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unter Bedeckung des Kommandanten und der Schutzleute den Heimweg antreten, wurden aber trotzdem wieder mit Steinen beworfen.

Aalen 22. Okt. Der ca. 40 Jahre alte verheiratete Gipsermeister Leins hat sich gestern morgen im Kocher ertränkt. Schon seit längerer Zeit zeigte er Spuren von Geistes­gestörtheit. Er hinterläßt eine Witwe und 2 Kinder.

Ulm 22. Okt. Das Schwurgericht verurteilte gestern den wegen Mißhandlung seiner-zänkischen Frau schon vorbestraften Holz­dreher Joh. Hofele von Ditzenbach wegen ein­facher Körperverletzung, verschuldet an seiner Ehefrau, und wegen Nötigung zu einem Jahr Gefängnis unter Anrechnung von drei Monaten Untersuchungshaft. Hofele hat bei einem ehe­lichen Streit seiner Frau einen Strick um den Hals gelegt und die Schlinge stark zugezogen, sie und seine Tochter durch Drohungen mit Hinmachen" auch bestimmt, von einer Anzeige abzusehen. Der Postagent Otto Bauer in Wellenhausen bei Neu-Ulm hat ein von der Schätzungsbehörde zur Post gegebenes, an die Hagelversicherungskammer gerichtetes Paket aus Neugierde geöffnet und gelesen. Die Straf­kammer Memmingen verurteilte ihn Hierwegen zu 3 Monaten Gefängnis.

Saulgau 22. Okt. Eine üble Sub- missionsblüte ist hier zu verzeichnen. Bei der Vergebung von Arbeiten zum Neubau des Oberamtssparkaffengebäudes reichte ein Stutt­garter Maler ein Offert ein mit einem Ab­gebot von sage und schreibe fünfzig Prozent auf die Preise des Voranschlags. Erfolg hatte der billige Mann allerdings nicht.

Mengen OA. Saulgau 22. Okt. Der Kaufmann Hofer hier, ein Mann in den besten Jahren und Inhaber eines gutgehenden Spezerei- und Spirituosen-Geschäfts hat sich das Leben genommen. Sorgen materieller Art liegen nicht vor, auch das Familienleben des H. kann den Grund nicht bilden. Dagegen hat man bei dem Verstorbenen schon seit langer Zeit Spuren geistiger Zerrüttung bemerkt.

Biber ach 22. Okt. Bei der Einfahrt in die Station Biberach erblicken die von Friedrichs­hafen nach Ulm Reisenden eine Gebäudeaufschrift in auffälliger FormUlmer Hof". Das ist ein neues Gasthaus beim Bahnhof. Man sollte nun nicht glauben, daß diese Firma Reisende aus dem Konzept bringen könnte und doch ist das recht häufig so. Namentlich reiseungewandte Frauen, die nach Ulm reisen wollen, steigen öfter hier in Biberach aus, weil sie durch denUlmer Hof" zu der Meinung kommen, sie seien bereits in Ulm angelangt. Auf diese Art hat hier schon mancher den Anschluß versäumt.

Biberach 22. Okt. Ein hiesiger Vieh­händler übergab seinem Viehtreiber L. Notz von Kempten 240 ^ mit dem Auftrag, für ihn in Aßmannshardt ein Stück Vieh abzuholen und den Kaufspreis zu bezahlen. Der ungetreue Knecht machte sich mit dem Geld flüchtig und konnte bis jetzt nicht beigebracht werden, er soll sich nach Laupheim und von dort mit einem Frauenzimmer nach München gewendet haben.

Pforzheim 22. Okt. Beim Neubau der katholischen Kirche in dem benachbarten Dill- Weißen st ein ereignete sich gestern ein schwerer Unfall. Ein zum Aufziehen von Backsteinen benutzter Kasten stürzte infolge Reißens der Kette, dem 19 Jahre alten Taglöhner Maximilian Cecarello, ein Italiener, direkt auf den Kopf und verletzte ihn lebensgefährlich. Er wurde für tot ins Krankenhaus gebracht.

