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ist aber durch ihre Stellung zü ihrem Staate eingeschränkt. (Widerspruch links, Beifall rechts.) Ueber die Grenze entscheidet Takt und Pflichtgefühl. Jedenfalls ist es mit der Stellung eines Beamten unvereinbar, Bestrebungen zu unterstützen, die mit ihren letzten Zielen gegen den Bestand des Staates gerichtet sind. (Sehr richtig rechts, Lärm links und bei den Polen.) Bei dem schweren Standpunkt, den Preußen zur Zeit in der Ostmark hat, handelt es sich darum, diese Landesteile, die in harter Arbeit vieler Menschenalter zu kulturell ebenbürtigen Gliedern des preußischen Staates geworden sind, der polnischslawischen Kultur nicht anheimsallen zu lassen »nd damit auch schließlich ihrer äußerer Lösung vom preußischen Staate entgegenzuwirken. (Sehr richtig rechts.) Wer diesen Boden verläßt, verläßt den Boden der Verfassung. (Wiederholter Beifall rechts, Lärm und Pfeifen bei den Polen und im Zentrum.) Auf Antrag des Zentrums erfolgt Besprechung der Interpellationen. Abg. Gröber (Zentrum) meint, es handelt sich hier um die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte der Beamten und da haben die Vorgesetzten keine Befugnis zum Eingreifen. Die politischen Konstellationen ändern sich. Sie sind heute so, morgen anders und soll da der Beamte diesem Wechsel jedesmal sich anpassen? Man entzieht durch einen solchen Zwang auf die Beamten diesem wichtigen Stande die Achtung, die ihm gebührt. Das jetzige Vorgehen erinnert an die schlimmsten Zeiten in den 50er und 60er Jahren. Redner erinnert dann namentlich noch die Nationalliberalen daran, daß Bennigsen seiner Zeit gelegentlich von Wahlprüfungen für das freie Wahlrecht der Beamten eingetreten sei. Abg. Heinze (natl.): Die Maßregelungen in Kattowitz sind nur zu beurteilen aus dem Milieu heraus, d. h. im Hinblick auch auf die großpolnische Gefahr. Die Kattowitzer Maßregelungen sind nicht gegen das Zentrum gerichtet, sondern gegen das polnische Element, das letzten Endes revolutionäre Tendenzen verfolgt. Wir stehen in der Polen-Politik vollkommen hinter der Regierung und bedauern nur, daß ihre Haltung zu häufigen Schwankungen unterliegt. (Beifall rechts.) Abg. Henning (natl.). Wir halten in der Polenfrage an unserer bisherigen Stellungnahme fest, die durch unsere ganze Vergangenheit gegeben ist. In nationalen Fragen stehen wir immer auf dem Standpunkt energischer Abwehr. In Oberschlesien bestehe tatsächlich die Gefahr einer Polonisierung des Deutschtums. Ihr gegenüber stellen wir die großen vaterländischen Ziele in den Vordergrund. Wir werden auch in Preußen die Regierung unterstützen, in der Aufrechterhaltung der Disziplin unter den Beamten. Staatssekretär Krätke: Es handelt sich hier um deutscho'Jnteressen gegenüber groß- polnischen Bestrebungen und da kann die Regierung nicht anders Vorgehen als sie es getan hat. Der Beamte dort dürfe, auch wenn es sich nur um Kommunal-Wahlen handelt, nur Männer wählen, die von den nationalen Interessen durchdrungen sind. Es ist auch keine Rede davon, daß die betreffenden Beamten irgendwie hart behandelt worden seien. Auch bei den Versetzungen ist dies nicht geschehen. Staatssekretär Dr. Delbrück: Gegenüber verschiedenen Angriffen auf den Standpunkt des Reichskanzlers bemerke ich, die staatsbürgerlichen Rechte der Beamten sind nicht absolut unbeschränkte. Sie sind beschränkt durch das Dienstverhältnis, durch das staatliche Interesse, nach denen sie sich im Einzelfalle zu richten haben. Der Staatssekretär weist dann noch hin auf die Animosität in der polnischen Presse und Bevölkerung und auf das Bestreben der polnischen Presse, das „nationale Band zwischen den Bevölkerungen aller ehemals polnischen Gebiete" zu kräftigen. Es ist das gute Recht Preußens, die Frucht seiner Kulturarbeit in den Ostmarken zu verteidigen. Dieses gute Recht darf sich Preußen nickt nehmen lassen. (Beifall rechts.) Hierauf schlägt Vizepräsident Spahn vor, sich zu vertagen. Einige Redner beschweren sich über die jetzige Art der Rede Ordnung und bitten das Präsidium um Abhilfe. Von der Rechten wären schon zwei Redner zu Wort gekommen, dagegen von den linksstehenden noch keiner. Nach kurzer Geschäfts
ordnungsdebatte erfolgt Vertagung. Schluß 7 Uhr.
