76
in einem unbewachten Augenblick verlaufen. Obwohl es von seinen Angehörigen überall und mit größtem Eifer gesucht wurde, konnte es nicht mehr aufgefunden werden und so kam es auf seiner Wanderung bis zum Bahnübergang, der hinter dem Kirchhof zum Ziegelberg führt. Obwohl die Schranken geschloffen waren, muß das Kind den Bahndamm doch betreten haben, als eben der 12.08 Uhr von Aalen herkommende Zug dahersauste. Der Lokomotivführer hatte das Kind zu spät gesehen und konnte den in der größten Geschwindigkeit fahrenden Zug nicht mehr rechtzeitig zum Stillstand bringen. Das Kind wurde von der Lokomotive erfaßt und ca. 10 Meter weit über den Bahnkörper hinausgestoßen, wo es bewußtlos liegen blieb. Da niemand in der Nähe war, wurde es vom Zug- personal in den Zug ausgenommen und auf die Bahnstation verbracht, wo es den schweren inneren Verletzungen erlegen ist.
Rosenberg OA. Ellwangen 24. Jan. Eine hiesige Bauersfrau legte vorgestern vormittag zum Herdfeuer Holz von einem sogen. „Wellen- büschele" nach. Ehe sich die Frau, die ein kleines Kind auf dem Arm hatte, vom Herde entfernte, erfolgte eine schußartige Explosion. Das ganze Herdfeuer wurde herausgeschleudert, eine in dem Feuer befindliche Metallhülse verletzte die Frau am rechten Auge schwer, das Kind nur leicht. Vermutlich war von ruchloser Hand die geladene Metallpatrone in verbrecherischer Absicht in den Wellenbündel geschoben. Die verletzte Frau wurde zum Arzt nach Ellwangen verbracht, der ihr die im Gesicht stecken gebliebenen Teile der zerrissenen Blechhülse entfernte. Ob das Auge erhalten bleibt, konnte bis jetzt noch nicht festgestellt werden.
Tuttlingen 24. Jan. Infolge eines ganz harmlosen Filmsbrandes entstand gestern abend 5 Uhr in dem dichtbesetzten Kinemato- graph National eine Panik, die dadurch hervorgerufen wurde, daß aus dem Zuschauerraum der Ruf „Feuer" ertönte. Alles stürzte trotz den beschwichtigenden Zurufen nach den Ausgängen, sogar die Fenster wurden zertrümmert und die Flucht durch diese genommen. In dem Gedränge sollen sich einige Kinder unbedeutende Verletzungen zugezogen haben, außerdem wurden namentlich Damenhüte sehr in Mitleidenschaft gezogen. Nach kurzer Unterbrechung konnten die Vorstellungen wieder fortgesetzt werden.
Lindau 23. Jan. Vor einigen Tagen hielten sich zwei elegante Herren, von denen sich der eine Hirsch nannte, im „bayrischen Hof" dahier auf. Nach ihrer Abfahrt nach Zürich traf von dort telephonisch die Aufforderung hier ein,
daß man die beiden, deren Signalement genau stimmte, im Betretungsfalle festhalten solle, da sie von London aus als Jnwelendiebe verfolgt würden. Für hier war die Meldung zu spät eingetroffen, doch konnten die Gesuchten bei ihrer Ankunft in Zürich festgenommen werden. Nachträglich wurde bekannt, daß die Beiden in hiesigen Juweliergeschäften vorgesprochen hatten, ohne jedoch unangenehme Spuren zu hinterlaffen.
München 24. Jan. (Kinder als Mörder.) In Braunau am Inn überfielen die beiden schulpflichtigen Söhne eines Eisenbahnbeamten eine gebrechliche Kaufmannsfrau namens Bertel, die als sehr vermögend gilt, in ihrem Laden. Sie brachten ihr 7 Stiche bei, wurden aber überrascht und ergriffen die Flucht. Der Polizei gelang es, die beiden Jungen zu ermitteln und zu verhaften. Sie hatten beabsichtigt, die Frau und ihren Mann, der seit längerer Zeit darniederliegt, zu ermorden und zu berauben.
Bad Reichenhall 24.Jan. (Lawinensturz.) Auf der Strecke nach Jettenberg ist eine mächtige Lawine in dem Augenblick niedergegangen, als drei mit Holz beladene Schlitten den Weg passierten. Ein Fuhrwerk wurde 150 Meter in die Tiefe gerissen. Der Schlitten ist in dem Schnee begraben. Der Fuhrwerkslenker, der 50 Meter hinter dem Schlitten ging, kam mit dem Schrecken davon.
