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Reichsheer und auf anderen Gebieten gegenüberstehen. Eine Verkennung der Sachlage war es, wenn gesagt wurde, es sei von einem völligen Fiasko der Steuerpolitik zu sprechen. Mit Befriedigung und Genugtuung haben wir von dem Marokko-Abkommen mit Frankreich Kenntnis genommen. Wir freuen uns, daß jeder Anlaß zur Verstimmung beseitigt worden ist. Auch darf nicht der Anschein erweckt werden, als ob Deutschland der Beschützer des Islam sei. Störende Zwischenfälle dürfen dann aber nicht Vorkommen, wie es vor einiger Zeit bei der Erinnerungs- feier in Weißenburz seitens der chauvinistischen Partei der Fall gewesen ist. Daß der Dreibund bisher stets ein Hort des europäischen Friedens gewesen ist, beweise die Situation des letzten Jahres in Oesterreich. Auch das neu zu bildende italienische Kabinett wird den Anschauungen seiner Vorgänger folgen. Der vielbesprochene Besuch des Kaisers Nikolaus in Racconigi kann die Beziehungen zu Italien nicht beeirflussen. Wünschenswert wäre es, wenn unser Verhältnis zu England nicht nur korrekt, sondern freundschaftlich würde. In Bezug auf die Kongofrage wöge unsere Diplomatie sich nicht in das Schlepptau eines gewissen Teils der englischen Presse begeben, die sich den Anschein gibt, der Humanität zu dienen, tatsächlich aber andere Ziele verfolgt. In letzter Zeit hat sich bei uns hinsichtlich der Erbschaftssteuer eine unglaubliche Steuerhetze gezeigt, wobei ein unglaubliches Maß von Unwahrheit und absichtlicher Irreführung in Erscheinung getreten ist. (Sehr richtig! rechts und im Zentrum. Lärm links.) Das Zentrum ist keine Agrarpa tei. Es wahrt auch die Interessen von Handel und Industrie ausdrücklich. Vielfach werden die Katho liken noch als völlig ungeeignet zur Bekleidung der höchsten Staatsämter bezeichnet. (Aha! bei den Soz) Wir sind unserer Ueberzeugung nach keine konfessionelle Partei. (Schallendes Gelächter Be fall im Zentrum.) Abg. Frhr. v. Richthofen (kons.): Ich hoffe, daß die Kämpfe der Vergangenheit auftören werden, damit wir Ausgaben der Zukunft uns zuwenden können. Was unsere auswärtigen Verhältnisse be- tr fft, so hoffen wir, daß die Regierung alles aufbieten wird, um den Frieden aufrechtzuerhalten. Abg. Bass ermann (natl): Den Vorwurf der Konservativen, daß wir bei Ablehnung der Finanz- rcform nicht die Interessen des Vaterlandes im Auge gehabt hätten, wese ich zurück. (Sehr richtig! links.) Wir treffen unsere Entscheidungen nach nüchternen und ruhigen Erwägungen. Von einem Aufgeben unserer Tradition, ron welchem der Reichskanzler gesprochen hat, kann keine Rede sein. Es ist durchaus falsch, wenn man von einem Versagen des Liberalismus spricht. Wenn der Reichskanzler die Befürchtung äußert, daß die positive Arbeit von der Linken nicht gefördert werden könnte, so kann ich dazu nur bemerken, daß wir uns an der gemeinsamen Arbeit auf dem Gebiete der sozialen und juristischen Gesetzgebung gerne beteiligen. Dem vorliegenden Etat können auch wir das Lob spenden, das er auf Sparsamkeit aufgebaut ist. Wir hoffen, daß die Annäherung an England immer mehr Boden finden möge Bezüglich des Marokko-Abkommens haben wir den Wunsch, daß eine dauernde Verständigung mit Frankreich Platz greife einschließlich der ManneSmannkonzesfionen. lieber die Besserung im Etat der Kolonien freuen wir uns. Wir hoffen, daß der Staatssekretär auch ferner auf weitere Verminderung der Zuschüsse hinwirken möge. Von höchstem Interesse für alle deutschen Patrioten ist aber die Frage des preußischen Wahlrechts, zumal bei der Reichsfinanzreform davon gesprochen wurde, daß weitere Konzessionen den preußischen Liberalen gegenüber notwendig werden könnten, falls der Block weiter bestehen würde. Bei der nächsten Steuerreform werden wir die DeS- zendentensteuer nicht umgehen können, und es ist notwendig, daß das Reich bald seine Hand auf die Deszendentenbesteuerung legt. Wir werden unsere eigene Politik machen, ohne ein taktisches Zusammengehen mit den Freisinnigen abzulehnen. Auch in der Steuer- und Finanzpolitik muß der soziale Gedanke maßgebend sein; dann werden wir einer leichteren Zukunft entgezengehen. Hierauf wurde die Beratung auf Freitag 1 Uhr vertagt.