Pforzheim 22. Okt. Die Wahlschlacht ist geschlagen. Ihre Ergebnisse haben nicht überrascht. Die Wahltaktik der bürgerlichen Parteien hat ihre Früchte getragen. Wittum wäre schon im ersten Wahlgang mit Leichtigkeit gewählt worden, wenn die bürgerlichen Parteien sich vereinigt hätten gegen den gemeinsamen Gegner, den Sozialdemokraten Harter. So muß nun ein zweiter Wahlgang bei der bevorstehenden Stichwahl zeigen, ob nun Vernunft einkehrt in die Wahltaktik. Der 48. Wahlkreis ist wiederum dem Soz.Dem. (Geck) zugefallen, da die liberalen

Elemente sich den Luxus einer Parteispaltung geleistet hatten. Der dem. Kandidat Odenwald, welcher bei gemeinsamem Vorgehen auch von Nat.Liberalen gewählt worden wäre, hätte sicher­lich gesiegt, wenn alle Hebel mit vereinten Kräften gegen Geck in Bewegung gesetzt worden wären. Der Landbezirk ist in absehbarer Zeit den Sozialdemokraten schwerlich zu entreißen. Am Abend des Wahltags schlugen die National­liberalen ihr Hauptwahllager imSchwarzen Adler" auf, wo sich gegen 9 Uhr Saal und Galerien mit dichten Menschenmengen füllten. Hr. Gattner teilte die Wahlergebnisse mit, worauf Kandidat Alb. Wittum noch einige treffende Worte sprach. Der Redner dankte für das er­neute Vertrauen der Wähler und schloß mit der Zuversicht, daß beim nächsten Wahlgang sich die liberalen Elemente einigten, um einen nun einmal begangenen Fehler wider gutzumachen. Gegen Mitternacht löste sich die Versammlung auf.

München 22. Okt. Der Mann, der gestern die Bombe in der Burgstraße geworfen hat, soll ein geistig nicht normaler Mensch sein. Er habe schon vorher dem Besitzer des Cafe Perzl gedroht, das Cafe in die Luft zu sprengen.

Frankfurt a. M. 22. Okt. Parsevallll wird morgen vom Jla-Gelände aus seine große Heimfahrt nach Bitterfeld antreten. Heute hat das Luftschiff seine letzte Fahrt in Frankfurt unternommen. Major v. Parseval, der heute in Frankfurt eintraf, nahm an der Fahrt teil, außerdem der Militärattache bei der russischen Botschaft in Berlin, Oberst v. Michelson, im Aufträge seiner Regierung, die sich für den Ankauf eines Parseval-Ballons interessiert, ferner der englische Gardeoberst Churchill, der Chef­redakteur derNeckar-Zeitung" in Heilbronn, Dr. Jäckle und Stadtrat Bach-Heilbronn. Die mehrstündige Fahrt ging den Main entlang auf Wiesbaden und Mainz zu und wieder zurück. Das Luftschiff hatte gegen starke Böen anzu­kämpfen, die es gut überstand. Die Geschwin­digkeit betrug etwa 60 km.

Frankfurt a. M. 22. Okt. Der Kaiser von Rußland hat heute mittag auf seiner Reise nach Italien Frankfurt passiert. Der Sonderzug hielt hier auf der Station Goldstein, wo Maschinenwechsel stattfand. Die ganze Strecke, die der Zar auf seiner Reise berührte, war aufs strengste von Polizei und Eisenbahnmannschaften bewacht. An allen Stationen, wo der Zug ge­zwungen war, zu halten, war ein größeres Po­lizei-Aufgebot zu sehen. Die berittene Frank­furter Schutzmannschast hat den Wald zu beiden Seiten der Bahn lt. Frkf. Gen.Anz. weithin ab­patrouilliert, während alle Uebergänge polizeilich besetzt waren. Die Weiterreise erfolgte über StraßburgBasel.

Frankfurt a. M. 22. Okt. In der Tabakindustrie hat sich der Arbeitsmarkt durch die neuen Steuern weiter bedeutend verschlechtert. Hunderte von Arbeitern sind brotlos geworden. Die meisten Tabakfabriken haben ihren Betrieb auf einige Zeit eingestellt. Ungünstige Nach­richten kommen auch aus der Zündholzindustrie. Aus Kosthen bei Mainz wird berichtet, daß die dortige Zündholzfabrik nur von 7 Uhr mor­gens bis 4 Uhr nachmittags arbeitet.

Recklinghausen 22. Okt. Auf der Zeche Schlegel L Eisen 3 und 4 stürzte gestern Nachmittag ein mit 11 Bergleuten besetzter Korb in die Tiefe. Ein Bergmann wurde lebensgefährlich, die übrigen mehr oder weniger schwer verletzt.

