Amts- und Anzelgeblatt für den Gberamtsbrzirk La!w
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Erschrinun-SLa-e: Montag, Dienstag, Mittwoch, Donner-tk^. Freitag und Samstag. JnsertionSpreiS 10 Vfg. pro Zelle für Stadt u. vezirkSorte; außer Bezirk 18 Vsg.
Montag den 22. November 1909.
Y-zugSpr.i.d. Stabt >/^LHrl.m.Triigerl.Mk. I.2S. Postbezugrpr. s.d.OrtS- u. NachbarortSverk.-/«jiihrl. Mk. l.2».tm Fernverkehr Ml. l.so. Bestell», in Württ. So Pfg.. in Bayern u. Reich 42 Psg.
TasesseKiskeite».
Calw. Die gestern Abend im Vereinshaus von Herrn Pfarrer a. D. Burk veranstaltete Lichtbildervorführung hat allen, die daran teilnahmen, nicht nur hohen Genuß, sondern in der Tat eine weihevolle Stunde gebracht. Die von dem französischen Maler Burnand ursprünglich mit Pastellstift in drei Farben ausgeführten Zeichnungen veranschaulichten uns die Gleichnisse Jesu in überaus feiner und lebensvoller Weise. Die eingestreuten, von sangeskundigen Gemeindegliedern vorgetragenen Solostücke und passende von der Versammlung gesungene Liederverse erhöhten wesentlich die weihevolle Stimmung. Wer sollte sich nicht freuen und dankbar sein, wenn so die edle Kunst in den Dienst der Gemeinde gestellt wird.
*Calw22.Nov Die Deutsche Friedensgesellschaft hielt gestern abend ta der Brauerei I. Dreiß eine Versammlung ab, in der Pfarrer Wagner in Neuhengstett einen Vortrag über „DaS Zel der Friedensbewegung" hielt. Nach einigen einlettenden Worten von Postsekcetär Kauff- mann führte der Redner in glänzender Rhetorik folgendes aus. Die Fciedensgesellschaft verdanke ihr Entstehen moralischen Tendenzen, sie erhebe Protest gegen den Krieg und gegen die doppelte Moral des Staates. Einem Staatsbürger sei es nicht erlaubt, ungestraft einen andern Menschen zu töten, bei der Diplomatie sei dies anders, sie glaube, sie habe das Recht, Menschenleben zu vernichten, wie es eben in ihre Aktionen passe, es kann aber nur eine Moral geben, die sowohl auf das öffentliche Leben wie auf das Staatswesen anzuwenden sei. Bei den Staaten herrsche aber der bekannte Grundsatz: Gewalt geht vor Recht, was soviel heiße als Gewalt ist das Recht; dieser Grundsatz sei aber total falsch, denn Recht und Gewalt gevöreu nicht zusammen, sie stehen vielmehr in tatsächlichem Widerspruch zu einander. Es sei eine Unnatur, im Kriege
Menschen zu töten, die man noch nie gesehen habe; die Vö.ker hätten sich allerdings an Kriege so gewohnt, daß sie sich über das grausame Morden gar keine Gedanken mehr machen. Aus dem Widersinn der Staatshandlungeu sei als Protest d'e Friedensbewegung des 19. Jahrhunderts hervorgerufen worden. Diese Bewegung sei zu einer Art von Wissenschaft geworden, denn sie habe sich schon die Universitäten erobert. Was sei nun das Ziel der Friedensbewegung? Selbstverständlich der Friede, aber nicht ein Friede in der jetzigen Form, sondern das Ziel sei höher zu stecken. Der Friede, wie er gegenwätttg herrsche, führe zum finanziellen Ruin der Völker, es sei unmöglich, daß die Rüstungen der Völker so fortgehen können, denn dieser sogenannte Friede koste ungeheure Summen. Dieses Wettrüstm halte die Kultur in entsetzlicher Weise darnieder, es leide darunter die soziale Frage, das Schulwesen, das Sanitätswesen; nicht ein Friede herrsche