1183

Rektor in einem hinterlafsenen Briefe mitge­teilt, daß sie sich das Leben nehmen wollten.

München 24. Nov. Ein Zahntechniker, der sich den Namen eines Freiherrn v. Prawitz beilegte, ist auf Veranlassung der Wiener Staats­anwaltschaft in München verhaftet worden. Er trieb einen Handel mit falschen Doktor­diplomen. Die beiden 18jährigen Schüle­rinnen der Lehrerinnen-Bildungsanstalt, die seit gestern von hier verschwunden sind, sind wohlbehalten in einem Pensionat in Terlan in Tirol aufgefunden worden.

Essen 24. Nov. Auf der Gewerkschaft Deutscher Kaiser" schlug ein mit glühenden Schlacken beladener Wagen um. Die glühende Masse begrub zwei italienische Arbeiter, die beide verbrannten.

Berlin 24. Nov. Unter der Anklage der Mißhandlung Untergebener hatte sich gestern der 20jährige Unteroffizier Heise von der 8. Kompagnie des Garde-Füsilier-Reg. vor dem Kriegsgericht der 1. Garde-Division zu verantworten. Die Anklage legte dem An­geklagten Mißhandlung in 54 Fällen zur Last. Die in der gestrigen Verhandlung erstatteten ärztlichen Gutachten lauten übereinstimmend dahin, daß Heise sich bei Begehung der strafbaren Hand­lungen in einem Zustande der Entwickelung einer Geisteskrankheit befunden habe und daß er infolge­dessen für seine Handlungen nicht verantwortlich gemacht werden könne. Auf Grund dieser Gut­achten gelangte das Kriegsgericht zu einem frei­sprechenden Urteil. Maßgebend für diesen Urteils­spruch war auch das Verhalten des Angeklagten während seiner Beobachtungszeit. Heise hatte sich als Kommerzienrat und als Millionär aus­gegeben und behauptet, ein Dutzfreund des Fürsten Bülow und ein guter Bekannter des Kronprinzen zu sein.

Wien 24. Nov. Bei ihren Recherchen gegen den Absender der Gift pillen ist die Polizei auf eine wichtige Spur gestoßen. Ein Apothekergehilfe in Baden bei Wien teilte mit, daß in der ersten Hälfte des November ein Mann in der Apotheke erschienen sei, der sich nach der Herstellung von Oblaten für Pulver erkundigte. Ferner meldete sich ein Tischlergehilfe und sagte, daß ihm ein Mann in der Mariahilfftraße eine Anzahl Briefe und 4 Kronen übergeben habe, damit er die Briefe in das Hauptpostamt trage. Er erkannte die Briefe an den Umschlägen wieder. Die Wiener Bevölkerung ist der Meinung, daß es sich um einen serbischen oder anarchistischen Anschlag handle.

Wien 24. Nov. In Budapest erschoß sich gestern der aus Brünn zugereiste Johann Ritter von Pfefferkorn, der Sohn eines mährischen Großgrundbesitzers. Man nahm zuerst an, daß der Selbstmörder der Absender der Giftpillen sei. Die Polizei stellte jedoch fest, daß der Mann aus unglücklicher Liebe Selbstmord begangen hatte.

Wien 24. Nov. In ganz Oesterreich- Ungarn ist strengstes Frostwetter ein­getreten. Aus allen Gebirgsgegenden werden Temperaturen bis zu 15 Grad unter Null gemeldet.

Sao Paolo (Brasilien) 24. Nov. Eine Bomben-Explosion, die sich gestern im Mittelpunkte der Stadt ereignete, rief in dem belebten Geschästsviertel große Erregung hervor. Es stellte sich heraus, daß ein Anarchist in das Haus eines Deutschen eine Bombe geworfen hatte, durch die das Gebäude in Brand geriet. Ehe die Löscharbeiten einsetzen konnten, hatte das Feuer mit so großer Schnelligkeit um sich gegriffen, daß das ganze Geschäftsviertel, in dem sich auch die Bureaux und Läden zahlreicher Deutschen befinden, von völliger Zerstörung be­droht waren. Der deutsche Klub und die deutsche Schule stehen unweit des Brandherdes. Mehrere Personen sollen in den Flammen umgekommen sein.

Cherry 24. Nov. Bisher sind 168 Leich­name aus der Mine geborgen worden.

Vermischtes.

