274.
Amts- und Anzeigeblatt sür den O-eramtsbezirk Calw.
84. Jahrgang.
Srfcheii>mii>«tag«: Monta Sonn«r»taa, Areitag und >y Psg, pro Zell» sür ktadt u. Bezirk-orte; außer
Dienstag, Mittwoch, ams tag. Jnsertionspreis ' T Be ^
S-,irk IS Psg.
Dienstag, den 23. November 1909.
BezugSpr.i.d. Stadt >/^LHrl.m.Lriigerl.Mk. 1.25. Postbezugspr. s.b. Orts- u. Nachbarortsverk.'/^ährl. Ml. 1.20, im Fernoertehr Ml. 1.30. Bestellg. in Württ. so Psg., in Bayern u. Reich 42 Psg.
TGKe8«eNiHrei1eK.
Calw 22. Nov. Unter dem Vorsitze des Fabrikanten Krüger hier hat die Bezirks- krankenkasse gestern ihre ordentliche Generalversammlung im „Bad. Hof" hier abgehalten. Dieselbe war von 26 Interessenten besucht. Nach vorangegangener Begrüßung der Anwesenden erstattete der Vorsitzende einen umfangreichen interessanten Bericht über das Geschäftsjahr 1908. Wir möchten aus demselben folgendes hervorheben: Von den 907 Krankheitsfällen mit 20 881 entschädigten Krankheitstagen dauerten 14 volle 26 Wochen. Diese 14 Patienten waren bei Ablauf der Unterstützungszeit noch nicht hergestellt und mußten der Fürsorge der Versicherungsanstalt überwiesen werden. Bei den durchgeführten 7 besonderen Heilverfahren konnten 6 Patienten als gebessert entlassen werden, in einem Falle war das Heilverfahren erfolglos.
Es gibt leider immer noch verhältnismäßig viele Versicherte, welche sich um die Jnva- liden-Versicherung überhaupt nicht bekümmern und ihre Karten, selbst wenn sie eine größere Anzahl von Marken enthalten, beim Wechsel der Arbeitsstätte zurücklassen, so daß die Versicherung unter Umständen wieder erlischt.
Auf 1. Oktober 1908 wurde das Kranken- schein-System voll durchgeführt und die neue Einrichtung auf alle mögliche Arten zur Kenntnis der Versicherten gebracht, ja dieselben sind teilweise persönlich instruiert worden. Wenn trotz alledem heute noch viele Versicherte zu den Aerzten gehen, ohne sich zuvor die erforderlichen Krankenscheine verschafft zu haben, so sieht man hieraus, wie schwer es in unserem Bezirke hält, Neuerungen einzuführen und Ordnung in der Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe zu schaffen.
Der etwa 250 Mk. betragende Mehraufwand für die eingeführte verschärfte
Kranken-Kontrolle ist zweifellos gut angewendet, weil durch häufigere Kontrolle bessere Ordnung in der Lebensweise der Erkrankten herbeigeführt und bei manchem Patienten, sobald er sich kontrolliert weiß, die Krankheitszeit abgekürzt wird.
In Betreff des Abmangels, welcher durch die land- und forstwirtschaftlichen Arbeiter, Gemeindebediensteten und Hebammen der Krankenkasse verursacht wird, ist vorbehältlich der Zustimmung der Amtsversammlung vereinbart worden, daß die Amtskorporation für die Jahre 1910, 1911 und 1912, bezw. bis zum Inkrafttreten der Reichs-Vers.-Ordnung 80 Prozent des Fehlbetrags der Krankenkasse ersetzt.
Der von Kassier Kober vorgetragene Rechnungs- und Kassenbericht gab zu keinerlei Bemerkung Anlaß und es wurde demselben sodann von der Versammlung Entlastung erteilt.
Der Vorsitzende Fabrikant Krüger sah sich veranlaßt, mit Rücksicht auf den erlittenen Brandschaden und seine dadurch entstandene Betriebsänderung bezw. Einstellung, seine Funktion niederzulegen; nachdem jedoch namens der Versammlung Stadtpfleger Dreher ihn ersucht hatte, seine Stelle bis auf Weiteres beizubehalten, erklärte er sich hiezu bereit und es fiel eine Wahl für Arbeitgeber hiernach weg. Bei der Ergänzungswahl der Arbeitnehmer wurden die seitherigen Vorstandsmitglieder Polizeiwachtmeister Biedermann, Buchhalter Schüttle, Appreteur Hoß und Buchdrucker Störr wiedergewählt. — Gleichzeitig wird auf den Rechenschaftsbericht in heutiger Nummer hingewiesen. X.
Böblingen 22. Nov. In Sindel- fingen fand gestern nachmittag im Gasthaus zum „Adler" eine Versammlung zwecks Gründung einer Ortsgruppe des Hansa-Bundes statt. In dieser sprach Redakteur Bayer über Zweck
und Ziele des Hansa-Bundes. In der zahlreich besuchten Versammlung zeichneten sich etwa 70 Mitglieder in die aufgelegte Liste ein. Zum Vorsitzenden der Ortsgruppe wurde Stadtdekan Wittmann gewählt.
Stuttgart 22. Nov. Der Streit um das große Los der diesjährigen Stuttgarter Geld- und Pferdelotterie, der nun beinahe sieben Monate die Gerichte beschäftigt, ist nunmehr entschieden. Der Bäckermeister von Bückingen, dessen Berufung vom Oberlandesgericht verworfen wurde, hat auf Revision verzichtet. Der Gewinn von 40 000 ^ wird noch diese Woche den 4 Arbeitern von Vaihingen ausbezahlt werden.
