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* Calw 29. Nov. Die Brauereien von Stuttgart und Umgebung lassen am 1. Dezbr. eine Erhöhung der Bierpreise eintreten. Nach einer Bekanntmachung derselben wird der Bierpreis um den Betrag der Steuer erhöht. Dieser gesetzliche Aufschlag würde für das dl gewöhnliches Bier 1 65 betragen und das
seitherige Liter-Glas käme auf 11 ^ zu stehen. Der Wirtsverein wird jedenfalls zu dieser geplanten Erhöhung, gegen die man billigerweise nicht viel einwenden kann, baldigst Stellung nehmen müssen. Unter den Brauereien, von denen die Bekanntmachung ausgeht, kommen für hier und Umgebung hauptsächlich folgende in Betracht: Brauerei Hiller-Calw; Aktienbrauerei Rettenmayer-Stutt- gart; Aktienbrauerei Wulle-Stuttgart; Aktienbrauerei Zahn-Böblingen; Brauerei Himmelseher- Weilderstadt; Brauerei Rob. Leicht-Vaihingen; Brauerei Sauer-Schafhausen; Brauerei Stotz- Weilderstadt; Brauerei Widmaier-Magstadt und Brauereigesellschaft zum Englischen Garten-Stuttgart. Die andern Brauereien, die ebenfalls hieher Bier liefern, aber nicht dem Stuttgarter Verband angehören, werden jedenfalls dem guten Beispiele bald Nachfolgen.
Stuttgart 26. Nov. (Vom Rathaus.)
* In einer gestern nachmittag abgehaltenen Sitzung befaßten sich die Gemeindekollegien u. a. mit der Entschädigung der Laternenanzünder, welche durch die Einführung der Fernzündung in ihren Einkommensverhältnissen verkürzt wurden. Die innere Abteilung hatte aus Billigkeitsgründen den Vorschlag gemacht, den Gaskontrolleuren, welche nebenher noch als Laternenanzünder tätig waren, eine einmalige, auf Grund eingehender Untersuchungen noch festzustellende Entschädigung zu gewähren; es würde sich dabei im ganzen um etwa 40 Wann handeln. Gemcinderat Wasner (Soz.) stellte den weitergehenden Antrag, diese Gaskontrolleure in die erste Lohnklasse, in der sonst nur qualifizierte Arbeiter eingeordnet sind, zu übernehmen und außerdem auch alle übrigen Laternenanzünder, die das Anzünden und Auslöschen der Laternen nur als Nebenerwerb betrieben, durch eine einmalige Abfindung zu entschädigen. Dieser Antrag würde, soweit er die Gaskontrolleure betrifft, zunächst nur einen Mehraufwand von 1500 Mk., in einigen Jahren aber bereits einen solchen von 10000 Mk. erfordern. Oberbürgermeister v. Gauß trat dem Antrag entgegen mit dem Hinweis, daß eine Ausschaltung von Arbeitskräften immer und überall da ein- trete, wo Maschinenarbeit die Handarbeit verdränge. Auch die Gemeinderäte Haußer und Dr. Mattes wandten sich gegen den Antrag, den B.A.M. Schilling (Kons.) als ein „unerhörtes Ansinnen" bezeichnete. Nach längerer Erörterung wurde der Antrag Wasner abgelehnt, der Antrag der inneren Abteilungen angenommen. Die Frage, ob den nicht berufsmäßigen Laternen
anzündern eine einmalige Abfindungssumme als Entschädigung gewährt werden könne, wurde der inneren Abteilung zur Prüfung überwiesen. — Ferner beschäftigte sich der Gemeinderat mit der Frage, ob man nicht der Jugend einige Straßen der Stadt für den Schlittensport freigeben solle. Es stellte sich dabei aber heraus, daß der von einer Seite vorgeschlagenen teilweisen Absperrung breiterer Straßen für Schlittenfahrer die reichsgesetzlichen Bestimmungen über die Benützung der öffentlichen Straßen entgegenstehen; außerdem wurde befürchtet, daß bei Unfällen gegen die Stadt Haftpflichtansprüche gemacht werden könnten. Man will es daher bei der jetzigen Uebung belassen, daß die Polizei das Schlittenfahren in etwa 40 Straßen mit geringem Verkehr stillschweigend duldet; außerdem wird eine Anzahl von geeigneten Feldwegen zum Schlittenfahren zur Verfügung gestellt.
