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Politik beschränken. Der Staatssekretär gibt dann einen eingehenden Rückblick über die Ent­wicklung unseres Wirtschaftslebens seit den 70er Jahren und sagt, daß sich allmählich ein soziali­stischer Zug in unserem Bürgertum breit mache. Die Kämpfe zwischen Arbeitgebern und Arbeit­nehmern hätten dazu geführt, daß besonders der Landwirtschaft Schwierigkeiten bereitet würden und daß namentlich der Mittelstand in Gefahr geraten sei. Es sei aber die Erhaltung des Mittelstandes die besondere Aufgabe jeden Staates und jeden ernsten Politikers. Unsere Mittelstands­politik werde uns noch vor manche schwierige Aufgabe stellen, weil wir dabei nichts zu ent­wickeln, sondern nur die alten Zustände- die von allen Seiten angegriffen und aufgelöst würden, zu erhalten haben. In die Sozialpolitik hat das deutsche Volk eigentlich die Summe seines ganzen Idealismus hineingelegt. Was wir allein auf dem Gebiete der Arbeiterversicherung getan haben und demnächst noch schaffen werden, geht weit über das hinaus, was andere Länder zu leisten imstande gewesen sind. Alle Erfolge haben aber eine Aufgabe nicht gelöst: Es ist uns nicht gelungen, die tiefe Kluft zu überbrücken, die die wirtschaftlichen Kämpfe der letzten Jahrzehnte geschaffen haben und die das deutsche Volk zu seinem Schaden in zwei Teile gespalten hat. Wir müssen uns stets bewußt sein, daß unsere Handlungen und Entschließungen geleitet werden müssen von der Tendenz, zusammenzufügen und nicht zu trennen, zu versöhnen und nicht zu er­zürnen. Was auf dem Gebiet der Mittelstands­politik geschehen kann, unterliegt in allererster Linie der Fürsorge der Bundesstaaten. Immer­hin müssen wir uns klar vor Augen halten, daß der Bestand eines großen Staates wesentlich von einem leistungsfähigen Mittelstand abhängt. Wir dürfen niemals vergessen, daß in der Landwirt­schaft Werte liegen, die vererbt werden müssen, und werden uns darüber klar sein müssen, daß unsere Industrie und unser Handel sich zwar eines gewissen Glanzes ihrer Entwicklung erfreuen können, wir müssen aber mit sorgsamem Auge darüber wachen, daß diese starke Entwicklung, die Grundlage zum Teil unserer Kriegsbereitschaft, keinen Schaden erleidet. Man wird zugeben müssen, daß auf allen diesen Gebieten eine gewisse Stetigkeit des Fortschritts festzustellen gewesen ist, und daß die verbündeten Regierungen bestrebt gewesen sind, mit Ihnen zusammen auf eine ruhige, gleichmäßige Entwicklung unserer wirtschaftlicken Verhältnisse hinzuarbeiten. Ich werde bemüht sein, die Wege zu wandeln, die meine Amtsvorgänger gegangen sind, und werde bemüht sein, auf allen Gebieten die Schwerkraft aller Parteien dieses Hauses zu gemeinschaftlicher Arbeit zusammenzufassen. Das kann nur gesckehen, wenn von allen Seiten den verbündeten Regie­rungen die Mithilfe nicht versagt wird, wenn neue Forderungen nicht gestellt werden, um irgend welchen politischen Phantomen nach­zugehen, und wenn wir der innerpolitischen Entwicklung diejenige Stetigkeit geben, die zu neuer wirtschaftlicher Arbeit befähigt, ohne materielle und ideelle Güter zu zerstören, die wir verpflichtet sind, zu erhalten, solange sie zu erhalten sind. (Abg. Pauli-Potsdam (kons.): Die Regierungen werden die Wege finden, dem Mittelstand zu helfen. Man darf aber vor