Berlin 12. Jan. Am nächsten Sonntag beabsichtigt die Sozialdemokratie in ganz Preußen Wahlrechtsversammlungen zu veranstalten. Für Großberlin sind 60 Versammlungen in Aussicht genommen. Nach Anweisung der Parteileitung soll von jeder Straßendemonstration abgesehen werden.
Paris 12. Jan. (Streit zwischen der Baronin Vaughan und Prinzessin Luise.) Gestern erfolgte vor dem Friedensgericht die Verhandlung über die von der Baronin Vaughan beantragte Abnahme der gerichtlichen Siegel auf Schloß Balincourt. Die Baronin hatte als Vertreter den Anwalt der belgischen Legation, während die Prinzessin Luise durch den Anwalt Feldmann vertreten war. Der letztere wies darauf hin, daß die gerichtlichen Siegel zur Sicherheit angelegt worden seien. Darauf wurde die Verhandlung auf heute vertagt.
Toulon 12. Jan. (Der Sohn eines Generals ein Mörder.) In der Neujahrsnacht war einem Matrosen des Panzerschiffes „Patrie" seine Barschaft geraubt und er selbst ermordet worden. Unter den der Tat verdächtigen Mördern befand sich, wie man jetzt erfährt, auch der Sohn eines Divisions-Generals, der dem Militär-Kommando von Paris angehört.
Wien 12. Jan. (Attentat gegen einen Abgeordneten.) Im Hause des Abgeordneten des Landes-Ausschusses und des Landtages, Steiner, explodierte heute früh eine von unbekannten Tätern gelegte Bombe, ohne jedoch großen Schaden anzurichten. Da dem Abgeordn. Steiner die hiesigen Irrenanstalten unterstehen, dürfte es sich wohl um den Racheakt eines Irrsinnigen handeln. Bisher ist es der Polizei nicht gelungen, den Täter zu ermitteln.
Mailand 12. Jan. (Ein ganzes Dorf abgebrannt.) Das Gebirgsdorf Piatta bei Bormio ist "vollständig abgebrannt. Nur die Kirche und das Pfarrhaus wurden vom Feuer verschont. 40 Wohnhäuser fielen dem Brande zum Opfer.
Rom 12. Jan. (Brand auf dem deutschen Dampfer Prinz Ludwig.) Der Dampfer Prinz Ludwig vom Norddeutschen Lloyd ist gestern in Hongkong mit 48 Stunden Verspätung eingetroffen. Bei der Einfahrt in Hongkong hatte er Feuer im Laderaum. Das Feuer wurde mit Hilfe der Feuerwehr des englischen Hafen-Kommandos bewältigt. Die Waren, zumeist Seide, brannten vollständig aus. Der Schaden soll 2 Millionen Francs betragen.
Stockholm 12. Jan. (Telephonische Unterhaltung zwischen dem dänischen und Karlsruher Hof.) Ein interessanter Versuch mit dem Telephon über große Distanzen wurde heute nacht mit einem neuerfundenen System mit Hilfe des Starkstrom-Mikrophons von den schwedischen Ingenieuren Egner und Holmström angestellt. Verbunden waren das königliche Schloß in Stockholm und das großherzogliche Schloß in Karlsruhe. Der König und die Königin von Schweden sprachen dorthin via Helsingfors— Kopenhagen—Hamburg mit dem Großherzog, der Großherzogin und der Großherzogin-Witwe von Baden. Man hörte deutlich jedes einzelne Wort. Die Teilnehmer waren sehr zufrieden.
Chicago 12. Jan. Vor dem Warenhause Bostonstore sank das Trottoir ein. Ueber dreißig Passanten stürzten in die Tiefe.
Vermischtes.
(Kindersegen auf Hohenentringen.) Gegen Ende des 14. und Anfang des 15. Jahrhunderts haben auf dem Schloß Entringen fünf Edelleute mit ihren Gemahlinnen in Liebe und Eintracht beieinander gewohnt und zusammen hundert Kinder gezeugt, nämlich: Johannes von Haifingen, Ritter, hatte von seiner Gemahlin von Nippenburg 20 Kinder, Rudolf von Ehingen mit Agnes Truchsessin 19, Marquard von Hal- fingen mit Ursula Bubenhofin ebenfalls 19, Georg von Halfingen mit einer Käbin 21 und Hugo von Gültlingen von seiner Gemahlin eben
falls 21. Zuletzt unter all diesen Kindern ist der Ritter Georg von Ehingen am Neckar im Jahre 1467 in dem 89. Lebensjahre gestorben, der einen Gedächtnistag zu Tübingen stiftete, an dem den Armen daselbst 100 Manns- und 100 Weiber- Röcke ausgeteilt werden mußten.
