e.)