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Brüssel 29. Jan. (Hochwasser in Belgien.) Das Hochwasser nimmt in den belgischen Ardennen großen Umfang an, da sich große Wassermassen aus den französischen Ardennen herüber ergießen. Auf der Nordsee herrscht seit gestern Nacht ein gewaltiger Sturm. Viele Schiffe befinden sich in Seenot. Recht schlimm ist auch die Lage im Kohlenbecken von Charleroi, da Kohlenschiffe nicht abgelassen werden können. Frankreich und namentlich Paris sollen unter großer Kohlennot leiden, da die Zufuhr der von Belgien aus bereit stehenden Wagen unmöglich geworden ist.
London 29. Jan. (Eine Rede des deutschen Botschafters in London.) Der Botschafter Graf Wolfs-Metternich hielt bei dem Festmahl, das der deutsche Verein im großen Saal des Cecil-Hotels anläßlich der Feier des Geburtstages des deutschen Kaisers gab, eine Rede, in welcher er u. a. ausführte: Deutschland habe Kriege geführt, um seine nationalen Ziele zu erreichen. Seit nunmehr 40 Jahren habe Deutschland den Frieden bewahrt. Deutschland verlange keine neuen Länderstrecken und seine Eroberungsabsichten seien auf die Erschließung fremder Märkte gerichtet. Diese Politik werde geführt von den Waffen des Geistes, des Fleißes und der Geschicklichkeit, nicht mit roher Gewalt. Das gegenseitige Vertrauen der Völker mache den Schutz der Interessen nicht entbehrlich. Dazu seien Heer und Flotte da. Deutschland baue seine Flotte nach einem.seit langem festgelegten Plane und beanspruche nicht, die stärkste auf dem Meere zu sein. Das Meer sei frei und gehöre niemand allein, aber Deutschland wolle im Einklänge mit seinen überseeischen Interessen eine Achtung gebietende Stellung einnehmen und nicht allein von dem guten Willen anderer Seemächte abhängen. — Diese Rede des Botschafters machte auf die etwa 500 Festteilnehmer einen außerordentlichen Eindruck, der sich zu besonderen Beifalls-Kundgebungen bei den Sätzen steigerte: das Meer sei frei und gehöre niemand allein, sowie dem Ausspruch, daß ebensowenig wie das deutsche Heer, die deutsche Flotte jemand bedrohe, solange Deutschland nicht bedroht werde. — Auch in der englischen Presse hat die Rede einen außerordentlich starken Widerhall gefunden. Sämtliche Blätter sind sich einig darüber, daß die Rede von ungewöhnlicher Bedeutung sei. Die großen Zeitungen drucken sie im Wortlaut ab.
Neapel 29. Jan. Die Stadtverwaltung hat 15 Millionen für den Bau von Arbeiterwohnungen ausgeworfen.
Abbazia 29. Januar. (Vom Meer überschwemmt.) Eine riesige Sturzwelle hat gestern Nacht die Hafenortschaft Bescanova überschwemmt. 48 Familien konnten sich nur mit Zurücklassung ihrer sämt
lichen Habseligkeiten retten. 24 Häuser wurden total zerstört.
vom Hochwasser in Kanlktich.
Paris 30. Jan. Nach den amtlich bekannt gegebenen Ziffern ist die Seine im Laufe des gestrigen Tages 13 ein gefallen. Die Nachrichten vom Oberlaufe des Flusses lauten beruhigend. Das Wasser fällt stetig. Das Hochwasser der Marne und der Donne ist bedeutend zurückgegangen. Die Sicherheit der Pariser Brücken ist bisher nicht in Frage gestellt. Infolge von Ueberschwemmung der Elektrizitätswerke sind mehrere Stadtteile im Zentrum ohne Licht. In dem am Lyoner Bahnhof gelegenen Stadtviertel dehnen sich die Bodensenkungen immer mehr aus. Die Avenue Daumesnil droht auf eine Strecke von 400 m einzusinken. Im Untergrundbahntunnel hat sich die Lage nicht geändert. Am Quai vor dem Institut de France und in der Rue Lafayette, unweit des Opernhauses, haben sich Aushöhlungen des Bodens gebildet. Die Gemeinde Gennevillers ist vollkommen vom Hochwasser eingeschlossen. Die Situation im Alfort- ville bessert sich. Ministerpräsident Briand hat einen Eilgüterverkehr einrichten lassen, um Paris mit Mehl und Petroleum zu versorgen. Er will jeden spekulativen Versuch, die Lebensmittelpreise zu erhöhen, unterdrücken.
