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früher geäußerten Wünsche unverändert aufrecht erhalten, so namentlich in Bezug auf eine schärfere Bestrafung der Kinder-Mißhandlung und in Bezug aus den 8 186 betreffend Beleidigung durch die Presse. Im übrigen beschränke ich mich auf den An­trag, den Entwurf an die eben für den Strafprozeß- Entwurf beschlossene Kommission zu verweisen. Abg. Perniock (kons.): Wir begrüßen namentlich den verschärften Schutz der Ehre, den die Vorlage bringt, halten aber an dem Bedenken fest, ob die vorgeschlagene Fassung des 8 186 nicht etwas zu dehnbar ist. Der Verweisung an eine Kom­mission stimmen wir zu. Abg. Heinze (natl.): Wir haben grundsätzliche Bedenken gegen die neue Fassung des von den Beleidigungen durch die Presse handelnden 8 186. Wir halten es für richtig, diese neue Vorschrift ganz aus der Vorlage zu entfernen, ebenso die neuen Bestim­mungen gegen die Erpressungen. Abg. Müller- Meiningen (frs. Vp.): Man sollte einfach die Bestimmungen über die Erpressungen und über die Beleidigungen durch die Presse aus. dem Entwurf ausmerzen und die übrigen annehmen. Abg. Heine (Soz.): Für uns sind diese Bestim­mungen über die Beleidigungen durch die Presse gänzlich unannehmbar. Man schützt vor, daß durch diesen neuen 8 186 die Revolverpresse ge­troffen werden solle. Aber gerade diese sorgt ja durch Schiebung dafürman sieht dies ja bei derWahrheit" daß sie sich dem Strafrichter entzieht. Effekt und wohl auch Zweck dieses Be­leidigungs-Paragraphen ist offenbar, die politische Presse durch Einschränkung des Wahrheitsbeweises lahm zu legen. Eine solche Knebelung der öffent­lichen Kritik lehnen wir unbedingt ab. Abg. Vahrenhorst (Rp.) wünscht schärfere Bestim­mungen gegen Tierquälerei und Kindermißhand­lung. Die Vorlage geht sodann an die Kommission für die Strafprozeß-Novelle. Es folgt die erste Lesung des Entwurfs betr. die Haftung des Reichs für seine Beamten. Staatssekretär Li sc o erhofft eine Verständigung auch über den Haupt- Streitpunkt, nämlich über die Frage der Aus­dehnung der Haftpflicht auch für Beamte der Bundesstaaten. Nach zustimmenden Erklärungen der Abgeordneten Bitter (Zentrum)' Giese (kons.) Junck (natl.) Gyßling (frs. Vp.) und Heine (Soz.) geht die Vorlage an eine 21- gliedrige Kommission. Montag 1 Uhr Interpella­tionen.

Berlin 15. Jan. Wie verlautet, wird der Kaiser heute abend in der Villa des Staatssekretärs Dernburg einem Vortrag bei­wohnen, den Sir Ernest Shackleton dort über seine Südpolarexpedition halten wird. Außer dem Kaiser werden der englische Bot­schafter, einige hohe Militärs und einige Herren des auswärtigen Amtes und des Reichskolonial­amtes anwesend sein, im ganzen ungefähr 30 Personen.

Berlin 16. Jan. (Protest gegen das preußische Wahlrecht.) Die Sozial­demokraten hatten für heute Mittag 62 Volksversammlungen einberufen, um gegen das preußische Wahlrecht zu protestieren. Sämt­liche Versammlungen waren gut besucht, einzelne überfüllt. Die Polizei hatte keinen Anlaß, ein­zuschreiten, war auf etwaige Ueberraschungen vorbereitet und hatte größere Schutzmanns- Aufgebote nach verschiedenen Straßen in der Nähe der Versammlungslokale beordert. Be­sonders vorsichtig leitete die Polizei nach Be­endigung der Versammlung im Feen-Palast, wo der Abgeordnete Zubeil sprach, die Arbeitsmassen so, daß sie nicht in die Nähe des Schlosses kamen. In allen Versammlungen wurde eine gleich­lautende Resolution angenommen, in der es heißt: die von der preußischen Regierung in den letzten Tagen des vorigen Jahres endlich ver­öffentlichte amtliche Statistik über das Ergebnis der Landtagswahl des Jahres 1908 beweist von Neuem, daß das Dreiklassen-Wahlrecht ein raf­finiertes Mittel brutaler Klaffen-Herrschaft und seine Aufrechterhaltung eine Schmach und schwere Beleidigung der preußischen Staatsbürger ist. Die Regierung beabsichtigt keine gründliche Aenderung des geltenden Wahlsystems sondern will das preußische Volk in einigen Tagen mit einer Scheinreform überrumpeln. Die Ver­sammelten werden diese Scheinreform mit allen

Mitteln bekämpfen und fordern erneut die volle staatsbürgerliche Gleichberechtigung, insbesondere die Einführung des gleichen, allgemeinen, direkten und geheimen Wahlrechts für alle über 20 Jahre alten Männer und Frauen auf Grund der Ver­hältniswahl und geloben, Alles daran zu setzen, um dieser Forderung zum Siege zu verhelfen.

