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sowie des Kriegsministers teilte der Redner mit, daß für Anfang Mai dieses Jahres die Eröffnung des Betriebs der von der Münchner Parseval-Luftfahrzeuggesellschaft geplantenFahrten mit einem Parsevalballon von München aus gesichert ist.
Nürnberg 15. Jan. (Ein schweres Explosions-Unglück.) In Kadolzburg hat sich eine schwere Explosions-Katastrophe ereignet. Als das 15jährige Dienstmädchen des Bürgermeisters Brandstetter mit einem offenen Licht den Keller betrat, entzündete sich eine dort befindliche Menge Benzin. Im Nu stand das Mädchen in Flammen. Auch eine Frau, die dem Mädchen zu Hilfe eilte, wurde von den Flammen erfaßt und Beide sind ihren Verletzungen erlegen. Brandstetter, der ebenfalls zu Hilfe eilte, erlitt schwere Brandwunden.
Beuthen O.-S. 15. Jan. (Gewissensbisse.) Vor 6 Jahren wurde im Walde bei Brzezkowitz der Förster Siegmund bei einem Zusammenstoß mit Wilddieben erschossen. Unter dem Verdacht der Täterschaft war bald darauf der Ziegeleiarbeiter Urbaneck verhaftet worden. Er mußte aber mangels genügender Beweise wieder auf freien Fuß gesetzt werden. Jetzt hat Urbaneck, von Gewissensbissen geplagt, selbst Anzeige erstattet, daß er den Förster erschossen habe. Er wurde verhaftet.
Berlin 15.Jan. (Reichstag.) Bei sehr schwacher Besetzung des Hauses wird die erste Lesung der Strafprozeßreform-Vorlage fortgesetzt. Abg. Stadthagen (Soz.): Wenn man eine Prämie ausgesetzt hätte, den Strafprozeß so auszugestalten, daß er eine besonders schwere Waffe gegen die Arbeiter wird, daß der bestehende Zustand noch verschlechtert, die Bahn für eine Klaffen-Justiz noch mehr geebnet, die Empörung gegen die heutige Rechtssprechung noch mehr vergrößert wird, so hätte dieser Entwurf die Prämie verdient. Durch den ganzen Entwurf zieht sich der Gedanke, nicht unabhängige Richter zu haben, sondern zuverlässige. Die Beseitigung der Staatsanwaltschaft ist unsere erste Forderung. Diese unobjektivste Verwaltungs-Behörde muß ersetzt werden durch unabhängige Richter. In Arbeitersachen müssen Arbeitervertreter, Gewerkschaften und Krankenkassen das Recht zur Ankluge haben, z. B. bei allen Verstößen gegen die Arbeiterschutz- Gesetze. Die Presse hat in dem Gesetz eine schlechtere Stellung bekommen als bisher. Der ganze Entwurf ist gerichtet gegen die arbeitende Klasse. Strafprozeß und Strafrecht werden mißbraucht zu Gunsten der herrschenden Klassen. Wenn die Garantieen ausbleiben, die wir verlangen und wenn die Verschlechterungen noch hineinkommen, die der Entwurf bringt, so wird
es den zuverlässigen Richtern leicht, in dem gewünschten Sinne zu urteilen. Staatssekretär des Reichs-Justizamts Dr. Lis co: Ich kann nur meiner Verwunderung über die Behauptung des Vorredners Ausdruck geben, daß der Entwurf sich gegen die arbeitende Klasse richte. Davon ist keine Rede. Auch der Heranziehung von Arbeitern als Schöffen steht nichts entgegen. Das Vertrauen zur Rechtspflege wird dadurch nur wachsen. Abg. Gräf (w. Vg.) polemisiert zunächst gegen den Abgeordneten Stadthagen. Die verstärkte Heranziehung des Laien-ElementS sei freudig zu begrüßen, sei aber unbedingt auch für die zweite Jnstan- geboten und nicht nur für die erste. Abg. Brun st ermann (Rfp.): Mit den Schöffen wird in die Strafkammer ein beruhigendes Moment einziehen. Die Abfassung des Urteils muß vereinfacht werden. Schließlich fordert Redner noch Einschränkung des Schreibwerks. Abg. Ablaß (frs. Vp.): Jugendliche Untersuchungs-Gefangene dürften nicht mit Dirnen und Zuhältern zusammengebracht werden. Zum Schöffenamt müßten auch Arbeiter, kleine Gewerbetreibende und Frauen zugezogen werden. Bei Jugendlichen könnte vielleicht die Oeffentlichkeit ausgeschlossen werden, nicht aber bei jedem Beleidigungsprozeß. Redner erklärt sich für das Legalitäts-Prinzip. Man dürfe der Staats- ! anwaltschaft in der Strafverfolgung nicht schrankenlose