Ein ganzes Dorf an Blattern gestorben. Aus Petersburg wird geschrieben: Das ganze russische Dorf Wolskoja auf Sachalin

ist an Blattern ausgestorben. Ein einziger Greis von 72 Jahren ist am Leben geblieben." So lautet die kurze amtliche Mitteilung der Petersburger Telegraphen-Agentur", die in den wenigen Worten die Geschichte der Tragödie eines ganzen Dorfes mitteilt. Bis vor wenigen Wochen lebten in Wolskaja ungefähr 1100 Seelen, die recht und schlecht ihr Auskommen hatten. Wie in allen anderen russischen Dörfern war von Sauberkeit oder hygienischen Maß­regeln keine Rede. Vor ungefähr einem halben Jahre bekamen mehrere Kinder die Blattern. An Schutzimpfungen oder ähnliche Maßregeln dachte natürlich kein Mensch, zumal die Blattern alsheilige Krankheit" bei der abergläubischen Bevölkerung gelten. Im Gegenteil, man badete sogar die gesunden Kindern mit kranken Kindern zusammen, weil dies als Heilmittel angegeben wird. Natürlich griff die Seuche dadurch mit rasender Schnelligkeit um sich. Im Laufe von wenigen Tagen starben Dutzende von Kindern und Erwachsenen. Das Dorf war ständig von Beerdigungen und Trauerfeierlichkeiten erfüllt. Schließlich konnte niemand mehr beerdigt werden, da auch der Pope gestorben war. Die Masse der täglich hinzukommenden Leichen, die in den Häusern oder auf den Straßen liegen blieben, machte die Luft unerträglich und trug zur Ver­breitung der Krankheit viel bei. Jeden Tag erscholl aus irgend einem neuen Hause der Schreckensruf, daß auch hier die Blattern aus­gebrochen seien, und es gab Familien, in denen der Vater, die Mutter, sowie sämtliche Ver­wandten und Kinder zu gleicher Zeit im Sterben lagen, ohne daß sich ein Mensch um sie kümmern konnte. Als endlich eine Kommission von der Regierung dorthin gesandt wurde, war es ihr unmöglich, eins dieser Häuser zu betreten, da nicht nur die Ansteckungsgefahr ungeheuer groß war, sondern da der Leichenduft jeden Eintritt verwehrte. Die Sanitätskommission mußte also unverrichteter Dinge wieder abziehen und das Dorf seinem furchtbaren Schicksal überlassen. Die Blatternpest griff mit tödlicher Sicherheit um fich und raffte Glied um Glied dahin. Das Jammern und Wehklagen verstummte allmählich ganz und gar, das Leben und Treiben war aus dem Dorfe entschwunden und die furchtbare Stille des Friedhofes hatte sich eingestellt. Die Häuser, in denen bis vor kurzer Zeit noch Leben und Heiterkeit war, lagen da als Riesensärge der Familien, die bisher darin wohnten und bargen, wie große Familiengrüfte, alle Angehörigen vom Urgroßvater bis zum Urenkelkind. Die Häuser wurden von der Regierung verschlossen, da man nicht weiß, wie man die furchtbaren Zustände aus der Welt schaffen und die ver­westen Leichen, die den Giftstoff in sich bergen, dem Erdboden übergeben soll. Das Dorf, "das in der ganzen Bevölkerung schon jetzt den Namen Dorf des Todes" führt, wird voraussichtlich verbrannt werden. Nur ein Mann irrt irren Sinnes umher, der alte Wassiljew. . . .

Sklavengreuel in Mexiko. Ent­hüllungen über die Sklaverei in Mexiko erregen in ganz Amerika großes Aufsehen. Umsomehr, als sie gerade in dem Monat veröffentlicht wur­den, da die beiden amerikanischen Republiken durch das Zusammentreffen ihrer Präsidenten Taft und Diaz eine Art Verbindungsfest ge­feiert haben. Wenngleich heute in Nordamerika, besonders in den Südstaaten, die abrupte Auf­hebung der Sklaverei als ein schwerer, kaum wieder gut zu machender Fehler betrachtet wird, so herrscht doch nur eine Ansicht darüber, daß die mexikanischen Verhältnisse allen Humanitäts­gesetzen spotten und nicht entfernt einen Ver­gleich mit den Lebensbedinguugen der amerika­nischen Sklaven aushalten. Der Amerikaner John K. Turner, der Entdecker dieser Zustände, hat 1'/- Jahre lang Mexiko zum Studium der Sklavenfrage bereist und veröffentlicht die Er­gebnisse seiner unter falscher Flagge vorgenom­menen Expedition in dem Oktober- u. November­heft der MonatsschriftThe American". Das Gemälde, das er von dem Leben der Arbeiter auf den Aloepflanzungen Uucatans entwirft, be­rührt wie ein häßlicher Fiebertraum. Bei einer Bevölkerung von 300 000 Köpfen schätzt Turner