Berlin 15. Jan. Am 1. Februar, so gibt der Verlag I. H. W. Metz bekannt, wird der erste Teil des WerkesAus meinem Leben" von August Bebel zur Versendung gelangen.

Hamburg 15. Jan. (Der Mörder der Pfandleiherin Merkli verhaftet.) Der Mörder der Pfandleiherin Merkli ist gestern Abend verhaftet worden und hat alsbald ein um­fassendes Geständnis abgelegt. Die Polizei­behörde kam dadurch auf seine Spur, daß ein hiesiges Herrengarderobegeschäft einen mit Blut befleckten Anzug einlieferte, den ein junger Mann dort im Ankleideraum zurückgelassen hatte. Er war vorgestern früh, also am Tage nach dem Morde, in dem Geschäft erschienen, hatte sich Holste genannt und angegeben, daß er an der Verbindungsbahn wohne. Er hatte einen Anzug und einen Gummimantel gekauft. Die alten Sachen, die er schon zusammengepackt hatte, wollte er in seine Wohnung gebracht haben. Im Ge­schäft fiel sein Benehmen auf, weshalb man das Paket untersuchte. Der Anzug war vollständig mit Blut besudelt. Die Kriminalpolizei fragte sofort in der angegebenen Wohnung nach und ermittelte dort, daß ein gewisser Holste tatsächlich am Mittwoch abend 11V- Uhr nach Hause ge­kommen war. Er hatte sich sofort in sein Zim­mer eingeschlossen. Am nächsten Tage sei er, ohne gefrühstückt zu haben, ziemlich früh weg­gegangen und nicht mehr zurückgekehrt. Inzwischen hatte man ermittelt, daß Holste ein eifriger Besucher von Cafes war. Ein Bild, daß man von seiner Braut erlangte, wurde vervielfältigt und an die Cafetiers gesandt mit der Aufforderung, den Betreffenden, sobald er komme, sofort festnehmen zu lassM. Gestern abend gegen 7 Uhr erschien er im Cafö Opera. Ein Kellner erkannte ihn sofort und veranlaßte seine Festnahme. Holste gestand die Tat ein und gab an, die Merkli, die er seit längerer Zeit gekannt hatte, getötet zu haben, um sie zu berauben. Holste ist aus Hannover gebürtig.

Rom 14. Jan. Die.Jtalia" schreibt: Das Telegramm der Königin Helena an die deutsche Kaiserin und die Tat­sache, daß das deutsche Komitee die größte Summe, nämlich 10 Millionen Francs, für Sizilien und Calabrien gesammelt hat, wird in politischen Kreisen weit über die Gren­zen eines Aktes menschlicher Solidarität und menschlichen Mitleids hinausgehend angesehen. Man hält es vor allem für einen politischen Akt von hoher Bedeutung, denn der in Deutschland gesammelte hohe Betrag ist eine mächtige Sympathiekundgebung des deutschen Volkes für das italienische.

Los Angeles 15. Jan. (Ein Ueber- landflug Paul Hans.) Der französische Luftschiffer Paulhan hat gestern den Flugplatz verlassen und ist mit seinem Apparat über das Feld nach San Pedro geflogen. Er legte die Strecke von 32 km in 27 Minuten zurück.

Nerv-Jork 12. Jan. Prof. Hergesell ist eben von seinen vierwöchentlichen Passat­forschungen in den Antillen nach New-Park zurückgekehrt und wird nach kurzem Aufenthalt wieder die Heimfahrt antreten. Ueber die Fahrt nach dem Nordpol in einem Zeppelinschen Luftschiff sprach sich der Gelehrte wie folgt aus: Sofort nach meiner Rückkehr nach dem Deutschen Reich werden die Vorbereitungen für die Nordpolexpedition in Angriff genommen. In einem halben Jahre schon, wahrscheinlich im Juni, werden zwei von uns gecharterte und ausgerüstete Dampfer ver­schiedene feste Stationen auf der Fahrtstrecke anlegen und uns später selber als schwimmende Stationen dienen. Die Hauptvorratsstation gedenken wir auf Spitzbergen anzulegen. Von dort haben wir noch etwa 1200 Kilometer zum Nordpol. Mit günstigem Wind könnten wir

