blieb nun bis morgens früh in diesem dunklen, feucht-nassen, jeder frischen Luft ermangelnden Kellerraum liegen, ohne daß ihm eine Decke oder Wasser gegeben wurde. Am Morgen wurde er dann ohne weiteres Verhör entlassen mit dem Bemerken, „man wolle ihn ausnahmsweise gehen lassen". Jlg hatte sich durch den Aufenthalt in dem dunklen, nassen Kellerraum sofort eine starke Erkältung zugezogen und wurde daneben durch die Mißhandlungen ebenfalls schwer an seiner Gesundheit geschädigt. Er mußte sich sofort nach seiner Ankunft dahier in ärztliche Behandlung begeben, und ist nunmehr seinem Leiden, das zweifellos mit der schweren Mißhandlung im Zusammenhang steht, erlegen. Es hat sich bereits die Staatsanwaltschaft in Basel mit der Sache näher befaßt, und es wäre zu wünschen, daß gegen die Uebeltäter in strengster Weise vorgegangen wird. Das Tragische bei dieser Sache ist, daß Jlg nicht Deutscher, sondern Schweizer Bürger war. Ueber den Ausgang der Untersuchung, die eventl. zu der Erhebung einer zivil- rechtlichen Klage für die Erben führen wird, soll später berichtet werden. Eine gerichtliche Sektion der Leiche hat bereits stattgefunden.
München 28. Okt. Eine hübsche Hofbräuepisode weiß die Münchner Post zu berichten. Es war ein offizieller Abend auf Einladung der Stadtgemeinde, und es wurde wieder einmal sehr schlecht eingeschenkt. Von den Stadträten stellten deshalb mehrere den Wirt zur Rede, der aber erwiderte, das Bier treibe so stark, die Krüge könnten beim besten Willen nicht besser gefüllt werden, „und wenn der Polizeipräsident selbst dasäße". „Aber der sitzt ja da!" erwiderte nun der Magistratsrat und wies auf den gegenübersitzenden Herrn. Wie von der Tarantel gestochen tanzte nun der Pächter um den Tisch herum, packte das polizeipräsidiale Maß und stürzte davon, um bald darauf mit einem tadellos bis zum Rand gefüllten Krug zurückzukehren, den er mit vielen Bücklingen und Entschuldigungen vor den Polizeigewaltigen hinstellte. Dieser meinte jedoch sehr unwillig, es sei eine Schande vor den Fremden, wenn so eingeschenkt werde. Die Münchner Post meint, es werde mit dem schlechten Einschenken im Hofbräuhaus wohl kaum anders werden, es sei denn, der Hofbräustammgast nehme zu seiner Sicherheit jedesmal den Polizeipräsidenten mit.
Darmstadt 31. Okt. Heute morgenLUHr 40 Min. ereignete sich hier ein schweres Automobilunglück. Als der Zug Nr. 7 der Dampf- siraßenbahn Griesheim-Darmstadt sich der Kreuzung auf der Darmstadt-Griesheimer Chaussee näherte, kam ihm von Darmstadt her ein Automobil in rasender Geschwindigkeit entgegen.
Die Geschwindigkeit wurde trotz wiederholter Glocken- und Pfeifensignale nicht vermindert. Der Lokomotivführer brachte deshalb den Zug am Bahnübergang vor Erreichung der Straßenmitte zum Stehen. Auf den nun haltenden Zug fuhr das Automobil so heftig auf, daß sich der Hintere Teil desselben überschlug und die Insassen mit großer Wucht gegen die Lokomotive geschleudert wurden. Ein Mann und eine Frau starben alsbald an den erlittenen Verletzungen, der Chauffeur und der vierte Insasse wurden schwer verletzt in das Darmstädter Krankenhaus gebracht. Die Toten sind: Frau Wolfsturm aus Darmstadt, Inhaberin eines Weinrestaurants, Ingenieur Müller von den Adlerwerken in Frankfurt a. M.; die schwer Verletzten: Ingenieur Grünig von den Adlerwerken und der Chauffeur Schmidt.