die Zahl der Sklaven auf 100 000; die ganze Macht liegt in den Händen weniger Hundert Aloeplantagenbesitzer, deren Wünsche auch für die Regierung Befehl sind. (Die hohen Regie­rungsbeamten sind selbst Plantagenbesitzer.) 95 Prozent der Bevölkerung sind Mayas, ein Jn- dianerstamm von sehr alter Kultur ; sie stellen das Hauptkontingent der Sklaven. Daneben gibt es noch etwa 10000 Augur-Indianer, die aus dem Norden Mexikos mit Frauen und Kindern in die Fieberluft Zentralamerikas deportiert werden, und ein paar tausend Chinesen. Frem­den gegenüber erklären die Pflanzer, ihre Ar­beiter seien keine Sklaven, sie arbeiteten nur ihreSchulden" ab. Da sie aber kein Gehalt beziehen, bleiben sie ihr Leben lang Schuldner. Die Arbeit beginnt um 4 Uhr morgens und endet mit dem Eintritt der Dunkelheit. Nur eine Tagesmahlzeit, bestehnd aus Gemüse und übelriechenden Fischen, wird den Sklaven gereicht, nachts schlafen sie in einer Scheune, die nur einen Zugang hat und von einem bewaffneten Wächter bewacht wird. Die völlig unzureichende Kost, die unablässige Arbeit in der tropischen Sonnenglut und das Klima (bezeichnend ist, daß in den Städten des südlichen Mexiko Aasgeier die Straßenreinigung besorgen) raffen einen großen Prozentsatz der Sklaven, insbesondere der aus dem kühleren Sonora importierten Aaqui- Jndianer, schnell hinweg. Kranke müssen zur Strafe um halben Lohn arbeiten, der ihnen kreditiert" wird. Braucht ein Plantagenbesitzer Ersatz, so zahlt er entweder 260 ^ (an die Regierung) für einen Aaqui-Jndianer oder 400 mexikanische Dollar für einen Maya, der nun dem neuen Herrn dieSchulden" abarbeiten muß. Nicht genug damit, daß die Aaqui-Jndianer, ein gesundes und stolzes Bauernvolk, zur Strafe für frühere Rebellion, wahllos vom Pfluge und von der heimatlichen Scholle gerissen, daß Frauen und Kinder voneinander getrennt werden und alle schwachen Individuen auf dem menschen­unwürdigen wochenlangen Transport durch wildes Gebirgsland wie totes Vieh liegen bleiben und liegen gelassen werden, die von ihren Gatten ge­trennten Mütter werden sogar unter Schlägen gezwungen, einen Maya oder Chinesen zu hei­raten, damit neues Sklavenmaterial entsteht. Wer auf dem Felde nicht genug arbeitet, wird mit einem nassen Strick auf den entblößten Rücken solange geschlagen, bis dieser nur noch ein Ge­rinnsel von Blut ist. ' Zu entfliehen versucht niemand, da das Gelände außerhalb der Ha­cienden völlig wasserarm ist und weder Früchte noch eßbare Gräser in dieser Wildnis wachsen. In den Städten und Dörfern aber fahnden die Häscher nach den Flüchtlingen, die von der Po­lizei an die Plantagenbesitzer zurückgeliefert werden. Die mexikanische Regierung setzt alles daran, unliebsame Publikationen zu unterdrücken. Sie begnügt sich nicht nur mit der Zensur des eigenen Landes. Vor kurzem hat ein Prozeß gegen den Autor einerDiaz, der Zar von Mexiko" betitelten Schrift, die in den Vereinigten Staaten erschienen ist, ungünstig für den Ver­fasser geendet. Diaz hatte persönlich einen Rechtsanwalt Mexikos nach Amerika gesandt, der die Publikation und den Vertrieb des Pamphlets in Amerika durch Gerichtsbeschluß inhibieren lassen sollte. Man darf gespannt sein, ob den Artikeln des Herrn Turner imfreien" Amerika ein ähnliches Schicksal blüht; die ersten Schritte dazu sind bereits getan worden.

Die hungernden Bögel bitten nm Futter!

Reklametett.

-»

empfiehlt zum Wintersport

grünchk Zvrst»;«. Zschr«, Zlmrk, ji<M;e!mIl«, Mu«, Ztriim-k«, 5I«t«».