Köln 24. Jan- Der „Kölnischen Zeitung" wird aus Wien gemeldet: In hiesigen diplomatischen Kreisen glaubt man, daß sich langsam eine Annäherung zwischen den leitenden Stellen Oesterreich-Ungarns und Rußlands vorbereitet. Man nimmt sogar an, daß sich diese Annäherung ohne einen Wechsel in der Leitung der auswärtigen Politik Rußlands vollziehen wird, da Jswolski einer entsprechenden Aeußerung des kaiserlichen Willens gewiß Folge leisten werde. Man vermutet demnach den Ursprung des Umschwungs in russischen Hoskreisen nicht im russischen Auswärtigen Amt. Es läßt sich aus vorsichtigen Andeutungen und aus dem Empfang des Londoner Vertreters der „Nowoje Wremja", Wesselitzki, durch den Grafen Aehrenthal schließen, daß dieser bestrebt ist, mit Rußland wieder in ein normales Verkehrsverhältnis zu kommen. Der Empfang Wesselitzkis wäre an sich schon ein Beweis dafür, denn dieser Herr hat sich bisher als ein überzeugter Pan- slavist und Feind der beiden europäischen Zentralmächte gegeben. Der Bericht Wesselitzkis über das Gespräch, das er bei dieser Gelegenheit mit dem Grafen Aehrenthal gehabt hat, setzt aber, auch nach der durch die „Politische Korrespondenz" vorgenommenen Berichtigung, außer
Zweifel, daß Graf Aehrenthal großen Wert darauf legt, die russische öffentliche Meinung von der Verkehrtheit der Auffassung, die sie sich von seiner bisherigen und zukünftigen Balkanpolitik gebildet habe, zu überzeugen und von ihrem Mißtrauen gegen ihn zu heilen.
Köln 24. Jan. (Raubmord.) Im Walde bei dem Dorfe Soetern in der Rheinprovinz wurde die 60 Jahre alte Witwe Conrad erdrosselt und beraubt aufgefunden. Die Frau war Holz sammeln gegangen.
Berlin 24. Jan. Das Kaiserpaar stattete gestern vormittag dem Warenhaus Wertheim in der Leipzigerstraße einen Besuch ab, um die dort ausgestellten Tonerzeugniffe aus Cadinen in Augenschein zu nehmen. Die Majestäten ließen sich auch den großen Lichthof zeigen und verließen das Warenhaus erst nach fast einstündigen Aufenthalt.
Berlin 24. Jan. Die alljährliche Denkschrift über die' Entwicklung des Kiautschaugebiets ist soeben dem Reichstag zugegangen. Das Jahr 1909 hat auch dem Kiautschaugebiet eine entschiedene Besserung seiner Lage gebracht, nachdem die Krisis langsam überwunden wurde, die während der vorangehenden Jahre den Weltmarkt beherrscht hat. Der Gesamtwert des Handels ist um 36,8 Proz. gestiegen. Gegenüber der bislang günstigen Entwicklungsperiode 1906/07 beträgt die Steigerung rund 26 Proz. Hieran ist besonders die Ausfuhr beteiligt. Die Seezoll- einnahmen in Tsingtau betrugen für die Zeit vom 1. Oktober 1908 bis 30. Dezbr. 1909 ein Mehr von 25,2 Proz. Der Gesamtbetrag der eigenen Einnahmen der Kolonie belief sich auf rund 2 399000^. Die eigenen Einnahmen übersteigen bereits den für die Deckung der fortdauernden Ausgaben der Zivilverwaltung erforderlichen Betrag. Aus dem Berichtsjahr ist hervorzuheben: die Gründung einer chinesischen Handelskammer und die Einrichtung einer Zweigniederlassung der chinesischen Staatsbahn in Tsingtau. Als charakteristisches Anzeichen dafür, daß das Vertrauen auf die Entwicklung Tsingtaus auch von andern Nationen geteilt wird, ist zu verzeichnen, daß hervorragende fremde Firmen in zunehmendem Maße damit Vorgehen, in den deutschen Schutzgebieten Zw ei g- niederlassungen zu begründen, und große fremde Schiffahrtslinien haben begonnen, den Hafen der deutschen Kolonie auf ihren direkten Fahrten nach Europa anzulaufen. Das Betriebsjahr hatte erhebliche Fortschritte im Ausbau des Bahnnetzes im Hinterland gebracht. Auf der Tientsin—Pukon-Eisenbahn, einer wichtigen Anschlußlinie der Schantung-Eisenbahn, ist
sie's derweil mit sich allein herum und verlernt schier das Lachen darüber. Wenn sie eins fragt, warum sie nicht nach Feierabend mit den andern Schwaigerinnen singt und jodelt, meint sie melancholisch: „So viel einschichtig ist's da heroben. Und Arbeit Hab ich — alle Hände voll."