Stuttgart 27. Nov. Der „Staatsanzeiger" schreibt: Mit freudiger Genugtuung können wir auf Grund neuester uns zugegangener Mitteilungen feststellen, daß bereits jetzt noch ehe die Grundmauern zum neuen Hoftheaterbau gelegt sind, zu dessen würdiger und kunstvoller innerer Ausstattung, wofür bekanntlich die bereitgestellten Mittel sehr spärlich bemessen werden, von den verschiedensten Seiten, insbesondere auch von auswärts lebenden Württem- bergern, reiche und kostbare Stiftungen und Schenkungen gemacht worden sind, sie bestehen teilweise in baren Beiträgen von Gebern, die nicht genannt sein wollen, teils in Kunstwerken, darunter zum Beispiel 2 Marmorbüsten Ihrer Majestäten des Königs und der Königin, aus- geführt von Herrn Bildhauer Fritz dahier, Geschenke der württembergischen Konsuln Siebert in Frankfurt a. M. und Arnhold in Dresden. Sodann die von Herrn Geheimen Kommerzienrat Wilhelm Spemann schon vor einiger Zeit bei dem Herrn Professor Adolf von Donndorf in Auftrag gegebene Kolossalfigur Schillers, die seiner Zeit für die hiesige Totenfeier im Jahre 1905 entworfen und nunmehr in Marmor vollendet worden ist, sie steht gegenwärtig noch in der Werkstatt des Künstlers, wo sie kürzlich von Ihren Majestäten eingehend besichtigt wurde, und soll, so viel wir hören, da ihre Größenverhältnisse die Aufstellung im Innern des neuen Hoftheaters nicht zulafsen, künftig an einem noch näher auszuwählenden Punkt vor dem Neubau ihren Platz finden. — Der König hat an den edlen Stifter ein huldvolles Handschreiben gerichtet.
Gmünd 27. Nov. Die bürgerlichen Kollegien beschlossen, an arme Kinder Lehrmittel religiöser Art abzugeben. Diese sollen den Ent- laßschülern verbleiben, wogegen die Lehrmittel bei einem Wegzug nach auswärts, soweit noch
brauchbar, abzugeben sind. Ebenso sollen auch alle anderen noch brauchbaren Lehrmittel den Kindern bei ihrer Schulentlassung oder bei ihrem Verzug an auswärtige Schulen abgenommen und für hiesige Schulzwecke wieder verwendet werden. Ein Antrag des hiesigen evangelischen Ortsschulinspektorats, diesen Beschluß, der vor einiger Zeit gefaßt wurde, aufzuheben, wurde abgelehnt. — Im laufenden Schuljahr wird an 48 Volksschulkinder täglich ein Viertelliter Milch auf Kosten der Stadt abgegeben. Vier Kinder, die vom Schularzt bezeichnet wurden, werden spezialärztlich behandelt. Schulkinder von Ortsarmen sollen durch die Armenärzte unentgeltlich behandelt werden. Die Kosten für Arzneimittel trägt die Stadt.
Bad Mergentheim 27. Nov. Die Staatsanwaltschaft Hall gibt zu dem Einbruchs- diebstahl in der Herrgottskirche bei Creglingen weiter bekannt, daß die drei ge- gestohlenen Figuren nicht bemalt, sondern Naturfarben sind, und in einer Wandnische im Chor der Kirche standen. Verdächtig sind Zigeuner, aber auch italienische Erdarbeiter. — Ob die Diebe unter dieser Volksklasse zu suchen sind, wird von der Tauberzeitung bezweifelt.
Berlin 27. Nov. Graf Zeppelin ist zum Besuche seiner Gemahlin hier eingetroffen, deren Gesundheitszustand unter der Obhut der Tochter der Gräfin von Brandenstein sich gebessert hat.
Berlin 27. Nov. Die Regierungsbestimmungen der vom Reichstag vorgesehenen Entschädigungen an Tabakarbeiter, die durch das neue Tabaksteuergesetz getroffen worden, sind, wie wir hören, soeben vom Bundesrat verabschiedet worden. Die Unterstützungen sollen nicht den Tabakarbeitern allein, sondern überhaupt allen, die in verwandten Betrieben beschäftigt gewesen sind, gewährt werden. Darunter fallen auch die Kistenmacher und die Kistenkleber. Unterstützungsberechtigt sind alle Arbeiter, die in der Zeit zwischen dem 15. August 1909 und dem 14. August 1910 infolge des neuen Tabakstcuergesetzes entlassen oder geschädigt worden sind. Voraussetzung ist, daß der Gesuchsteller vor dem 15. August 1909 ununterbrochen mehr als 300 Tage beschäftigt gewesen ist. Bei Beschwerden über die Ablehnung eines Gesuchs können Arbeitervertrauensmänner gehört werden. Bei Berechnung der Unterstützung wird der Taglohn zu Grunde gelegt. Die Unterstützung beträgt bei Verdienstschädigung die Differenz, hinter der der Gewinn hinter des vorjährigen Arbeitslohns zurückbleibt, bei Arbeitslosigkeit des durchschnittlichen Lohns, im Falle besonderer Dürftigkeit ausnahmsweise den vollen Betrag des früheren durchschnittlichen Lohns.