allen Dingen das Handwerk dabei nicht ver­gessen. Denn das Wohlergehen des Handwerks bedeutet das Wohlergehen des Mittelstandes. Abg. Fischer-Berlin (Soz.): Die heutige Rede des Staatssekretärs beweist, daß er die gleiche philosophische Auffassung hat wie der Reichskanzler. Wir sind der Ansicht, daß Deutschland eine so machtvolle Politik nicht treiben könnte, wenn die 3'/- Millionen Sozialdemo­kraten nicht wert wären, Deutsche zu heißen. Man muß sich daran gewöhnen in dem Sozial­demokraten den gleichberechtigten Mitbürger zu sehen. Die Gewerkschaften würden trotz ihrer unzweifelhaften Verdienste von den Gewerbe­inspektionen geflissentlich nicht beachtet. Abg. Linz (Rp.): Die Kritik des Vorredners an dem Staatssekretär ist ungerecht und verfrüht. Der Staatssekretär unterhält mit vollem Recht Be­ziehungen zur Industrie. (Sehr richtig! rechts.) Es wäre ein Unrecht, die sozialpolitische Arbeit des Staatssekretärs nicht anzuerkennen. Er wahrt damit auch die Rechte und Interessen des Arbeiterstandes. (Sehr richtig! rechts.) Dem Handwerk wie dem gesamten Mittelstand ist durch Ausbau des Genossenschaftswesens und Beseitigung der Auswüchse des Submissions­wesens am besten zu helfen. Den Resolutionen, die das Handwerk fördern wollen, stimmen wir zu. Die Sozialdemokratie will den Mittelstand beseitigen, das beweist ihre Konsumvereinspolitik, die wir mit allen Mitteln bekämpfen. Wir sind dafür, daß die Industriellen mit den Arbeitern verhandeln und ihren Organisationsbestrebungen nicht entgegentreten. Dadurch wird die Sozial­demokratie am wirksamsten bekämpft. Hierauf wird die Weiterberatung auf morgen vormittag 11 Uhr vertagt; vorher sozialdemokratische Interpellation betr. die Rede des Reichskanzlers im Abgeordnetenhaus.

Berlin 17. Febr. Aus Newyork wird dem Berl. Lokalanz. berichtet: Miß Agnes Elk ins, die schöne Nichte des Senators Stephen Elkins von Wisconsin, die Cousine von Miß Catherine Elkins, die anläßlich ihre angeb­lichen Verlobung mit dem Herzog von Abruzzen viel von sich reden machte, versuchte sich gestern in einem Hotel in Kingston I. M. zu erschießen. Miß Agnes Elkins schoß sich eine Kugel in die linke Seite, die das Herz streifte; doch erklärten die Aerzte, daß trotz der schweren Verwundung Hoffnung auf Wiedergenesung vorhanden ist. Auf dem Toilettentisch fand man wenige Zeilen: Ich habe das Leben satt, da ich weder eine Heimat noch Freunde habe." Miß Elkins ist 25 Jahre alt. Ihr Vater starb vor mehreren Jahren. Als im vorigen Jahr auch ihre Mutter verschied, ging Miß Agnes Elkins im August in Newyork zur Bühne. Hier trat sie unter dem Namen Leslie Cecil auf und errang durch ihre Schönheit und ihr eindrucksvolles Spiel manchen Erfolg. Man prophezeite Miß Elkins allgemein eine große Zukunft.

Dortmund 18. Febr. Das Schöffen­gericht in Hamm hatte am 7. Dez. v. I. den Redakteur desSimplizissimus" in München, Franz Caspar Gulbransson wegen Beleidi­gung der Zechenverwaltung Radbod zu 6 Mon. Gefängnis verurteilt. Gulbransson hatte da­gegen Berufung eingelegt. Das Landgericht

Dortmund hob das vorinstanzliche Urteil auf und erkannte auf 1500 Geldstrafe.

Paris 17. Febr. Infolge des neuen Hochwassers ist in die Kellerräume, namentlich in der Rue de Lille abermals Wasser ein­gedrungen. Im Kellergeschoß der deutschen Bot­schaft steht das Wasser 20 cm hoch. Nach Ansicht der zuständigen Behörden dürfte das Hochwasser jetzt seinen höchsten Stand erreicht haben.

Vermischtes.