also von dort aus die Fahrt in etwa 35 bis 40 Stunden machen. Doch ist eine Fahrt nach dem Nordpol für uns nur von geringer Be­deutung. Der Hauptzweck ist die gründliche wissenschaftliche Erforschung der Polarregion, die Vornahme weitgehender meteorologischer Beobachtungen, sowie zuverlässiger Messungen zu Wasser und zu Land in dem bisher fast noch unbekannten Gebiet zwischen Grönland und Franz Josefsland. Wir wollen zwei besonders kon­struierte Zeppeline für die Fahrt benützen, wo­von das eine Luftschiff auf Spitzbergen belassen werden wird, um eines eventuellen drahtlosen Notrufes aus dem eigentlichen Forschungsluftschiff gewärtig zu sein. Diese Luftschiffe will Gras Zeppelin etwa 150 Meter lang bauen und mit 2530 Separatgaskammern ausstatten. Es soll imstande sein, etwa 25 Mann zu tragen, doch ist bis jetzt in Aussicht genommen, nur etwa 12 Mann mitzunehmen. Anderslautenden Ge­rüchten gegenüber, die besonders in Amerika umgehen, ist zu betonen, daß Kommandeur Peary, Cooks Gegner, nicht eingeladen worden ist, die Expedition mitzumachen, und daß auch nie die Absicht bestand, ihn hiezu einzuladen. Aller Voraussicht nach wird die deutsche Regie­rung die Kosten des Unternehmens auf sich nehmen. Im anderen Falle hat sich Fürst Albert von Monaco angeboten, die Expeditions­kosten zu decken. Der Fürst wird auch die Fahrt mitmachen. Die Kosten dürften kaum unter 3 Millionen Mark zu bemessen sein. Graf Zeppelin hofft, im Verlaufe dieses Jahres mit dem Bau der beiden Luftschiffe fertig zu werden. Die Fahrt nach dem eisigen Norden wird dann von statten gehen, sobald es die Ver­hältnisse sämtlicher Teilnehmer gestatten.

Vermischtes.

Was in der Straßenbahn liegen bleibtdas sagt folgende Berliner Statistik für das letzte Jahr: 29 000 Regen­schirme, von denen nur 16 000 abgeholt wurden, ferner 4000 Portemonnaies und Damentäschchen, 2400 Bücher, meist Schundliteratur und 985 Operngläser.

Die erstechinesische" Eisenbahn. Jemehr mehr die europäische Kultur ihren Vor­marsch nach Asien nimmt, um so eifriger, scheint es, suchen die östlichen Völker ihre nationale Selbständigkeit zu wahren: sie wollen sich nicht willenlos dieser Kultur hingeben, sondern diese ihren nationalen Zielen dienstbar machen. Im Oktober letzten Jahres ist die erste Eisenbahn in China eröffnet worden, die ausschließlich von chinesischen Ingenieuren und mit chinesischem Kapital gebaut ist, die 180 Kilometer lange Linie Pxking-Kalgan. Die Bahn, welche das Nank.u-Gebirge überschreitet, hat manche tech­nischen Schwierigkeiten zu überwinden gehabt. Sie zählt 4 Tunnels, wovon einer 1 Kilometer lang, und mehrere größere Brückenbauten. DaS verwendete Material ist soweit möglich von chine­sischen Werkstätten bezogen, nur ein Teil der Lokomotiven stammt aus England und Amerika, und auch Schienen sind in größerem Umfange aus Europa bezogen. Dagegen kommt das ganze sonstige rollende Material aus den Werken aon Tongschan, das Brückenmaterial größtenteils duS Schanghaikwan. Die wirtschaftliche Zukunst aer Bahn wird günstig beurteilt, ihre volle Be­deutung wird die Bahn freilich erst erlangen, wenn einmal die geplante Verlängerung nach Urga und Kiachta durchgeführt sein wird. Hier­über werden freilich wohl noch manche Jahre vergehen, da die Strecke Kalgan-Kiachta das sechsfache der Strecke Kalgan-Peking beträgt.

DieMemoiren" der Kaiserin Eugenie. Schon von dem Erscheinen wird ein sensationelles Buch, das bereits in franzö­sischer, englischer, deutscher, italienischer und spanischer Sprache fertig gedruckt ist und in Kürze zur Ausgabe kommen soll, von Jules Claretie, dem Leiter des Theatre francais und Mtglied der französischen Akademie, als eine kühne Fälschung denunziert:Die Memoiren der Kaiserin Eugenie". Tie Nachricht von der Fertigstellung eines solchen Buches erregt großes