Köln 22. Okt. Auf die widersprechenden und in der Oeffentlichkeit Verwirrung anrichtenden Mitteilungen über die Absichten und mutmaßlichen Zwecke der in Frankfurt a. M. in Gründung begriffenen Lu ftsch iss ah rts-Aktie ngesell- schaft erklärt dieKöln. Ztg." daß vorerst die Errichtung nur eines Hafens in Frankfurt a. M. geplant sei, von dem aus Rundfahrten und Zielfahrten nach den umliegenden in einem Tage zu erreichenden Großstädten unternommen werden sollen. Von einer Fahrt über den Kanal könne vorläufig noch keine Rede sein. Bei den vorherrschenden Westwinden dürfte eine solche Fahrt meist etwa 8 Stunden in Anspruch nehmen. Hierfür dürfte aber baldigst ein Luftschiff in

Dienst gestellt werden. Die Gesellschaft wird darauf bedacht sein eine möglichste Rentabilität anzustreben, um dadurch einer weiteren Ent­wicklung den Weg zu ebnen, wobei sie eine Unterstützung des Reiches nicht entbehren kann. Die Kapitalisten mancher Großstädte, die der neuen Gesellschaft Beiträge versprochen haben, für den Fall, daß auch in ihrer Stadt Luft­schiffhäfen errichtet werden, müssen ihre Wünsche zurückstellen. Trotz der Zurückstellung dieser Sonderwünsche finden sich Kapitalisten aus allen Teilen des Reiches in dieser Gesellschaft zu­sammen. Von Hamburg aus kann schon im nächsten Sommer ein Luftschiff zu den See­bädern steuern und Flüge auf das Meer hinaus machen.

Köln 22. Okt. Die Kölner mili­tärischen Flugversuche. Auf eine Anfrage beim Gouvernement, ob bei den militärischen Flugversuchen kleinere und größere Aufstiege unternommen werden würden, wurde mitgeteilt, daß das Programm für die Flugmanöver in Händen des Kriegsministers läge, dessen Vertreter hier erwartet werden. Erst nach deren Ankunft könne eine Konferenz abgehalten werden, in der das Programm für die Luft­schiffmanöver aufgestellt würde; gleichzeitig würde auch mitgeteilt werden, ob die Presse Zutritt hätte oder ob Berichte an die Presse abgegeben werden sollen.

Fulda 21. Okt. Ein vorgeschicht­licher Fund von großer Seltenheit wurde ge­legentlich der Erweiterungsbauten beim Bahnhof zu Flieden (Station der Eisenbahn Bebra-Elm- Frankfurt) gemacht. Inmitten eines angeschnit­tenen Basaltstroms wurde ein noch aufrecht­stehender Baumstamm von 3 Meter Höhe nebst der Baumkrone freigelegt. Die Baumkrone ist von der Last der überlagernden Gesteinsmaffen stark zusammengepreßt. Das Holz des Baumes ist auffallend gut erhalten und von dunkler Farbe wie Braunkohlen. Der Fund rührt aus der Tertiärzeit her, wo die noch tätigen Vulkane der Rhön mit ihren flüssigen Lavamaffen weite Strecken der Gegend von Fulda, Flieden u. s. w. überfluteten.

Dresden 22. Okt. Bei den gestrigen Wahlen für densächsischen Landtagsind von den 91 Wahlkreisen nur definitiv 34 zur Er­ledigung gekommen, während in 57 Wahlkreisen Stichwahlen stattzufinden haben. Die Wahl­beteiligung war eine lebhafte und betrug etwa 70°/°. Gewählt wurden 13 Konservative, 1 Freikonservativer, 4 Nationalliberale, 16 Sozial­demokraten. In den Stichwahlen stehen sich gegenüber: In 28 Kreisen Nationalliberale und Sozialdemokraten, in 16 Kreisen Konservative und-Sozialdemokraten, in 7 Kreisen Freisinnige und Sozialdemokraten, in 2 Kreisen Reformer und Sozialdemokraten, in je einem Kreis Bund der Landwirte und Sozialdemokraten, Mittel­stand und Nationalliberale, Bund der Landwirte und Konservative, Nationalliberale und Kon­servative. Nach diesem Ergebnis ist die bis­herige Vorherrschaft der agrarisch-konservativen Partei in Sachsen gebrochen und eine starke Verschiebung der politischen Machtverhältniffe damit eingetreten. Denn wenn auch bei den Stichwahlen die größere Hälfte der Mandate nur den Ordnungsparreien zufallen dürfte, so wird doch die sozialdemokratische Fraktion in einer Stärke in der 2. sächsischen Kammer einziehen, in der sie noch nie vorhanden gewesen ist.

Berlin 22. Okt. Fürst Bülow nahm gestern Abend mit der Fürstin an einem Diner im Reichskanzler-Palais beim Reichskanzler Bethmann-Hollweg teil. Heute vormittag unternahm der Fürst seinen gewöhnlichen Spazier­gang und nachmittags folgte er mit der Fürstin der Einladung zur Festtafel anläßlich des Ge­burtstages der Kaiserin.

Berlin 22. Okt. Der Staatssekretär des Reichskolonialamtes, Dernburg, ist von seiner Studienreise nach der Baumwoll-Jndustrie in den Vereinigten Staaten, die er bis New- Orleans ausdehnte, nach New-Dork zurückgekehrt. Er wird am 25. ds. die Rückreise zunächst nach England antreten.