Köln 1. Nov. Bei den heutigen Luftschiffvergleichsfahrten handelte es sich um eine Art Geschwindigkeitsprobe. Hierzu stieg ? 1 um 1.43 Uhr von der Halle auf. Das bereits um 1.30 Uhr ausgestiegene Militärluftschiff II nahm mit 7 Minuten Abstand die Verfolgung des ? I auf. Beide Luftschiffe erreichten ihr Ziel, ohne daß sich die anfängliche Entfernung zwischen beiden wesentlich geändert hätte. Die Windstärke betrug 6,8 aus Südosten. Die Hinfahrt war außerordentlich flott, da sie mit dem Winde ging. ? I überholte einen Zug. Beide Luftschiffe landeten um 3 Uhr kurz hintereinander vor der Halle. Morgen findet kein Aufstieg statt.
Hamburg 1. Nov. Bei den Flugveranstaltungen in Groß-Borstel stieg heute nachm, der Mechaniker Pequet mit dem Zweidecker des Chilenen Sanchez Besä auf. Pequet hatte die Flugbahn in ziemlich bedeutender Höhe mehrmals umflogen, als plötzlich aus der Flugmaschine Flammen aufsprühten und der Benzinbehälter explodierte. Es gelang dem Mechaniker, den Zweidecker im Gleitflug zur Erde niedergehen zu lassen. 5 Mir. vom Erdboden entfernt, sprang Pequet ab und blieb zunächst besinnungslos liegen, erholte sich aber bald. Er wurde mit anscheinend leichten Verletzungen an der Brust in ein Krankenhaus gebracht. An der Flugmaschine sind die Leinwanddecken verbrannt.
Barmen 1. Nov. Der Rektor einer Volksschule sah einen 12jährigen Knaben auf der Straße rauchen. Er versetzte ihm eine so kräftige Ohrfeige, daß der Knabe unter die Räder eines Straßenbahnwagens geriet. Diese zermalmten ihm beide Beine und verletzten ihn so schwer, daß der Knabe bald darauf verschied. Der Rektor wurde von der empörten Volksmenge verfolgt und geschlagen.
Paris 1. Nov. Wie das B. T. berichtet, entstand in der Nacht zum Sonntag in der Nähe des Montmartrefriedhofes plötzlich eine Bodensenkung, in der zwei Passanten verschwanden. Einer konnte gerettet werden. Dagegen ist es bisher noch nicht gelungen, die zweite verschüttete Person, eine Frau, aus ihrem Grabe zu befreien. Da die benachbarten Häuser durch die Bodensenkung stark gefährdet sind, hat die Polizei ihre Räumung angeordnet.
Rom 18. Okt. Der Militärlenkballon ist gestern früh 8.30 Uhr in Bracciano zu einer Fernfahrt nach Neapel aufgestiegen, wo er um 1.30 Uhr nachmittags eintraf. Nachdem er mehrere Manöver über der Stadt ausgeführt hatte, trat er die Rückfahrt an und landete um 10 Uhr abends glatt in Rom.
Rom 1. Nov. (Ein gräßliches Unglück.) Der italienische Lenkballon mußte auf seiner Rückfahrt von Neapel in Rom einen mehrstündigen Aufenthalt nehmen, um sich mit Gas und Benzin zu versehen. Als er um 1 Uhr morgens weiter fahren wollte, ereignete sich ein gräßliches Unglück. Trotz des dichten Nebels und der Nachtzeit hatten sich einige hundert Personen eingefunden, um das Luftschiff zu bewundern. Als dieses sich erhob und das Kommando „Loslassen" erscholl, wollte Leutnant Rovetti die Menge zurücktreiben, kam -aber dabei selbst der mit großer Geschwindigkeit sich bewegenden Schraube so nahe, daß diese ihn traf und ihm denSchädel bis zum Unterkiefer abriß. Der Schnitt war so glatt, als wäre er mit einem Rasiermesser vollzogen. Der Getroffene brach sofort tot zusammen. Das Luftschiff bleibt in Rom, bis die Gerichtsbehörde ihre Untersuchung beendet hat. Die nächsten Probefahrten wird der Ballon nach Genua und Venedig machen.
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auf dem Rücken, geht letzterer auf und ab. Armand sitzt in einem Lehnstuhl und blickt starr vor sich nieder; in seinen Zügen arbeitet fieberhafte Erregung, er sieht abgespannt, unendlich mitgenommen und elend aus, und in den Augen, die sich jetzt beim Eintritt der beiden Mädchen langsam heben, liegt so viel Weh und Jammer und Hilflosigkeit, daß Inge an seine Seite eilt, den Arm um seine Schulter legt und sein Haupt an ihre Brust pressend, sich niederbeugt, um seine Stirn zu küssen.