gegenwärtig, sondern ein latenter Kriegszustand, zwar nicht offen, aber im geheimen durch die gewaltigen Rüstungen. Die Friedensbewegung erstrebe einen ganz andern Frieden, einen dauernden Frieden, einen Weltfrieden unter allen Staaten über die ganze Erde hin, einen Zustand, in dem alle Streitigkeiten auf friedliche Weise, durch ein Schiedsgericht geschlichtet würden. Diese Einrichtung habe den großen Vorteil, daß ein Streit gar nicht die Schärfe annehme, wie es seither der Fall gewesen sei, denn ein Streitfall gebe keinen Kriegsfall. Ein derartiges internationales Schiedsgericht bestehe seit dem Jahr 1899 im Haag. Das Ziel der Friedensbewegung lass- sich am besten in dem Wort: „Organisation der Welt" ausdrücken. Zunächst sollen die Kulturvölker und späterhin auch die unzivtlisierten Völker in die Organisation der Welt heretngezogen werden. Diese Idee der Friedensbewegung sei schon alt; Alexander der Große und die römischen Cäsaren hätten diese Ideen vertreten und sie auf Grund der Weltmonarchte durchführen wollen. Dieser Weg sei aber nicht gangbar gewesen und so sei man schon im Mittelalter und auch in ne lerer Zeit auf das
Ziel der Bewegung in der Form des Staatenbundes gekommen. Was solle nun aber tue Grundlage sein, auf der die Organisation der Welt sich anf- bauen könne? Sehr bedeutende Ansätze zur Verwirklichung der Idee seien schon vorhanden; die Völker seien in technischer und wirtschaftlicher Beziehung sich sehr nahe gekommen, aus dieser Gemeinschaft ergebe sich eine Gemeinsamkeit der wirtschaftlichen und nationalen Interessen von selbst. Die Annäherung der Völker nehme bei der Verteilung eines überaus großen Kapitals unter den Kulturvölkern ständig zu und so sei dieser technische und geistige Verkehr die Grundlage geworden für die Organisation der Welt. Die Verkehrsmittel werden immer mehr international und bestimmte Einrichtungen, die schon vorhanden seien, zeigen, wie der staatliche und der private Internationalismus fort- währenv an Boden gewinne. Auf dem Gebiet des Völkerrechts seien jetzt viel mehr wirtschaftliche als politische Verträge abgeschlossen worden; das Völkerrecht habe eine ganz andere Bedeutung erhalten, zumal internationale Aemter und Verwaltungsbehörden überall eingesetzt seien; es dürfe hiebet nur erinnert werden an die Donaukommission, Kongo- und Suezkommisfion, an die Weltpostunion, lat. Münzkonvention, Genferkonven- tion, an das blaue Kreuz, an den Weltbund christlicher junger Männer u. s. w. Im ganzen seien bereits 223 internationale Organisationen mit ständiger Vertretung vorhanden. Dadurch seien die Menschen immer mehr angewiesen, sich zu rähern und die Landesgrenze werde später nur noch Verwaltungsgrenze sein. Wie ans technischem und wirtschaftlichem Gebiet habe sich auch auf geistigem Gebiet ein internationales Geistesbewußtsein vollzogen, die Menschheit wurde dazu geführt, auf hoher Kulturstufe zu stehen, dann erst werde sich das Glück des Menschen entfalten, soweit es auf Erden möglich sei, die Völker müssen sich nähern in friedlicher Kulturarbeit. Die künftige Organisation der Welt sei so zu denken, daß 1) zunächst die Völker Europas sich vereinigen wie die Vereinigten Staaten
Im Llosterhof.
Roman von B. v. Lancken.
(Fortsetzung.)