Berlin 9. Dez. Die heutige Reichstags-Rede des Reichskanzlers wird nur von einigen Abendblättern bereits kommentiert. Sehr zufrieden ist die „Kreuzztg.," der es verheißungsvoll klingt, daß in Deutschland niemals eine Regierung Partei-Regierung sein könne. Der Kanzler scheine fest entschlossen zu sein, über den Parteien zu stehen. Die „Deutsche Tageszeitung" sagte: Im Wesentlichen war es eine Friedensrede, eine Ermahnung an die bürgerlichen Parteien, die sich in Sonderheit an die Linke richtete, keine Verärgerungspolitik zu treiben, die der Wohlfahrt des Vaterlandes nichts
weniger als zweckdienlich sei. Die „Tägliche Rundschau" führt aus, das Leitmotiv der fein abgewogenen Rede, der auch die philosophische Grundnote nicht fehlte, ist: Zusammenfafsen Aller zu gemeinsamer Arbeit. Laßt, was vergangen ist, dahin, und seht fest in die Zukunft. Es ist die Versöhnungsrede nach rechts, das Geständnis der Regierung, daß sie sich mit den Dingen abgefunden habe. — Die „Vossische Ztg." schreibt: Das große Ereignis ist vorüber, und hat alle Welt enttäuscht. Der neue Reichskanzler hat gesprochen, aber nichts gesagt. Seine Ausführungen entsprechen vollkommen der nüchternen, kahlen, dürftigen Thronrede. Sein Programm ist, kein Programm zu entwickeln, vielleicht auch keins zu haben.
Köln 9. Dez. Prinz und Prinzessin Eitel Friedrich werden voraussichtlich in kurzer Zeit eine Reise nach dem Orient an- treten, um im Aufträge des Kaiserpaares der Einweihungsfeier der Kaiserin-Augusta-Statue und der Himmelfahrtskirche auf dem Oelberge bei Jerusalem beizuwohnen.
Hamburg 9. Dez. Man neigt jetzt zu der Ansicht, daß das Explosionsunglück in erster Linie darauf zurückzuführen ist, daß eine der Ketten riß, die den oberen Mantel des Gasometers hielten. Das hatte das Herabstürzen des schweren Mantels zur Folge. Dadurch wurde das Gas so dicht zusammengepreßt, daß es sich auf gewaltsame Weise durch eine Stelle Ausgang verschaffte, die vielleicht nicht ganz dicht war. Alsdann geriet das Gas mit Feuer in Berührung und explodierte.
London 9. Dez. Die „Times" meldet: Nächsten Freitag werde die „New Dort Times" mit der Enthüllung hervortreten, daß Dr. Cook ein gewöhnlicher Schwindler sei, der im Verein mit zwei Helfershelfern die romantische Geschichte von seiner Fahrt nach dem Nordpol auf dem Schreibtisch fabriziert habe. Zur Unterstützung dieser Behauptung wird das New Parker Blatt Schriftstücke von seinen beiden Komplizen, des „Kapitäns" Loose, eines früheren Seefahrers und eines Versicherungsagenten namens George Dunkle veröffentlichen. Dunkle hat in dem von der New Park Times behaupteten unsauberen Handel den Vermittler gespielt. Beide beschreiben ausführlich, wie sie unter Cooks Leitung nautische und astronomische Beobachtungen fälschten und dem Dr. Cook verkauften. Dies waren die Daten, die jüngst nach Kopenhagen gingen. Diese Tatsache habe die New Jork Times erst festgestellt, bevor sie sich zur Veröffentlichung entschloß. Die Times hat der Universität Kopenhagen ,ein Duplikat der Cookschen Beobachtungen angeboten. Zeigt es sich, daß beide identisch sind, so ist Cook als Schwindler entlarvt.
Vermischtes.
(Ueber den Einkommensteuer-Einzug durch die Gemeinden.) Der „Württb. Ztg." wird von fachmännischer Seite über diese Frage nachstehende Zuschrift:
Nach Artikel 76 des württ. Einkommensteuergesetzes erfolgt der Einzug der Einkommensteuer in denjenigen Gemeinden, welche sich hierzu bereit erklären, durch die Gemeinde selber (Gemeindepflege). Die Bereiterklärung gilt auf 5 Jahre und wird nach Ablauf dieser Frist stillschweigend jeweils auf weitere 5 Jahre verlängert, wenn nicht rechtzeitig, d. h. spätestens 3 Monate vor Beginn des neuen Steuerjahres — 1. April 1910 — eine gegenteilige Erklärung seitens der Gemeinde beim Bezirkssteueramt einkommt.