Im Osten der Wiesenalm steigt eine senkrechte Wand auf, deren Gipfel ein weites, ödes Almland ist mit magerem Graswuchs, der nur etwas üppiger wird am Grund der vielen trichterartigen Vertiefungen, die eingestreut sind.
Das ist die Mitterbodenalm und da ist's noch hundertmal einschichtiger und schwerer das Leben als auf der lieblichen Wiesenalm.
In einer Mulde zwischen Felsblöcken eingekeilt steht die enge Sennhütte des Stini. Daneben ist ein eingeplankter Pferch für die Ochsen, und wehe, wenn der Halter es versäumt, beim Nahen eines Gewitters das ihm anvertraute Vieh rechtzeitig in den Pferch zu treiben! Blitz und Donner würden es scheu machen und an die Abstürze treiben, welche die Mitterbodenalm von allen Seiten umgeben, und zwischen denen es nur zwei schmale Abstiege gibt: einen gegen die Wiesenalm zu, den anderen gegen den Speikboden, unter dem der wilde Dullinggraben liegt.
Der Dullinggraben gehört noch zur Gemeinde Friedau, aber die Holzarbeiter, welche dort ein hartes, einsames Leben im Sold eines fern wohnenden Holzhändlers führen, kommen nie nach Friedau. Sie haben Kirche und Krämer näher in St. Pankratzen.
Es ist ein klarer Sommerabend, als die Sanna wie alltäglich den Holzkübel nimmt, um aus dem eine halbe Stunde entfernten Brünndl am Dullingsteig Wasser zu holen.
Stini hebt den Kopf und blinzelt gegen Westen, wo eine dunkle Wolkenwand steht mit leuchtend goldenen Rändern.
„Eil Dich, Dirndl, mit dem Wafferholen, ich treib derweil die Ochsen zusammen. Ein böses Wetter kommt." Sanna lacht ungläubig.
„Heut ein Wetter? Was fällt Euch ein? Der Himmel über uns ist wie ausgekehrt und das Wölkerl da drüben vertreibt der Wind wie nichts."
„Glaubst? Eil Dich, sag ich Dir! Du hast's noch nicht erlebt, wie jäh das kommt auf solcher Höhe. Ueber Ja und Nein ist's da. Und grob kommt's heut!"
Sanna macht sich auf den Weg. Sie zweifelt im stillen noch immer an dem kommenden Wetter und über eine Weile denkt sie gar nicht mehr daran. Ihr Blick geht wie im Traum in die Weite. Lichte Wiesenmatten, hin und wieder ein dunkler Fleck drin von Krummholzgehölz, sonst Stein und wieder Stein.
Eine tote Wüste. Aber Sanna spürt das Gewaltige darin, und es greift ihr manchmal wunderlich ans Herz, wenn sie so einsam im Abendlicht zum Wasser geht. Schwer wird ihr Herz wie von Sehnsucht und weit wie von einem großen Glück. Die Sehnsucht kommt von außen, und das Glück wächst und blüht heimlich in ihr selber, denn es sist eine versteckte Liebe, die sich dort langsam hebt.
„Grad wissen möcht ich, wo er ist, der Hobeinbub und ob's ihm wohl gut geht?" denkt sie hundertmal am Tag. „Sonst wär mir schon alles recht auf der Welt ..."
„Aber es weiß ja kein Mensch, wohin er geraten ist und das macht der Sanna ihre Sehnsucht aus.
Dann steht sie vor der Quelle. Der hohe Göll über dem Dullinggraben drüben steht in einem schwefelgelben Licht da und über dem Himmel liegen Schleier. Die Wand im Westen steigt und streckt lange Streifen wie Fangarme um sich. Sanna merkt es nicht. Sie blickt kopfschüttelnd nieder zum Brünndl, neben dem auch heute, wie jeden Sonntag, ein Strauß Almenblumen liegt.
Wer das nur herlegen mag? Immer sind's dieselben Blumen, wenigstens der Farbe nach: brennrote Alpenrosen, das bedeutet Liebe; blauer Enzian — die Treue daneben; dazu gelbe Arnika — das kann sowohl Eifersucht wie Sehnsucht bedeuten, und endlich ringsherum die glänzend grünen palmartigen Blätter der Schneerose, welche von der Hoffnung sprechen . . . (Forts, folgt.)