Freiheit gewähren. Dringend zu warnen sei vor einer Abänderung des Schwurgerichtsverfahrens im Rahmen dieser Novelle. Notwendig sei die Beseitigung der religiösen Eidesnorm und eine formelle für diejenigen Zeugen, die sie besonders fordern. Damit schließt die Diskussion. Die Vorlage geht an eine Kommission von 28 Mitgliedern. Es folgt die Beratung der kleinen Strafgesetznovelle. Staatssekretär Lisco leitet die Beratung der Novelle, die bereits in einerReichstags-Kommissiondurchberaten wurde, ein. Fragen, die für die allgemeine Revision des Strafgesetzbuches von grundsätzlicher Bedeutung seien, seien ausgeschlossen worden, ebenso Fragen die religiöse oder politische Gegensätze entfachen könnten. Den Anträgen, die die Kommission zu der vorliegenden Novelle in ersprießlicher Ueber- einstimmung annahm, stimme die Regierung zu. Man fürchte, daß auch berechtigte Interessen der Presse geschädigt werden würden, aber das solle natürlich nicht geschehen. Die Regierung würde daher auch mit einer neuen Fassung, die diese Bedenken ausschließt, einverstanden sein. Mit einem Anträge Bassermann, auch Telephonisten wegen Verrats von Amtsgeheimnissen zu bestrafen, sei die Regierung einverstanden. Abg. Engelen (Ztr.): Ich muß vor allem erklären, daß wir gegenüber der Vorlage, die trotz der Kommissions- Verhandlungen unverändert geblieben ist, unsere
bige Schwefelquelle, die vorwiegend von an Gicht und Rheumatismus Leidenden benutzt wird, mußte im letzten Jahre 15170 Bäder verabreichen. — Wie tief einschneidend die auf 1. April 1910 erfolgende definitive Aufhebung der Fleischsteuer für die städtischen Finanzen ist, ergibt sich aus der Tatsache, daß der Einnahmeausfall für Reutlingen rund 65000 ausmacht, ohne daß dafür, geeigneter Ersatz durch Erschließung anderer Steuerquellen geschaffen werden konnte.
Künzelsau 15. Jan. Fast zu viel des Segens hat eine Familie in der Gemeinde Westernhausen erfahren. Die Mutter schenkte dieser Tage vier gesunden Buben das Leben.
Ulm 15. Jan. Im hiesigen Krematorium sind im Jahre 1909 275 Leichen eingeäschert worden. Unter den feuerbestatteten Personen waren 174 männlich, 101 weiblich, 142 evangelisch, 101 katholisch, 12 Israeliten, 8 altkatholisch usw. Aus Ulm 53, aus München 149, aus Augsburg 10, aus Wien 3, aus andern Städten je 1 oder 2 Leichen. Im ganzen sind im Krematorium 855 Leichen feuerbestattet worden.
Vom Bodensee 13. Jan. In Bad Schachen wird derzeit ein neues Hotel erbaut, das am 1. Juni d. I. eröffnet werden soll und dessen Richtfeier kürzlich stattfand. Es wird vier Stockwerke erhalten mit hundert Fremdenzimmern und einen Aussichtsturm von 52 m Höhe.
Aus dem badischen Schwarz-wald 15. Jan. Ein kurzes, aber ziemlich kräftiges Erdbeben wurde in der Nacht zum 31. Dezember im südlichen Schwarzwalde wahrgenommen. Fast überall wurden die Leute aus dem Schlafe geweckt. Die Möbel gerieten ins Schwanken, Zimmertüren flogen auf, die Fenster klirrten und es war, als fahre Artillerie durch die Straßen. Der Ausgangspunkt des Bebens scheint im unteren Wiesental gewesen zu sein, von wo Nachrichten aus Atzenbach bei Zell, Hausen, Steinen und Schopfheim vorliegen. Von dort aus verbreitete sich die Erschütterung einerseits bis nach Waldshut, andererseits über den Westabhang des Schwarzwaldes nordwärts bis nach Staufen. Diese ziemlich große Ausdehnung des Erdbebens im südlichen Schwarzwalde ließ von Anfang an vermuten, daß die Erschütterung ebenso wie in früheren Fällen, auf das linke Rheinufer übergegriffen habe. Tatsächlich sind dann auch Nachrichten aus dem Oberelsaß eingegangen, nach denen das Beben in Krembs, Brunstatt und Mühlhausen bemerkt worden ist. rs»
München 15. Jan. In einem Vgxtryg des Majors Parseval in Gegenwart der Prinzen Ludwig, Rupprecht und Leopold,
Blick mustert, aber sie hört, wie er auf einmal laut auf die „Weiberleut" zu schimpfen anfängt und kein gutes Haar an ihnen läßt.