Gemeinden, die also beim Jnkraftreten des Einkommensteuergesetzes 1905 sich zum Steuereinzug bereit erklärten, diesen aber für die nächsten 5 Jahre nicht mehr beibehalten wollen, müssen dies spätestens bis 31. Dez. d.I. geltend machen andernfalls gilt die 1905 abgegebene Bereiterklärung zum Steuereinzug — dem Staat gegenüber — als stillschweigend bis 1914 verlängert.
Viele Gemeinden dürften aber in der abgelaufenen 5jährigen Einzugsperiode Erfahrungen dahingehend gemacht haben, daß sie künftighin den Steuereinzug gerne den Staats
behörden selbst überlaffen und noch vorziehen werden, durch diese auch ihre etwaige Gemeinde-Einkommensteuer miterheben und abliefern zu lassen.
110 000 Mark Stiftungen hat die Stadt Mainz erhalten: erstens halber Großbrauereibesitzer Adolfus Busch aus St. Louis, ein geborener Kasteller, für gemeinnützige und wohltätige Zwecke 50 000 der Stadt Mainz überwiesen. Ferner wird eine Stiftung von 10 000 ^ bekanntgegeben, die Kommerzienrat Thomae für das römischgermanische Museum gemacht hat, sowie die Stiftung von 50 000 der Firma Henckell, ebenfalls für das römisch-germanische Museum.
— Die neuen 25-Pfennig-Stücke sind nun in Kurs gesetzt. Dieselben sind aus fast reinem Nickelmetall geprägt. Bekanntlich besitzt dieses Metall — neben ihm nur noch Eisen und Kobalt — die Eigenschaft, vom Magneten angezogen zu werden. Es ist daher ein sehr interessantes Experiment, wenn man ein 25 Pfg.- und ein 10 Pfg.-Stück neben einander legt und einen Magneten darüber hält. Letzteres wird nicht angezogen, weil es nur
Nickel- (°/io Kupfer) Metall enthält, dagegen bleibt ersteres an dem Magneten hängen. Wenn man eine Anzahl 10- und 25 Pfg.-Stücke mischt und mit einem etwas stärkeren Magneten dazwischen kommt, so werden immer nur die 25 Pfg.-Stücke herausgeholt.
Marktberichte.
Stuttgart 8. Dez. Der heutigen Ledermesse in der Gewerbehalle waren etwa 600 Ztr. zugeführt. Das Geschäft nahm einen befriedigenden Verlauf. Gegen Schluß der Messe wurden verschiedene Posten unverkauft zurückgezogen. Es kostete Sohlleder 1,30—1,40 Mark, Wildvacheleder 1—1,20 Wildoberleder la 1,90—2,10 ^ Wildoberleder Ila 1,40 bis 1,80 Schmalleder 1,80—2,00 Kalbleder 2,50—3,00 Zaumzeug- und Roßleder 1,40 bis 1,50 ^ per Pfund. Der Umsatz betrug etwas 95 000
Kirchheim u. T. 7. Dez. (Vieh- und Schweinemarkt.) Zutrieb 761 Stück Rindvieh und 695 Schweine, und zwar 26 Farren, das St. zu 200—460 164 Ochsen, das
St. zu 220—570 263 Kühe, das St. zu
180—450 273 Kalbinnen und Rinder, das
St. zu 125—642 35 Kälber, das St. zu
50—80 115 Läuferschweine, das St. zu
30—55 ^7, 580 Milchschweine, das St. zu 13 bis 23
Gmünd 8. Dez. Dem letzten Viehmarkt waren zugetrieben: 24 Paar Ochsen, 261 Stück Rindvieh, 75 Stück Milchschweine. Zum Verkauf kamen: 40 Stück Ochsen, 170 Stück Rindvieh und 70 Stück Milchschweine. Bezahlt wurden für 1 Paar Ochsen 600—980 Mk., für Kühe 130—415 Mk., für Kalbeln 165—430 Mk., für Stiere 140—320 Mk., für Farren 170 bis 280 Mk., für Rinder 160—295 Mk., je per Stück. Die Zufuhr war gegen die vorausgegangenen Viehmärkte etwas schwach. Der Handel nahm einen ziemlich flotten Verlauf; das ganze Vieh wurde nach auswärts (Stuttgart, Ludwigsburg, Mannheim usw.) verkauft. Fettes und fleischiges Vieh wurde bevorzugt und gegen früher zu etwas höheren Preisen gehandelt.
Gottesdienste.
3. Advent, 12. Dez. Vom Turm: 94. Kirchenchor-. Es ist ein Ros' entsprungen rc. Predigtlied: 98, Ermuntert euch, ihr Frommen rc. 9V- Uhr - Vormitt.- P-edigt Dekan Roos. 1 Uhr: Christenlehre mit den Söhnen. 7 Uhr: Weihnachtsfeier deS evang. JünglingSvereinS im Vereinshaus Donnerstag, 16. De,. 8 Uhr abends: Btbelstunde im VereinShauS, Stadtpfarrer Schm d.
Reklameteil.
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