„Mein armer, armer Armand," flüstert sie, zärtlich tröstend. Während Anna in das Krankenzimmer geht, bleibt Callein zurück, er steht jetzt, die Arme über der Brust verschränkt, mit dem Rücken am Fenster und sieht auf die Beiden; wenn sein Blick auf Armand ruht, spielt ein halb mitleidiges, halb verächtliches Lächeln um seinen Mund. In diesem Moment begegnen sich seine und Inges Augen, und sie weiß, was in ihm vorgeht, sie liest aus seinem Blick heraus, was er denkt, und es kränkte sie in Armands Seele.
„Komm, Armand," bittet Inge, „wir wollen zu Deiner Mutter gehen."
Er schüttelt den Kopf — „Ich kann nicht, Inge, es bricht mir das Herz — ich kann nicht." Sie fühlt, wie ihr das Blut in die Wangen steigt. Ohne daß sie ihn jetzt ansieht, weiß sie, daß sich der Ausdruck des mitleidig verächtlichen Lächelns in Calleins Zügen verschärft hat. Mitleid! Er bemitleidet den Mann, den sie liebt, und nicht dem Kummer dieses Mannes gilt sein Mitleid, sondern dem Manne selbst, weil dieser Mann nicht die moralische Kraft besitzt, dem Schweren und Schmerzlichen ins Auge zu sehen.
„Aber vielleicht verlangt sie nach Dir," drängt sie, „komm doch, komm!"
„Anna ist ja bei ihr, außerdem — ich — war eben dort, und sie weiß es, ich kann nicht leiden sehen, was ich liebe."
Ihre Hände gleiten von seinen Schultern, ein eigenes, quälendes Empfinden regt sich in ihr, sie will noch etwas sagen, etwas, was ihn
gleichsam entschuldigen soll vor dem andern, sie findet das Wort nicht.
Merkwürdig, die Trauer, die Angst um die Kranke ist momentan gar nicht vorherrschend bei ihr, sondern ganz etwas anders, ein fremdes Gefühl, ein Gefühl des Zornes gegen den Grafen.
Das Krankenzimmer, in dem Frau v. Ferm liegt, ist ein großer, luftiger Raum, nichts von der schwülen, dumpfen Atmosphäre, die man sonst in Krankenstuben findet; das breite Fenster ist geöffnet, draußen zwitschern die Vögel, der frische, kühle Hauch des erwachenden Tages zieht herein; an dem breiten Bett, hinter dem mit blauer Seide bespannten Paravent, liegt die Kranke, das volle graue Haar breitet sich über die weißen, spitzenbesetzten Kiffen, die Hände ruhen gefaltet auf der heftig atmenden Brust; in dem schönen gütigen Antlitz hat die Krankheit arge Verheerungen angerichtet; die Augen sind tief zurückgesunken, und die Nase tritt scharf hervor, aber heute liegt noch ein anderer, ein fremder Ausdruck darauf. Die Stirn ist wachsbleich und wie Inge jetzt die Hand darauf legt, fühlt sie eine eisige Kälte; Anna sitzt an der andern Seite des Bettes. Marianne schlägt langsam die Augen auf. Als sie die beiden Mädchen gewahrt, zuckt ein mattes Lächeln um ihre Lippen, und dann wendet sie den Kopf, ihre Augen suchen jemand, sie sicht nach rechts, nach links und wieder nacki der halbgeöffneten Tür, die ins Nebenzimmer führt.
„Armand!" Es kommt wie ein Hauch über die blaffen Lippen.
„Dort, Mama."
Anna weist nach der Tür. Leise winkend bewegt Frau v. Ferni die Hand.
„Kommen — Kommen." Das ist alles. Inge steht auf und ruft ihn.
Langsam, schleppenden Schrittes tritt er über die Schwelle. Alle Elastizität scheint aus seinen Bewegungen verschwunden zu sein. — Bei seinem Anblick geht es wie ein Glückleuchten über die Züge seiner Mutter, und als das Brautpaar neben ihrem Lager steht, richtet sie sich mit einer letzten Anstrengung empor — und greift nach Armands und Inges Händen.
(Fortsetzung folgt.)