Cannstatt 22. Nov. Gestern abend hat sich eine 18 Jahre alte Frauensperson durch Genuß von Sauerkleesalz das Leben nehmen wollen. Sie wurde aber von Hausbewohnern noch lebend vorgefunden und durch eine Taffe Tee, die sie zum Erbrechen reizte, von dem Gift befreit. — In der vergangenen Nacht verübten drei Männer in grober Weise Nachtruhestörung. Einen Schutzmann, der sie zur Ruhe aufforderte und nach ihrem Namen fragte, mißhandelten sie, indem sie ihn zu Boden warfen, im Straßenschmutz herumzogen und fortgesetzt mit den Fäusten auf ihn einschlugen. Drei Arbeiter unterstützten schließlich den Schutzmann, so daß es gelang einen der Raufbolde festzunehmen. — Gestern nachmittag wurden in einer Wohnung 800 Mk. gestohlen. Einer der Täter wurde noch abends in Bietigheim festgenommen.
Tübingen 22. Nov. In einer hier aufgestellten Schießbude explodierte gestern der Acetylenkessel, wodurch ein Arbeiter im Gesicht schwere Brandwunden davontrug.
Neidlingen O.A. Kirchheim u. T. 22. Nov. Gestern früh kurz nach acht Uhr ist in der Gunzenhauser'schen Mühle Feuer
Im Klosterhof.
Roman von B. v. Lancken.
(Fortsetzung.)
Ihre Worte hatten den Zauberbann zerrissen, mit dem sie ihn eben umstrickt, und noch lebte so viel Pflichtbewußtsein in ihm, vielleicht auch noch so etwas wie Liebe für Inge, was ihn nicht ganz der immer mehr wachsenden Leidenschaft verfallen ließ.-
„Sie denken groß und edel, Evelin, und auf eines dürfen Sie stets fest zählen in allen Lagen des Lebens. Ich bin Ihr Freund, Sie haben es gesagt, und ich betrachte es als ein großes, herrliches Recht, mich so nennen zu dürfen."
Er hatte sich ihr entgegengebeugt und aufs neue ihre Hand ergriffen, die er an sein Herz drückte, während seine blauen Augen sie mit jenem sonnigen, zärtlichen Leuchten ansahen, das so leicht den ernstesten Widerspruch ihm gegenüber entwaffnete.
„Ich danke Ihnen, Armand, danke Ihnen von ganzem Herzen, bleiben Sie dem Glauben an mich treu, lasten Sie sich nicht irre machen durch das Urteil der Welt und der Menschen, unter dem ich so schmerzlich gelitten." Tränen zitterten an ihren Wimpern, und fielen auf die gefalteten, im Schoß ruhenden, zarten Hände; ehe sie's verhindern konnte, kniete Armand Ferni nieder an ihrer Seite, und seine heißen, trockenen Lippen tranken die glänzenden Tropfen von ihrer Hand.
Inge Hermstein ging ganz allein über das Feld am See entlang, der Wind zauste und zerrte an ihren Kleidem, es war kalt und unfreundlich. Das Wasser brauste, in seinen Tiefen aufgewühlt, und ans Ufer brandend,
überstürzten sich die weißen Wogenkämme, der Gischt flog oft bis zu Inge hinüber, netzte ihr Kleid, ihr Gistcht, der Möve scharfer Schrei traf ihr Ohr. Der Aufrnhr der Elemente tat ihr wohl, sie war ja hinausgeeilt, um Ruhe vor der entsetzlichen Unruhe zu finden, die ihr Herz quälte, die sie von Ort zu Ort trieb, die sie keine bleibende Stätte finden ließ, weder in ihrem Stübchen, noch neben Gräfin Lie, weder im Garten, noch sonst irgendwo im Haus. Inge fürchtete sich vor sich selbst, vor all dem Neuen, Fremden, Unglaublichen, das sich drinnen in ihrem eigenen Herzen regte, und das sie nicht deuten konnte, nicht begriff, das sie niemand hätte offenbaren können, weil sie es nicht einmal in Worte zu kleiden vermocht hätte. Und wie sie nun so dahin schritt, so einsam und sturmumweht in den schwarzen, flatternden Kleidern, mit dem angstvollen Ausdruck in den großen, ernsten Augen, dem blaffen, schmalen Gesicht, da glich sie dem Schmerz, der über die Erde geht, den Menschenkindern ein trauriger Gefährte. —
Es war anders geworden zwischen ihr und Armand, es war, als ob sich eine unsichtbare Scheidewand zwischen ihnen aufgerichtet, als ob etwas nicht deutlich Wahrnehmbares sie von einander dränge, und sie, Inge, sie traf weder den rechten Ton, noch das rechte Wort, diese Scheidewand zu beseitigen und den Weg zurückzufinden zu seinem Herzen; sie klagte sich fortwährend selbst an, und alle anderen sagten ihr doch, daß sie ihm mehr gab an Geduld und Freundlichkeit, als es eine Braut getan haben würde, seinem wechselnden Wesen gegenüber, das zwischen übertriebener Zärtlichkeit und abstoßender Kälte, zwischen einem sie Suchen und sie Meiden schwankte.
Jetzt war sie auf dem Weg nach dem Klösterhof, es war weit, aber sie hatte den Wagen, den Gräfin Volgers ihr anbot, abgelehnt, und man hatte verabredet, daß die Gräfin zum Tee Nachkommen und sie abholen wollte. — Die Einsamkeit ringsumher tat ihr wohl, die traurige Oede der Landschaft stimmte mit ihren eigenen Empfindungen überein. So weit dehnten sich die Felder, so leer und schmucklos, so fast gänzlich entlaubt