Paris 30. Jan., nachm. 3 Uhr. Von 10 Uhr vormittags bis mittags ist das Wasser- weiter um 2 cm gefallen. In den Kanalisationsröhren in der Gegend der Bastille ist das Wasser um 30 cm und in der Untergrundbahn beim Lyoner Bahnhof 50 cm gefallen. In der Gegend des Viadukts bei der Bastille hat der Erdboden sich stellenweise gesenkt. Es mußten 3 beschädigte Häuser geräumt und gestützt werden. In dem ganzen Stadtviertel ist das Wasser beträchtlich gefallen. — 4 Uhr nachm. Das Wasser ist heute Nachmittag plötzlich in den Temple-Bahnhof der Untergrundbahn eingedrungen und steht an den Wänden des Gewölbes 7 m hoch.
— Einer privaten Mitteilung vom Samstag, den 29., aus Bois-Colombes entnehmen wir: Wir sind hier von Paris abgeschlossen, ringsherum Wasser. Täglich stürzen etwa 6 Häuser ein. Im Bois Boulogne fallen die schönsten Bäume. Die Flut bringt Tiere und allen möglichen Hausrat. Es ist einfach schrecklich, Paris ist verwüstet. Die Untergrundbahn, auch die Katakomben sind voll Wasser, wodurch schon viele Häuser eingebrochen sind. Zu allem hin ist ganz Paris und Umgebung ohne Licht, ohne Telefon und ohne Wasser. Seinewasser ist ins Reservoir gedrungen, wodurch dieses geschlossen wurde, um Krankheiten zu verhüten. Alle Lebensmittel schlagen auf, für das Pfund Brot wurden 2 Frcs. verlangt. Die Bäcker
nützen die Katastrophe aus, sie werden aber dasör bestraft. Heute haben wir den ersten Tag ohne Regen und es ist eine Abnahme des Wassers zu erhoffen.
Paris 30. Jan. Die Bevölkerung scheint nunmehr bezüglich der Ueberschwemmungsgefahr völlig beruhigt. Hunderltausende Pariser benutzten das heutige frostige Wetter, um das Hochwaffer- gebiet zu besichtigen. Die Quais und Brücken wimmelten von Menschen. Das Wasser finkt jetzt überall. In der Rue de Lille ist es etwa 25 cm gesunken. Aus dem Erdgeschoß der deutschen Botschaft hat sich das Wasser zurückgezogen.
Paris 30. Jan., nachm. 6 Uhr. Auf der Strecke der Orleans-Bahn beim Austerlitzbahnhof ist das Wasser 40 cm gefallen. Dagegen ist das Wasser bei dem Platze de l'Opcra 20 cm gestiegen. Vor dem Bahnhof de Lazare ist das Wasser seit gestern Vormittag um 20 cm gefallen. Von mittags bis nachmittags 4 Uhr ist die Seine um 8 cm gefallen. Im ganzen beträgt der Rückgang jetzt 37'/- em.
Vermischtes.
Erhaltung der Wahrhaftigkeit. Ein Schullehrer schreibt dem „N. Tgbl.": Wie schön ist es und welch großer Gewinn für das Werk der Erziehung zeigt sich, wenn ein Kind in Worten und Werken wahrhaftig ist; nicht zu vergessen ist der hohe Wert der Wahrhaftigkeit für die sittliche und religiöse Bildung und für das Ergehen im Leben. Unwahrheit und Lüge finden wir so häufig, auch schon in der Kinderwelt, da hat sie ihre besonderen Ursachen. Im Leben begegnet man sogar Anweisung zur Lüge. Wer will das ableugnen? Lüge ist schändlich und schädlich, sie kommt vom Teufel und verhindert alles Gute. Die Wahrhaftigkeit muß gepflegt werden, dazu gehört, daß der Erzieher selbst in allem wahr ist und stets die Wahrheit gefordert wird, daß dem Kind erlaubt ist, sich offen auszusprechen. Offen bleiben die Kinder, wenn sie liebreich behandelt werden. Erzieher strafe die Lügen nach Gebühr, ein offenes Geständnis berücksichtige, lasse „mildernde Umstände" eintreten. Dem Aufrichtigen glaube man auf das Wort, der Lügner muß seine Ausgaben beweisen. Die verschiedenen Quellen der Lügen sind auszusuchen und zu erkennen und zu verstopfen. Bittet für die Kinder um den Geist der Wahrheit.