Armand schwieg, wie jemand, der einen Widerspruch aufgibt, nicht weil er überzeugt ist, sondern weil er es für überflüssig hält, über eine Sache zu sprechen, in der er seine feste Meinung hat, es lag ein Zug von Trotz auf seinem hübschen Gesicht, auf dem Calleins ein Ausdruck, der ein klein wenig an Geringschätzung streifte. Beide sprachen nicht, beide blickten geradeaus, in die Ferne. Als die Türme von Neudeck in Sicht kamen, zog Armand die Uhr.
„Verzeih'," sagte er mit sehr viel Höflichkeit und sehr viel Kühle im Ton, „es ist etwas später geworden, als ich dachte, ich komme ein anderes Mal."
„Wie Du willst", gab Callein gleichgültig zurück; sie reichten einander die Hände und ritten, der eine den schmalen Pfad hinab zum See, der andere hinauf nach Neudeck.
Die Unterredung mit Markus hatte, wie das oft der Fall ist, gerade die entgegengesetzte Wirkung, die Anna erhofft. Erstens hatte sie Armand tiefer erregt, als er sich den Anschein gegeben, und an dieser Erregung merkte er, wie leidenschaftlich er für Evelin fühlte, und ivenn dies Gefühl auch wirklich noch von Liebe weit entfernt war, es beherrschte ihn doch mehr, als er es selbst für möglich gehalten, zweitens lehnte er sich gegen die gemachte Bevormundung des lieben Vetters auf.
Es war wirklich schon recht spät geworden, wenn Evelin denken könnte, er käme nicht.-Er gab dem Fuchs die Sporen und galop
pierte über das Feld, seine Gedanken waren bei ihr und bei dem, was Callein ihm gesagt. Er glaubte es nicht. Aus einigen kaum vernehmbaren Andeutungen EvelinS schloß er, daß Markus sich einmal vergebens
um die Gunst der schönen Frau beworben, und so weit hatte ihn sein Empfinden für sie schon umstrickt, daß er daraus folgerte, Callein habe als abgewiesener Bewerber gesprochen. Callein, dem noch nie ein Weib widerstanden und der sich eher' hätte töten lassen, als ein Weib verraten würde, das auch nur einigermaßen der Schonung wert war!
Schaumbedeckt war der Fuchs, als Armand über den Schloßplatz nach Solitüde hinaufsprengte, und Evelins Diener, ein glattrasierter, älterer Mensch, der Typus der raffininiert-verschlagenen Lakaien, der schon lange in Evelins Diensten stand, empfing ihn mit der Ehrerbietung wie jemand, den er halb und halb schon als künftigen Gebieter ansah.
„Frau Baronin sind im Boudoir und erwarten Herrn v. Ferni. Die gnädige Frau ist ausgegangen."
Die „gnädige Frau" war die dicke Tante Carolin.
„Erlauben, Herr v. Ferni."
Meisel, so hieß dies Juwel von Diener, trat mit einer Bürste heran und fuhr über Armands Rock, während dieser vor dem Spiegel sein Haar glättete, Kragen und Kravatte in Ordnung brachte, den Foulard etwas aus der Rocktasche herauszog und die Schnurrbartenden nach oben drehte. Rasch durchschritt er den Salon und stand Evelin Horst gegenüber.
Die junge Frau trug ein reizendes Negligee von blaßrosa Seide, das, mit goldenen Schnüren um die schlanke Taille zusammengehalten, sich über einem Unterkleid von kostbaren Points öffnete, ebensolche Spitzen umrahmten den Hals und füllten die weit offenen, lang herabfallenden Aermel, die die schön geformten, zarten Arme frei ließen. Die feinen, lichten Stores milderten die trübgrauen Farbentöne des Nooembertages, und Körbe frischer Blumen zauberten einen Hauch des Frühlings in den üppig ausgestatteten Raum. Ein Imbiß, Früchte, etwas leichtes Gebäck und eine Flasche Champagner, standen bereit.
„Kommen Sie endlich, lieber Freund?" rief Evelin, Armand die zarte Hand entgegenstreckend, die er an seine Lippen zog und küßte.