Ein Berufskollege von Hans Sachs lebt in dem kleinen Oertchen Mannebach auf dem Hunsrück. Wie man aus Bingen schreibt, ist dieser HunSrücker Schuhmachermeister seinem großen Kollegen aber nicht allein hinsichtlich der Wissenschaft über die Geheimnisse' der edlen Schuhflickerei ebenbürtig, sondern er versteht auch, wie sein großer Kollege von Anno dazumal, seine Gedanken in poetische Formen zu gießen und als echter Patriot an Kaisers Geburtstag bekannt zu machen. Er hatte nämlich an diesem Tage an die Tür seiner Werkstätte ein Poem angeheftet, das in erster Linie für seine Kund­schaft bestimmt war, das aber auch weiteren Kreisen nicht vorenthalten bleiben soll. Es lautet: Heut wird nicht geschustert, heut wird nicht genäht heut ist der Geburtstag Sr. Majestät."

Flugfahrten über den Kanal. Aus London wird berichtet : Die Dover Korporation erhielt einen Brief von der französischen Aero- kompagnie Paris-London, in dem diese um die Erlaubnis nachsucht, eine Luftschiffhalle errichten zu dürfen, um einen Luftverkehr über den Kanal einzuführen. Der erste lenkbare Ballon, der den Verkehr vermitteln soll, wird 4000 Kubik­meter groß sein, der zweite 1600. Die Korporation entschied hierauf, zunächst Erkundigungen über die Kompagnie einzuziehen und, falls diese günstig ausfallen, beim Kriegsministerium nachzusuchen, daß der Gesellschaft gestattet wird, einen Schuppen an der Stelle zu errichten, wo Bleriot landete. In Derby haben gestern bereits Vorverhandlungen stattgefunden. Die Aerokompagnie ist bis jetzt sehr wenig bekannt. Sie ist neuerdings eift gegründet worden und will sich hauptsächlich mit Vergnügungsfahrten beschäftigen.

Standesamt Calw.

Geborene.

11. Febr. Gotihlf Friedrich, S. d. Gotthilf Bayer,

Malermeisters.

11. Erwin, S. d. Gottlieb Friedrich Lehre,

Lokomotivheizers.

15. Maria Johanna,T d. Hermann Rauscher,

Lokomotivheizers.

16. Pauline Maria, T. d. Josef Kohnle,

Brrmsers.

17. Karl Christian, S. d. Christian Friedrich

Zipperer, Gasfabrikarbeiters.

G estorbene.

18. Febr. Wilhelm Kaspar Schnaufer, Gepäck­

träger a. D., 63 Jahre 11 Monate alt.

Reklameteil.

VorLüKtieb im Ossokwsvk, billig im Osdrrmob. v»s kkllvä von Llk. 2 60 so, 100 O rswm s,l> 55 kkx. bei Nt» Ssok», vorm. Lostendskier,

Amtliche und privatcmzeigen.

Gemeinde Sommeuhardt.

Ärmlich- ll. RoltamllßliilgelllittlMf.

Am Dienstag, den 22. Febrvar 1910, von vormittags 8'/, Uhr an, kommen aus hiesigem Gemetndewald Langenmorgen, Halde, Tannenhau und Birkenwald zum Verkauf:

101 Rm. Nadelholz,

18 Buchenholz, sowie 115 Stück 1s Kl. Baustangen,

90 lb ,.

9 ll.

41 Hagstangen.

Im Anschlüsse werden noch 100 Stück Baustangen von Privatwald- befitzeru milverkauft.

Zusammenkunft: Restauration Mörsch, Station Teinach.

Den 17. Februar 1910.

Gemeinderat.

Neuenbürg.

Vergebung von Strohen-Antrrhaltnngrmateüol.

Der Bedarf von blauem Muschelkalk zur Unterhaltung der Bezirksstraße von Liebenzell nach Schömberg pro 1910/11 wird am

Samstag, den 26. Februar 1910, nachmittags 4 Uhr, auf dem Rathaus in Liebeuzell vergeben.

Den 17. Februar 1910. Oberamtspflege.

K ü b l e r.

Holzbroun.

Nutzholz-Verkauf.

Die Gemeinde verkauft am Mittwoch, den 23. Febrnar, nachmittags von 1 Uhr ab, im Wald:

40 Stück E chen und 10 Stück Buchen

für Küfer, Wagner und zum Bau geeignet. Zusammenkunft am Rathause.

Schultheiß Rothfnß.