Da dreht sie sich um, mustert ihn mit einem langen, spöttischen Blick und sagt so laut, daß es alle hören können: „Wenn so ein „Schnittlauch auf alle Suppen" auf einmal anhebt, über die Suppen zu schimpfen, nachher muß er schon recht hungrig sein und ... keine kriegen!"
Ein donnerndes Gelächter erhebt sich ringsum nach diesen Worten, und viele rufen: „Bravo, Viktl! Recht hast, daß Du Dir nichts gefallen laßt! Gib'« ihm nur fest zurück!"
Friedl sitzt blutrot da und ballt die Faust in der Tasche. Dann sagt er wegwerfend: „Ah was — viel zu dumm ist mir das Trautweindirndl, als daß ich mich ärgern möcht!"
„So? Zu dumm bin ich Dir auf einmal! Ja, mein lieber Friedl, weißt, dumm war ich nur dazumal, wo ich Dich noch für einen feschen Buben gehalten Hab. Seitdem bin ich's erst inne geworden, was für ein Latsch Du bist!"
Wieder hatte sie die Lacher auf ihrer Seite. ,
So ging die Zeit unversehens hin unter Lachen und Scherzen, bis auf einmal der Kleekamp dazwischen fährt: „Männerleut — auf Mittag geht's und der Pfarrer ist noch immer nicht zurück vom Kamplhof!"
Wie eine harte Faust fährt das Wort zwischen die durch Essen, Trinken und Wärme aufgetauten Menschen ringsum. Sie werden jählings still und blicken einander verdutzt an.
„Wahr ist's," murmelt einer dem andern zu, „längst müßt' er wieder zurück sein . . ."
„Wird ihm doch nicht etwa was passiert sein, dem geistlichen Herrn?"
„Jeff' Marand Josef ... wer sollt uns denn nachher die Lichtmcß- kerzen weihen?" kreischt ein altes Mütterchen auf. „Das ganze Jahr könnt eins nicht ruhig schlafen ohne Lichtmcßkerzen . ."
„Das ist Nebenfach'," sagt der Kleekamp kurz, „aber fragen soll
eins gehen hinüber in den Pfarrhof, ob der Hochwürdige nicht etwa doch beurteil heimkommen ist. Es könnt ja sein, daß er . . ."
In diesem Moment tut sich gleichsam als Antwort auf die Rede des Kleekamp die Tür auf und Leni, die alte Wirtschafterin des Pfarrers, schiebt sich herein. Sie ist weiß wie ein Blatt Papier und zittert vor Aufregung am ganzen Leib.
„Um Christi willen, Leut," stammelt sie, „ich weiß mir nimmer zu helfen vor Angst ... um vier Uhr früh ist er fort und noch nicht zurück! Gleich Hab ich's gesagt — Herr Pfarrer, Hab ich gesagt, es geht nicht bei dem Schandwetter und nüchtern noch dazu . . ."
„Nüchtern ist er fort?"
„Was denn? Wegen der Messe! Ein Junger könnt'« nicht er- machen, und er ist an die siebzig!"
Die Bauern blicken einander wieder an.
„Das ist freilich eine harte Sach'", meint der Bürgermeister und starrt in sein Bierglas. „Wenn man nur wissen tät, was zu machen wär?"
„Was zu machen wär? Suchen muß man ihn Kehen! Wer weiß, wie's heute weht, ob ihm der Schnee nicht den Weg verlegt ..." ruft Leni händeringend, „verstiegen kann er sich haben, verweht kann er sein . . . Leut, ich bitt Euch um Gotteswillen, kommt ihm zur Hilfe."
Schweigen folgt diesen Worten. Aller Augen richten sich unwillkürlich nach den Fenstern. Das Stöbern draußen ist noch ärger geworden, wie weißgraue Nebel liegt's zwischen Himmel und Erde, daß man nicht einmal mehr zum Kirchentor hinüber sehen kann.
Endlich sagt der Bürgermeister kopfschüttelnd: „Umsonst wär's. Wo soll man ihn suchen bei dem Wetter? Nicht einmal den Weg könnt man mehr finden. Entweder unser Herrgott hat ihn beschützt und er sitzt wo in sicherem Unterschlupf oder ... die Hilf käm so zu spät."
„Sie werden ihn gar nicht fortgelassen haben vom Kamplhof. Ein Kind kann's ja sehen, daß da kein Heimkommen mehr wär'", tröstet der Fabian die weinende Leni. (Forts, folgt.)