Gefühl. Es war sein Grund und Boden, seine Schwelle, über die sie schreiten, sein Haus, das sich ihr öffnen würde.
„Nun, wie gefällt es Dir?" fragte Gräfin Lie.
„Ach, es ist schön, wunderschön." Weiter konnte sie nichts sagen.
Als der Wagen die Rampe hinauffuhr, trat Callein vor die Tür, und als der Diener den Wagenschlag geöffnet, half er selbst den Damen beim Aussteigen; es fiel Inge auf, daß er bleicher war als sonst, und daß die Hand, die er ihr reichte, zitterte.
„Willkommen auf Neudeck!" Das war alles, was er sagte. Sein Blick suchte den ihren. Dann stand sie in der weiten Halle mit dem reichen Waffenschmuck, den eichengeschnitzten, alten Truhen und Bänken und der breiten Treppe, die in das obere Stockwerk hinaufführte.
„Da hinauf gehen wir nachher, um Ihnen mein eigenstes Reich zu zu zeigen," sagte Callein. Zum Speisen benutzte ich immer den sogenannten kleinen Speisesaal, in dem meine Alt-Vordern schon die mächtigen Humpen schwangen. — Wenn es Dir recht ist, Tante Lie, plaudern wir hier noch ein Weilchen."
Er rückte einladend einen bequemen, altertümlichen Stuhl neben den Kamin, in dem ein lustiges Feuer prasselte, führte Inge zu einer mit roten Sammetpolstern belegten Bank an der andern Seite und nahm selbst neben ihr Platz. Dann machte er sie auf einige alten Waffen aufmerksam und nannte ihr die Namen einiger geharnischter Ritter, die aus breiten Rahmen auf sie herabschauten.
„Einen eigentlichen Ahnensaal gibt es auf Neudeck nicht," bemerkte er dabei, „aber Sie finden fast in jedem Raum, in jedem Zimmer Familienbilder. Jeder Callein hat für sich und sinne Frau das Plätzchen ausgesucht, das ihnen am besten gefiel."
Die Frühstückstafcl war reich mit Blumen dekoriert, wie die vorgeschrittene Jahreszeit und die Gewächshäuser sie boten; weiße und hell
gelbe Chrysanthemen, leichtes, lichtes Farngrün gaben im Verein mit einigen schönen Silberschalen, dem alten geblümten Meißner-Porzellan und dem feinen Kristall der Tafel ein heiter-festliches Gepräge; jede der Damen fand auf ihrem Teller einen großen Veilchenstrauß. Markus Callein war ein so liebenswürdiger Wirt, wie ein Mann in seiner Stellung, von seinem Geist und seiner Weltgewandtheit es nur sein kann, und in der Unterhaltung entwickelte er heute eine Lebhaftigkeit und einen geradezu sprudelnden Witz, ohne jene Schärfe und Weltverachtung, die er meist zur Schau trug. Er war ein anderer als sonst, ein wirklich heiterer, frohgemuter Mensch, dem das Glück aus den Augen leuchtete. Inge hatte ihn noch nie so gesehen, und da er auch die Gabe besaß, seine Umgebung mit fortzureißen, fo hatte sie, ohne sich besten selbst recht bewußt zu sein, nach und nach jene kühle Beklommenheit abgelegt; sie vergaß ihre Angst, ihre schweren Gedanken, sie gab sich dem Augenblick hin und saß neben Callein mit geröteten Wangen und leuchtendem Blick, die duftenden Veilchen an der Brust, schön wie er sie noch nie gesehen zu haben meinte.
Nach dem Frühstück führte Callein die Damen durch das Schloß, und Inge staunte über die riesigen Dimensionen der Räume, bewunderte die Boiserien und Gobelins und den alten wertvollen Familienschmuck.
„Sehen Sie diesen Ring," sagte er, nahm einen Goldreif aus einem vergilbten weißen, mit Atlas ausgeschlagenen kleinen Lederetui und reichte ihn Inge. „Es ist das eigentümlichste Erbstück des ganzen Schmuckes."
Inge betrachtete die auffallend große und schöne Perle in einfacher, altertümlicher Goldfassung aufmerksam.
„Eine wundervolle Perle," sagte sie.
„Das ist cs nicht allein, was den Wert des Ringes ausmacht," bemerkte der Graf. „Dieser Perle hastet die unheimliche Eigenschaft an, sich in trübes Grau zu verfärben, wenn der Familie ein Todesfall bevorsteht."
(Fortsetzung folgt.)