Reklameteil.
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„Ist mir recht. Morgen red' ich mit dem Vater und übermorgen geh' ich zu meinem Göd, dem Marcheibauern, der soll als Bidlmann für mich bei Deinen Eltern anklopfen. Daß sie mir nicht nein sagen, dafür wirst schon sorgen, gelt?"
„Ja und Amen werden sie sagen wie ich! Und jetzt behüt Dich Gott, mein Bub, spät ist's worden. ."
Nach drei Schritten dreht sie sich noch einmal schelmisch um. „Du — am morgigen Sonntag, daß Du Dich nicht verirrst und in die Kunz'schen Wirtschaft gehst! Von heut an gehörst nach Friedau zum „Lustigen Steierer"!"
14.
Fried! kommt am nächsten Tag nicht dazu, mit dem Vater zu sprechen, denn der Kleekamp ist in aller Frühe nach Egydi gefahren.
Eine Dreschmaschine will er ansehen, die ein Bekannter dort aufgestellt hat, die erste, welche in die vom Bahnverkehr abgelegene Gebirgsgegend kam. Zeit und Arbeit soll das Ding sparen, statt erst im Januar könnte man schon im Herbst mit dem Dreschen fertig werden. „So was muß sich eins Loch anschauen," erklärt der Kleekamp seinen Leuten und heißt Fabian den Braunen anschirren zur Fahrt. Aber nimmt den Alten nicht mit, wie dieser gehofft hat, sondern kutschiert selber.
In Wahrheit ist ihm nämlich die Dreschmaschine Nebensache. Mit dem Notar Egydi will er reden, denn es läßt ihm keine Ruhe, daß die Hobeinin auf dem Habererhof sitzt. Der Notar hat das letzte Testament gemacht, vielleicht weiß er einen Ausweg, wie der Bäurin beizukommen wäre. Davon brauchen aber die Leute vom Kleekamp nichts zu wissen, darum ist die Dreschmaschine ein guter Vorwand.
Erst am Montag früh kommt der Bauer zurück. Er ist schlechter Laune und wirft nicht einmal einen Blick auf die große Wiese unter dem
Hof, auf der seine Leute im Schweiß des Angesichts das Heu häufeln. Der Notar hat keinen Ausweg gewußt, und nur bestätigt, was die Hobeinin schon behauptet hat: sobald das zweite Testament nicht da ist, hat das erste Gültigkeit. Es ist nicht unmöglich, daß es der Hobein selbst zuletzt noch vernichtet hat.
„Das möcht' ich nur wissen," denkt der Kleekamp als er nun in
der kühlen Stube daheim sitzt, „zu was so ein Juristischer sein halbes
Leben studiert, wenn er nachher auch nicht mehr weiß, als so ein dummes Weibsbild? Mein Lebtag Hab-' ich sagen hören, daß so einer für alles
einen Kniff parat hat, aber jetzt weiß ich's wohl: erlogen ist das!"
Aus diesen tiefsinnigen Gedanken reißt ihn der Eintritt des Felix, der die zweite Frühstückspause benutzen will, um dem Bauern die Not Evas zu Gemüt zu führen und womöglich einen Rat zu bekommen.
Lange, viel länger als die Frühstückspause dauert, bleibt Felix in der Stube. Friedl, der zu Fabians tiefstem Erstaunen heute in aller Frühe mit früh ichem Gesicht unter den Leuten erschienen ist und aus vollen Kräften mitschafft, blickt immer ungeduldiger nach der Haustür hinauf, ob der Felix denn noch nicht bald fertig mit seinem Anliegen? Auch er hat mit dem Vater zu reden und — wie er meint — Wichtigeres als der Knecht.
Endlich kommt Felix zurück und greift mit zufriedenem Lächeln wieder nach der Heugabel. Gleich darauf verschwindet Friedl im Haus.
Er findet den Vater auf seinem Platz unter dem Hausaltar und wundert sich über den Ausdruck triumphierender Freude in dem Gesicht des Alten. So hat er lange nicht dreingeschaut. „Aber es ist schon gut", denkt Friedl, „wenigstens, wird er mich nicht gleich fressen wollen, wenn ich's ihm sag', daß ich nicht Kleekamphofbauer werden mag."
(Fortsetzung folgt.)