Großfürst Michael von Rußland am Spieltische. Großfürst Michael Nikolaje- witsch von Rußland, der als das älteste Mitglied des Zarenhauses vor kurzem in Cannes gestorben und jetzt in der Gruft der Romanow zu St. Petersburg beigesetzt worden ist, war, so schreibt man aus Paris, eine der bekanntesten Gestalten an der französischen Reviera, wo er seit vielen Jahren die Wintermonate zubrachte. Mit seinem großen, weißen Vollbarte glich er eher einem russischen Muschik als einem Generalfeldmarschall und einer kaiserlichen Hoheit. Seit zehn Jahren verließ er kaum mehr seine Villa und deren Garten. Dort fuhr er in einem Wägelchen, das ein kleiner grauer Esel zog, täglich spazieren. Sonst bestand seine Lieblingsbeschäftigung darin, sich vorlesen zu lassen, am liebsten recht spannende Romane und aufregende Reisebeschreibungen. Am Spieltische von Monte Carlo, den man sich ohne mindestens einen russischen Großfürsten kaum recht denken kann, sah man den Großfürsten Michael Nikolajewitsch schon seit langem nicht mehr. Aber es gab eine Zeit, wo er spielte. Und eines Tags gewann er die größte Summe, die vielleicht jemals in Monte Carlo gewonnen worden ist, freilich, wie gleich vorausgkschickt sein mag, nicht von der Spielbank. Der Großfürst saß einmal am Roulettetisch neben einem ihm befreundeten englischen Lord. Er sah zu, wie die kleine weiße Kugel in der runden Schale hin und her rollte, setzte aber keinen Franken. Und als der Lord ihn fragte, warum er nicht spiele, erwiderte er, das Roulette sei ein Spiel für Kinder, denn es gestatte nur so lächerlich niedrige Einsätze als höchstens 6000 Fr., und könne ihn deshalb nicht reizen. „Wieviel möchten Sie denn auf einmal setzen?" fragte der Lord weiter, und der Großfürst gab die kurze und bündige Antwort: „Jedesmal 100000 Franken." „Schön," versetzte der Lord, „wollen wir zu diesem Satze ein wenig gegeneinander spielen? Wählen Sie eine Nummer. Kommt sie heraus, so zahle ich Ihnen Ihren Einsatz sechsunddreißigfach zurück, ganz wie die Bank es tun müßte. Kommt sie nicht heraus, so sind Ihre 100 000 Franken verloren." — „Abgemacht," erklärte der Großfürst mit Seelenruhe, ich wähle die Nummer Sieben." Und schon ertönte die Stimme der Croupiers: „Ne^ieurs, kaitss v<>8 .jeux! 1^68 ft-ux Kont tÄit8! Uisn N6 VL plus !" Die kleine Elfenbeinkugel sprang vergnügt hin und her — und blieb schließlich bei der Nummer Sieben liegen. „I-tz nuwöro 8ept!" verkündeten die Croupiers. Und der Lord hatte dem Großfürsten drei Millionen sechsmalhunderttausend Franken zu zahlen. Es muß freilich hinzugefügt werden, daß der Großfürst seinem Partner Gelegenheit gab den Verlust wenigstens teilweise wieder auszugleichen. Sie spielten weiter zusammen, und als sie sich schließlich vom Tische erhoben, betrug der Gewinn des Großfürsten nur noch eine einzige lumpige Million Franken! . . .
Marktberichte.
Calw 12. Jan. Der heutige Viehmarkt war mit 289 Stück Großvieh befahren. Es wurden verkauft 16 Paar Ochsen und Stiere zu 680-1110 Mk. das Paar, 38 Kühe zu 240 bis 480 Mk., 27 Kalbeln und Kleinvieh zu 115 bis 380 Mk-, 3 Kälber zu 72—117 Mk. Von Pferden waren 6 Srück am Markt. Zufuhr auf den Schweinemarkt 181 Stück Milcksckweine, 126 Läufer. Absatz der ersteren ziemlich lebhaft zu Preisen von 28—50 Mk. pro Paar, Läufer lösten 55—110 Mk.
Ulm 12. Jan. Bei der gestrigen Versteigerung von 4300 Großviehhäuten und 6200 Kalbfellen wurde für das Ulmer Gefälle folgende Pfundpreise erzielt: Kuhhäute 63'/- bis 67 Pf., Kalbelhäute 67'/-—68 Pf., Ochsen- Häute 64—65 Pf., Farrenhäute 52—59 Pf., für Kalbfelle unter 12 Pfund 129'/-—131 Pf., über 12 Pfund 110 Pf.